Alte Kirche Wommelshausen
Koordinaten: 50° 45′ 52″ N, 8° 29′ 35″ O

Die Alte Kirche steht im hessischen Wommelshausen (Gemeinde Bad Endbach, Landkreis Marburg-Biedenkopf) und gehört zum Typ der hochmittelalterlichen turmlosen Saalkirchen (Einraumkirchen).
Beschreibung
Das rechteckige Gebäude hat ein Grundmaß von ca. 13,00 × 9,30 m bei einer mittleren Traufhöhe von 6,00 m und ist mit einem Satteldach von 5,00 m Firsthöhe gedeckt. Das Dach überragt ein 10,00 m hoher achteckige Dachreiter.[1] Ursprünglich besaß es einen quer eingezogenen, 6,10 m × 3,50 m großen Chor, der im 17. Jahrhundert abgegangen ist.
Weder Bauzeit noch Bauherr sind bekannt. Auf ein hohes Alter deuten typisch romanische geometrische Proportionen und stilistische Merkmale hin, wie das Verhältnis der Höhe der Traufmauern zur Breite des Baukörpers. Das massive Mauerwerk (Mauerstärke ca. 1,2 m bis 1,3 m) in reiner Feldsteinbauweise (keine Werksteine) weist hochliegende kleine rundbogige Fensteröffnungen in der Südwand auf und hat südlich einen rundbogigen Seiteneingang. Das Bauwerk wird daher dem Übergang von der Vorromanik zur Romanik, der Zeit vom 10. bis 12.Jahrhundert zugerechnet. Fundamentreste unter der Westmauer und Steinlagen unter dem Fundament der Nordwest-Ecke weisen darauf hin, dass die Kirche auf den Fundamenten eines noch älteren Bauwerkes errichtet wurde.
In der zweiten Hälfte des 13. Jh. (1269, 1274 und 1284) wurden dendrochronologischen Untersuchungen zufolge Renovierungen bzw. Umbauten an der Mauerkrone der Südwand und den beiden Giebelwänden ausgeführt.[2]
Das dicke Mauerwerk, die hochliegenden kleinen Fenster und die relativ schmalen, von innen gut zu sichernden Eingänge sind Merkmale, die auf eine passive Wehrkirche hindeuten.
Reparaturen und Emporen
Von 1485 bis 1487 wurden umfangreiche Renovierungen am Baukörper und Dachreiter durchgeführt. Im Innenraum baute man in diesem Zusammenhang (dendrochronologisch belegt) die Westempore und die Südempore ein. Es sind die frühesten Emporen in der Umgebung.
1652/60 mussten wegen starker Schäden, verursacht durch Plünderungen und Kriegseinwirkungen während des Dreissigjährigen Krieges, erneut Giebel, Mauerwerk, Dach und Dachreiter repariert werden.
Umfangreiche Renovierung, Chor abgebrochen und versoffen
Das Bauwerk verfiel in den Folgejahren so sehr, dass die Gemeinde als Eigentümerin der Kirche in den Jahren 1720/26 umfangreiche Renovierungen und Umbaumaßnahmen vornahm, zu der der Landgraf eine Kollekte im "Oberfürstentum" bewilligte. Der baufällige Chor wurde abgebrochen, das Chor-Grundstück an den Nachbarn verkauft und der Erlös von den Gemeindevätern „versoffen“, war im Kirchenbuch vermerkt. Der Durchgang zum Chor und die südliche Pforte wurden vermauert, das kleine Westfenster vergrößert. In der Raummitte und hinter dem Altar wurden neue Deckensäulen aus Eichenholz aufgestellt, die Saaldecke erneuert und eine neue Kanzel mit Pfarrstand errichtet. Die West-Empore stockte man auf mit einer Hochempore. Der Innenraum erhielt eine barocke Ausmalung und das gesamte Holzwerk einen dunkelgrünen Anstrich u.a. mit floralen Elementen am Gebälk der Emporen, an der Kanzel und der großen Mittelsäule, die eine Darstellung der Taufe Jesu erhielt. In den Dachreiter baute man 1726 eine Schlaguhr ein, die bis 1965 ihren Dienst verrichtete.
In regelmäßigen Abständen mussten immer wieder Schäden an Dach, Dachreiter und Mauerwerk behoben und Renovierungen vorgenommen werden. So 1778, 1785, 1851 (Maueranker eingebaut) und 1892/94. Der chronisch schlechte Bauzustand konnte auch durch Reparaturmaßnahmen 1918, 1922 und 1925 (Vergrößerung des Nordfensters) nicht behoben werden. Wiederholt kam es zu massiven Beschwerden, auch die Bauaufsicht schaltete sich ein. Geldmangel und die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre verhinderten eine umfassende Sanierung. 1934 dachte man daran, die Kirche durch einen Neubau zu ersetzen, da sich eine Reparatur nicht mehr lohne. In einem Visitationsbericht wird vermerkt, in der Kirche herrsche ein sibirisches Klima, sie gleiche eher einem Stall als einem Gotteshaus.
