Christoph Martin Wieland
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel aus Meyers Lexikon von 1888.
Christoph Martin Wieland (* 5. September 1733 in Oberholzheim bei Biberach a. d. Riß, † 20. Januar 1813 in Weimar) war ein deutschsprachiger Dichter, Übersetzer und Herausgeber der Aufklärung.
Christoph Martin Wieland ist neben Gotthold Ephraim Lessing der bedeutendste Schriftsteller der Aufklärung im deutschen Sprachgebiet.
Er ist der älteste des klassischen Viergestirns von Weimar (siehe auch Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried von Herder, Friedrich von Schiller). Geboren wurde er am 5. September 1733 in Oberholzheim im Gebiet der ehemaligen Reichsstadt Biberach, nach der sein Vater bald darauf als Pfarrer versetzt wurde. Bei diesem und in der Biberacher Stadtschule wurde er unterrichtet. Schon im 12. Jahr versuchte er sich in lateinischen und deutschen Versen. Im 16. hatte er bereits fast alle römischen Klassiker gelesen; unter den modernen zogen ihn Schriftstellern Voltaire, Fontenelle und Bayle und unter den deutschen Poeten insbesondere Barthold Heinrich Brockes an.
Noch vor dem 14. Jahr auf die Schule zu Klosterberge bei Magdeburg geschickt, gab der sehr fromm erzogene Knabe sich anfangs ganz dem dort herrschenden Geist hin und entwickelte sich zu einem großen Verehrer Friedrich Gottlieb Klopstocks. Nachdem er seit Ostern 1749 sich ein Jahr lang bei einem Verwandten zu Erfurt aufgehalten, wo er mit dem "Don Quixote" fruchtbare Bekanntschaft machte, verbrachte er den Sommer 1750 im Vaterhaus. Hier traf er mit der Verwandten Sophie Gutermann (Sophie von Laroche) zusammen. Die schwärmerische Neigung, welche er zu ihr fasste, entwickelte rasch sein poetisches Talent. Auf einem Spaziergang mit ihr empfing Wieland die Anregung zu seinem ersten der Öffentlichkeit übergebenen Gedicht, das 1752 von dem Ästhetiker Meier in Halle, welchem es Wieland anonym zugeschickt, unter dem Titel: "Die Natur der Dinge. Ein Lehrgedicht in 6 Büchern" herausgegeben wurde.
Im Herbst 1750 hatte Wieland die Universität Tübingen bezogen, angeblich um Jura zu studieren, was er jedoch über der Beschäftigung mit der Literatur und eigener poetischer Produktion vernachlässigte. Ein Heldengedicht: "Hermann", von welchem er fünf Gesänge ausarbeitete und an Bodmer sandte, brachte ihn mit diesem in einen sehr intimen Briefwechsel.
Seine übrigen Erstlingsdichtungen: "Zwölf moralische Briefe in Versen" (Heilbronn 1752), "Anti Ovid" (Amsterdam 1752) u. a., kennzeichneten ihn als ausschließlichen und leidenschaftlichen Klopstockianer und strebten auf eine spezifisch seraphisch christliche Dichtung hin. Im Sommer 1752 folgte er einer Einladung Bodmers nach Zürich. Auf das herzlichste empfangen, wohnte er im traulichsten Verkehr eine Weile bei Bodmer, den er sich durch eine Abhandlung über die Schönheiten in dessen Gedicht "Noah" und durch die neue Herausgabe der 1741 erschienenen "Züricherischen Streitschriften" (gegen Gottsched) verpflichtete, und in dessen Sinn er ein episches Gedicht in drei Gesängen: "Der geprüfte Abraham" (Zürich 1753), verfasste.
In anregendem Verkehr mit Breitinger, Hirzel, Salomon, Geßner, Füßli, Heß u.a. schrieb Wieland in Zürich um jene Zeit noch die "Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde" (Zürich 1753).
Die plötzliche Nachricht, dass seine Geliebte sich verehelicht, sowie ein längerer Aufenthalt in dem pietistisch gestimmten Grebelschen Haus in Zürich hielten ihn eine Weile länger, als es sonst geschehen sein würde, bei der seiner innersten Natur ganz entgegengesetzten frommen Richtung. In seinen "Hymnen" (Zürich 1754) und den "Empfindungen eines Christen" (das. 1755) sprach er zum letzten mal die Sprache, die er seit Klosterberge geredet, und erklärte sich mit besonderer Heftigkeit gegen alle erotische Poesie. Der nüchterne Nicolai verglich schon damals Wielands Muse mit einer jungen Schönen, welche die Betschwester spielen will und sich ehestens in eine Kokette verwandeln könne; auch Lessing durchschaute die Hohlheit der seraphischen Schwärmerei Wielands.
