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Städtebauliche Entwicklung Lübecks seit 1864

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Die Aufhebung der Torsperre 1864, die Gründe für diese Entscheidung und zeitgleiche Ereignisse und Entwicklungen (wie insbesondere die in Lübeck spät um diese Zeit einsetzende Industriealsierung) markieren einen Einschnitt in Lübecks städtebaulicher Geschichte. Während die Bevölkerung der Stadt bis Anfang des 19. Jahrhunderts stagnierte und in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts bis 1862 „nur“ um ca. 50 % zugenommen hatte, wuchs sie ab ca. 1862 mit großer Geschwindigkeit von 40.348 im Stadtkreis Lübeck 1862 bis 1910 auf 112.890. Solche Bevölkerungszuwächse benötigen Wohnraum, Gewerbe- und Verkehrsflächen. Die drei historischen Vorstädte St. Gertrud, St. Jürgen und St. Lorenz haben den größten Teil dieses Zuwachses und der dadurch hervorgerufenen Bauten aufgenommen, aber auch in der Innenstadt hat diese Entwicklung tiefe Spuren hinterlassen. 39 % des zum Zeitpunkt des Bombenangriffes 1942 vorhandenen Baubestandes war nach der Untersuchung von Pieper[1] zwischen 1870 und 1942 neu gebaut oder grundlegend umgestaltet worden.

Vor und während des I. Weltkrieges

Entwicklungen in der Innenstadt

In Lübecks Innenstadt setzt mit der Aufhebung der Torsperre der Prozess der Citybildung ein. Mit diesem Begriff wird die Konzentration zentraler Stadtfunktionen in historischen Stadtzentren bezeichnet. Zunächst werden die im Zentrum für seine Bewohner angebotenen Funktionen auf die Bewohner außerhalb des Zentrums ausgeweitet. Das stößt an Grenzen. Einige Funktionen werden ausgelagert: Sehr schnell werden Schulen und Kirchen in den Vorstädten neu gebaut oder vergrößert. Wo Funktionen weiter im Zentrum wahrgenommen werden, benötigen sie häufig mehr Platz als die im Mittelalter geprägten (und durch Brandmauern eingefassten) Grundstücksparzellen zulassen. Strukturwandel in Handel und Verwaltung begründen darüberhinaus eigenständige Faktoren für den erhöhten Platzbedarf. Damit sprengt die mittelalterliche Metropole einerseits für den Bereich Wohnen den auf der Altstadtinsel gelegenen Stadtkern, andereseits setzt im Stadtkern selbst ein Umstrukturierungsprozess hin zu Zentralfunktionen ein. Beispielhaft zu nennen sind der Umbau des Katharineums (1874), das Haus der Deutschen Lebensversicherungsgesellschaft in der Königstraße (1882), der in bewußte Konkurrenz zum Rathaus tretende Neubau des Kaiserlichen Postamts am Markt (1884), das Gerichtsgebäude in der Burgstraße (1896), sowie Theater und Kaufhaus Karstadt (1906).[2] Die rechtliche Grundlage für diese maßstabssprengenden Bauten bildeten die Bauordnungen von 1865 und 1881, die in Straßen mit einer Mindestbreite von 11,50 m den Höhen keine Grenzen mehr setzten. Es entstanden z.B. in der Mühlenstraße 4 und 5 stöckige Wohnhäuser, die bis heute erkennbar die alten Höhenlinien durchbrechen. Auch der Bau- und Ausbau der Gas- und Elektrizitätswerke zunächst im Zentrum gehört zu dieser Entwicklung der Zentrumsbildung, auch wenn solche Funktionen sehr rasch an den Stadtrand gedrängt wurden und damit eine Beschränkung der Cityfunktionen auf Dienstleistung und Handel eintritt.

Stilistisch sind die Neubauten und weitere Umbauten (wie der Wiederaufbau der Nordfassade des Rathauses) dem Historismus (insbesondere Postamt, Gerichtsgebäude und neue Nordfassade des Rathauses) und Jugendstil (insbesondere Theater) zuzurechnen. Beide Stilrichtungen sind überregional und brechen in vielerlei Hinsicht (ganz besonders ihrer Größe) mit lokalen Traditionen, was insbesondere an den historistischen Gebäuden kritisiert wurde, obwohl gerade durch die neogotische Gestaltung etwa des Gerichtshauses durch ihren Architekten Baudirektor Gustav Adolf Schwiening eine Anknüpfung an die lübeckische Traditionen beabsichtigt war. Die Veränderungen des Stadtbildes durch die Neubauten lösten eine Gegenbewegung aus, die weniger in Neubauten als im Kampf um den Erhalt der Löwenapotheke oder der Gestaltung des Burgtors Erfolge hatte. Die Arbeit des städtischen Baurats Johann Baltzer ist von diesem Bemühen getragen. Er gewann u.a. einen von der Gemeinnützigen nach dem Vorbild vieler alter Städte ausgeschriebenen Fassadenwettbewerb 1905 und baute die Ernestinenschule in der Kleinen Burgstraße (1903/1904)[3]. Auch die Bauten zur Heilanstalt Strecknitz 1912 (Carl Mühlenpfordt) in der Vorstadt St. Jürgen gehören zu dieser Tradition des Heimatschutzes.[4]

