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Constitutio Criminalis Carolina

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CCC. Imprint: Frankfurt am Main, Johannem Schmidt. Verlegung Sigmund Feyerabends, 1577

Die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) oder Carolina von 1532 gilt heute als erstes allgemeines deutsches Strafgesetzbuch. In der Übersetzung aus dem lateinischen Original ins Deutsche heißt sie Peinliche Gerichts- oder Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.. Peinlich bezieht sich hierbei auf das lateinische poena für „Strafe“ und bezeichnet Leibes- und Lebensstrafen.

Geschichte

Basis der Constitutio Criminalis Carolina war die 1507 unter Leitung von Johann Freiherr von Schwarzenberg verfasste Halsgerichtsordnung von Bamberg (auch Bambergensis genannt), die bereits auf das humanistische Gedankengut italienischer Rechtsschulen (Römisches Recht) zurückgriff.

Im Jahr 1498 beschloss der Reichstag zu Freiburg im Breisgau, das Strafverfahren im ganzen Reich gesetzlich festzulegen. Doch erst unter Kaiser Karl V. wurde das Gesetzeswerk im Jahre 1530 auf dem Augsburger Reichstag beschlossen und zwei Jahre später, am 27. Juli 1532, auf dem Reichstag in Regensburg (der im juristischen Sinne eigentlich ein Hoftag war) ratifiziert, womit die Constitutio Criminalis Carolina Gesetzeskraft erhielt.

Inhalt

Die Carolina enthielt materielles Strafrecht und vor allem Prozessrecht.[1]

Materielles Strafrecht

In der Carolina lassen sich allgemeine Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie einzelne strafwürdige Verhaltensweisen herauslesen

Grundlagen der Strafbarkeit

Die Carolina kennt in ihren Art. 177 bis 179 hochentwickelte Ansätze eines „allgemeinen Teils“, in dem Teilnahme, Versuchsstrafbarkeit und Schuldunfähigkeit geregelt sind.

Vorsatz, Fahrlässigkeit und Schuldprinzip

Als Schuldvoraussetzung war die Zurechnungsfähigkeit bei Jugendlichen gesondert zu prüfen. Bis zum 7. Lebensjahr waren Beschuldigte strafunmündig, bis zum 14. bedingt strafmündig. In Art. 146 wurde schon zwischen Vorsatz und bloßer Fahrlässigkeit (von ungeschichten gantz ungeheuerlicher weiß und wider des thätters willen) differenziert und die Abgrenzung durch beispielhaft (gleichnuss) veranschaulicht.[2] Dabei verfolgte die Carolina keine rein formal-psychologische Auffassung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, sondern machte die Schuldschwere abhängig von der inneren Gesamteinstellung des Täters. Somit entwickelte sich ein wirklicher Schuldbegriff. Die Carolina führte damit das Prinzip der Schuldhaftung ein und beseitigte Reste und Überbleibsel der Erfolgshaftung, wodurch zufällige Schädigungen keine Strafbarkeit mehr begründeten. Dies war die Folge der Harmonisierung von Gerechtigkeit und Gemeinnutz (vgl. Art. 104), indem erkannt wurde, dass Strafe einen general- und spezialpräventiven Charakter hat[3], was auf Cicero zurückgeht.

Versuchsstrafbarkeit

Art. 178 handelt von der Versuchsstrafbarkeit. Damnach genügt auch ein auf Tatausführung und Taterfolg gerichteteter Vorsatz (böser will), der durch eine äußerliche Handlung nach außen getreten ist (mit etlichen scheinlichen wercken, die zu volnbringung der selben missethat dienstlich sein mögen), aber nicht zur Vollendung der Tat kam (doch an volnbringung der selben missethat durch andere mittel wider seinen willen verhindert würde).[4]

Teilnahme

Die Teilnahme ist in Art. 177 beschrieben. Dies ist die vorsätzliche (wissentlicher und geuerlicher weiß) Mitwirkung (einicherley hilff, beistandt oder fürderung wie das alles namen hat) an der Tat eines anderen, also die heute separierten Teilnahmeformen Beihilfe und Anstiftung.[5]

Die einzelnen Straftaten

Delikte gegen den Staat, Körperverletzungen und Beleidigungen fehlten völlig. Mord und Totschlag wurden mit Blick auf die Strafe klar unterschieden. Beide Delikte fordern Vorsatz, der Totschläger handelt aber in affektiver Aufwallung wie Zorn und Wut, der Mörder hingegen mutwillig.[6]

Der Grundsatz nulla poena sine lege, wonach eine Strafbarkeit schon im Zeitpunkt der Tat schriftlich niedergelegt sein muss, lag als ein Produkt der liberalen Verfassungswegungen des 19. Jahrhunderts der Carolina noch nicht zugrunde.[7] Man begnügte sich vielmehr damit sogenannte Tätertypen zu beschreiben.[8] Es blieb den Richtern auch die Möglichkeit der Analogie (Art. 105)[9] und der Ausübung von Ermessen, wonach er weitgehend wieder bedeutungslos wird. Sie beschrieb die strafwürdigen Taten anschaulich, präzise und abstrahierend.