Bald genug vollzog sich in Wieland, besonders unter dem Einfluss der Schriften des Lukian, Horaz, Miguel de Cervantes, Shaftesbury, d'Alembert, Voltaire u. a., eine vollständige Umkehr von den eben bezeichneten Bahnen. Schon das Trauerspiel " Lady Johanna Gray" (Zürich 1758) konnte Lessing mit der Bemerkung begrüßen, Wieland habe "die ätherischen Sphären verlassen und wandle wieder unter Menschen". In demselben Jahr entstand das epische Fragment "Cyrus" (Zürich 1759), zu dem die Taten Friedrichs d. Gr. die Inspiration gegeben hatten, ferner das in Bern, wo Wieland 1759 eine Hauslehrerstelle angetreten hatte, geschriebene Trauerspiel "Clementina von Porretta" (das. 1760) und die dialogisierte Episode aus der Kyropädie des Xenophon: "Araspes und Panthea", welche Dichtungen sämtlich nach Wielands späteren eignen Worten die "Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche Lage" ankündigen oder geschehen zeigen. In Bern trat der Dichter in sehr nahe Beziehungen zu der Freundin Rousseaus, Julie Bondeli.
1760 nach Biberach zurückgekehrt, erhielt er eine amtliche Stellung in seiner Vaterstadt, deren kleinbürgerliche Verhältnisse ihm minder drückend wurden, nachdem er auf dem Schloss des Grafen Stadion, der sich nach dem Biberach benachbarten Warthausen zurückgezogen, eine Stätte feinster weltmännischer Bildung, mannigfachste persönliche Anregung und eine vortreffliche Bibliothek gefunden hatte. In Warthausen traf Wieland auch seine ehemalige Geliebte, die mit ihrem Gatten bei Stadion lebte, wieder. Der Verkehr mit den genannten und andern Personen, die sich in jenem hochgebildeten Kreis bewegten, vollendete Wielands Bekehrung ins "Weltliche". Jetzt erst trat seine schriftstellerische Tätigkeit in die Epoche, die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die nationale Literatur umfasst. Um 1761 wurde der Roman "Agathon" (Frankf. 1766) begonnen, 1764 "Don Silvio von Rosalva, oder der Sieg der Natur über die Schwärmerei" (Ulm 1764) vollendet; daneben hatte seit 1762 die Ausführung einer der verdienstlichsten Arbeiten Wielands, seine Übertsetzung des Shakespeare (Zürich 176266, 8 Bde.), begonnen. Mit den beiden oben genannten Romanen und den Dichtungen: "Musarion, oder die Philosophie der Grazien" (Leipzig 1768) und "Idris" (das. 1768), in den nächsten Jahren den Erzählungen: "Nadine" (das. 1769), "Combabus" (das. 1770), "Die Grazien" (das. 1770) und "Der neue Amadis" (das. 1771) betrat Wieland seinen neuen Weg und verkündete eine Philosophie der heitern Sinnlichkeit, der Weltfreude, der leichten Anmut, welche im vollen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Jugend stand.
Inzwischen hatte Wieland, der seit 1765 mit einer Augsburgerin verheiratet war, einem durch Riedel in Erfurt vermittelten Ruf an die dortige Universität im Sommer 1769 Folge gegeben. Seine Lehrtätigkeit, die er mit Eifer betrieb, tat seiner dichterischen Produktivität wenig Abbruch. In Erfurt verfasste er, außer einigen der oben genannten Schriften, noch das Singspiel "Aurora", die "Dialoge des Diogenes" und den Staatsroman "Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian" (Leipz. 1772), welcher ihm den Weg nach Weimar bahnte.
1772 berief ihn die Herzogin Anna Amalie von Sachsen Weimar zur literarischen Erziehung ihrer beiden Söhne nach Weimar. Hier trat Wieland in den geistig bedeutendsten Lebenskreis des damaligen Deutschland, der schon bei seiner Ankunft Männer wie Musäus, v. Knebel, Einsiedel, Bertuch u.a. in sich schloss, aber bald darauf durch Goethe und Herder erst feine höchste Weihe und Belebung erhielt. Wieland bezog unter dem Titel eines herzoglichen Hofrats einen Gehalt von 1000 Thlr., welcher ihm auch nach Karl Augusts Regierungsantritt als Pension verblieb. In behaglichen, ihn beglückenden Lebensverhältnissen entfaltete er eine frische und sich immer liebenswürdiger gestaltende poetische und allgemein literarische Tätigkeit. Mit dem Singspiel "Die Wahl des Herkules" und dem lyrischen Drama "Alceste" (1773) errang er reiche Anerkennung. In der Zeitschrift "Der teutsche Merkur", deren Redaktion er von 1773 bis 1789 führte, ließ er fortan die eignen dichterischen Arbeiten zunächst erscheinen, neben denen er auch eine ausgebreitete kritische Tätigkeit übte, die lange Zeit hindurch sich aus fast alles, was für die literarische Welt, vorzüglich die deutsche, von Bedeutung war, erstreckte. Wielands im "Merkur" abgedruckte "Briefe über Alceste (September 1773) gaben Goethe und Herder Ärgernis und riefen des ersteren Farce "Götter, Helden und Wieland" hervor, auf welchen Angriff Wieland mit der ihm in der zweiten Hälfte seines Lebens fast unverbrüchlich eignen heitern Milde antwortete. Als Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, bildete sich zwischen ihm und Wieland ein dauerndes Freundschaftsverhältnis, dem der überlebende Altmeister nach Wielands Tod in seiner schönen Denkrede auf Wieland ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat. Goethe gewann auch den stärksten Einfluss auf Wielands Bestrebungen in der dritten Periode, in deren Werken sich die besten und rühmlichsten Eigenschaften unsers Dichters gleichsam konzentrieren, während seine Neigung zur ermüdenden Breite und zur sinnlichen Lüsternheit bis auf einen gewissen Punkt überwunden wurde.
