Braunschweiger Mumme

Die Braunschweiger Mumme (Lateinisch: Mumma Brunsvicensium - Englisch: Brunswick Mum - Französisch: Mom de Bronsvic) ist ein ehemals alkoholisches Getränk aus dem mittelalterlichen Braunschweig mit einer über 600-jährigen Tradition, das noch heute produziert wird.
Namenslegende und erster urkundlicher Nachweis
Der Legende nach soll die Bezeichnung „Mumme“ auf einen gewissen Christian Mumme zurückzuführen sein, einem Bierbrauer aus Braunschweig, der die Rezeptur des Getränkes 1492 oder 1498 verbessert habe. Zu dieser Zeit soll die Wirkung dieses Braunschweiger Starkbiers, dem zahlreiche Gewürze beigemischt wurden, im wahrsten Sinn des Wortes „umwerfend“ gewesen sein.
Eine Rechnung von 1390
Im Jahre 1911 wurde jedoch eine Rechnung der Stadt Braunschweig für das Fest ihres Schutzpatrons St. Au(c)tor aus dem Jahre 1390 gefunden, auf der „mumm“, ein besonders kräftiges, dunkles Braunschweiger Bier aufgeführt ist. So erscheint es mehr als zweifelhaft, ob sich „Mumme“ wirklich von Christian Mumme ableitet, denn die Rechnung entstand 102 Jahre vor der angeblichen Rezepturbesserung. Darüber hinaus deutet eine „Verbesserung“ darauf hin, dass etwas schon vorher in minderer Qualität vorhanden gewesen sein muss. Auch die Jahreszahlen 1492 bzw. 1498 dürften sich eher an historischen Ereignissen, wie der Entdeckung Amerikas (1492) oder der Entdeckung des Seewegs nach Indien (1498) orientiert haben und somit der Legendenbildung gedient zu haben.
Des Weiteren wurde nachweislich niemals ein Christian Mumme in Braunschweig urkundlich erwähnt, was zumindest insofern verwunderlich ist, da er zum einen der „Erfinder“ des angeblich nach ihm benannten Getränkes gewesen sein soll und zum anderen dieses Getränk der Exportschlager des mittelalterlichen Braunschweigs gewesen ist. Hätte Christan Mumme wirklich existiert und die Rezeptur des Getränks erfunden, würde er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Annalen der Stadt verzeichnet sein. Ein weiteres Indiz für die Existenz des Bieres vor 1492 stammt aus dem Jahre 1425, als der Hessische Landgraf bei einem Besuch in Braunschweig zwei Fässer Mumme verzehrt haben soll.
„Mumme“ als Gattungsbezeichnung
Es erscheint allerdings denkbar, dass die Bezeichnung „Mumme“ in Braunschweig zunächst eine Art Gattungsbezeichnung für „dunkles Bier“ war – im Gegensatz zu der Bezeichnung „Weißbier“ für Bier hellerer Farbe. In einem Edikt von 1571 wird Mumme synonym zu „Rotbier“ verwendet und helles Bier getrennt davon erwähnt.
Exportschlager des Mittelalters

Aus dem Braunschweigischen Bierbuch von 1723:
"… die Mumme, welche ein angenehmer, wohlriech- und schmeckender Gersten-Safft ist, so in der Stadt Braunschweig gekochet, und wegen ihrer Vortrefflichkeit die Tag und Nacht gleichmachende Linie passieret und bis in beyde Indien verfahren wird, worin sie es allen anderen Bieren zuvor thut …"
Dank ihres hohen Alkohol- und Zuckergehaltes war die Braunschweiger Mumme in der frühen Neuzeit eines der wenigen Nahrungsmittel, das auch lange Reisen gut überstand und damit auch über längere Zeit hinweg für den Verzehr genießbar blieb. Aufgrund seiner Zusammensetzung eignete sie sich v. a. als Proviant für die langen Seereisen des 15. und 16. Jahrhunderts.
Um die Haltbarkeit des Getränks noch weiter verlängern zu können, wurde der Alkoholgehalt verdoppelt und es entstand die sogenannte „Schiff-Mumme“ oder „Segelschiff-Mumme“ (im Vergleich zur einfachen oder „schlechten“ „Stadt-Mumme“). Die Konsistenz der Schiff-Mumme soll eher der von Öl als der eines (heutigen) Bieres geähnelt haben.
