Deutsches Exil in der Zeit des Nationalsozialismus
Deutsches Exil in der Zeit des Nationalsozialismus begann im Jahr 1933.
Exilanten
Aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik entschlossen sich zunächst insbesondere politische Gegner der Nationalsozialisten dazu, das Deutsche Reich zu verlassen.
In der Folgezeit gaben vorrangig entrechtete jüdischstämmige Deutsche ihr Zuhause auf.[1] Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, die Nürnberger Gesetze und die Novemberpogrome 1938 bildeten den Entscheidungshintergrund.
Verfolgte und Entrechtete verließen das Deutsche Reich zu Hunderttausenden. Schätzungen zufolge waren es 500.000 Menschen, die diesen Weg in der NS-Zeit gingen.[2] 360.000 der Exilanten stammten aus Deutschland. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 kamen ungefähr 140.000 Österreicher hinzu.
Der weitaus größte Teil von ihnen, etwa neunzig Prozent, war jüdischer Abstammung.[3]
Mit dem Schritt in das Exil versuchten die Menschen, einer drohenden Inhaftierung, Verbringung in ein Konzentrationslager und Tötung zu entgehen. Dass dies trotzdem geschehen konnte, zeigt das Schicksal von Anne Frank.
1941 wurde ein generelles Ausreiseverbot aus Deutschland erlassen.[4]
Schriftsteller
Deutschen Schriftstellern wurde es untersagt zu veröffentlichen, die nicht mit den Anschauungen der Nationalsozialisten übereinstimmten. Im Mai 1933 mussten etliche von ihnen erfahren, dass ihre Werke verbrannt wurden. Um Überleben zu können, entschieden sie sich für das Exil.
Auch kam es in Deutschland zu Ausbürgerungen von geächteten Schriftstellern. Zu den Ausgebürgerten zählte Kurt Tucholsky.
Exilliteratur
Im Jahr 1933 entstand in Amsterdam der Querido Verlag. Dieser gab von deutschen Autoren während der Zeit des Exils geschaffene Literatur heraus.
Als Begründer der deutschen Exilliteraturforschung gilt der Literaturwissenschaftler Walter Arthur Berendsohn. Berendsohn hatte Deutschland 1933 aufgrund seiner jüdischen Abstammung selbst verlassen müssen.
Exil als Thema in der deutschsprachigen Literatur
Zu den Autoren, die als Exilanten das Exil zum Thema ihrer Schriften machten, gehörte Klaus Mann. Sein Roman Der Vulkan beschreibt die Situation deutscher Exilanten in Paris und andernorts.
Das Schicksal der Exilanten in Marseille und ihren oft entwürdigenden Kampf um Visen bildete den Hintergrund des Romans Transit (erschienen 1944) von Anna Seghers.
Judith Kerr veröffentlichte 1971 das Buch Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. Dieses beschreibt die Flucht ihrer jüdischstämmigen Familie aus dem nationalsozialistischen Deutschland.
Publizisten
Hunderte Zeitschriften erschienen zwischen 1933 und 1945 außerhalb Deutschlands, die von Exilanten herausgegeben wurden. Ihre Erscheinungsdauer überschritt den Zeitraum eines Jahres selten. Ein Beispiel für eine der Zeitschriften ist die Freie Presse, welche Publizisten herausgaben.
Filmschaffende, Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspieler, Kameramänner, Techniker und Cutter
Schätzungsweise 2.000 Filmschaffende, Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspieler, Kameramänner, Techniker und Cutter verließen das Deutsche Reich.
War zunächst das europäische Ausland ein wichtiger Zufluchtsort für sie, wurden die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Beginn des Krieges in dieser Hinsicht zunehmend bedeutsam.
Billy Wilder beispielsweise übersiedelte 1933 nach Paris, ein Jahr später konnte er in die Vereinigten Staaten einreisen.
Viele bauten im Aufnahmeland eine neue künstlerische Existenz auf.[5]
Wissenschaftler
Gegründet wurde im Jahr 1933 die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland. Diese Hilfsorganisation vermittelte Wissenschaftlern im Exil neue Arbeitsplätze. Eine Möglichkeit zur Fortführung der eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit bedeutete dies nicht unbedingt.
Einige deutsche Wissenschaftler konnten ihre wissenschaftliche Karriere im Exil weiter voranbringen. Dies galt für Max Born.