Renovierung 1950
Ein 1939 entstandener Umbauplan sah umfangreiche Änderungen am Bauwerk vor, die jedoch nach dem Kriegsausbruch unterblieben. 1949/50 nahm man die Reparaturarbeiten wieder auf und beendete diese ohne Berücksichtigung des Umbauplanes und ohne Zustimmung der vorgesetzten Dienststellen. Die Renovierung war nicht von Dauer. Wegen irreparabler Schäden und Verfall drohte die Bauaufsicht mit der Schließung. 1960/61 fiel die Entscheidung für ein neues Gotteshaus an anderem Standort, das am 29. August 1965 eingeweiht wurde.
Schicksal der Alten Kirche nach der Einweihung der Neuen Kirche 1965
Mit der feierlichen Einweihung der Neuen Kirche ging die Alte Kirche einem ungewissen Schicksal entgegen. Als Gottesdienstraum hatte sie ausgedient und konkrete Pläne für eine weitere Nutzung fehlten sowohl in den seinerzeit zuständigen Pfarreien/Kirchengemeinden, als auch der Eigentümerin des Bauwerkes, der politischen Gemeinde Wommelshausen. Zur Debatte stand der Verkauf der Immobilie an Einen, „der es schon machen wird“ und im Hinterkopf der Abriss, so wie dies an anderen Orten im Landkreis ebenfalls geschehen war.
Kontroverse Verfall / Abriss
Bereits wenige Jahre nach der Aufgabe als Gotteshaus zeigten sich Verfallserscheinungen am Bauwerk. Die Alte Kirche wurde Abstellplatz für Gerümpel z. B. von alten landwirtschaftlichen Geräten und der Feuerwehr. Die Kreisverwaltung hatte sich schon konkret mit einer Abrissgenehmigung befasst.
Verkauf
Am 30. Oktober 1980 verkaufte die inzwischen zuständig gewordene Gemeinde Bad Endbach das Grundstück mit der Kirche für 2 DM an einen Architekten in Oberursel mit der Auflage, das Bauwerk zu erhalten und zu sanieren. Die Bauwerksschäden hatten inzwischen stark zugenommen, der neue Eigentümer unternahm nichts und die Bausubstanz verfiel weiter.
In Teilen der Bevölkerung war inzwischen das Interesse am Erhalt des historisch bedeutsamen Bauwerkes gestiegen. In den Hinterländer Geschichtsblättern, einer Beilage zum „Hinterländer Anzeiger“ erschienen 1980[3] und 1985[4] zwei Aufsätze, die sich mit der Geschichte und der Bedeutung der alten Kirche befassten. Einwohner entfernten 1985 die verbliebene Glocke und das Schlagwerk der alten Uhr und stellten beides sicher.
Bauwerk unterliegt Denkmalschutz
Der „Förderkreis Alte Kirchen“, Marburg, (FaK) bemühte sich intensiv um den Erhalt des seit 1958 denkmalgeschützten Bauwerkes und warb in der 1985 veröffentlichen Broschüre „Verlassene Kirche Wommelshausen“ für deren Renovierung. Es folgten Interventionen von privater Seite 1988 an den Regierungspräsidenten in Gießen und den Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Auch die Presse nahm sich des Themas an.
Enteignung
Das Landesamt für Denkmalpflege stellte im Oktober 1998 beim Regierungspräsidium in Gießen einen Antrag auf Enteignung zu Gunsten der Gemeinde Bad Endbach, die sich jedoch zu einer Übernahme nicht entschließen konnte. Das Verfahren verlief ergebnislos.
Die Schäden am Dach, am Mauerwerk und im Inneren weiteten zunehmend aus, sodass vom Bauwerk eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen drohte. Erneut machte auch die Presse wieder auf diesen unhaltbaren Zustand aufmerksam. Wommelshäuser Bürger gründeten 1992 die Arbeitsgemeinschaft „Rettet die Alte Kirche von Wommelshausen“, appellierten an die Behörden und sammelten Unterschriften für den Erhalt des Bauwerkes. Der Eigentümer schritt, trotz Auflagen der Unteren Denkmalschutzbehörde und des Kreisbauamtes, nicht zur Tat und kam seiner Verpflichtung bis Ende 1992 nur unzureichend nach. Die Kreisverwaltung ließ daher im Wege der Ersatzvornahme Anfang 1993 zur notwendigen Bestandssicherung das Dach erneuern und den Dachreiter sichern. Bereits 1984 war ein Schutzgerüst gegen herabfallende Dachteile angebracht worden. Ein zweites Enteignungsverfahren, das auf Antrag des Landkreises Marburg–Biedenkopf im Februar 1993 durch das Landesamt für Denkmalpflege eingeleitet wurde, endete 1994 mit einem Vergleich. Der Landkreis übernahm die alte Kirche am 6. April 1994 als Kulturdenkmal in sein Eigentum. Der bisherige Besitzer erhielt 13.000 DM Entschädigung für seine nachweislich geltend gemachten bisherigen Aufwendungen.
