Zum Inhalt springen

Marcel Lefebvre

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 13. April 2006 um 15:16 Uhr durch Christianus (Diskussion | Beiträge) (Kritik: Stil). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Marcel Lefebvre (* 29. November 1905 in Tourcoing, Diözese Lille, Frankreich; † 25. März 1991 in Martigny, Schweiz) war katholischer Erzbischof und ein Führer von Katholiken, die sich den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965), insbesondere der Überarbeitung des Missale Romanum und der Verwendung von Volkssprachen als Liturgiesprache, entgegenstellten. Lefebvre gründete die traditionalistische Priesterbruderschaft St. Pius X.. Er wurde von Papst Paul VI. suspendiert und zog sich unter Papst Johannes Paul II. wegen unerlaubter Bischofsweihen die Tatstrafe der Exkommunikation zu.

Leben

Herkunft und Laufbahn

Lefebvre wurde als Sohn einer Industriellenfamilie aus Lille geboren, wandte sich jedoch dem Studium der Theologie zu. Am 14. September 1955 wurde Marcel Lefebvre erster Erzbischof von Dakar. Später wurde er Apostolischer Delegat des gesamten französisch-sprechenden Westafrika. Er war Generaloberer der Väter vom Heiligen Geist (Spiritaner), als Papst Johannes XXIII. ihn 1962 in die Vorbereitungskommission für das Zweite Vatikanische Konzil berief und ihm die Würde eines Päpstlichen Thronassistenten verlieh.

Erzbischof Lefebvre war neben Kardinal Ottaviani und Kardinal Spellman ein Führer der Vereinigung von konservativen Konzilsvätern, des Coetus Internationalis Patrum. Nach Abschluss des Konzils, dessen Beschlüssen er in fast allen Fällen unterzeichnet hatte, trat Lefebvre zunehmend in Opposition zu den postkonziliaren Entwicklungen innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche. Er gab nach und nach Ämter auf, die er in der Kirche innehatte.

Kurz nach seinem Rücktritt als Generaloberer der Väter vom Heiligen Geist (1968) wurde Lefebvre von Seminaristen des Französischen Seminars in Rom angesprochen, die laut Lefebvre wegen des Festhaltens an traditionellen Glaubensvorstellungen und Doktrinen belangt wurden. Diese suchten ein konservatives Seminar, um ihre Studien zu beenden. Er verwies sie an die Universität im schweizerischen Freiburg.

Die Gründung der FSSPX

Nachdem Lefebvre 1970 gebeten worden war, diese Seminaristen persönlich zu unterrichten, wandte er sich an den Diözesanbischof von Lausanne, Genf und Freiburg, François Charrière, welcher die Gründung der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) als pia unio genehmigte, einen vorläufigen Status in Richtung eines offiziell anerkannten religiösen Institutes oder einer Gemeinschaft apostolischen Lebens. François Charrière genehmigte den Status pia unio zunächst für sechs Jahre ad experimentum. Kardinal Wright, Präfekt der Kongregation für den Klerus, sandte ein Schreiben, in dem er Erzbischof Lefebvre zur Gründung der Bruderschaft gratulierte.

Die normale Entwicklung einer solchen Vereinigung innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche ist, dass der Diözesanbischof, nach einer langen Periode konkreter Erfahrungen mit der pia unio und nach Beratung mit dem Heiligen Stuhl der Vereinigung einen offiziellen, dauerhaften Status auf diözesaner Ebene verleiht. Lefebvre versuchte, die diözesane Ebene zu umgehen und kontaktierte verschiedene Abteilungen des Heiligen Stuhls mit der Absicht, sofort eine Anerkennung auf päpstlicher Ebene zu erhalten. Die zuständige Kongregation stimmte dem Ansinnen von Lefebvre nicht zu.

Lefebvre erklärte 1971 seinen Seminaristen, er würde das von Papst Paul VI. promulgierte Römische Meßbuch ablehnen. Wegen seiner Haltung wuchsen die Spannungen zwischen ihm und verschiedenen europäischen Bischöfen. Papst Paul VI. berief eine Kommission ein, die den Auftrag erhielt, die Angelegenheit zu untersuchen. In Folge veröffentlichte Lefebvre eine Erklärung, in der er schrieb, die FSSPX lehne es ab und werde es immer ablehnen, dem Rom der neo-modernistischen und neo-protestantischen Tendenzen zu folgen.

