Zum Inhalt springen

Štokavisch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 30. März 2006 um 23:36 Uhr durch Perun (Diskussion | Beiträge) (Verbreitung und Dialekte: über das ikavische gibt es einen seperaten Artikel). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Štokavisch, manchmal auch Schtokawisch, bezeichnet in der Linguistik eine Dialektgruppe der südslawischen Sprachen. Als amtliche Bezeichnung war es nie üblich. Štokavische Dialekte werden in Teilen Serbiens und Kroatiens und in ganz Bosnien-Herzegowina und Montenegro gesprochen. Die Bezeichnung kommt vom Fragewort što für was (im Gegensatz zu kaj beziehungsweise ča im Kajkavischen und Čakavischen).

Auf der Grundlage des Štokavischen haben sich die gegenseitig verständlichen Amtssprachen Bosnisch, Kroatisch und Serbisch sowie das inzwischen offiziell nicht mehr verwendete Serbokroatisch entwickelt.

Die štokavischen Dialekte werden in Kroatien im Norden vom Kajkavischen, an der Küste vom Čakavischen begrenzt (näheres unter Kroatische Sprache). In Serbien stoßen sie im Südosten an den torlakischen Großdialekt, der einen Übergang zum Mazedonischen darstellt.

Verbreitung und Dialekte

Der štokavische Dialekt ist von den drei Hauptdialekten des Kroatischen und Serbischen am weitesten verbreitet. Er wird in verschiedenen Varianten von den Serben und Montenegrinern, den Bosniaken und einem Teil der Kroaten gesprochen - sieht man nun einmal davon ab, dass die Standardsprachen in Serbien und Montenegro, in Kroatien und Bosnien und Herzegowina ohnehin auf dem štokavischen Dialekt basieren.

Ekavische Dialekte

Ekavisches Štokavisch wird hauptsächlich von Serben gesprochen. In Serbien unterscheidet man drei große ekavische Dialektgebiete: Der Šumadija-Vojvodina-Dialekt ist wie der Name sagt in der Šumadija im westlichen Zentralserbien und in der Vojvodina gebräuchlich. Städtische Zentren sind Belgrad, Valjevo, Kragujevac, Novi Sad und Zrenjanin. Südöstlich schließt sich der Kosovo-Resava-Dialekt an, der im Norden von Kosovo und Metohija im Morava-Tal und in Ostserbien gesprochen wird. Wichtige Städte in diesem Raum sind Peć, Kruševac, Jagodina und Požarevac. Wiederum südöstlich daran schließt sich das Torlakische an, der Südostserbien umfasst. Zum torlakischen Sprachraum gehören Zaječar, Niš, Pirot, Leskovac, Priština und Prizren.

Ijekavische Dialekte

Obwohl es die Grundlage für die kroatische Hochsprache bildet, ist ijekavisches Štokavisch die Sprache aller Völker in Bosnien und Herzegowina sowie die der gesamten slawischen Bevölkerung Montenegros. In Kroatien ist das ijekavische Štokavisch traditionell größtenteils in der Lika, Teilen Slawoniens, dem Kordun, der West-Herzegowina, Dubrovnik und dem Konavle Gebiet gebräuchlich.

Was die Bosniaken und die Kroaten Bosnien und Herzegowinas betrifft, so bilden die Flüsse Bosna und Neretva die Grenze zwischen den Verbreitungsgebieten der ijekavischen und der ikavischen Dialekte. Östlich dieser Linie sprechen die Bosniaken und die Kroaten ebenso wie die Serben ijekavische Dialekte, westlich hingegen ikavische.

Es existieren zwei ijekavische Sonderformen. In einem Winkel Kroatiens an der Grenze zu Slowenien, sowie in der gegenüberliegenden slowenischen Bela Krajina ist der Žumberak-Dialekt zu Hause. Es ist die Sprache der Nachfahren der Uskoken, die ursprünlch aus dem Grenzgebiet zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina stammen. Im südlichen und östlichen Montenegro und im Sandžak (Raška) wird der Zeta-Sjenica-Dialekt gesprochen (Städte: Podgorica, Sjenica, Novi Pazar).