Max Horkheimer und dem Institut für Sozialforschung (IfS) ist es gelungen, die Emigration rechtzeitig vorzubereiten und das Institut zunächst nach Genf und später in die USA zu verlegen. Aufgrund der dem Institut auch im Exil zur Verfügung stehenden Mittel konnte es nicht nur die eigene Forschungsarbeit fortsetzen, sondern vielen emigrierten Sozialwissenschaftlern auch eine finanzielle Unterstützung zukommen lassen.
Wie schwierig der Weg in die Emigration und das Überleben in der Emigration war, lässt sich gut an den Lebensläufen von Ernst Abrahamsohn und Ernst Moritz Manasse studieren. Sie mussten sich nicht nur mit den Widrigkeiten der US-Einwanderungspolitik auseinandersetzen, sondern fanden oft auch Beschäftigungen, die nicht den ursprünglichen Hoffnungen entsprachen. Manasse etwa, der Flüchtling aufgrund seiner jüdischen Herkunft geworden war, wurde Dozent an einer aus rassischen Gründen ausgegrenzten Institution, einer nur Schwarzen zugänglichen Hochschule in den Südstaaten der USA. Er war der erste voll beschäftigte weiße Lehrer an dieser Institution.
Lehrer und Erzieher
Mehr als 20 Exilschulen wurden weltweit von Lehrern und Erziehern gegründet, die Deutschland nach 1933 verlassen mussten. Auch diese boten Arbeitsplätze für Exilanten und gewährleisteten damit das Überleben.
Eine Einrichtung, deren Hintergrund die Volksfrontstrategie darstellte, war die Freie Deutsche Hochschule in Paris.
Aufnahmeländer
Wurde anfangs das europäische Ausland als Ort des Exils gewählt, flüchteten politisch Verfolgte, Juden sowie andere mit Beginn des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Besetzung benachbarter Länder durch deutsche Truppen auch in das nicht-europäische Ausland.
Einige Hundert fanden zwischen 1933 und 1945 Aufnahme in der Türkei.
Weniger als 10.000 deutsche Verfolgte und Entrechtete wurden in Skandinavien aufgenommen, in Dänemark, Norwegen und Schweden. Eine bedeutende Rolle spielte Dänemark als Transitland. Zehntausende gelangten von dort aus in Drittländer.
Südamerika, beispielsweise Bolivien und Uruguay, nahm deutlich mehr Verfolgte und Entrechtete als Skandinavien auf, wobei diese nach der Aufnahme dort auch in die Vereinigten Staaten (ca. 130.000 Exilanten) weiterreisten.
Unterstützung bei der Flucht nach Südamerika, hauptsächlich nach Brasilien, leistete der St.-Raphaels-Verein in Hamburg.
Schätzungsweise 55.000 Menschen flüchteten nach Palästina.[6]
Erste Zentren deutscher Exilanten entstanden in der Tschechoslowakei (ca. 9.000 Exilanten), in Frankreich (ca. 100.000 Exilanten), den Niederlanden (ca. 10.000 Exilanten) und der Schweiz (ca. 25.000 Exilanten).[7]
Einreisebestimmungen
Strenge Einreisebestimmungen erschwerten es Ausreisewilligen, Deutschland zu verlassen.
Die tragischen Folgen einer verweigerten Einreise werden deutlich am Beispiel Hunderter jüdischstämmiger Deutscher, die 1939 mithilfe des Schiffes St. Louis vergeblich versuchten, Europa zu verlassen.
Ende der 1930er Jahre ermöglichte die britische Regierung Tausenden jüdischstämmigen Kindern die Einreise nach Großbritannien durch eine Lockerung dieser Bestimmungen.
Anfang der 1940er Jahre erreichte es das Emergency Rescue Committee, dass politisch verfolgte Intellektuelle ein Danger-Visum für die Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika erhielten.
Mit der Ausstellung eines Affidavits konnten Bürger von Aufnahmestaaten die Erlaubnis zur Einreise Verfolgter und Entrechteter herbeiführen helfen.
Eine besondere Stellung als Zufluchtsort nahm Shanghai ein. Dort wurde für die Einreise kein Visum benötigt. Zu den ungefähr 20.000 nach Shanghai Geflüchteten gehörte die Familie von Werner Michael Blumenthal.
Vereinigungen
Deutsche Exilanten gründeten in den Aufnahmeländern Vereinigungen.
Vom Exil aus wurde das Engagement gegen die Nationalsozialisten fortgeführt. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (Sopade) ist hierfür ein Beispiel, der von Prag beziehungsweise Paris aus agierte.