Die "Geschichte der Abderiten", das romantische, farbenreiche Gedicht "Oberon" (Weimar 1781), die prächtigen poetischen Erzählungen: "Das Wintermärchen", "Geron der Adelige", "Schach Lolo", "Pervonte" u. a., gesammelt in den "Auserlesenen Gedichten" (Jena 1784-87), entstanden in den ersten Jahrzehnten zu Weimar. Dazu gesellten sich die treffliche Bearbeitung von "Lukians sämtlichen Werken" (Leipzig 1788 bis 1789) und zahlreiche kleinere Schriften.
Eine Gesamtausgabe der bis 1802 erschienenen Werke (1794-1802 in 36 Bänden und 6 Supplementbänden), welche Georg Joachim Göschen in Leipzig verlegte, hatte Wieland in den Stand gesetzt, das Gut Ossmannstedt bei Weimar anzukaufen. Dort verlebte der Dichter seit 1798 im Kreise der großen Familie (seine Gattin hatte in 20 Jahren 14 Kinder geboren) glückliche Tage, bis ihn der Tod seiner Gattin 1803 veranlasste, den Landsitz zu veräußern und wieder in Weimar zu wohnen, wo er dem Kreis der Herzogin Anna Amalia bis an deren Tod angehörte. Die Zeitschrift "Attisches Museum", welche Wieland allein 1796-1801, und das "Neue attische Museum" , das er mit Hottinger und Fr. Jacobs 1802-10 herausgab, dienten dem Zweck, die deutsche Nation mit den Meisterwerken der griechischen Poesie, Philosophie und Redekunst vertraut zu machen. Wieland hatte das gewöhnliche Schicksal hochbejahrter Menschen, den Verlust der meisten Freunde und Lieben durch den Tod, in seinem Alter in hohem Grad zu erfahren, blieb indessen bis zu seinem Tod am 20. Januar 1813 in seltener Weise lebensfrisch. Seine Überreste ruhen seinem Wunsch gemäß zu Ossmannstedt in einem Grab mit denen seiner Gattin und einer Enkelin seiner Jugendfreundin Laroche, Sophie Brentano.
Die mittelbare Nachwirkung Wielands brachte der deutschen Literatur eine Fülle zuvor nicht gekannter Anmut und Heiterkeit, die lebendigste Beweglichkeit und gesteigerte Fähigkeit für alle Arten der Darstellung.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel aus Meyers Lexikon von 1888.
Werke
Ausgaben
- Werke in Einzelausgaben, hg. von Jan Philipp Reemtsma:
- Pererinus Proteus, hg. von Jan Philipp Reemtsma [Mitarbeit von Hans und Johanna Radspieler], Nördlingen 1985.
- Politische Schriften, insbesondere zur Französischen Revolution, hg. von Jan Philipp Reemtsma zusammen mit Hans und Johanna Radspieler, 3 Bände, Nördlingen 1988.
Literatur
- Burkhardt, Repertorium zu Wielands deutschem Merkur, Jena 187?
- [http://susi.e-technik.uni-ulm.de:8080/meyers/servlet/showSeite?SeiteNr=0576&BandNr=6&textmode=true Wieland, Christoph Martin, in: Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl. 1888, Bd. 16, S. 597 (Stand Juni 2003: noch nicht bearbeitet)
- Arno Schmidt: Wieland oder die Prosaformen, in: ders., Nachrichten von Büchern und Menschen, 1971
- Jan Philipp Reemtsma: Das Buch vom Ich, Christoph Martin Wielands »Aristipp und einige seiner Zeitgenossen«, 1993.
- Jan Philipp Reemtsma: Der Liebe Maskentanz. Aufsätze zum Werk Christoph Martin Wielands, 1999.
Webinks
- http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufkl/teutmerk/ -- Der Teutsche Merkur, digitalisiert liegen bislang die Jahrgänge 1773-89 vor (Stand April 2003)
- http://www.gutenberg2000.de/autoren/wieland.htm -- E-Texte beim Projekt Gutenberg-DE