Für den gewachsenen Verkehr wurde die Verbreiterung der Straßen geplant. Ein Gesetz von 1895 zur Rückverlegung der Baufluchten und ein Programm von 1905 dienten der Umsetzung solcher Pläne. Verbreitert wurde insbesondere zum ersten Mal die Holstenstraße.

Der neue Hauptbahnhof von 1908 zeigt jedoch deutlich die Grenzen einer jeden Stadtplanung auf: aufgrund der zwischen der Altstadtinsel und dem neuen Standort gelegenen unbeplanten Wallanlagen gelingt es für 100 Jahre nicht, die Lücke zwischen dem Bahnhof und dem Zentrum der Stadt zu schließen. Dies zeigt gleichzeitig die Besonderheit auf, die die Lübecker Altstadt von so gut wie allen anderen vergleichbaren Städten in Deutschland unterscheidet. Die im Mittelalter von der Größe her ausgewachsene Stadt ist mit Beginn der Industrialisierung nicht unmittelbar durch Neustädte erweiterungsfähig, ihre natürlichen Verteidigungsräume in Form von Gewässern, ausgebaut um die Lübecker Stadtbefestigung, versperren der Stadt städtebaulich den Weg in die Zukunft und tragen gleichzeitig zur Erhaltung des vergangenen bei; gleichzeitig nimmt die Überdimension der mittelaltlichen Metropole in diesem Falle der Stadt der modernen Neuzeit auch den Entwicklungsdruck.

Entwicklung der Vorstädte

Ungeplante Entwicklungen vor 1894

Bebauungsplan 1894

Heimstättensiedlung

Während der Weimarer Republik und bis zum Ausbruch des II. Weltkrieges

Innenstadt

In den wenigen Jahre der Weimarer Republik haben sich Entwicklungen der Zeit vor dem I. Weltkrieg fortgesetzt. Die Bevölkerung der ganzen Stadt wächst noch einmal von 117.173 Einwohnern 1919 auf 133.021 in 1933. Auch die Neubauten dieser Zeit (insbesondere Stadtbibliothek in der Hundestraße (1926/27) und das Gewerkschaftshaus in der Julius-Leber Straße (1930) halten sich nicht in den Maßstäben der mittelalterlichen Stadt und modernisieren das Stadtbild.

Begonnen wird auch die Sanierung des Altbestandes. Im Rahmen eines Programms zur "Altstadtverbesserung" unter dem städtischen Baurat Otto Hespeler beginnt sich die Ansicht durchzusetzen, dass die Höfe und Gänge mit Ausnahmen[5] zu entkernen seien, weil anders hygienische Verhältnisse und "Licht, Luft und Sonne" - die Schlagworte des Städtebaus für viele Jahrzehnte - in die Altstadt nicht zu bringen seien.

Bis heute erhalten wurden Bunker im Heimatschutzstil gebaut.

Der Verkehr in der Innenstadt nahm erheblich zu.[6] Zum 15.5.1927 wurde in Lübeck ein System der Einbahnstraßen eingeführt. Die Königstraße nahm den Verkehr in Süd-Nord-Richtung, die Breite Straße den Verkehr in Nord-Süd-Richtung auf. In West-Ostrichtung fuhr der Verkehr über die Holstenstraße, den Kohlmarkt und die Wahmstraße, in Ost-Westrichtung. Der Gegenverkehr fuhr durch Hüxstraße, Markt (unter den Rathausarkaden hindurch!) und Braunstraße. Die Straßenbahn konnte in diese Einbahnstraßenregelung nicht einbezogen werden, weil Schienen nur in der Breiten Straße und Holstenstraße lagen und unter den Rathausarkaden natürlich nicht einmal theoretisch verlegt werden konnten, so dass die Einbahnstraßenregelungen das "Verkehrschaos" nicht vollständig behoben. Aus diesen Erfahrungen entwickeln sich später Pläne zur (weiteren) Verbreiterung der Innenstadtstraßen zur Schaffung einer Ost-West-Verbindung, die die alte "T-Struktur" (durchlaufend in Nord-Süd-Richtung, aber gekappt in West-Ostrichtung) des Innenstadtverkehrs in ein Verkehrskreuz verwandeln sollte. Die Einführung von Stadtbussen in Nord-Südrichtung am 26.2.1935 und der Bau der Horst-Wessel-Brücke (heute: Rheder-Brücke) gehören zu den Bemühungen um die Lösung dieses Problems.

