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Lütsche-Dorf

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Umgebungskarte der Lütsche-Region

Das Lütsche-Dorf ist eine Wüstung bei Gräfenroda im Ilm-Kreis (Thüringen)

Erste urkundliche Erwähnung

Der Bach Lütsche wird zum ersten Mal 1387 im “Registrum Dominorum Marchionum Missensium” erwähnt (“piscatura in aqua Lucscha”), 1657 das Dorf Lütsche: Es wurde vorgeschlagen, die Schleif-und Mahlmühle niederzureißen, wegen des von den Einwohnern verübten Holzdiebstahls und der Gewährung von Unterschlupf für verdächtiges und loses Gesindel. Das Ansinnen wurde aber nicht durchgeführt.

Vorgeschichte

Wahrscheinlich die ältesten Urkunden berichten von einem Müller und einer Mahlmühle im Lütschetal im Jahre 1600. Der 30-jährige Krieg ging auch an ihr nicht spurlos vorüber. Die Mühle wurde von durchziehenden Landsknechten geplündert, teilweise abgebrannt. Der Besitzer selbst wurde angeschossen und musste sich verwundet in Sicherheit bringen. Zwanzig Jahre später gab ein Hochwasser den Überresten des ersten Lütscher Hauses den Rest. Von da an mag das Tal wieder still gewesen sein. Gegen Ende des 30-jährigen Krieges werden eine Pech- und eine Harzhütte erwähnt, die 1642 wieder neu hergestellt wurden. Zwischen 1650 und 1700 hat am Zusammenfluß von Lütsche und Ensebach eine Schleifhütte gestanden, welche für die nächste Zeit der Siedlung den Namen gegeben hat.

Entstehung

Das Dorf Lütsche entstand ursprünglich aus erwähnter Mahlmühle und Schleifwerk am Ensebach, der in den Lütschebach, der aus steiniger und grasiger Lütsche entsteht, einmündet. Das kleine Walddörfchen erstreckte sich über dieses kleine Gebiet und entstand als Siedlung der Holzfäller und der Arbeiter (Steinbrecher) in den Mühlsteinbrüchen der Crawinkler Maurer, am Borzel und an der Hohen Warte, die heute noch rechts unterhalb der Staumauer der Lütsche-Talsperre recht gut zu sehen sind.

Datei:Lütsche-Dorf.jpg
Skizze des Dorfes Lütsche

Ortsbeschreibung

„Der Hauptteil des Ortes Lütsche lag talaufwärts, rechts vom Wege am Bergabhang. Die ersten Häuser standen rechts am Anfang des Tannenwaldes und die letzten ebenfalls rechts in der Waldenge. Gegenüber im Wiesengrund stand das Schulzenhaus und jenseits des Lütschebaches am Waldsberg die Hütte der alten Börner, ihres Zeichens Kartenlegerin und wohlgesuchte Bereiterin von Liebestränkchen. Den Mittelpunkt bildete die Mühle, die wohl vom Ensebach getrieben wurde und die Kegelbahn, welche rechts am Wege neben der ehemaligen Mühle heute noch sichtbar ist. Am Dorfeingang sieht man heute noch Reste wilder Rosen und Stachelbeerbüsche...“ H. Kellner

Entwicklung

Bis 1665 hatten sich noch mehr Leute an diesem idyllischen Fleckchen angesiedelt. Die Lütsche hatte zu dieser Zeit 1 Backhaus, 2 Wohnhäuser mit 9 Einwohnern und 5 Stück Rindvieh aufzuweisen. Mitte des 18. Jahrhunderts spricht man von 8 Häusern und 40 Einwohnern, 1858 von 128 Seelen. Erwähnenswert, dass auch ein Mitglied der weltberühmten Familie Bach in der Lütsche lebte und dort starb.

Kirche und Schule

Die Armut der Bewohner und die Größe bzw. Kleinheit des Dorfes ließen eine eigene Schule oder gar Kirche nicht zu, so dass die Kinder ab 1803 die Grundschule im oberen Teil Gräfenrodas besuchen mussten, zusammen mit den Kindern aus dem Grund und aus dem benachbarten Dörrberg, und die Lütsche in die Kirche von Gräfenroda eingepfarrt war.

