Rigaer 94

Das Haus an der Rigaer Straße 94 im sogenannten „Nordkiez“ (Samariterviertel) in Berlin-Friedrichshain ist ein aus einer Hausbesetzung entstandenes Wohnobjekt, das als eines der letzten Häuser in Berlin zu großen Teilen auch heute noch besetzt ist. In den Räumlichkeiten befindet sich die Hausbesetzerkneipe Kadterschmiede, die nicht öffentlich zugänglich ist.
Eine Gedenktafeln erinnert an den dort einst wohnhaften Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus Ernst Pahnke.
Geschichte
Anfang 1990 wurde das damals leerstehende Gebäude in der Rigaer Straße 94 wie auch viele andere Häuser in der Umgebung besetzt. Nach der Räumung der Mainzer Straße im November 1990 begannen die Besetzer Verhandlungen mit dem Eigentümer des Hauses, der kommunalen Wohnungsbaugenossenschaft Friedrichshain (WBF), und der Stadt Berlin über eine Legalisierung der Wohnsituation. Dadurch wurden 1992 reguläre Mietverträge über Wohneinheiten des Hauses abgeschlossen und mit der Sanierung des Hauses konnte begonnen werden. 1994 wurden die Bewohner während der laufenden Bauarbeiten erstmals zur Zahlung von Miete ab Januar 1996 aufgefordert.
1999 wurde das Haus, zusammen mit anderen Projekten (Rigaer Straße 94, 95 und 96) und der Liebigstraße 14 in Friedrichshain, von zwei Gesellschaftern der Lila GbR erworben und die Errichtung eines Wohnblocks für ökologisches Wohnen angekündigt. Die Bewohnerschaft wehrte sich gegen diese Pläne. Es kam in der Folge zu Teilräumungen des Hauses, denen schnell Wiederbesetzungen durch die Bewohner folgten. Unter anderem wurden im Jahr 2003 Teile der im Haus befindlichen Kadterschmiede unter Hilfe des Spezialeinsatzkommandos geräumt und anschließend wiederbesetzt.
Auseinandersetzungen mit dem Hausbesitzer führten zu einer Reihe von Maßnahmen wie dem Einsetzen eines Sicherheitsdienstes direkt im Haus. Wenig später wurde er wieder abgezogen und Teile des Hauses erneut besetzt. Auseinandersetzungen und polizeiliche Maßnahmen wie Räumungen und Durchsuchungen wurden immer wieder von starken Protesten der autonomen Szene Berlins begleitet. Dabei kam es des öfteren zu Auseinandersetzungen vor dem Haus oder im Stadtviertel. Im Jahr 2012 kam es zu Ausschreitungen, infolgedessen die Polizei das Haus stürmte. Dabei kam es zu aktivem Widerstand.[1]
Im August 2013 durchsuchten 300 Polizisten unter Hilfe des Spezialeinsatzkommandos zwei Wohnungen in dem Hausprojekt. Sie fahndeten nach Beweismaterialien im Zusammenhang mit Sachbeschädigungen und Brandstiftungen auf ein Jobcenter in Berlin und einem Angriff auf Polizeibeamte im Mai 2013 mit Molotowcocktails. Dabei wurden zahlreiche pyrotechnische Gegenstände, Stacheldraht und Brandsätze beschlagnahmt.
Ende 2015 erklärte die Polizei die Rigaer Straße und angrenzende Gebiete auf Grund der Häufung politisch motivierter Straftaten zu einem „kriminalitätsbelasteten Ort“ nach dem Allgemeinen Sicherheits und Ordnungsgesetz (ASOG), zeigte verstärkt Präsenz und führte verdachtsunabhängige Personenkontrollen durch.[2][3] Zwischen Mitte Oktober und dem 27. Januar kontrollierte die Polizei 1.500 Personen.[4]
Am 13. Januar 2016 führte die Polizei am späten Abend mit 500 Beamten und Unterstützung des SEK eine Hausbegehung durch und berief sich auf das ASOG. Dabei wurden Heizkohle, Eisenstangen, Steine, Feuerlöscher und Krähenfüße sichergestellt. Zur Sicherung der Maßnahme wurde das Gebiet großräumig abgesperrt und gewalttätig gegen die Bewohner vorgegangen. Am Mittag desselben Tages sei nach Angaben der Polizei ein Polizist beim Verteilen von Strafzetteln vor dem Gebäude von vier Personen angegriffen und leicht verletzt worden, konnte aber seinen Dienst fortsetzen. Die Angreifer sollen sich anschließend in das Haus zurückgezogen haben.[5] Bei der Begehung zerstörte die Polizei Türen und Privatbesitz und griff vereinzelt Personen an.[6] In den folgenden Tagen führte die Polizei weitere Hausbegehungen nach ASOG und eine Hausdurchsuchung in der Rigaer Straße 94 und angrenzenden Gebäuden durch.[7][8][9]
Ende Februar erklärten die Bewohner, dass sie eine Räumung trotz bestehender Mietverträge akut befürchteten. Sie hätten von namentlich nicht genannten Politikern erfahren, dass Innensenator Frank Henkel (CDU) eine Räumung unter Verweis auf den Brandschutz plane. Dafür seien Polizeieinheiten aus anderen Bundesländern „für Ende Februar in unsere Straße bestellt“ worden. Auch in dem Rückbau einer Baustelle auf der Rigaer Straße durch Polizeieinheiten sahen sie einen entsprechenden Hinweis.[10]
