Johan Vilhelm Snellman
Johan Vilhelm Snellman (* 12. Mai 1806 in Stockholm, † 4. Juli 1881 in Kirkkonummi)
Leben
Jugend und Studium
Johan Vilhelm Snellman wurde am 12. Mai 1806 in Stockholm als Sohn des aus dem westfinnischen Pohjanmaa stammenden schwedischsprachigen Seekapitäns Christian Henrik Snellman geboren. Als Finnland im Jahr 1809 an Russland fiel, entschied sich die Familie für eine Rückkehr in die Heimat und siedelte sich 1813 in Kokkola an. Ab 1816 besuchte J. V. Snellman die allgemeine Schule in Oulu und begann sodann 1822 sein Studium an der Kaiserlichen Akademie zu Turku, welche nach dem Brand von Turku von 1827 nach Helsinki verlegt wurde.
An der Akademie studierte Snellman Theologie sowie Geschichte, Griechisch, Latein und Literatur. Über seine Lehrer Adolf Iwar Arvidsson und Johan Jakob Tengström kam der junge Snellman in Kontakt mit der Philosophie Hegels, welche er bald zur Grundlage seiner eigenen Philosophie machte.
Während seiner Studienzeit kam Snellman in engen Kontakt mit einer Gruppe von Studenten, deren Mitglieder später zu den einflussreichsten Förderern der finnischen Kultur gehören sollten. Mitglieder dieser sich als Samstagsgesellschaft (lauantaiseura) bezeichnenden Gruppe waren unter anderen Johan Ludvig Runeberg, Zacharias Topelius, Johan Jakob Nervander und Fredrik Cygnaeus.
Unbequemer Denker
Im Jahr 1831 erreichte Snellman den Studienabschluss in Philosophie und stellte 1835 seine Dissertation über die Philosophie Hegels fertig. In den folgenden Jahren wirkte er als Dozent an der Universität Helsinki, geriet aber wegen seiner Betonung der akademischen Freiheiten wiederholt unter Druck. Im Jahr 1839 verlor Snellman seine Dozentenstelle, nachdem er sich geweigert hatte, auf Weisung der Universitätsverwaltung das Amt des Kurators in der Studentenschaft von Nordpohjanmaa anzunehmen. Snellman vertrat die Ansicht, die Studentenschaft müsse ihren Kurator selbst wählen können.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst der Universität reiste Snellman nach Tübingen in Deutschland, wo er mit den Schülern des zehn Jahre zuvor verstorbenen Hegels zusammentraf, insbesondere mit David Friedrich Strauß, welcher soeben mit seinem Werk Das Leben Jesu, kritisch betrachtet ein erhebliches Aufsehen erregt hatte. Snellmans hier verfasstes deutschsprachiges Werk Versuch einer speculativen Entwicklung der Idee der Persönlichkeit, in welchem er die Thesen Strauß' zum Entsetzen konservativer Kreise nicht verwarf, brachte ihm in Schweden und im Heimatland den Ruf eines gefährlichen Radikalen ein.
Im Herbst 1841 ging Snellman nach Stockholm, wo er 1842 sein Hauptwerk Staatslehre (Låran om Staten) verfasste, welches auch in Finnland veröffentlicht werden durfte und mit 442 verkauften Exemplaren bis Juli 1843 einen erheblichen Verkaufserfolg erzielte. Eine der Kernthesen des Werkes war, dass Finnland sich durch die Entwicklung der eigenen Sprache und Kultur einen Platz in der Mitte der Völker erwerben müsse.
Nach seiner Rückkehr nach Finnland im Jahr 1842 stellte Snellman fest, dass sein durch seine Schriften erworbener Ruf ihm eine Anstellung in den gewünschten Positionen in der Hauptstadt praktisch unmöglich machte. Schließlich nahm er die Stelle des Rektors der Volksschule in Kuopio an, welche er bis 1849 innehatte. Während dieser Zeit widmete er sich auch intensiv der Förderung der finnischen kulturellen und politischen Entwicklung durch die Herausgabe verschiedener Zeitungen in schwedischer und finnischer Sprache. Sodann kehrte er nach Helsinki zurück und arbeitete, nachdem sich ein akademisches Amt aufs Neue als unerreichbar erwiesen hatte, bis 1856 als Büroangestellter.