Die Lütscher

Die Einwohner besaßen wenig Grundeigentum. Besonders aber mangelte es an Ackerfläche, vor allem zum Kartoffelanbau. Auf zahlreiche Bittgesuche erhielten sie im Jahre 1848 ein Stück abgetriebenen Waldboden, der jedoch auch nach einigen Jahren noch nicht umgerodet war. (Wohl auch, weil der Schaden auf den Äckern durch das Hochwild groß war.) Sie nahmen fremdes Vieh zur Sömmerung in Hut. Im Jahre 1852 wurde eine kleine Schachtelfabrik gegründet. Es war jedoch im Tale keine richtige Industrie heimisch. Die Bewohner, welche nicht als Holzfäller oder in den Steinbrüchen unterkamen, ernährten sich von der Herstellung von Dachschindeln und Kienrußfäßchen, Blumenstengeln und Spankörben für die Erfurter Gärtnereien bei Öllampenschein in ihren ärmlichen Hütten. Dafür holten sie sich nachts Holz aus den herzoglichen Wäldern. Deshalb waren sie als "Waldfrevler" verschrien. Ungeheuerliche Not und Überlebenswille trieben sie dazu, ungesetzlich auf Jagd zu gehen... Man rechnete die Lütscher zu den zahlreichen Wilddieben. Sie galten als ausgezeichnete Wildschützen und man unterstellte ihnen, gemeinsame Sache mit den gefürchteten "Maskern vom Rennsteig" zu machen. In einer Niederschrift liest man: „Aber die Lage des Ortes und andere Vorkommnisse bewogen Herzog und Staatsregierung, die allmähliche Aufhebung der Lütsche nach freien Zustimmungen und Wünschen der Lütscher zu beschließen.“

Das Walddorf

Schon im 18.Jahrhundert hatte die Regierung sich genötigt gesehen, die Baufreiheit für Wohnhäuser in den Waldorten aufzuheben, um einer weiteren Zunahme der Bevölkerung entgegenzuwirken. Bei der Armut der Waldbewohner war jedoch an eine Bautätigkeit gar nicht zu denken. Ihre armseligen Katen waren aus Mühlsteinresten gebaut. Von allen Waldorten waren die Verhältnisse in der Lütsche die ungünstigsten. Genügend Wasser für die Mühle gab es nur in der „nassen“ Jahreszeit. Und diese Wassernutzung wurde ihnen zeitweise durch den Herzog untersagt. Arbeit gab es so gut wie keine. Der Lütschegrund war vom Ort an bis an die Gera hinab durch eine schwarzburgische Enklave abgeriegelt. Wenn man sich also mit Wild- und Holzdiebstählen über Wasser halten musste, war die Lütsche der geeignetste Aufenthaltsort dafür. So wurden in einem Jahr schon durch 2 Familien 16 Klafter Holz aus den herrschaftlichen Waldungen entwendet... Herzog Ernst II. zu Sachsen-Coburg und Gotha glaubte seine besten Jagdgebiete von Wilddieben bedroht... Deshalb fasste man Pläne zur Umsiedelung der Bewohner nach Amerika und in die Walachei ins Auge. Aber nur eine Auswanderung nach Amerika wurde vollzogen.

Schleifung der Lütsche

Anfang des Jahres 1860 wurden die Häuser Nr.1 und Nr.4 (die Mühle) abgebrochen, im Sommer das Haus Nr.8. Damit standen nur noch 4 Häuser. 1864 wurden die letzten Häuser geschleift. Die letzten Bewohner und ihr Dorfschulz Ernst Catterfeld, der am 3. August 1867 beim Wildern erschossen wurde, verließen ihre Heimat. Sie siedelten sich zum größten Teil in der Umgebung an.

Erzählungen und Überlieferungen

Um das Schicksal des Ortes Lütsche, ihre Schleifung durch Herzog Ernst II. – auch „Schützen-Ernst“ genannt - ranken sich vielerlei Geschichten... Heute stehen dort ein Gedenkstein, eine Gedenktafel und u.a. eine Bank mit einer Widmung an den Schriftsteller Hermann Anders Krüger. Krüger (Prof. aus Neudietendorf), verfasste die Erzählung „Verjagtes Volk – eine Thüringer Waldtragödie“: Die makabre Geschichte der Lütsche wird ins romantische verklärt. Den um seine Jagereviere besorgten Herzog Ernst II. wird nicht ganz unbegründet vorgehalten, daß ihm seine Hirsche mehr wert seien, als seine Landeskinder.

Datei:Lütsche-Umgebung.jpg
Umgebung der Wüstung Lütsche

Umgebung

In der Nähe der Lütsche-Dorfstelle - am Bärenstein – wurde im 17. Jahrhundert der letzte Bär in Thüringen erlegt. Das Raubschloß, der Ausgebrannte Stein u.a. Sehenswürdigkeiten zeugen von der Geschichtsträchtigkeit der wunderschönen Landschaft.


Quellen und Literatur:

H. Kellner „Das verschwundene Dorf Lütsche“

H. v. Minckwitz „Die Lütsche und ihre Auflösung“, in „Das Thüringer Fähnlein“ Heft 7, 1936

W. Stephan „Was Urkunden und Augenzeugen vom ehemaligen Dorf Lütsche zu berichten wissen“, im „Arnstädter Kulturbote“, Okt.1954 und Jan. 1954

Redaktion Kulturspiegel „Vor 100 Jahren wurde mit der Auflösung des Dorfes Lütsche begonnen“, im „Kulturspiegel“ 1959

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