Selbst in den Tropen – Mumme wurde „in beide Indien“ (= Westindien und Ostindien) exportiert – verdarb das Bier aus Braunschweig nicht und trug so dazu bei, gefürchtete Mangelerkrankungen langer früher Schiffsreisen, wie z.B. Skorbut, zu verhindern. Aus dieser Zeit stammt das auch heute noch verwendete Markenzeichen auf den Getränkebehältnissen (ehedem Flaschen, heutzutage Dosen): Ein ovales Siegel mit einem weißen Segelschiff (Dreimaster) auf blauem Grund.
Auf diese Weise erlebte die Mumme während vieler Jahrzehnte eine Hochzeit und wurde in der vorindustriellen Zeit Braunschweigs Exportschlager Nr. 1. Zunächst wurde sie über Land nach Celle gebracht, von wo aus sie auf der Aller weiter transportiert wurde um schließlich über Häfen wie Hamburg (nachweislich 1531), Lübeck und Bremen in alle Welt (u. a. nach Dänemark, Großbritannien, die Niederlande, Schweden sowie ins Baltikum) exportiert zu werden, was natürlich Neider auf den Plan rief. So z. B. 1603 die Freie und Hansestadt Bremen. Um einerseits von der Beliebtheit der Mumme zu profitieren und andererseits die eigenen Biere zu schützen, erhoben die Bremer einen exorbitanten Zoll auf das braunschweigische Getränk. Im Jahre 1608 beschwerten sich die Bremer Brauer, dass der Export ihrer Biere nach Ostfriesland um 90 % eingebrochen sei, da Mumme „jetzt auch auf Hochzeiten und Kindtaufen“ getrunken werde, was vor Jahren noch völlig unüblich gewesen sei. Dies wiederum wollte sich die Stadt Braunschweig nicht gefallen lassen (immerhin lieferte man 1613 ca. 5.000 Fässer nach Bremen). So kam es, dass man sich 1614 auf einen moderateren Zoll sowie auf die Überlassung des Mumme-Verkaufsrechts an die Bremer einigte. 1649 schließlich hob Bremen ihr Durchfuhrverbot auf und Braunschweig konnte sein Produkt wieder selbst vertreiben.
Mumme hatte jedoch einen gewissen Nachteil – ihren Geschmack. In der damaligen Zusammensetzung, war Maltose wesentlicher Bestandteil der Rezeptes, was das Getränk zwar haltbar, aber auch äußerst süß und zähflüssig machte; aber da es bis Anfang des 17 Jahrhunderts keine (haltbare) Konkurrenz gab, überwog der Vorteil der Haltbarkeit noch den geschmacklichen Nachteil.
Wirtschaftsspionage und Protektionismus
Die Neider jedoch ließen sich allerhand einfallen, um Geschäfte mit ihren eigenen Nachahmerprodukten machen zu können, so wurden erste Einfuhr- und damit Handelsverbote erlassen. In einem frühen Fall von Wirtschaftsspionage gelangte das Mumme-Rezept schließlich Mitte des 17. Jahrhunderts in englische Hände. Auf der Insel „kopierte“ man nun das Braunschweiger Bier und verkaufte es unter diesem Namen. George Monk, ein General Oliver Cromwells, behauptet, das Rezept von einer „vornehmen Person in Braunschweig“ erhalten zu haben. Um 1670 gelang des den Briten sogar, den Import der echten Mumme nach England für einige Jahre verbieten zu lassen.