Siedlungen

Generalsiedlungsplan 1928

II. Weltkrieg, Wiederaufbau und Nachkriegszeit

Bombenschäden Palmarum 1942 und Wiederaufbauplanungen

Am 28./29. März 1942 wurde Lübeck als erste deutsche Stadt mit einem Flächenbombardement der Royal Airforce überzogen ("coventriert"). Die Schäden konzentrierten sich auf den westlichen Teil der Altstadtinsel und die Gegend um den Bahnhof in St. Lorenz-Süd. Im Vergleich zu allen anderen deutschen Großstädten (über 100.000 Einwohner) waren die Schäden rein prozentual gering.[7] Andererseits waren gerade auf der Altstadtinsel große Teile der Gebäude zerstört. Die Wiederaufbauplanungen[8] begannen bereits im Krieg. Einen Geheimauftrag von Bürgermeister Otto-Heinrich Drechsler erhielt Hans Pieper bereits zwei Wochen nach dem Angriff.

Wiederaufbauplan 1950

Stadterweiterung (60er Jahre)

Stadterneuerung (70er Jahre)

Stadtumbau (80er Jahre)

Gegenwart

Quellen

  1. Pieper 1946, S. 93
  2. Zu diesen Bauten Brix 1975, S. 33ff.
  3. Vgl. zu dem zwiespältigen Vorgang dieses Neubaus Brix 1975, S. 34f.: Der Abriss der dort vorher vorhandenen Bernstorffschen Kurie stieß auf den Wiederstand Lübecker Architekten, die noch mehr altes erhalten wollten. Baltzers Neubau gilt allerdings weithin als gelungene Einordnung in städtische Traditionen.
  4. Vgl. Andresen 1975; Scheftel 2005, 343ff.
  5. Hespeler 1936, S. 99: "Grundsätzlich sollen die guten Höfe und Gänge erhalten werden."
  6. Zum Folgenden eindrucksvoll Saager 1986
  7. Eine vergleichende Zusammenstellung bei Beyme 1987, S. 38ff. geht von einem Zerstörungsgrad von 20 % aus und weist nur für Erfurt, Halle und Hindenburg geringere Schäden und für Solingen einen gleichen Zerstörungsgrad aus. Hamburg in dieser Zusammenstellung zB 54 %, Bremen 51 %, Kiel 44 %, Rostock 40 %.
  8. Dazu ausführlich Fischer 1992

Literatur

  • Hans-Günther Andresen: Heimatschutzarchitektur in Lübeck - ein vergessener Versuch des angemessenen Umgangs mit einem Stadtdenkmal, in: Michael Brix (Hrsg.), Lübeck. Die Altstadt als Denkmal, 1975 ISBN 3787900829 S. 47-65
  • Klaus von Beyme: Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Städten, München 1987 ISBN 3492031625
  • Michael Brix: Einbrüche in die Struktur der Lübecker Altstadt als denkmalpflegerisches Problem: Gründerzeit und Wiederaufbau nach 1945, in: ders. (Hrsg.), Lübeck. Die Altstadt als Denkmal, 1975, S. 25-46
  • Friedhelm Fischer: Lübeck: Kleinod im ökonomischen Windschatten, in: Klaus von Beyme (Hrsg.): Neue Städte aus Ruinen. Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit, 1992, S. 98-116
  • Otto Hespeler: Altstadtverbesserung in Lübeck, Der Wagen 1936, S. 99-106
  • Hans Pieper: Lübeck. Städtebauliche Studien zum Wiederaufbau einer historischen deutschen Stadt, Lübeck 1946 (hrsg. von Dr. Ing. Klaus Pieper)
  • Wolf-Rüdiger Saager: Fünfzig Jahre Stadtbusse in Lübeck, Der Wagen 1986, 111-120
  • Michael Scheftel: Gibt es Lübeckische Architektur? Gedanken zu Tradition und Fortschritt in einer langen Architekturgeschichte, ZLG 85 (2005), S. 331-348
  • Hans Stimmann: Pläne auf Trümmern - 40 Jahre Wiederaufbauplanung 1949 - 1989, Der Wagen 1990, S. 15-32