Es galten als Kapitalverbrechen z. B.:

Strafen und Bußen

Die Carolina kennt neben den Strafen Geldbußen (geltbuß), die an den Geschädigten zu leisten sind.

Strafen

Die Carolina kennt neben Leibes- und Todesstrafen auch erste Ansätze der Freiheitsstrafe.

Die Freiheitsstrafe wird allerdings bei leichtem Diebstahl nur hilfsweise verhängt, wenn der Täter nicht in der Lage ist die Geldbuße zu leisten (vgl. Art. 157). Die in Art 176 und 195 angedeuteten „Freiheitsstrafen“ erscheinen vielmehr als eine präventive Sicherungsverwahrung für rückfallgefährdete Wiederholungstäter (zuo bösem glauben kuonfftiger übelthettiger beschedigung, Art. 195).[10]

Art. 192 listet die Todesstrafe nach Hinrichtungsarten auf

Verschärfend kann angeordnet werden, dass der Straftäter zusätzlich zur Hinrichtungsstätte geschleift (Art. 193) oder zuvor mit glühenden Zangen gerissen wird (Art. 194). Diese Strafen waren, obgleich nach heutigen Maßstäben grausam, nach der Schwere der Tat gestaffelt, also von einer Art Verhältnismäßigkeitsprinzip geleitet.[11] Als mildeste Todesart galt die Hinrichtung mit dem Schwert, etwas beim Totschlag im Affekt, während bei Landes- oder Hochverrat die Vierteilung drohte.[12]

An Leibesstrafen nennt die Carolina in Art. 198 das Abschneiden von Zunge, Fingern, Ohren oder Nase. Weitere aufgezählte Mittel sind der Pranger und das Stellen in das Halseisen sowie das Prügeln.

Die Carolina schwächte den Sachsenspiegel ab, der für jeden Zauber die Todesstrafe vorsah. Für Sachschaden fordert die Carolina nur Reparation. Mit Schaden meint die Carolina Personenschaden: „Straff der Zauberey. Item so jemandt den leuten durch zauberey schadenn oder nachteill zufuegt, soll man straffen vom lebenn zum tode, unnd man solle solliche straff mit dem feur thun. Wo aber jemant zauberey gepraucht und damit nymandt schadenn gethon hete, soll sunst gestraft werden nach gelegennheit der sache; darjnne die urtheiller Raths geprauchen sollen, alls vom Rahtsuchen hernachen geschriebenn steet.“ Besonders von protestantischen Landesfürsten wurde die mildere Carolina ignoriert, um auch Hexen wegen bloßem Sachschaden verurteilen zu können.

Geldbußen

An den Geschädigten sind als Geldbuße etwa beim heimlichen Diebstahl der doppelte Sachwert (zwispilArt. 157) und beim offenen Diebstahl der vierfache Sachwert (vierfeltig Art. 158).

Strafprozessrecht

Im Strafprozess führte die Carolina den Inquisitionsprozess ein, der jedoch nach der Carolina nicht den Normalfall darstellen sollte, es praktisch jedoch war. Da die Carolina keine Anklagebehörde im Inquisitionsprozess kennt, ist der Richter zugleich Ankläger. Das auf (Aber-)Glauben beruhende mittelalterliche Beweisrecht (Beweise durch Reinigungseid, Leumundszeugen, Gottesurteil) wird durch modernere Beweismittel ersetzt. Den Beweis für die Tatbegehung des Angeklagten muss nun das Gericht führen, was durch Geständnis (Urgicht) oder – wenn kein Geständnis vorliegt – Zeugenbeweis geschehen kann. Weil das Gesetzbuch den juristisch nicht gebildeten Richtern misstraut, stellt es dafür feste Beweisregeln auf: Zum einen dürfen nur Haupttatsachen, jedoch keine Hilfstatsachen (Indizien) zur Verurteilung führen, zum anderen werden bei den Zeugenaussagen zwei übereinstimmende Aussagen von einwandfreien Zeugen gefordert (Art. 67). Fehlte es an diesen beiden Zeugen, konnte der Angeklagte – anders als heute (freie Beweiswürdigung) – nicht verurteilt werden, sondern musste zum Geständnis gebracht werden, notfalls durch peinliche Befragung (Tortur), wenn bezüglich der Schuld große Sicherheit bestand (Art. 23). Die Art, Dauer und Intensität der Tortur stand im Ermessen des Richters. So folgte aus einem System fester Beweisregeln, die den Angeklagten schützen sollten, die Zulässigkeit der Folter, die sich in den folgenden Jahrhunderten ungeachtet der engen Voraussetzungen der Carolina immer stärker ausbreitete.