Zunächst jedoch erfreute sich die Braunschweiger Mumme weiterhin großer Beliebtheit, die Exporte stiegen gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch. Im Jahre 1681 verfassten Braunschweiger Brauer deshalb eine Protestnote, die auf ein „Problem“ hinwies. Um sich gegen die üble Nachrede von Neidern zur Wehr zu setzen, war eine frühe Form der Qualitätskontrolle und –sicherung eingeführt worden – die sogenannten „Probeherren“. Diese mussten jedes Fass Mumme, das Braunschweig verließ zunächst verkosten, bevor es zum Export freigegeben wurde – bei bis zu 40 Fässern täglich hatte dies zur Folge, dass diese Herren „vom Rausche beschlichen und derogestalt zugerichtet werden, daß Kopf und Füße ihres Amtes vergessen.“
Die Mumme-Probe
Süße und Zähflüssigkeit der Braunschweiger Mumme waren auch ihr – heute würde man sagen – „Qualitätsmerkmal“. So hat sich aus diesem Umstand auch eine Art „Qualitätskontrolle“ entwickelt:
Sie sollte Maßstab für die Qualität der Mumme bzw. ihrer Rezeptur sein. Man ging dabei wie folgt vor: Auf einen Stuhl, Schemel o. Ä. wurde ein wenig Mumme gegossen und verstrichen. Anschließend musste sich jemand darauf setzen und wieder aufstehen – klebte die Sitzgelegenheit nun an seinem verlängerten Rücken, war die Mumme-Qualität einwandfrei.
Das Mumme-Lied

Ungeklärt ist bis heute auch der Ursprung des sogenannten „Mumme-Liedes“, dessen Text wie folgt geht (Schreibweise variiert z. T. stark je nach zitierter Quelle):
Brunswyk, du leiwe Stadt,
vor vel dusent Städen,
dei sau schöne Mumme hat,
dar ik Worst kann freten.
Mumme smekkt noch mal sau fin,
as Tokay un Mosler wyn,
Slakkworst füllt den Magen …
zu Hochdeutsch:
Braunschweig, du liebe Stadt,
unter Tausenden von Städten.
Wo es so gute Mumme gibt (und)
wo ich [Braunschweiger] Wurst [fr]essen kann.
Mumme schmeckt noch besser
als Tokajer und Mosel[-Wein],
Schlackwurst füllt den Magen ...
Nach einigen Quellen soll es aus dem 16. Jahrhundert stammen, andere wiederum schreiben es der Oper „Heinrich der Vogler“ zu, die im Sommer 1718 in Braunschweig uraufgeführt wurde. Die Verse sollen von Johann Ulrich König stammen und die Vertonung vom herzoglichen Kapellmeister Georg Kaspar Schürmann.
Welche Version nun die „richtige“ ist, bleibt weiterhin zu erforschen.
Ein Mumme-Gedicht
Als Anfang des 18. Jahrhunderts das Gerücht verbreitet wurde, die Braunschweiger Mumme sei mit allerhand Gewürzen und sonstigen obskuren Zutaten „verfälscht“, sowie mit Kirschsaft gefärbt, verfasste der in Wolfenbüttel arbeitende Mediziner Franz Ernst Brückmann, 1723 folgendes Gedicht auf die Mumme zu deren Verteidigung:
Das Gedicht von der Mumme
Die Mumme scheu' t sich nicht
sie will sich nicht verstecken
sie tritt ohn Masque hier der Welt recht vors Gesicht
wer durchs Vergrößrungs-Glaß will schauen ihre Flecken
beschaue sich vor erst
eh er das Urtheil spricht
Anlässlich der 1000-Jahr-Feier der Stadt Braunschweig im August 1861 verfasste Carl Schultes (* 1822; † 1904) das historische Schauspiel „Brunswick’s Leu, stark und treu“, in dem die Braunschweiger Mumme ein letztes Mal gewürdigt wurde.
Urahn des Malzbiers
Allmählich jedoch änderten sich die Zeiten. Auch anderen Städten und Brauern gelang es schließlich, (auch in Verbindung mit verbesserten Konservierungstechniken von Lebensmitteln) haltbare Biere herzustellen – die zudem auch noch besser schmeckten. Dadurch brach der Absatz des braunschweigischen Getränks massiv ein, und die Mumme büßte alsbald ihre marktführende Position ein.
Der Niedergang des einstigen Exportschlages kulminierte schließlich im 18. Jh. in der Entscheidung, aus dem einstigen Starkbier ein fortan alkoholfreies Malzgetränk zu machen – was es seither auch geblieben ist. Wer damals diese Entscheidung getroffen hatte (und warum), ist unbekannt. Sie muss aber wohl nach 1736 getroffen worden sein, denn das Rezept aus diesem Jahr enthielt noch Gerste und Hopfen. Während des Siedens durften zudem Alantwurzel, Kardamom und „andere Gewürze“ beigegeben werden.
