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Weltraummüll

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Verteilung des Weltraummülls in niedrigen Erdumlaufbahnen
Abgetrennte zweite Stufe einer Delta II Rakete im Orbit, aufgenommen vom XSS-10 Experimentalsatelliten
Auf die Erde gestürzter Überrest einer PAM-D Raketenstufe
Ein Stück Aluminiumoxid aus einem Test eines Space Shuttle Boosters

Unter Weltraummüll versteht man die nicht operationellen Überbleibsel der verschiedenen Raumfahrtmissionen im irdischen Orbit.

Laut Modellen, wie z.B. MASTER-2005 (Meteoroid and Space Debris Terrestrial Environment Reference) von der ESA, befinden sich über 600.000 Objekte mit einem Durchmesser größer als 1 cm in Umlaufbahnen um die Erde. Nur ein Bruchteil davon, ca. 13.000 Objekte, kann mit Hilfe des amerikanischen Space Surveillance Systems kontinuierlich beobachtet werden. Im Rahmen von Weltraummüll-Meßkampagnen werden mit Hilfe von Radaranlagen und Teleskopen sporadische Messungen durchgeführt. Hierbei können Objekte bis hinunter zu einem Durchmesser von 2 mm (Goldstone-Radarbeobachtungen) in LEO bzw. 10 cm (ESA-Space Debris Teleskop) in GEO detektiert werden. Solche Beobachtungen werden zur Validierung von Weltraummüll-Modellen wie MASTER verwendet. Eine weitere Quelle für Informationen über die Weltraummüllumgebung sind zurückgeführte Satellitenoberflächen. Dazu zählen unter anderem die Solarzellen des Hubble Space Teleskops. Auf letzteren wurde eine Vielzahl an Einschlagkratern erfaßt und ausgewertet. Mit Hilfe spektroskopischer Analysen konnten auch Rückschlüsse auf die Zusammensetzung und somit die möglichen Quellen der eingeschlagenen Objekte gezogen werden.

Risiken

Die durchschnittliche Differenzgeschwindigkeit zwischen Weltraummüll und Satellit beträgt ca. 10 km/s. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit setzt bereits der Einschlag eines nur 1 cm großen Objektes die kinetische Energie einer Handgranate frei. Bereits Einschläge von Millimeter-Objekten können die Funktion eines Satelliten beeinträchtigen oder ihn unbrauchbar machen. Die bemannten Module der Internationalen Raumstation (ISS) sind mit doppelwandigen Meteoritenschutzschilden ausgestattet und können aufgrund der durch den Einschlag in die erste Wand erzeugten Streuwirkung Einschlägen von Weltraummüll bis zu einem Zentimeter Durchmesser widerstehen.

Bereits jetzt ist auf einigen Umlaufbahnen die durch Einschläge von Weltraummüll hervorgerufene Ausfallwahrscheinlichkeit operationeller Satelliten nicht mehr vernachlässigbar. Selbst Einschläge kleinerer Partikel bis in den Mikrometerbereich können sensitive Nutzlasten beschädigen, Plasmaentladungen hervorrufen oder eine Bedrohung für das Leben von Astronauten bei Außenbordaktivitäten darstellen.

Viele Raumfahrzeuge, wie z.B. die Space Shuttles oder die Internationale Raumstation, aber auch Satelliten wie z.B. der Erdbeobachtungssatellit Envisat sind in der Lage, notfalls Ausweichmanöver durchzuführen, um eine als nicht unwahrscheinlich (z.B. p=1/10.000) eingestufte Kollision mit einem der ca 13.000 Objekte, deren Bahnen kontinuierlich verfolgt werden, zu vermeiden. Im Jahr 2004 musste Envisat bereits zwei solcher Manöver durchführen. Raumfähren wie z.B. die Discovery mussten insgesamt sechs Ausweichmanöver fliegen.

Quellen und Senken

Neben Starts neuer Satelliten gibt es eine Vielzahl an Ereignissen und Mechanismen, die zur Entstehung von Weltraummüll führen. Dazu zählen:

  • Explosionen von Satelliten oder Oberstufen - diese werden hervorgerufen durch absichtliche Sprengungen, durch die Entzündung von Resttreibstoffen von Oberstufen und durch das Verdampfen von kryyogenen Treibstoffkomponenten in Oberstufen in denen noch Treibstoffreste zurückgeblieben sind. Durch die Ausdehnung dieser Treibstoffe während des Verdampfens können die Oberstufen gesprengt werden. Explosionen können auch von Entladungen in Batterien der Satelliten ausgelöst werden. - Es wird angenommen, daß sich seit Beginn der Raumfahrt etwa 200 Explosionen im Orbit ereignet haben
  • Feststoff-Motoren - während des Abbrandes solcher Motoren entsteht Feststoffmotor-Staub, aus Aluminiumoxid, im Mikrometerbereich, am Ende des Abbrandes entstehen Schlackeobjekte mit einem Durchmesser bis zu mehreren Zentimetern
  • Reaktorkühlmittel aus weltraumgestützten Buk-Kernreaktoren von sowjetischen Spionagesatelliten der im Westen als RORSAT bekannten Serie. Bei 16 solcher Satelliten wurde nach Beendigung der Mission eine Abstoßung des Reaktorkerns durchgeführt, dabei wurde das Kühlmittel des primären Kühlkreislaufs, NaK-78, freigesetzt (jeweils ca. 8 kg). Das NaK verteilte sich dabei in Tropfen verschiedener Größe auf den Umlaufbahnen der RORSAT-Satelliten. Durch verschiedene Bahnstörungen und die Drehung der Knotenlinie verteilt sich das NaK jedoch auch zunehmend auf anderen Bahnen.
  • Oberflächendegradation - aufgrund der Umgebungsbedingungen im Weltraum lösen sich z.B. Farbpartikel von Satelliten und Oberstufen ab - neueste Beobachtungen des ESA Space Debris Teleskops deuten außerdem darauf hin, dass sich vermutlich häufiger auch größere Teile von Satelliten ablösen. Der zeitliche Verlauf der Bahnparameter dieser Objekte zeigte, dass sie ein sehr hohes Flächen- zu Massenverhältnis besitzen (bis zu 30 m²/kg). Daher könnte es sich hierbei um Wärmeschutzfolie handeln.
  • Ejecta - durch Einschläge von Mikrometeoriten und Weltraummüll freigesetzte Bestandteile orbitaler Objekte
  • West Ford Dipole - zu Beginn der sechziger Jahre im Rahmen der West-Ford-Experimente freigesetzte Nadeln, die sich aufgrund der verschieden starken Gravitation an beiden Enden der Nadeln (ähnlich wie Gravitationsgradientenstabilisierung bei Satelliten) zur Erde hin ausgerichtet und dabei Cluster gebildet haben.
  • Missionsbedingte Objekte - im Rahmen von Weltraummissionen freigesetze Objekte, wie z.B. Sprengbolzen und Abdeckungen. Ebenfalls ganze Raketenoberstufen, die mit den Satelliten in die Umlaufbahnen gelangen und dort verbleiben.
  • Kollisionen - Bruchstücke und Fragmente, die aus der Kollision von zwei Raumflugkörpern resultieren. Beispiel: Abtrennung des CERISE- Boom (ausfahrbarer Mast) durch eine ARIANE-Raketenoberstufe, die zehn Jahre zuvor in den Orbit gebracht wurde.

Die Teile in niedrigen Umlaufbahnen werden durch einen Rest an Luftwiderstand abgebremst und verglühen irgendwann in der Atmosphäre, nur sehr wenige sind groß genug, um auf die Erdoberfläche zu stürzen. In größeren Höhen wird diese Reibung immer geringer, so dass der Weltraumschrott in einer Höhe von 800 km bereits Jahrhunderte, in einer Höhe von 1.500 km sogar einige tausend Jahre braucht, um zu verglühen.

Da die Höhen von 800 km und 1.500 km als Umlaufbahnen bevorzugt genutzt werden, wächst die Bedrohung für die kommerzielle und wissenschaftliche Raumfahrt. Konzepte, wie dieses Problem zu lösen ist, scheitern zur Zeit an den damit verbundenen Kosten. So wäre es denkbar, die Trümmer mit einem Laserstrahl zu verdampfen. Gelingt dies aber nicht vollständig, werden nur neue Teile in größerer Zahl erzeugt. Hinzu kommt der dafür benötigte hohe Energieverbrauch.

