Taumelscheibe

Die Taumelscheibe ist ein wesentliches Steuerungselement beim Hubschrauber, das die rumpffesten und linearen Steuereingaben auf den Rotor, d. h. auf die sich drehenden Rotorblätter überträgt. Die Taumelscheibe besteht aus einem drehbaren und einem festen Teil. Sie ist um den Rotormast gelagert, lässt sich axial zum Rotormast verschieben und quer zum Rotormast neigen. Die Bezeichnung Taumelscheibe rührt daher, dass der obere, sich mit dem Rotor drehende Teil bei der Neigung eine Taumelbewegung zeigt.
Sie dient einerseits zur kollektiven Blattverstellung, also der Änderung des Anstellwinkels aller Hauptrotorblätter und damit des Auftriebs, und andererseits der zyklischen Blattverstellung zur Steuerung der lateralen und longitudinalen Bewegung.[1]
Flug und Steuerung des Hubschraubers
Ein Hubschrauber schwebt und bewegt sich als Drehflügler durch den Auftrieb und Schub des Hauptrotors. Dieser ist im aerodynamischen Sinne ein Flügel, der sich um den Rotormast dreht und in gewissen Grenzen mechanisch (Schlag- und Schwenkgelenke) oder elastisch beweglich ist. Der Hubschrauber fliegt in jede beliebige Richtung durch eine entsprechende Neigung der Rotorebene (angenommene Fläche, auf der die Rotorblätter drehen). Der Rotor erzeugt Auftrieb, um den Hubschrauber zu tragen. Zudem erzeugt er durch die Neigung den Schub für eine horizontale Bewegung.
Mit der kollektiven Blattverstellung, dem Pitch, verändert der Pilot den Anstellwinkel aller Rotorblätter gleichmäßig, was zum Steigen oder Sinken des Hubschraubers führt. Mit der zyklischen Steuerung werden die Einstellwinkel der Rotorblätter während des Umlaufs des Rotors (zyklisch) verändert und dabei unterschiedlich angeströmt. Die Tragfähigkeit des einzelnen Rotorblattes variiert somit während seines Umlaufs. Durch den wechselnden aerodynamischen Auftrieb und das Heben oder Senken der Rotorblätter pro Umlauf wird die Rotorebene in die gewünschte Neigung zur Seite (Roll) oder nach vorn/hinten (Nick) gebracht.
Für die kollektive und zyklische Blattverstellung hat der Hubschrauber getrennte Steuerorgane. Für die kollektive Steuerung dient der Pitch, der vom Piloten mit der linken Hand bedient wird. Für die zyklische Steuerung dient der Stick, der mit der rechten Hand bedient wird.
Im System der Taumelscheibe werden beide Steuereingaben gemischt und die gewünschten Anstellungen des Flügelprofils über Heben, Senken oder Neigen der Taumelscheibe durch die Blattverstellhebel auf die sich drehenden einzelnen Rotorblätter übertragen.
Beschreibung am Beispiel Bölkow Bo 105

Die Taumelscheibe eines Bölkow Bo 105 besteht aus zwei über einen Kugellagerkranz gegeneinander drehbaren ringförmigen Teilen, im Bild als mitdrehend und feststehend bezeichnet. Beide Teile sind wiederum beweglich über eine Kardanische Aufhängung (Kugelgelenk, Gelenklager) an der Schiebehülse befestigt, was ein Schrägstellen der Einheit aus der Waagerechten bis ca. ± 10° erlaubt. Weiterhin ist die komplette Einheit über die Schiebehülse auf der getriebefesten Trägerhülse zum Rotormast nach oben und unten um ca. ± 30 mm verschiebbar. Im Inneren der Trägerhülse läuft der Rotormast, der mittig durch die Taumelscheibe gehend, am oberen Ende den Flansch zur Befestigung des Rotorkopfes trägt. Der obere mitdrehende Ring der Taumelscheibe ist über die Mitnahme-Gelenkhebel mit dem Rotorflansch verbunden und macht so die Drehungen des Rotors mit. Die Gelenke in den Hebeln erlauben dabei das Schrägstellen und das axiale Auf- und Abgleiten der Taumelscheibe.
Die kollektive Steuerstange verschiebt die Taumelscheibe axial, je nach Bewegung des Pitch durch den Piloten, nach oben oder unten. Die zyklischen Steuerstangen stellen über die Differenzialhebel die Neigung der Taumelscheibe je nach Steuerbewegung in Längsrichtung und/oder Querrichtung des Sticks ein. Die an der Schiebehülse gelagerten Differenzialhebel stellen sicher, dass zyklische und kollektive Steuereingaben einander nicht beeinflussen. Beim axialen Verschieben geht der mittlere Drehpunkt des Differenzialhebels mit; die zyklische Einstellung wird dabei nicht verändert.
Vom äußeren sich mitdrehenden Ring der Taumelscheibe führen die Blattverstellstangen zu den Blattverstellhebeln zur Winkeleinstellung des Rotorblattes. Ein axiales Verschieben der Taumelscheibe und der Blattverstellstangen erzeugt somit eine gleiche Winkeleinstellung an allen Rotorblättern. Eine Neigung der Taumelscheibe erzeugt eine unterschiedliche Winkeleinstellung an jedem Rotorblatt, da die Blattverstellstangen auf der einen Seite entsprechend der Neigung heruntergezogen und auf der anderen Seite nach oben geschoben werden. Beim Drehen des Rotors wechselt dann die Winkeleinstellung des Rotorblattes periodisch je Umlauf von seinem durch die Neigung der Taumelscheibe vorgegebenen minimalen zum maximalen Wert.
Animationen
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Taumelscheibe in neutraler Position
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zyklische Steuerung
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kollektive Steuerung angehoben
Neigung der Taumelscheibe und der Rotorebene

