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Die Kunst der Fuge

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Die "Kunst der Fuge" ist ein Variationenwerk von Hohann Sebastian Bach (BWV 1080, um 1750 mit Vorarbeiten von 1740, Erstdruck 1751), bei dem anschaulich dargestellt werden sollte, "was möglicherweise über ein (einziges !) Fugenthema gemacht werden könne. Die Variationen, welche sämtlich vollständige Fugen über ein einerlei Thema (in derselben Tonart) sind, werden hier Contrapunkte genannt" (Johann Nikolaus Forkel). Bach hat wahrscheinlich bei diesem "Kunstbuch" an einen (Tasteninstrumenten-)"Spieler gedacht, der spielt und sieht, sieht und hört" (Arnold Feil). Der kunstvollen kontrapunktischen Komplexität wegen hat der Komponist jede Stimme (alle vorkommenden Fugen, Doppelfugen, Spiegelfugen, ... sind höchstens vierstimmig) auf einem einzigen Notensystem ausgeschrieben, also in Partiturform, ohne weitere Angabe genauer Bezeichnung, und kommt so dem lesenden Studenten dieses Lehrwerks entgegen. Um einer "strengen Eintönigkeit" (Arnold Feil) auszuweichen, die sich bei einer Wiedergabe auf dem weniger klangvariablen Cembalo einstellen kann, gibt es für Aufführungen Einrichtungen für andere Instrumente. So war z.B. dem Leipziger Konzert im Sommer 1927 (Dirigent: Karl Straube) auf Veranlassung von Wolfgang Gräser, mit großem Orchester, Orgel und Cembalo) ein mehr als beeindruckender Erfolg beschieden; das "klingende Kunstwerk" sollte daraufhin immer wieder unter superlativer Etikettierung konzertant den Nur-Hörer für den "riesigen Fugenkosmos" motivieren.
Eine solch klingende Umsetzung des Notenmaterials bedingt indessen eine durchdachte Anordung der letzlich 20 Stücke, denn dieses Lehrwerk vom der Fuge enthält im Autograph dieselben in unverbindlicher Reihenfolge. Ob Bach dieses sein Kunstwerk noch überarbeiten wollte, muß Spekulation bleiben, denn der Autor verstarb, noch bevor die Druckarbeiten abgeschlossen werden konnten. Als eine der vielen Möglichkeiten, Bachs "klanggewordene musikalische Wissenschaft" (Pablo Casals) lebendig werden zu lassen, sei mit der folgenden Realisation (Wolfgang Hofmann) genannt:

1. Contrapunctus 1 - Einfache Fuge (Orchester)
2. Contrapunctus 2 - Einfache Fuge (Orchester)
3. Contrapunctus 3 - Thema in der Umkehrung (Orgel)
4. Contrapunctus 4 - Thema in der Umkehrung (Orchester)
5. Contrapunctus 5 - Gegenfuge (Orchester)
6. Contrapunctus 6 - Fuge in stile francese (Orgel)
7. Contrapunctus 7 - 4-stimmige Fuge mit vergrösserten und verkleinerten Notenwerten (Orchester)
8. Contrapunctus 8 - 3-stimmige Tripelfuge (Orgel)
9. Contrapunctus 9 - Doppelfuge, Thema in der Duodezime (Orchester)
10.Contrapunctus 10 - Doppelfuge, Thema in der Dezime (Orgel)
11.Contrapunctus 11 - Tripelfuge, 4-stimmig (Orchester)
12.Canon alla Ottava - Canon in der Octave (Cembalo)
13.Canon alla duodecima - Canon in der Dezime (Chororgel)
14.Canon alla decima - Canon in der Dezime (Chororgel)
15.Canon per augmentationem - Canon in Vergrösserung und Umkehrung (Cembalo)
16.Fuga a 2 Clav. - Spiegelfuge (Orgel)
17.Alio modo.Fuga - Umkehrung (Orgel)
18.Contrapunctus 12 - Spiegelfuge (Orchester)
19.Contrapunctus 12 - Umkehrung (Umkehrung)
20. Fuga a 3 Sogetti - Unvollendete Quadrupelfuge (Orchester)

Die letzte Fuge konnte von Bach nicht mehr vollendet werden. Dort, wo die Tonfolge B-A-C-H auftritt, bricht das Manuskript eigentümlicher Weise ab. Der Verfasser der ersten Bachbiographie, Johann Nikolaus Forkel (1802), notiert dazu: "Die vorletzte Fuge (gemeint ist die Nummer 20) hat 3 Themata; im dritten gibt sich der Componist namentlich durch b a c h zu erkennen. Diese Fuge wurde aber durch die Augenkrankheit des Verfassers unterbrochen, und konnte, da seine Operation unglücklich ausfiel, nicht vollendet werden. Sonst soll er Willens gewesen sein, in der allerletzten Fuge 4 Themata zu nehmen, sie in allen 4 Stimmen umzukehren und sein großes Werk damit zu beschließen. Alle die in diesem Werke vorkommenden verschiedenen Gattungen von Fugen über einerlei Hauptsatz, haben übrigens das gemeinschaftliche Verdienst, daß alle Stimmen darin gehörig singen, und keine weniger als die andere.- Zum Ersatz des Fehlenden an der letztern Fuge ist dem Werke am Schluß der 4stimmig ausgearbeitete Choral:Wenn wir in höchsten Nöten sind etc. beigefügt worden. Bach hat ihn in seiner Blindheit, wenige Tage vor seinem Ende seinem Schwiegersohn Altnikol (recte: einem seiner Freunde) in die Feder dictiert..." Daher kommt es, dass dieser Choral (mit dem Text:Vor deinen Thron tret' ich hiermit als Finalstück gespielt wird, und so den riesigen Torso abschliesst.
Literatur:

  • Walter Kolneder, Die Kunst der Fuge, Mythen des 20.Jahrhunderts, Wilhelmshaven 1977
  • Hans Heinrich Eggebrecht, Bachs Kunst der Fuge - Erscheinung und Deutung, München 1984