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Jugendbewegung

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Die Jugendbewegung ist eine ab etwa 1896 in Deutschland einsetzende Jugendkultur. In der Entstehung gab es wechselseitige Einflüsse mit der Reformpädagogik, wobei die Jugendbewegung eben von der Jugend selbst ausgeht, während die Reformpädagogik, wie alle Pädagogik, von betreuenden Erwachsenen. Die Kernzelle der deutschen Jugendbewegung war der Wandervogel; im akademischen Bereich gab es enge Verbindungen zur Freistudentenbewegung.

Geschichte

Die Jugendbewegung entwickelte sich zunächst aus einem antibürgerlichen Affekt, der jungen Menschen im bewussten Gegensatz zum Stadtleben durch Ausflüge - so genannten Fahrten, heute meist Wanderfahrten - die Natur nahe zubringen versuchte. Das Motiv "Zurück zur Natur" korrespondierte mit einem bewussten, mit Anklängen an die Romantik verbrämten Rückgriff auf Traditionen, was in (einfacher) Kleidung, Heimat- und Liederabenden, Lagerfeuer-Feiern und Tanz seinen Ausdruck fand. Diese sozialromantische Haltung war auch eine als unpolitisch bezeichnete Antwort auf die zunehmenden sozialen Probleme, die die fortschreitende Industrialisierung und damit einhergehenden Verstädterung mit sich brachte.

Beginnend um 1910 war die Jugendbewegung, als deren wichtigster Träger der Wandervogel gilt, so kraftvoll, dass Institutionen wie Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und landsmannschaftliche Vereine ihre eigene Jugend neu zu formieren versuchten. Dabei half zum Beispiel der katholischen Kirche, dass sich aus unterschiedlichen Motiven (z. B. Abstinenz, Verhältnis zur Natur und Kultur) bereits zahlreiche Jugendliche in neuen Gruppen um geistliche Mentoren gesammelt hatten (z. B. Quickborn), wobei deren Eigendynamik von den kirchlichen Autoritäten oft unterschätzt und von manchem Bischof durchaus auch kritisch gesehen wurde. Ähnliches lässt sich auch für die evangelische Kirche, die Parteien, die Gewerkschaften und die Landsmannschaften beobachten. Dabei versuchte man sich einerseits am äußeren Stil des Wandervogels auszurichten, andererseits die eigene Identität zu betonen.

Einen neuen Inhalt brachte Eberhard Koebel, auch bekannt unter seinem Fahrtennamen tusk, der aus Ablehnung des in der bündischen Jugend verbreiteten Lebensbund-Prinzips heraus einen reinen Jungenbund gründete, die Deutsche Jungenschaft vom 1. 11. 1929 (auch: Deutsche Autonome Jungenschaft vom 1. 11. 1929), bekannter unter der Abkürzung dj.1.11.

Insofern viele dieser neu formierten oder neu gegründeten Jugendverbände in Abhängigkeit von Erwachsenenvereinigungen standen (so zum Beispiel von Parteien) kann man sie nicht als jugendbewegte Gruppen bezeichnen.

In diesem Zusammenhang ist auch das Entstehen der Pfadfinder in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg zu betrachten, die allerdings sich immer einer relative Unabhängigkeit bewahren konnten, und weltweit aktiv wurden.

Erster freideutscher Jugendtag auf dem Hohen Meißner und die Folgen

Am 11. Oktober 1913 fand auf dem Hohen Meißner bei Kassel der Erste Freideutsche Jugendtag statt. Dieser war als Protestveranstaltung gegen die patriotischen Veranstaltungen des Kaiserreiches zur Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig gedacht.

In diesem Sinne versteht man den Wandervogel, der am 04. November 1901 gegründet und 1903 offiziell anerkannt wird, als die erste Phase der deutschen Jugendbewegung (1896 bis zum Ersten Weltkrieg), während man die Bündische Jugend als ihre zweite Phase sieht (Zwischenkriegszeit), in der sich nach dem ersten Weltkrieg der Stil und die Traditionen des Wandervogels mit denen der internationalen Pfadfinderbewegung zu etwas Neuem verbanden.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurden alle Bünde aufgelöst, verboten bzw. in die Hitler-Jugend inkorporiert. Manche Gruppen lebten in der Illegalität fort, von denen wiederum einige sich zu Widerstandsgruppen entwickelten.