Mumme wurde fortan eigentlich nur noch in Braunschweig und im engsten Umland konsumiert. Geworben wurde fortan damit, dass es ein kräftigendes Getränk für u. a. „Wöchnerinnen, schwächliche Personen, Lungenkranke und Rekonvaleszenten“ sei (deshalb enthielt Mumme zeitweilig auch Eisen, Mangan, Chinin u. Ä.).
Das Mumme-Haus

Die im alten Vorkriegs-Braunschweig bekannteste Adresse für gute Mumme war das „Mumme-Haus“ am Bäckerklint 4, gleich neben dem noch heute vorhandenen Eulenspiegel-Brunnen. Die dortigen Kellner trugen blaue Leinenkittel und Lederschürzen. Sie fragten die Gäste nach ihrem Namen und gossen dann schwungvoll aus einem kleinen Glas mit dünnem Mumme-Strahl dessen Initialen in Braun in den weißen Schaum des Bieres.
Das um 1588 erbaute Fachwerkhaus wurde wie so viele andere in Braunschweig bei einem der zahlreichen Luftangriffe am 10. Februar 1944 so schwer beschädigt, dass es – bis auf das Portal, das sich heute an einer anderen Stelle befindet – abgerissen werden musste und bisher nicht wieder aufgebaut wurde.
Nach dem 2. Weltkrieg
1949, fünf Jahre nach Kriegsende, wurde die Produktion in bescheidenem Umfang wieder aufgenommen.
1990 kam dann schließlich wieder ein Schreckmoment in der nunmehr ca. 600-jährigen Geschichte des Traditionsgetränks: Ein staatliches Untersuchungsamt attestierte der Mumme zu hohen Eisengehalt, verursacht wahrscheinlich durch einen alten, eisernen Braukessel. Da ein Neubau für den Eigentümer betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll erschien wurde die Produktion von zuletzt ca. 30.000 Dosen pro Jahr eingestellt ... eine 600-jährige Braunschweiger Tradition schien damit ihr trauriges Ende gefunden zu haben.
Einige Jahre später jedoch besann man sich offensichtlich und die Produktion wurde wieder aufgenommen und die Tradition damit wieder belebt und besteht noch heute fort.
Mumme heute
Wegen der bereits erwähnten Süße und Zähflüssigkeit des Vorläufers des heutigen Malzbieres genießen nur wenige das Getränk pur, weshalb Mumme heutzutage hauptsächlich als „Zusatz“ für Speisen und Getränke Verwendung findet. Je nach Gutdünken kann man einen Schuss davon in helles Bier (Pils) mischen oder aber in der Küche zur Verfeinerung von Soßen, Kuchen und sonstigem Gebäck einsetzten (mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Rezepten, die die Verwendungsvielfalt Braunschweiger Mumme widerspiegeln).
Kindern wird ein Schuss Mumme in die Milch gegeben. Der Geschmack ähnelt dann Ovomaltine.
Das Ergebnis dieser selbst verordneten Alkoholfreiheit ist jedoch bis heute spürbar: Braunschweiger Mumme hat sich vom einstigen Exportartikel Nr. 1 der Stadt zum skurrilen Souvenir für Exil-Braunschweiger und Touristen entwickelt.
Literatur
- Christian Basilius: Die Mumme-Fibel der Mumme H. Nettelbeck K.G. Geschichte(n) seit 1390, Braunschweig 1999.
- Andreas Döring: Wirth! Nochmal zwo Viertel Stübchen! Braunschweiger Gaststätten & Braunschweiger Bier damals., Braunschweig 1997
- Anna Klie: Brunswyksche Mumme, Braunschweig 1898.
- Heinrich Mack: Zur Geschichte der Mumme. Insbesondere des Mummehandels im 17. Jahrhundert, in: Braunschweigisches Magazin 17 (1911).
- Ernst A. Roloff: Heimatchronik der Stadt Braunschweig. Archiv für Deutsche Heimatpflege, Bonn 1955