Auch wandelte die Carolina die getrennten Richter- und Urteilsbänke in Kollegialgerichte um. Nun fanden Schöffen und praktisch gelehrte Richter zusammen die Urteile.

Die Carolina schränkte des Weiteren den Freiheitsentzug, der nicht sehr verbreitet war, dahingehend ein, dass Verurteilte nur noch bis zur offenkundigen Besserung der Freiheit benommen wurden. Die Bamberger Gerichtsordnung – die „mater Carolinae“ – sah noch „ewigen“ Freiheitsentzug vor.

Bedeutung

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Im Mittelalter wurde das Strafrecht als Privatangelegenheit der Beteiligten angesehen. Der Strafprozess trug daher privatrechtliche Züge: War das Opfer nicht bereit oder in der Lage, einen Prozess anzustrengen, so kümmerte sich der Staat nicht um die Tat. Auch konnte die Tat statt durch Strafe durch Bußzahlungen an Opfer oder Hinterbliebene gesühnt werden. Gegen organisierte Verbrecherbanden war das Strafrecht trotz grausamer Strafen fast machtlos. Wegen der Rechtszersplitterung waren Strafverfahren von Willkür geprägt.

Ziel der Constitutio Criminalis Carolina war es in dieser Situation, eine Vereinheitlichung des Rechts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu schaffen, womit gleichzeitig der bis dahin sehr willkürlichen und landesspezifisch unterschiedlichen Strafgerichtsbarkeit Einhalt geboten werden sollte. Nur durch eine konsequente und für den Bürger verständliche Rechtsprechung schienen die bestehenden Probleme lösbar.

Eine Mäßigung des Verfolgungseifers gelang der Carolina trotz der salvatorischen Klausel am Ende der Vorrede,[13] durch die sie nur subsidiäre Geltung gegenüber den Partikularrechten der Reichsstände erhielt. Die salvatorische Klausel war Voraussetzung für die Zustimmung der verschiedenen Reichsstände, die an ihrer eigenen Gerichts- und Gesetzgebungshoheit festhalten wollten. In der Folge war die Carolina Vorbild für viele Landesgesetze. Ihre reformatorische Wirkung auf das Strafrecht ist deshalb unbestritten.

Eine erneute Strafrechtsvereinheitlichung gelang in Deutschland erst wieder mit dem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871, das mit zahlreichen Änderungen noch heute gilt.

Literatur

Johann Christoph Frölich von Frölichsburg: Commentarius In Kayser Carl des Fünfften / und deß H. Röm. Reichs Peinliche HalsGerichtsOrdnung, Ulm 1733

Quellentexte

  • Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reichs von 1532 = (Carolina). Herausgegeben und erläutert von Friedrich-Christian Schroeder. Reclam, Stuttgart 2000, ISBN 3-15-018064-3.

Darstellungen

  • Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 143 - 153.
  • Elmar Geus: Mörder, Diebe, Räuber. Historische Betrachtung des deutschen Strafrechts von der Carolina bis zum Reichsstrafgesetzbuch. Scrîpvaz-Verlag Krauskopf, Berlin 2002, ISBN 3-931278-14-X (Spektrum Kulturwissenschaften 6), (Zugleich: Frankfurt (Oder), Europa-Univ., Diss., 2001: Strafrechtsreformen von der Carolina bis zum Reichsstrafgesetzbuch.).
  • Harald Maihold: “auß lieb der gerechtigkeyt vnd umb gemeynes nutz willen” – Die Constitutio Criminalis Carolina von 1532. In: ius.full. 2006, ISSN 1660-3427. S. 76–86.
  • Julius Friedrich Malblank: Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung von Kaiser Karl V. Grattenauer, Nürnberg 1782 (Nachdruck: Keip, Holdbach 1998, ISBN 3-8051-0418-9).
  • Klaus-Peter Schroeder: Vom Sachsenspiegel zum Grundgesetz. Eine deutsche Rechtsgeschichte in Lebensbildern. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47536-1.

Einzelnachweise

  1. Überblick bei Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 146 - 153.
  2. Hierzu Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 147.
  3. Zu diesem Aspekt ausführlich Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 149.
  4. Erläuternd Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 147.
  5. Auslegung in diese Richtung durch Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 147 f.
  6. Rüping/ Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, München 2007.
  7. So Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 146.
  8. Mit einzelnen Beispielen Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 146.
  9. Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 146.
  10. Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 148.
  11. Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 148.
  12. Klaus Geppert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. (die „Carolina“). In: Juristische Ausbildung (JURA) 2015, S. 148.
  13. „Doch wollen wir durch diese gnedige erinnerung Churfürsten Fürsten und Stenden, an jren al-ten wohlherbrachten rechtmessigen vnd billichen gebreuchen nichts benommmen haben.“