Renovierung

In den Jahren 1995/96 wurde die Kirche bauhistorisch und 1997 archäologisch untersucht, und von 1996 bis 2000 durch den Landkreis aufwendig nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten renoviert. Der Dachreiter mit Turmspitze und Hahn wurde komplett erneuert. Bei der Instandsetzung fand man die vermuteten mittelalterlichen Wandmalereien an der nördlichen Innenwand und die unter einem Anstrich verdeckten floralen Bemalungen am Gebälk der Emporen. Es wurden mehrere Segmente unter dem Anstrich freigelegt. Mit einem Festakt am 7. Mai 2000 wurde die Alte Kirche wieder der Öffentlichkeit übergeben. Ihre Rettung wurde mit der „Jakobsmuschel“ ausgezeichnet. 2001 überließ der Landkreis die Kirche vertraglich der Evangelischen Kirchengemeinde Wommelshausen zur Nutzung für kirchliche und kulturelle Veranstaltungen.
Bauhistorisch bemerkenswertes sakrales Bauwerk
Die ursprüngliche Substanz des Baukörpers ist in seiner klassischen Schlichtheit bis heute erhalten geblieben. Bis auf den Abbruch des Chors sind keine wesentlichen Veränderungen am Gebäude nachweisbar. Trotz Baumängeln und vielen Reparaturen hat das Gotteshaus weit mehr als 8 Jahrhunderte überdauert.
Die beiden Bronzeglocken aus dem 14. Jahrhundert wurden im 1. bzw. im 2. Weltkrieg beschlagnahmt und eingeschmolzen.
Als bauhistorisch bemerkenswertes sakrales Bauwerk wurde die Alte Kirche 2008 in „DEHIO, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen I“ aufgenommen.[5]
Erneute Bauschäden
Nach der Renovierung führte erneuter Feuchtigkeitsaufstieg im Mauerwerk zu Hausschwammbefall, sodass die Fundamente 2009 aufwendig trockengelegt und saniert werden mussten. Die Fundamente konnten hierbei archäologisch studiert werden und der Fußboden erhielt einen neuen Belag aus Sandsteinplatten. In den Fußboden und in den Mauersockel wurde eine Begleitheizung integriert. Das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst förderte diese Maßnahmen.
Fassungsvermögen
Bemerkenswert an der Kapelle ist ihr Fassungsvermögen. Eine Aufstellung aus dem Jahr 1939 erwähnt ca. 160 Sitzplätze. Im Dorf Wommelshausen lebten Ende des 15. Jahrhunderts zwar nur 100 bis 120 Einwohner und erst zum Ende des 16. Jahrhunderts wuchs die Bevökerung auf 130 bis 150 Personen an. Pfarrer Johannes Achenbach führte 1668 in einer „Seelenliste“ alle Einwohner namentlich auf, einschließlich der Kinder, und kam auf eine Gesamtzahl von 141. Für das Dorf Wommelshausen war die mittelalterliche Kapelle somit eher großzügig dimensioniert. Inwieweit Nachbarorte nach Wommelshausen gepfarrt waren, oder ob die Alte Kirche auch als Fliehkirche für die Umgegend diente ist derzeit noch Gegenstand der Forschung.
Trivia
Einer Sage nach soll die Alte Kirche ehemals eine Marienkapelle gewesen sein, die wegen einer wundertätigen Quelle, die unter dem Chor hervortrat, auch zum Ziel von Wallfahrern wurde.
Weblinks
- siehe auch: Bad Endbach#Bauwerke
Einzelnachweise
- ↑ Horst W. Müller, „Alte Kirche Wommelshausen, Baugeschichte und Rekonstruktion des Bauentwurfs“, Hinterländer Geschichtsblätter, Nr. 4, Dezember 2012 und Nr. 1, April 2013, Biedenkopf
- ↑ Freies Institut für Bauforschung und Dokumentation, „Bauhistorischer Untersuchungsbericht – Wommelshausen, Alte Kirche“, Marburg, Juni 1995 und „Archäologische Bodenuntersuchung – Wommelshausen, Alte Kirche“, Marburg, August 1997 (unveröffentlicht)
- ↑ Horst W. Müller, „Die alte Kapelle in Wommelshausen“, Geschichten und Sagen, Tatsachen und Meinungen zur Dorf und Kirchengeschichte, Hinterländer Geschichtsblätter Nr. 3 , Oktober 1980
- ↑ Horst W. Müller, „Ist die Wommelshäuser Kapelle schon 1200 Jahre alt?“, Ein Versuch zur zeitlichen Einordnung nach Maßverhältnissen und Konstruktionsmerkmalen, Hinterländer Geschichtsblätter Nr. 3 November 1985
- ↑ Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen I, S. 986, Deutscher Kunstverlag, München Berlin 2008, ISBN 978-3-422-03092-3