Die Bewegung eines Hubschraubers nach vorne oder hinten (nick) bzw. links oder rechts (roll) wird durch eine entsprechende Neigung der Rotorebene eingeleitet.
Damit sich die Rotorebene z. B. bei der Steuereingabe „Rollen nach rechts“ auch nach rechts neigt, das entsprechende Rotorblatt also bei der Seitwärtsneigung des Rotors auch genau an der rechten Seite in der Querachse am tiefsten Punkt in der Rotorebene läuft, muss es bereits deutlich vor Erreichen der Querachse angesteuert werden. Ursache dafür sind die Massenträgheit der Rotorblätter sowie der aerodynamische Wirkungsaufbau. Der Winkel zwischen dem Ansteuerungspunkt und dem tatsächlichen Wirkpunkt in der Rotorebene wird Vorlaufwinkel genannt und liegt in Abhängigkeit vom Hubschraubermodell zwischen 70 ° und 80 °. Die Neigungsrichtung der Taumelscheibe ist somit nicht identisch mit der Neigungsrichtung der Rotorebene und der gewünschten Flugrichtung. Beträgt der konstruktionsbedingte Vorlaufwinkel des Rotors z. B. 78 ° (wie bei Bo 105), so müssen bei der Steuereingabe „Rollen nach rechts“ die nach vorne und nach hinten laufenden Rotorblätter bereits 78 ° vor Erreichen der Querachse angesteuert werden.
Die nebenstehende Grafik veranschaulicht dies am Beispiel eines linksdrehenden zweiblättrigen Hauptrotors mit einem konstruktionsbedingten Vorlaufwinkel von 78 °. Das nach hinten laufende Rotorblatt (hellgrün) wird bereits kurz nach Passieren der Längsachse mit maximal erforderlichem positiven Anstellwinkel angesteuert. Dadurch erhält es mehr Auftrieb und steigt bis zum Erreichen der Querachse auf den höchsten Punkt der Rotorebene. Gleichzeitig wird das nach vorne laufende Rotorblatt (hellblau) bereits kurz nach Passieren der Längsachse mit maximal erforderlichem negativen Anstellwinkel angesteuert. Dadurch wird der Auftrieb verringert oder sogar Abtrieb erzeugt, so dass das nach vorne laufende Rotorblatt bis zum Erreichen der Querachse auf den niedrigsten Punkt der Rotorebene sinkt. Die Rotorebene kippt dadurch nach rechts. Diese Bewegungen werden durch das Schlaggelenk bzw. die Elastizität des Rotorblattes begrenzt.
Mittlerweile hat die Taumelscheibe die Rotorblätter, die jetzt auf der Querachse liegen, so angesteuert, dass sie sich kurzzeitig in Nullstellung befinden. Das weiter nach hinten laufende Rotorblatt (hellgrün) wird mit immer weniger Anstellwinkel so angesteuert, dass es kurz nach Passieren der Längsachse den maximal erforderlichen negativen Anstellwinkel erreicht, während das nach vorne laufende Rotorblatt (hellblau) so angesteuert wird, dass es kurz nach Passieren der Längsachse den maximal erforderlichen positiven Anstellwinkel erreicht. Dieses wiederholt sich zyklisch bei jedem Rotorblattumlauf. Schließlich folgt die Hubschrauberzelle der Bewegung der Rotorebene, und der Hubschrauber fliegt seitlich nach rechts.
Weiterentwicklung

Die dargestellte Konstruktion der Taumelscheibe Bo 105 stammt aus dem Jahr 1964. Im Prinzip hat sich auch beim heutigen Stand der Technik nichts Wesentliches geändert, wie das Bild am Beispiel EC 155 zeigt. Die Mischung der kollektiven und zyklischen Steuerung erfolgt hier lediglich an anderer Stelle des Steuergestänges und nicht wie bei Bo 105 durch die Differenzialhebel direkt an der Schiebehülse.
Wie im Tragflächenflugzeugbau bereits Stand der Technik gehört auch bei Hubschraubern dem Fly-by-wire die Zukunft. Dies bedeutet das elektronische Steuern über Datenleitungen ohne mechanische Verbindungen wie Steuerstangen und damit auch ohne mechanische Verbindung zur Taumelscheibe. Um ganz auf die Taumelscheibe zu verzichten, sind aber noch weitergehende Techniken nötig.
So hat der Hersteller ZF elektrisch längsverstellbare Blattverstellstangen (IBC = Individual Blade Control) entwickelt, die sich während des Umlaufs auf elektronische Signale hin verkürzen oder verlängern und so das Einstellen und Winkeln der Rotorblätter vornehmen. Das System wurde von der NASA im Windkanal getestet und wird ab 2006 in Deutschland bei der Wehrtechnischen Dienststelle 61 in Manching an einem CH-53G und in den USA an einem Sikorsky UH-60 Hubschrauber erprobt.
Weblinks
- IBC ZF Luftfahrttechnik
- Mehr zur Steuerung eines Hubschraubers
- Wie steuert man einen Hubschrauber aus der Sendung mit der Maus vom 1. November 2015
Einzelnachweise
- ↑ Schülerlinformation 1/99. (PDF; 545 kB) Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., 21. Juli 1999, abgerufen am 17. Mai 2010.