Am 22. Juni 2016 wurden Teile des Hausprojektes, darunter die „Szenekneipe“ Kadterschmiede geräumt und mit Bauarbeiten am Haus begonnen. Die Großaufgebot der Polizei und ein privater Sicherheitsdienst sichern seitdem die Arbeiten. 60 unangeschlossene Fahrräder und auch ein Rollstuhl wurden nachdem die Eingangstür entfernt wurde als herrenloses Gut behandelt und von der Polizei abtransportiert.[11] In den folgenden Tagen kam es zu Polizeigewalt, Demonstrationen, mehr als 50 Brandanschlägen auf Autos (z. T. auch von rechten Täter[12]) und Sachbeschädigungen an Neubauten.[13][14] Anwohner und Bewohner werfen Polizei und Sicherheitsdienst vor, sie zu drangsalieren und zu demütigen. [15] Mit Andauern der Auseinandersetzungen forderten unter anderem der Regierender Bürgermeister von Berlin Michael Müller und die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg u.nbsp;a. die Aufnahme von Gesprächen[16] oder andere Mittel zur Deeskalation.[17]
Gewaltbereitschaft
Das Hausprojekt gilt nach Ansicht des Berliner Verfassungsschutzes als „zentrale Institution der gewaltbereiten autonomen Szene Berlins.“ Ein Teil der Hausbewohner und regelmäßiger Besucher der Kneipe im Gebäude seien „zum harten Kern militanter Linksextremisten zu rechnen.“[18]
Bei einer Kundgebung von etwa 2000 Demonstranten zugunsten der Rigaer Straße 94 sind am 9. Juli 2016 123 Polizisten verletzt worden.[19]
Weblinks
- rigaer94.squat.net – Webseite des Hausprojektes
Einzelnachweise
- ↑ Polizei stürmt linkes Wohnprojekt in Friedrichshain. In: tagesspiegel.de. 29. Januar 2012, abgerufen am 14. Januar 2016.
- ↑ Erik Peter: Gefahrengebiet Rigaer Straße, Berlin: Sabotagepils und Schikanen. In: taz.de. 28. Dezember 2015, abgerufen am 18. Januar 2016.
- ↑ Elmar Schütze, Andreas Kopietz: Die Nachbarn in der Rigaer Straße sind gelassen. In: Berliner Zeitung. 14. Januar 2016, abgerufen am 18. Januar 2016.
- ↑ Anwohner verärgert: Polizei kontrollierte 1500 Personen in der Rigaer. In: tagesspiegel.de. 11. Februar 2016, abgerufen Format invalid.
- ↑ SEK durchsucht Rigaer Straße 94 in Friedrichshain. In: tagesspiegel.de. 14. Januar 2016, abgerufen am 14. Januar 2016.
- ↑ Erik Peter: Besuch im Hausprojekt Rigaer 94 in Berlin: „Ein politisches Haus“. In: taz.de. 21. Januar 2016, abgerufen am 4. Juli 2016.
- ↑ Henkel und Herrmann streiten über die Razzia in der Rigaer. In: tagesspiegel.de. 15. Januar 2016, abgerufen am 18. Januar 2016.
- ↑ Brandstiftung aus Rache für Razzia in der Rigaer Straße. In: tagesspiegel.de. 16. Januar 2016, abgerufen am 18. Januar 2016.
- ↑ Polizei rückte erneut an der Rigaer 94 an. In: tagesspiegel.de. 17. Januar 2016, abgerufen am 18. Januar 2016.
- ↑ Rigaer Straße 94: Sie wollen uns loswerden! In: rigaer94.squat.net. 20. Februar 2016, abgerufen am 22. Februar 2016.
- ↑ Innensenator Henkel verteidigt Einsatz in Rigaer Straße. In: rbb-online.de. 22. Juni 2016, abgerufen am 5. Juli 2016.
- ↑ Rigaer Straße - Festgenommener Brandstifter arbeitete angeblich mit der Polizei zusammen, Berliner Zeitung (Online-Ausgabe), von Andreas Kopietz, erschienen am 06. Juli 2016, abgerufen am 11. Juli 2016
- ↑ Andreas Kopietz: Rigaer Straße: Wie der Häuserkampf den Wahlkampf befeuert. In: Berliner Zeitung. 30. Juni 2016, abgerufen am 1. Juli 2016.
- ↑ dpa: Linksextreme rufen mit Krawall-Video zu Demo auf. In: Berliner Morgenpost. 7. Juli 2016, abgerufen am 8. Juli 2016.
- ↑ "Polizisten kontrollieren den Ausweis, wenn ich heimkomme" - Die Welt (Online-Ausgabe), Tobias Heimbach, Artikel vom 28. Juni 2016, abgerufen am 11. Juli 2016
- ↑ Linksextremismus in Berlin: Müller und Henkel streiten über Umgang mit der Rigaer - Berlin - Tagesspiegel. In: tagesspiegel.de. 4. Juli 2016, abgerufen Format invalid.
- ↑ BVV in Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg: In der Rigaer fehlen nur noch die Blauhelme - Berlin - Tagesspiegel. In: tagesspiegel.de. , abgerufen Format invalid.
- ↑ Sebastian Erb: Großrazzia in linken Hausprojekten. tageszeitung (taz), 14. August 2013
- ↑ Krawalle in Berlin: Autonome verletzen 123 Polizisten in Friedrichshain. Spiegel Online, 10. Juli 2016.
Koordinaten: 52° 31′ 4,1″ N, 13° 27′ 28,8″ O