Grammatik

Grammatische Kategorien

Die Grammatik ist sehr umfangreich und kompliziert. Hier soll vor allem auf Unterschiede zu anderen slawischen Sprachen eingegangen werden. So gibt es etwa keine reinen Nominalsätze. Das Imperfekt ist weitgehend zurückgebildet und kommt de facto nur noch als Stilmittel der Literatur sowie in einigen festlegenden Redewendungen vor.

Grammatisches Geschlecht

Wie in anderen slawischen Sprachen kennt auch hier das Substantiv 3 grammatische Geschlechter, jeweils im Singular und im Plural.

Grundsätzlich ist das Geschlecht durch den Endbuchstaben festgelegt: Maskulina enden auf Konsonant, Feminina auf -a, Neutra auf -o oder -e. Es gibt jedoch eine Reihe von Ausnahmen:

  1. Weibliche Wörter auf Konsonant: Hier handelt es sich hauptsächlich um Abstrakta. Anders etwa als im Russischen sind sie nicht an der Weichheit der Endung erkennbar: smisao (m) (Sinn) - misao (f) (Gedanke); most (m) (Brücke) - kost (f) (Knochen)
  2. Männliche Wörter auf -a: Hier handelt es sich ausschließlich um Bezeichnungen für Personen. Zu dieser Gruppe gehören einerseits viele Turzismen, andererseits aber auch etliche slawische Wörter. Im Serbischen, anders als im Kroatischen, enden auch Wörter wie Kolumnist, Kommunist, Nationalist auf a (-ista). Diese werden wie weibliche Substantive dekliniert, das Adjektiv aber wie bei anderen männlichen Nomen. Beispiele: vođa (Führer), sudija (Richter, auf kr. auch sudac), vojvoda (Herzog), Sarajlija (Person aus Sarajewo), kamendžija (auch kamenorezac, Steinmetz), zanatlija (auch obrtnik, Handwerker)... stari vođa usw.
  3. Herablassende oder eine schlechte Eigenschaft bezeichnende männliche Substantive auf -a: Im Gegensatz zur vorherigen Gruppe werden hier auch die Adjektive nach dem Muster des Femininum dekliniert: ubica/ubojica (Mörder), budala (Dummkopf), kukavica (Feigling)... stara budala usw.
  4. Koseformen männlicher Personennamen auf -a oder -o: Werden meist wie weibliche Substantive auf -a dekliniert.

Anmerkung: obwohl die drei letzten Kategorien in allen drei heutigen Schriftsprachen vorkommen, sind sie im Kroatischen deutlich seltener.

Enklitische Formen

Eine Reihe von Wortgruppen weist eine so genannte enklitische Form auf. Dies sind verkürzte Formen, die keinen eigenen Akzent besitzen und daher an das vorhergehende Wort anschmiegen, und die von Modalverben und Personalpronomen der abgeleiteten Fälle gebildet werden können. Sie können nur an bestimmten Stellen im Satz auftreten. Meist ist dies an zweiter Stelle, wobei man sich nicht nach Bedeutungseinheiten, sondern nach dem ersten betonten Wort richtet, so dass die enklitische Form oft zwischen Adjektiv und dem dazugehörenden Substantiv, manchmal sogar zwischen Vor- und Nachname eingeschoben wird. Ebenfalls häufig ist die Stellung direkt nach dem Infinitiv beziehungsweise Partizip Wenn mehrere solche Wörter zusammenkommen, gibt es eine festgelegte Reihenfolge.

  1. Fragepartikel li
  2. Hilfsverb: von biti, sein: sam, si, je, smo, ste, su; (bih, bi, bi, bismo, biste, bi*); von htjeti, wollen: ću, ćeš, će, ćemo, ćete, će;
  3. Personalpronomen des Dativs: mi, ti, mu/joj, nam, vam, im; si (reflexiv)
  4. Personalpronomen des Genitivs: me, te, ga/je, nas, vas, ih; se
  5. Personalpronomen des Akkusativs: me, te, ga/ju/je, nas, vas, ih; se
  6. Dritte Person Singular des Hilfsverbs biti: je*

* Diese Formen können auch nichtenklitisch verwendet werden, ohne das Erscheinungsbild zu ändern.