Professor und Staatsmann
Mit der Thronbesteigung des Zaren Alexander II. im Jahr 1855 entspannte sich das Umfeld für die Tätigkeit Snellmans merklich. Außerdem erhielten die Lehren Snellmans für die russischen Herrscher infolge des Krimkrieges eine neue Bedeutung. Die Hervorhebung der finnischen Nation und Sprache galt nun als willkommenes Mittel zur Abwehr des gefürchteten Skandinavismus. 1856 wurde Snellman ohne formelles Bewerbungsverfahren auf den Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Helsinki berufen.
Als Professor betonte Snellman die Freiheit der wissenschaftlichen Überzeugung und der menschlichen Bildung, wirkte aber zugleich mäßigend auf seine Studenten ein. Er erwarb sich in dieser Zeit das Vertrauen Alexanders II. und wurde schließlich 1863 zum Mitglied des finnischen Senats, der damaligen Regierung des Landes, bestellt. Er übernahm das Amt des Vorsitzenden der Finanzkommission, eine dem heutigen Finanzminister vergleichbare Position. Als Anerkennung für seine Dienste erhob Alexander II. Snellman 1866 in den Adelsstand. Zwei Jahre später schied Snellman aus dem Senat aus, nachdem er sich in der Folge eines Streites um Detailfragen des Baus der Eisenbahnverbindung nach St. Petersburg mit Generalgouverneur Nikolai Adlerberg überworfen hatte.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Senat war Snellman noch in verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Ämtern tätig und war von 1870 bis 1874 Vorsitzender der Gesellschaft für finnische Literatur. Johan Vilhelm Snellman starb am 4. Juli 1881 auf seinem Landsitz in Kirkkonummi.
Leistungen
Philosoph
Als Philosoph stand Johan Vilhelm Snellman fest auf dem Boden des Idealismus von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, von denen ausgehend er seine eigene Staats- und Gesellschaftsphilosophie entwickelte. Bereits in seiner lateinischen Dissertation Akademische Dissertation zur Verteidigung des Absolutismus des Systems Hegels (Dissertatio academica absolutismum systematis Hegeliani defensura) verwarf er einerseits gegen Hegel gerichtete Angriffe und richtete andererseits das Augenmerk auf den Begriff der Persönlichkeit.
Diesen Ansatz vertiefte er in seiner Schrift Versuch einer speculativen Entwicklung der Idee der Persönlichkeit. Die Schrift war im Spannungsfeld der unter den Erben Hegels neu entstandenen Gegensätzen zwischen den sog. Junghegelianern und den Althegelianern entstanden. Sie stand insbesondere im Zusammenhang mit der von David Friedrich Strauß vorgebrachten Kritik an der historischen Person Jesus und dem durch diese ausgelösten Entrüstungssturm unter konservativeren Hegelianern. Snellman verwarf die von Strauß vertretenen Thesen nicht. Gott existiere nur in Menschen, die die Grenzen ihrer Individualität überschreiten, die Bräuche ihres Volkes annehmen und zum Wohle der Nation fördern. Den Gedanken einer unsterblichen Seele hielt Snellman für eitel und selbstsüchtig. Strauß und die Junghegelianer kritisierte Snellman aber dafür, dass sie der konkreten Persönlichkeit nicht die gebührende Bedeutung zumessen.
Diese Gedanken fanden auf konkretere Art ihre Fortsetzung in Snellmans Hauptwerk Staatslehre, einer gesellschaftsphilosophischen Arbeit mit soziologischem Ansatz. In Anlehnung zu Hegels Rechtsphilosophie teilt sich das Werk in die Teile Familie, Gesellschaft und Staat. Die Familie dient der ethischen Erziehung der Kinder und der Weitergabe des nationalen Bildungserbes an die nächste Generation. In der bürgerlichen Gesellschaft unterwirft sich der Mensch den als vernünftig verstandenen Gesetzten, während der Mensch im Staat als höchster Entwicklungsform vom Zwang der Gesetzesbefolgung befreit ist, sein Verhalten statt dessen von patriotischer Bindung an die eigenständige Kultur der Nation geleitet wird.