Am 24. Januar 1975 schrieb Bischof Pierre Mamie, der Nachfolger von Bischof Charrière, an die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gemeinschaften des apostolischen Lebens, dass er nach der sorgfältigen Studie der Erklärung Mgr. Lefebvres die traurige, aber dringliche Notwendigkeit sehe, der FSSPX die von seinem Vorgänger gewährte Anerkennung wieder zu entziehen. Kardinal Arturo Tabera Araoz, Präfekt der Kongregation, antwortete am 25. April. In dem Schreiben drängte er Bischof Mamie dazu, der FSSPX die Anerkennung mit sofortiger Wirkung zu entziehen. Bischof Mamie informierte Erzbischof Lefebvre am 6. Mai in diesem Sinne. Der FSSPX fehlte nun insbesondere die kirchenrechtliche Grundlage, um ein Priesterseminar zu betreiben.

Ab der Suspendierung

Lefebvre ignorierte sowohl die Weisungen des Diözesanbischofs als auch die Weisungen Roms und schloß das Priesterseminar in Ecône nicht. Nachdem er am 29. Juni 1976 ohne Erlaubnis FSSPX Seminaristen zu Priestern geweiht hatte, wurde er von Papst Paul VI. suspendiert. Ihm wurden damit alle Vollmachten seines Priester- und Bischofsamtes entzogen.

Nachdem Lefebvre am 30. Juni 1988 Bischofsweihen gegen die ausdrückliche Anweisung des Papstes vollzog, veröffentlichte Papst Johannes Paul II. am 2. Juli das Apostolische Schreiben Ecclesia Dei, in dem er die Bischofsweihen als schismatischen Akt verurteilte. Nach katholischem Kirchenrecht (Codex des Kanonischen Rechtes, Canon 1382 [1]) hatten die unerlaubten Bischofsweihen die Exkommunikation Lefebvres und der von ihm zu Bischöfen geweihten Priester zur Folge (siehe: unerlaubte Bischofsweihen im Artikel FSSPX). Allerdings berührte dies die Gültigkeit der von Lefebvre vorgenommenen Bischofsweihen nicht.

25. März 1991 starb Erzbischof Lefebvre in Martigny. Er wurde in Ecône beigesetzt.

In Deutschland war Pfarrer Hans Milch, Gründer der actio spes unica, Lefebvres Sprecher.

Theologische Position Lefebvres

Lefebvre sah sich nicht als Schöpfer einer neuen Theologie oder gar einer neuen Religion:

Ich bin kein Anführer einer Bewegung, noch viel weniger das Haupt einer eigenen Kirche. Ich bin nicht wie man unaufhörlich schreibt "der Anführer der Traditionalisten". Ja man ist sogar soweit gegangen gewisse Leute als "Lefebristen" zu bezeichnen, als ob es sich um eine Partei oder ein eigenes theologisches Lehrsystem handelte. Das ist eine unzulässige Redeweise. Ich vertrete auf religiösem Gebiet keine persönliche Lehre. Mein ganzes Leben habe ich mich an das gehalten, was man mich auf der Schulbank des Französischen Seminars von Rom gelehrt hatte, nämlich die katholische Lehre, wie sie das Lehramt seit dem Tod des letzten Apostels, der das Ende der Offenbarung bedeutet, von Jahrhundert zu Jahrhundert überliefert hat. (1986)

Seine Position hat er wie folgt umrissen:

Ich habe oft und oft wiederholt: Wenn jemand sich vom Papst trennt, werde nicht ich es sein. Die Frage läßt sich so zusammenfassen: Die Gewalt in der Kirche ist eine höchste Gewalt, sie ist aber nicht absolut und ohne Grenzen, denn sie ist der göttlichen Gewalt untergeordnet, die in der Überlieferung, in der Heiligen Schrift und in den schon durch das kirchliche Lehramt promulgierten Definitionen ihren Ausdruck findet. Tatsächlich findet die Gewalt des Papstes ihre Grenzen in dem Endzweck, für den sie auf Erden dem Stellvertreter Christi verliehen wurde. Pius IX. hat diesen Endzweck in der Konstituition Pastor aeternus des Ersten Vatikanischen Konzils klar definiert. Ich stelle also, wenn ich das sage, nicht etwa eigene Theorien auf. Der blinde Gehorsam ist nicht katholisch; niemand ist der Verantwortung enthoben, wenn er Befehle einer vorgesetzten Behörde, und sei es des Papstes, befolgt, obwohl es sich erweist, daß sie dem Willen Gottes widersprechen, den wir aus der Überlieferung mit Sicherheit erkennen können. (...) Man muß zugeben, daß Papst Paul VI. das Gewissen der Katholiken vor ein ernstes Problem gestellt hat. Dieser Papst hat der Kirche mehr Schaden zugefügt als die Revolution von 1789. (...) Der Liberalismus Pauls VI., den sein Freund Kardinal Danielou zugegeben hat, genügt als Erklärung für die Katastrophen seines Pontifikats. Der liberale Katholik ist eine Perönlichkeit mit zwei Gesichtern, ständig in Widersprüche verwickelt. Er will katholisch bleiben, aber er ist besessen von dem Wunsch, der Welt zu gefallen. (...) Wir wollen mit Rom verbunden bleiben, mit dem Nachfolger Petri, wenn wir auch den Liberalismus Pauls VI. aus Treue zu seinen Vorgängern ablehnen. (1986)

