Freireligiöse Bewegung
Die freireligiöse Bewegung ist eine Glaubensrichtung, die auf formelle Lehren und Bekenntnisse verzichtet. Menschenrechte, Toleranz zwischen den Menschen und Werte des Humanismus werden unterstützt.
Geschichte
Die freireligiöse Bewegung entstand Mitte des 19. Jahrhunderts in der Zeit des politischen Vormärz. Unmittelbarer Auslöser war 1844 ein offener Brief des katholischen Priesters Johannes Ronge an den Bischof von Trier gegen die Ausstellung des Rock Christi, einer Reliquie, die er als Götzenfest anprangerte. Dieser offene Brief wurde vielfach nachgedruckt und gelesen. In der Folge gründeten kritische Geistliche beider Kirchen neue, freie Gemeinden, wohl im Geiste der bürgerlichen Emanzipationsbewegung in der Zeit der Märzrevolution.
Unter der geistigen Führung von Ronge und der Organisation des Märzrevolutionärs Robert Blum fand 1845 das erste deutsch-katholische Konzil in Leipzig statt, 1859 schlossen sich die meisten der freien Gemeinden zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands zusammen.
Die freireligiöse Bewegung wurde von der Philosophie der Aufklärung, aber auch von der Mystik und christlichen liberalen Strömungen beeinflusst. Im wesentlichen speiste sich die freireligiöse Bewegung aus drei Quellen:
- reformatorische Kreisen der katholischen Kirche ("Deutschkatholiken")
- rationalistische Kreisen der protestantischen Kirche ("Lichtfreunde")
- die demokratisch-politischen Bewegung der Revolution von 1848/49
Aus diesem Spektrum entwickelten sich Positionen, die eine große Bandbreite religiöser, weltanschaulicher und philosophischer Ansichten abdeckt. Der Religionsbegriff reicht von urchristlichen über pantheistische bis hin zu nahezu atheistischen Positionen.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden einige freireligiöse Gemeinden ab 1934 verboten oder lösen sich auf. Teilweise schlossen sich freireligiöse Gemeinden der "Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung" (ADG) an und waren später Teil der Deutschen Glaubensbewegeung.
Heutige Freireligiöse bezeichnen sich oft auch als Humanisten und einige Gemeinden als Freie Humanisten.
Lehre
Durch die Betonung von Werten wie Freiheit, Vernunft und Duldsamkeit bilden die Freireligiösen eine kritische Anfrage an die christlichen Kirchen. Unter dem Motto "Frei sei der Geist und ohne Zwang der Glaube" verwerfen Freireligiöse jede Art von dogmatischer Bindung und Hierarchie. Dementsprechend gelten die von dem Kirchenhistoriker E.M. Wilbur entwickelten Grundsätze:
- völlige geistige Freiheit in der Religion statt Bindung an Dogmen und Bekenntnisse
- uneingeschränkter Gebrauch der Vernunft in der Religion statt Berufung auf äußere Autorität und Überlieferung
- großzügige Duldsamkeit verschiedener Religionsansichten und Gebräuche statt Beharren auf Einheitlichkeit in Lehre, Brauchtum und Verwaltung.
Lösten sich Freireligiöse von kirchlichen Dogmen und Bekenntnissen, so trennten sie sich aber nicht von der Religion. In ihrem Religionverständnis folgen sie Friedrich Schleiermacher, wenn Religion definiert wird als "etwas, was den Menschen im Innersten bewegt, was ihn zutiefst angeht, was ihm wesentlich ist" (siehe "Grundgedanken der Freireligiösen Gemeinde Mainz"). Freie Religion wird demnach begriffen als eine innerliche Angelegenheit des Menschen, die - so der Religionsphilosoph Arthur Drews - "nicht an eine bestimmte Lehre oder Offenbarung, an heilige Bücher oder Religionsstifter gebunden ist, sondern sich im Einzelnen selbst ereignet als das Innerlichste, was sich denken läßt".
Als Religion ohne Kirche und ohne bestimmte Gottesvorstellung sehen Freireligiöse die Welt als Einheit, ohne sie in Diesseits und Jenseits zu spalten (Monismus). Sie leugnen den Geltungsanspruch Heiliger Bücher wie auch der vielen, sich als einzigartig verstehenden Religionen. Vielmehr werden die Urkunden der Weltreligionen als Zeugnisse des religiösen Bedürfnisses des Menschen geschätzt. Freireligiöse betonen, dass sie nicht frei von Religion, sondern frei in der Religion sind - jedoch ohne dogmatische Bindungen.
ERICH SATTER - Der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands im geschichtlichen Wandel
Literatur
- Franz Bohl: Die freireligiöse Bewegung in Bayern: Werden und Wirken, hrsg. von der Freireligiösen Bewegung in Bayern, 83. S. o. Ort, o. Jahr
- E.Gensler: Freie Religion für Einsteiger, hrsg. von der Freireligiösen Gemeinde Mainz, 2000
- L.Geis: Quellensammlung freireligiöser Thesen, hrsg. von der Freireligiösen Gemeinde Mainz, 1989
- Eckhart Pilick: Lexikon freireligiöser Personen, Rohrbach/Pfalz: Peter Guhl, 1997
- Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende. Dissertation Erlangen, 1995, Paderborn: Schönigh, 1997 ISBN 3-506-78610-5
- Friedrich Heyer und Volker Pitzer: Religion ohne Kirche - Die Bewegung der Freireligiösen, Stuttgart: Quell, 1977 ISBN 3-7918-6003-8
- Karl Becker: Freigeistige Bibliographie, 1974
- Th. Lasi und H. Manteuffel: Freie Religion - eine Alternative, Mannheim: Freireligiöse Verlagsbuchhandlung
ERICH SATTER der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands im geschichtlichen Wandel.
Siehe auch
- Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands
- Freidenker
- Humanismus
- Monismus
- Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften
- Humanistischer Verband Deutschlands
- Bund für Geistesfreiheit
- IBKA
Weblinks
- Startseite des Bundes Freireligiöser Gemeinden Deutschlands und dessen Mitgliedsgemeinden
- Freie Humanisten Niedersachsen
- Freireligiöse Gemeinde Idar-Oberstein
- Freireligiöse Gemeinde Mainz
- Freireligiöse Gemeinde Nauheim
- Frei-Religiöse Gemeinde Offenbach
- The International Association for Religious Freedom
- Aufsatz Die freigeistigen Bewegungen und der Nationalsozialismus des Bundes für Geistesfreiheit Bayern