Die Begriffe der Nation und der Nationalbewusstseins stehen im Mittelpunkt der Philosophie Snellmans. Das Volk erwirbt seine Nationalität als Ergebnis eines historischen Prozesses durch Entwicklung des Geistes, der Kultur und der Bildung. Zu einer eigenständigen Nationalität ist nur ein Volk mit einer eigenständigen Kultur fähig. Dies setzt das Vorhandensein einer gemeinsamen Sprache als Ausdrucksform der nationalen Bildung voraus. Die Sprache ist nicht nur Werkzeug zur Formulierung von Gedanken, sondern die nationale Denkweise ist in der gemeinsamen Sprache strukturell angelegt.
Journalist
Die Erreichung eines finnischen Nationalbewusstseins sowie einer nationalen Kultur suchte Snellman insbesondere durch die Herausgabe von Zeitungen zu fördern. Während seiner Zeit als Schulrektor in Kuopio begann Snellman im Januar 1844 mit der Herausgabe der wöchentlich erscheinenden Zeitung Saima, welche sich zu der ersten kulturpolitischen Zeitschrift mit bemerkenswertem Einfluss auf das finnische Kulturleben entwickelte. Sie erschien in schwedische Sprache und richtete sich an eine gebildete Leserschaft. Inhaltlich behandelte das Blatt Nachrichten, Bekanntmachungen, aber auch Gedichte und Erzählungen, Reiseberichte und Literaturkritiken. Die Lehren Snellmans erhielten hier einen volkstümlicheren, dem breiteren Publikum zugänglicheren Ausdruck.
Die Saima erreichte ein vergleichsweise breites Publikum. Mit eine Auflage von etwa 700 gehörte sie zu den vier auflagenstärksten Blättern des Landes. Obwohl in der Saima keine tagespolitischen Geschehnisse kommentiert wurden, zeigten die kraftvoll formulierten Artikel eine freiheitliche liberale Linie und erweckten bald auch die Aufmerksamkeit des russischen Generalgouverneurs Menschikow, auf dessen Befehl die Lizenz für die Saima schließlich Ende 1846 widerrufen wurde.
Neben der schwedischsprachigen Saima war Snellman an der Gründung des finnischsprachigen Blattes Maamiehen Ystävä („Der Freund des Landmannes“) beteiligt und 1843-1844 dessen Herausgeber. Anders als die Saima konzentrierte sich der Maamiehen Ystävä auf die Vermittlung praktischer Ratschläge und grundlegender Bildung für die landwirtschaftliche Bevölkerung. Das Blatt fand einen noch größeren Leserkreis als die Saima.
Sofort nach dem Verbot der Saima bereitete Snellman unter dem Namen seines Freundes Elias Lönnrot eine neue Publikation vor. Ab Mai 1847 erschien monatlich die Zeitschrift Litteraturblad för allmän medborgerlig bildning („Literaturblatt für allgemeine mitbürgerliche Bildung“), in dessen ausführlichen Artikeln vor allem aktuelle Themen aus Wissenschaft und Literatur behandelt wurden. Auch das Literaturblatt erzielte eine beachtliche Auflage von rund 400. Snellman gab die Führung des Blattes 1849 wegen seines Umzuges nach Helsinki ab, übernahm sie aber erneut im Jahr 1855.
Staatsmann
Nachdem J.V. Snellman 1855 erneut die Führung des Literaturblattes übernommen hatte, widmete er sich thematisch verstärkt der Modernisierung der finnischen Wirtschaft. Gleichzeitig wandte er sich gegen antirussische Tendenzen und vertrat die Auffassung, das finnische könne nur durch Bildung, nicht aber mit Gewalt eine eigenständige staatliche Rolle erreichen. Seine fachlich fundierten Artikel erweckten die Aufmerksamkeit der Regierung, die ihrerseits nach der Thronbesteigung Alexanders II. eine freiheitlichere Richtung eingeschlagen hatte. Am 21. März 1863 wurde Snellman als Vorsitzender der Finanzkommission in den Senat berufen.