Beispielssätze:

Trećeg mu je dana došla i rekla...
Des dritten ihm ist Tages gekommen und gesagt...
Am dritten Tag kam sie zu ihm und sagte (ihm)...
Išao sam mu se žaliti.
gegangen bin ihm sich beschweren
Ich ging, mich bei ihm zu beschweren
Da li si ga se bojala?
Ob ? hast seiner sich gefürchtet
Hast du dich vor ihm gefürchtet?
Da li si nam ih reservirao
Ob ? hast uns(D) sie(A) reserviert
Hast du sie uns reserviert (z.B. die Sitzplätze)

Morphonologische Prozesse

Jotierung (jotacija)

Konsonant + j ergibt:

b -> blj uporaba, rabljen
c -> č
č -> č/čj riječ, riječju
d -> đ uraditi, urađen
g -> ž
h -> š suh, suši;
k -> č plakati, plačem
l -> lj mil, omiljen
m -> mlj lomiti, lomljiv
n -> nj kazniti, kažnjen
p -> plj zastupiti, zastupljen
r -> r zanemariti, zanemariv;
s -> s/š visok, više
t -> ć pratiti, praćenje
t -> št/šć obavijestiti, obavješćen/obavješten
v -> vlj krov, potkrovlje
z -> ž paziti, neopažen
ž -> ž

Flüchtiges a

kurzes a in der letzten Silbe ist fällt in den abgeleiten Formen aus, kommt aber im Genitiv Plural, wo es lang ist, wieder zum Vorschein. Bei einigen Wörtern, welche im Nomitativ Singular kein solches a haben, tritt es hier ebenfalls in Erscheinung:

NS pas - GS: psa - GPl pasa (Hund)
predak - pretka - predaka (Siehe auch #Assimilation) (Ahne)
momak - momka - momaka (Bursche)
mislilac - mislioca - mislilaca (Siehe Absatz #End-L) (Denker)

Flüchtiges a fehlt im Nominativ Singular.

NS: točka (f) - G-Pl točaka (Punkt)
primjedba (f) - G-Pl primjedbi/primjedaba (Siehe auch #Assimilation) (Anmerkung, Einwand)

Assimilation

Im Štokavischen werden Konsonantengruppen vom Wortende her assimiliert, sowohl in Bezug auf die Stimmhaftigkeit als auch auf die Palatalität. Treffen dadurch mehrere gleiche Konsonanten aufeinander, wird der Konsonant nur einfach geschrieben und ausgesprochen. Es gibt folgende Paare: Stimmhaftigkeit: b-p; d-t; dž-č; s-z; š-ž; g-k.

od + trčati -> otrčati
šest + deset -> šezdeset
pet + deset -> pedeset
iz + ključiti isključiti
iz + čekati -> iščekati
nad + tjecati -> natjecati
misl(iti) + -jen -> mišljen
raz- + praviti -> raspraviti
list + -je -> lišće

Wichtige Ausnahme ist das Wort mozak, welches von vorne nach hinten assimiliert wird:

mozak - mozga (Genitiv)

End-l

l im Auslaut eines Wortes oder einer Silbe ist in den meisten štokavischen Dialekten zu einem unbetonten o geworden. Dieser Prozess ist von den drei modernen Schriftsprachen beim Serbischen am stärksten ausgebildet: Hier tritt er sogar nach o auf, also sto statt stol (Tisch).

Wenn das ursprüngliche l durch Ableitungen wieder zwischen Vokalen zu liegen kommt, wird es in ein l zurückverwandelt. Beispiele:

dao (m), dala (f), dalo (n) - Partizip II von dati, geben: gegeben
N palac, G paoca - Daumen (zu beachten: hier kommt das l durch das Verschwinden des flüchtigen a in die Auslauts-Position)
N mislilac, G mislioca
N misao (f), G misli, I mišlju (Ein wunderbares Beispiel für das Zusammentreffen mehrerer Unregelmäßigkeiten: Ein Femininum auf Konsonant, flüchtiges a, Auslaut-l, Palatisierung einer Konsonantengruppe)