Kritik

Marcel Lefebvre konnte mit dieser Position im Episkopat und Klerus kaum Anhänger gewinnen, und auch die starken Sympathien für die traditionelle Liturgie führten zu keiner breiten Volksbewegung gegen die Ergebnisse des II. Vatikanischen Konzils, soferne nicht — wie von Seiten der Priesterbruderschaft St. Pius X — die seit diesem Konzil drastisch zurückgegangene Zahl der praktizierenden Gläubigen als Indiz dafür angesehen wird. Die von den Kardinälen Bacci und Ottaviani als Denkschrift an Papst Paul VI. weitergeleitete Kurze kritische Untersuchung des neuen "Ordo Missae" (sogen. Ottaviani-Intervention war eigentlich nicht zur Unterstützung für Erzbischof Lefebvre verfasst worden, zeigte aber dass die Kritik an den Änderungen nicht auf Lefebvre beschränkt war. Die Ottaviani-Intervention führte dazu, dass dem Messbuch von 1970 ein Vorwort (Prooemium) vorangestellt wurde, das dessen Übereinstimmung mit der Tradition nachweisen sollte.

Kritiker der Priesterbruderschaft St. Pius X unterstellen dieser weltanschauliche Motive, da seit 1984 die Feier der Messe im tradtionellen Ritus seitens des Vatikans unter bestimmten Bedingungen wieder gestattet sei. Die Ursachen hierfür wollen diese Kritiker in einer großen geistigen Nähe zum politischen Konzept der Action française sehen, deren Lehrmeinungen Papst Pius X. 1914 verurteilt hatte (das Urteil wurde erst 1926 von Papst Pius XI. veröffentlicht und bestätigt). Die dadurch 1926 ausgelöste schwere Krise im französischen Katholizismus endete damit, dass fast alle Bischöfe, Theologen und Intellektuellen sich von dieser von Charles Maurras geprägten Geisteshaltung distanzierten, da sie — insbesondere nach den humanitären Katastrophen des Zweiten Weltkriegs — darin die Gefahr einer katholisch gefärbten Variante des modernen Totalitarismus in Frankreich (Pius XI. bezeichnete es als "sozialen Modernismus") erblickten. Die Kritik sieht sich darin bestätigt, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. eine Übersetzung des Katechismus-Kompendiums Pius X. von 1905 verbreiten.

Von Seiten Lefebvres und der Priesterbruderschaft St. Pius X wurde eine derartige Kritik stets als "Verschwörungstheorie" zurückgewiesen. So erklärte Lefebvre in einer Pressekonferenz, die er am 15. September 1976 abgehalten hatte, ausdrücklich, er habe Charles Maurras nicht gekannt, habe seine Bücher nicht gelesen, stehe mit der 1944 verbotenen Action française in keiner Weise in Verbindung, er lese ihre Zeitung Aspects de la France nicht, ihm seien ihre Redakteure nicht bekannt und er bedauere die Tatsache, dass diese Zeitschrift vor einer Halle, in der er in Lille die Messe zelebriert hatte, verkauft wurde. Es ist auch nicht gerade schlüssig zu begründen, warum eine Gemeinschaft, die nach Meinung der Kritiker in der spirituellen Nachfolge von Charles Maurras steht, ausgerechnet den Namen desjenigen Papstes (Pius X.) annehmen sollte, welcher Charles Maurras verurteilte.

Veröffentlichungen

  • Ein Bischof spricht: Schriften und Ansprachen 1963–1974. Wien 1976.
  • Damit die Kirche fortbestehe. S.E. Erzbischof Marcel Levebvre der Veteidiger des Glaubens, der Kirche und des Papsttums. Dokumente, Predigten und Richtlinien. Eine historiographische Dokumentation. Stuttgart 1992
  • Ich klage das Konzil an!. Martigny 1977.
  • Sie haben Ihn entthront: Vom Liberalismus zur Apostasie – Die Tragödie des Konzils. Stuttgart 1988.
  • Offener Brief an die ratlosen Katholiken (1987 u.ö.)

Literatur

Michael Davies: Apologia pro Marcel Lefebvre, Dickinson, Texas 1979, dt. Ausgabe: 1987