In der Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien schlossen sich sozialistische und sozialdemokratische Exilorganisationen zusammen.
Die German Labour Delegation war eine sozialdemokratische geprägte Organisation in den USA.
Ein kulturelles Forum stellte der Heinrich-Heine-Klub im Mexiko dar.
Tod im Exil
Exilanten, die offen gegen die Nationalsozialisten auftraten, bezahlten ihr Wirken auch mit dem Leben, wie das Schicksal von Theodor Lessing veranschaulicht.
Selbsttötungen
Im Exil kam es zu Selbsttötungen. Zwei derjenigen, welche sich das Leben nahmen, waren Ernst Toller und Stefan Zweig.
Rückkehr aus dem Exil
Ein Teil der Exilanten entschied sich nach dem Ende des Nationalsozialismus für eine Rückkehr nach Deutschland. Hans Rothfels war einer von ihnen. Den rückkehrwilligen Exilanten schlug auch Ablehnung entgegen.
Gescheiterte Rückkehr
Die politischen Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland führten dazu, dass von den Nationalsozialisten entzogenes jüdisches Eigentum in bestimmten Fällen nicht zurückgegeben wurde. Dies zeigt das Beispiel des Fabrikanten Hermann Lewandowski, der mit seiner Familie in England Schutz gefunden hatte. Dessen Sohn Georg bemühte sich nach 1945 vergeblich darum, das familieneigene Unternehmen zurückzuerhalten, welches in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands lag. Hermann Lewandowski und seine Familie kehrten nicht nach Deutschland zurück.
Zugleich veranschaulicht die Geschichte der Lewandowskis, dass Exilanten im Aufnahmeland erfolgreich eine neue Existenz aufbauen konnten: Georgs Bruder Kurt Lewandowski gründete im Exil ein eigenes Unternehmen, an welchem sein Vater und sein Bruder beteiligt waren.
Ein Beispiel für den gescheiterten Versuch eines Wissenschaftlers zurückzukehren, ist das des Literaturwissenschaftlers Walter A. Berendsohn. Berendsohn bemühte sich erfolglos darum, wieder als Hochschullehrer an der Universität tätig werden zu können, an der er vor 1933 gelehrt hatte.
Siehe auch
- Liste bekannter deutschsprachiger Emigranten und Exilanten (1933–1945)
- Liste emigrierter deutschsprachiger Sozialwissenschaftler
Literatur
- Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1–3, De Gruyter Saur, München / New York 1980, ISBN 3-59810-087-6.
- Claus-Dieter Krohn / Patrik von zur Mühlen / Gerhard Paul / Lutz Winckler (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Primus-Verlag, Darmstadt 1998, ISBN 3-89678-086-7.
- Hans Peter Obermayer: Deutsche Altertumswissenschaftler im amerikanischen Exil. Eine Rekonstruktion, De Gruyter, Berlin u. a. 2014, ISBN 978-3-11-030279-0.
- Klaus Voigt: Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933–1945. Erster Band, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1989, ISBN 3-608-91487-0.
- Klaus Voigt: Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933–1945. Zweiter Band, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1993, ISBN 3-608-91160-X.
Weblinks
- Emigration aus dem NS-Staat, abgerufen am 18. August 2016.
- Emigration und Exil infolge des Nationalsozialismus 1933–1945, abgerufen am 18. August 2016.
- Claus-Dieter Krohn: Emigration 1933–1945/1950, abgerufen am 18. August 2016.
Einzelnachweise
- ↑ Emigration und Exil infolge des Nationalsozialismus 1933–1945, S. 1, abgerufen am 18. August 2016.
- ↑ Emigration und Exil infolge des Nationalsozialismus 1933–1945, S. 1, abgerufen am 18. August 2016.
- ↑ Emigration und Exil infolge des Nationalsozialismus 1933–1945, S. 2, abgerufen am 18. August 2016.
- ↑ September 1941: Einführung der Kennzeichnungspflicht für Juden im Deutschen Reich, abgerufen am 18. August 2016.
- ↑ Film und Exil im Dritten Reich, abgerufen am 20. August 2016.
- ↑ Arnulf Scriba: Emigration aus dem NS-Staat, abgerufen am 18. August 2016.
- ↑ Emigration und Exil infolge des Nationalsozialismus 1933–1945, S. 1, abgerufen am 18. August 2016.