Vermeidungsmaßnahmen

Das einzige, was momentan unternommen werden kann, ist das Verhindern der Entstehung neuen Weltraummülls. So werden bei allen modernen Raketen die in die Umlaufbahn gelangende Stufen mit Hilfe einer zusätzlichen Triebwerkzündung wieder abgebremst, um sie in der Atmosphäre verglühen zu lassen. Bei Oberstufen, die in hohe Umlaufbahnen gelangen und keinen ausreichenden Bremsimpuls erzeugen können, werden zumindest die Reste des Treibstoffs verbraucht/abgelassen, um eine mögliche Explosion zu verhindern. Eine weitere Maßnahme ist die Vorgabe, Satelliten nach Möglichkeit nur auf solchen Bahnen zu platzieren, auf denen sie durch den Widerstand der Restatmosphäre nach einer gewissen Zeit (z.B. 25 Jahre) automatisch abstürzen. Letzteres kann auch durch gezielte de-orbit Manöver erreicht werden. Des weiteren gibt es Ansätze die z.B. die Querschnittsfläche von MRO's in Abhängigkeit der Missionsdauer zu beschränken. Ein Vorschlag der ESA lautet beispielsweise:

m²y
  • A - Querschnittsfläche
  • t - Einsatzdauer

Die Europäische Weltraumorganisation ESA hat vor wenigen Jahren ein Konzept für einen Satelliten erarbeitet, der bis zu 30 ausgediente Oberstufen und Satelliten aus dem Geostationären Ring in einen wenige hundert Kilometer darüber gelegenen Friedhofsorbit befördern kann. Nach dem derzeitigen Stand der Entwicklung wird der mit "ROGER" (Robotic Geostationary Orbit Restorer) bezeichnete Satellitenfänger ein Wurfnetz auf einen Zielsatelliten schiessen und diesen damit in die Friedhofsbahn ziehen. Durch geschickte Beschleunigungs- und Abbremsmanöver wird verhindert, dass sich das Seil, mit dem das Wurfnetz am ROGER befestigt ist, entspannt. In der Friedhofsbahn angekommen, wird das Seil gekappt und Satellit und Netz verbleiben dort. Die Verwendung eines Wurfnetzes erfordert jedoch einen großen Vorrat von Netzen, da für jede Mission ein einzelnes Netz benötigt wird. Daher wird an einem ähnlichen Verfahren mit einem wiederverwendbaren Greifarm geforscht.

Messungen

Die Detektion von Space Debris kann vom Erdboden aus mittels optischer Teleskope oder Radar erfolgen. Einige Radare können dabei in niedrigen Umlaufbahen Debris im Millimeterbereich nachweisen. Die genaue Messung der Bahnparameter und das kontinuierliche Verfolgen der Debris ist jedoch nur bei Durchmessern ab ca 5 cm in LEO bzw. ca. 50 cm in GEO möglich. Die Bahnen dieser Objekte werden durch das amerikanische Space Surveillance Systems kontinuierlich verfolgt und ihre Bahnelemente in einem Objektkatalog veröffentlicht. Derzeit enthält dieser Katalog ca. 13000 Objekte, allerdings sind lediglich die Bahndaten für ca. 9600 Objekte der Öffentlichkeit zugänglich. Als einzige Möglichkeit, Population und Bahnparameter von kleineren Debrispartikeln zu ermitteln, bleiben damit in-situ Messungen. Zu diesem Zweck wurden bereits mehrere Detektorkonzepte erprobt. Die bekanntesten europäischen Detektorkonzepte sind der DEBIE-Detektor und der GORID-Detektor (identisch mit Galileo- und Ulysses-Detektoren). Beide Detektoren bestimmen die Einschlagsenergie eines Hochgeschwindigkeitspartikels über die Zusammensetzung des durch den Einschlag entstehenden Plasmas. Mittels Elektrischen Feldern werden die Elektronen und Ionen im Plasma voneinander getrennt und mittels geladenen Gittern die jeweilige Spannung gemessen. Aus der Form und dem zeitlichen Verlauf der Spannungspulse lassen sich über am Erdboden aufgenomme Kalibrierungskurven Masse und Geschwindigkeit des eingeschlagenen Partikels bestimmen. Zur reinen Plasmamessung kommt beim DEBIE-Sensor die Messung des Einschlagsimpulses über Piezoelemente hinzu, so dass es ein Vergleichssignal zur Plasmamessung gibt. Ein weiteres Konzept zur in-situ Detektion (passiv) von Weltraummüll stellt der Large Area Debris Collector (LAD-C) dar. Dieser soll an der Internationalen Raumstation befestigt werden. Bei einer geplanten Fläche von 12 m² soll Aerogel ein Einfangen der Debris-Objekte ermöglichen. Mit Hilfe mehrerer akustischer Sensoren können Einschlagszeitpunkt und Einschlagsort von Objekten bestimmt werden. Nach etwa zwei Jahren Flugzeit soll LAD-C mit einem Space-Shuttle wieder zurück zur Erde gebracht werden, wo eine genaue Analyse der eingefangenen Debris-Objekte erfolgen kann.

Siehe auch: Weltraumhaftung

Commons: Weltraummüll – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien