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Das Fräulein stand am Meere

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Das Fräulein stand am Meere ist ein Gedicht von Heinrich Heine. Das August 1832 entstandene Gedicht wurde zuerst in der Zeitschrift Der Freimütige veröffentlicht. Ursprünglich aus dem Zyklus Hortense erschien es 1844 im Lyrikband Neue Gedichte und gehört als das zehnte von 15 Gedichten zu dem „Liederkranz“[1] Seraphine.

Darin wird die sentimentale Bewunderung für ein vorhersehbares Naturereignis ironisiert. Das Gedicht gilt als beispielhaft für die Destruktion romantischer Poesie durch den Zusammenprall von Ideal und Realität.[2] In seiner Anwendung der Ironie gehört das Gedicht zum frühen und mittleren Werk Heines.

Text

Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Form

Aufbau des Gedichts
 Vers   Versmaß  Reim 
1  υ – υ – υ – υ  a
2  υ – υ – υ –  b
3  υ – υ – υ – υ  a
4  υ – υ – υ –  b
5  υ – υ – υ – υ  c
6  υ – υ – υ –  d
7  υ – υ – υ – υ  c
8  υ – υ – u u –  d
– : betonte Silbe
υ : unbetonte Silbe

Das Gedicht besteht aus zwei vierzeiligen Strophen mit jambischen Dreihebern. Allerdings kommen im letzten Vers zwischen zwei Hebungen zwei Senkungen vor: „Und kehrt von hinten zurück“. Die Kadenz ist abwechselnd weiblich und männlich. Der Kreuzreim ist in beiden Strophen aufzufinden.

Deutung

Erste Strophe

Das kurze Gedicht beginnt mit der sentimentalen Naturbetrachtung einer unverheirateten Frau. Lyrische Ausdrücke wie Meere und sehre verstärken das naive Bild. Die Alliteration sie so sehre wie auch der Reim des Binnenreims lang und bang auf das mit männlicher Kadenz endende Sonnenuntergang erinnern an einem Stabreim. Heine karikiert dadurch bereits sprachlich die romantisierende Betrachtung eines allbekannten Naturgeschehens. Auch die übertriebenen Reaktionen des Fräuleins, ihre Seufzen und Gerührtsein ironisieren jenes grenzenlose Empfinden.

Zweite Strophe

Nachdem der Sprecher das Fräulein auffordert munter zu sein, erklärt er in knappen Sätzen den Anlass der langandauernden Schwärmerei, eine banale Konstellation. Die Komik ist bereits in der unbekümmerten Mein Fräulein enthalten. Dagegen ist die Bezeichnung altes Stück, eine gebräuchliche Floskel für antiquierte Bühnenwerke, nicht nur Spott, sondern verweist auf die Illusion des Sonnenuntergangs, folglich der Romantik selbst, die sich als Weltzugang wie poetisches Konzept überlebt hat. Im Gestus des Zeigens; die Bewegung des Gestirns wird anhand der lokalen Präposition Hier im siebten Vers und dem Adverb von hinten im letzten Vers verortet, wird die Dekonstruktion der vorherigen Wahrnehmung eingeleitet. Die direkten Rede verstärkt zudem wegen ihrer Unmittelbarkeit die Botschaft des Sprechers. Die Abfolge zweier unbetonter Silben auf eine betonte Silbe im letzten Vers, lässt einen beschwingenden Ton entstehen, der sich unerwartet in einer Hebung entlädt. Durch das Bathos, die Erhabenheit des Sonnenuntergangs wird hier mit der allgemeinen Erfahrung des Sonnenlaufs konfrontiert, erfährt das Komische eine weitere Steigerung.

Rezeption

Der Literaturkritiker Ulrich Greiner sieht darin eine Abrechnung mit der „naiven oder sich naiv gebenden Gefühlslyrik“.[3]

Robert Gernhardt spielt in den Erinnerungen an eine Begegnung in Duderstadt auf Heines Gedicht an. 1905 vertonte der Schweizer Komponist Othmar Schoeck das Gedicht.

Im Hinblick auf dieses Gedicht unterstellte Karl Kraus in seiner Invektive Heinrich Heine und die Folgen dem Dichter einen Zynismus, der nicht über die Sentimentalität des Fräuleins hinauskommen würde.

Literatur

Textausgaben

  • Heinrich Heine: Neue Gedichte. Hoffmann und Campe, Hamburg 1844, S. 71.
  • Heinrich Heine: Neue Gedichte. Hoffmann und Campe, Hamburg 1983.

Sekundärliteratur

Wikisource: Das Fräulein stand am Meere – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Ralph Häfner: Die Weisheit des Silen: Heinrich Heine und die Kritik des Lebens, Band 7 von Spectrum Literaturwissenschaft, Verlag Walter de Gruyter 2006, ISBN 978-3-11018-954-4
  2. Vgl. Maren Jäger: Das komische Kurzgedicht. In: Carsten Jakobi (Hrsg.): Witz und Wirklichkeit: Komik als Form ästhetischer Weltaneignung. transcript, Bielefeld 2015, ISBN 978-3-8376-2814-2, S.381.
  3. Ulrich Greiner: Ulrich Greiners Lyrikverführer. Eine Gebrauchsanweisung zum Lesen von Gedichten, Beck 2009, ISBN 978-3406590696