Kirchliche Jugendbewegung

Neugründungen unter dem Einfluss der Jugendbewegung

Nach 1945 kam es in Westdeutschland zu zahlreichen Neugründungen, die durch die Jugendbewegung beeinflusst waren, darunter den KAB (Katholische Arbeiterjugend), CVJM (Christlicher Verein Junger Männer), Gewerkschaftsjugend, Pfadfinder, Nerother Wandervogel, Quickborn Arbeitskreis und politischer Jugendorganisationen wie der SJD- Die Falken (der SPD nahe stehend) oder der FDJ (Freie Deutsche Jugend), die in der DDR unter dem Einfluss der Staatspartei SED die einzige legitime Jugendorganisation wurde.

Gegenwart

Noch heute gibt es zahlreiche zumeist kleine Wandervögel- und Jungenschaftsbünde. Auch die deutsche Pfadfinderbewegung (und teilweise die österreichische) wird durch die Einflüsse der bündischen Jugend geprägteTeile definieren sich selbst als jugendbewegt bzw. bündisch, was sie von den Pfadfinderverbänden anderer Länder deutlich unterscheidet. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen verschiedenen heutigen Pfadfinderbünden und -gruppen.

Umstritten ist, ob und inwiefern die Jugendbewegung und die bündische Jugend heute noch fortleben. Während Historiker in der Regel einen Schlusspunkt der bündischen Phase in der Eingliederung der freien Bünde in die Hitler-Jugend in den Jahren 1933/1934 sehen – oder spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs –, betrachten sich die meisten Angehörigen der heutigen Gruppen als zeitgemäße Fortsetzung der historischen Jugendbewegung.

Auch die Stiftung Jugendburg Ludwigstein, die als dauerhaftes Gemeinschaftswerk der deutschen Jugendbewegung gilt und zu deren Einrichtungen das Archiv der Jugendbewegung gehört, sieht sich in ihren Leitsätzen aus dem Jahr 2006 in einer Mittlerrolle zwischen der historischen und der gegenwärtigen Jungendbewegung und bestätigt damit die Existenz einer gegenwärtigen Jugendbewegung.

Literatur

  • Florian Malzacher, Matthias Daenschel: Jugendbewegung für Anfänger. Zweite Auflage. Verlag der Jugendbewegung, Stuttgart 2004. ISBN 3-88258-131-X
  • Werner Helwig: Die Blaue Blume des Wandervogels. Überarbeitete Neuausgabe. Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 1998. ISBN 3-88778-208-9
  • Joachim H. Knoll: Typisch deutsch: die Jugendbewegung: Beiträge zu einer Phänomengeschichte. Leske und Budrich, Opladen 1988. ISBN 3-8100-0674-2
  • Walter Laqueur: Die deutsche Jugendbewegung. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1978. ISBN 380468548X
  • Werner Kindt: Dokumentation der Jugendbewegung. 3 Bände:
  • Band I: Grundschriften der deutschen Jugendbewegung. Dieserichs, Düsseldorf 1963
  • Band II: Die Wandervogelzeit. Quellenschriften zur deutschen Jugendbewegung 1896 bis 1919. Diederichs, Düsseldorf 1968
  • Band III: Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die Bündische Zeit. Diederichs, Düsseldorf 1974. ISBN 3-424-00527-4
  • Gerhard Ziemer, Hans Wolf: Wandervogel und freideutsche Jugend. Voggenreiter Verlag, Bad Godesberg 1961
  • Hermann Giesecke: "Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend", Juventa-Verlag 1981, als pdf unter http://5tc1.de/giesecke/index.htm
  • Ulfried Greiner: Homsexualität in der deutschen Jugendbewegung. Jungenfreundschaft und Sexualität im Diskurs von Jugendbewegung, Psychoanalyse und Jugendpsychologie am Beginn des 20. Jahrhunderts. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994. ISBN 3-518-28713-3
  • Elisabeth Korn, Otto Suppert und Karl Vogt (Hrsg.). Die Jugendbewegung: Welt und Wirkung. Zur 50. Wiederkehr des freideutschen Jugendtages auf dem Hohen Meißner. Düsseldorf/Köln: 1963