Büchersturm
Der Büchersturm
Eine Bücherzerstörung wurde während der Zürcher Reformation (Reformation und Gegenreformation in der Schweiz) 1525 durchgeführt, als die geistlichen Institute (Klöster und Stifte) aufgehoben und deren Buchbestand, besonders der liturgische, dezimiert wurde.
Vorgeschichte
Mit dem Amtsantritt von Huldrych Zwingli als Leutpriester am Chorherrenstift Grossmünster am 1. Januar 1519 beginnen in Zürich Reformen des geistlichen Lebens. Die Jahre der Gärung lenkt der Rat der Stadt mit sicherer Hand. Für das Schicksal der Bücher wichtig wird 1523 der Ausschluss der Mönche des Predigerklosters (Dominikaner) von der Seelsorge im Frauenkloster Oetenbach; im folgenden Jahr 1524 wird das Abendmahl reformiert, die Messe abgeschafft und werden die Bilder aus Kirchen und Klöstern entfernt, im Dezember 1524 die Klöster aufgehoben und ihr Besitz beschlagnahmt, Mönche und Nonnen zum Übertritt in den weltlichen Stand aufgefordert.
Die verbleibenden Mönche der drei Bettelordensklöster (der Prediger, der Augustiner-Eremiten und der Barfüsser) werden darauf mit dem Angebot lebenslänglichen Wohnrechts im Barfüsserkloster Zürich untergebracht, die Frauenklöster Oetenbach und St. Verena zur Kranken- und Armenpflege verpflichtet.
Durchführung
Mit dem Amtsantritt von Huldrych Zwingli als Leutpriester am Chorherrenstift Grossmünster am 1. Januar 1519 beginnen in Zürich Reformen des geistlichen Lebens. Die Jahre der Gärung lenkt der Rat der Stadt mit sicherer Hand.[1] Für das Schicksal der Bücher wichtig wird 1523 der Ausschluss der Mönche des Predigerklosters (Dominikaner) von der Seelsorge im Frauenkloster Oetenbach; im folgenden Jahr 1524 wird das Abendmahl reformiert, die Messe abgeschafft und werden die Bilder aus Kirchen und Klöstern entfernt, im Dezember 1524 die Klöster aufgehoben und ihr Besitz beschlagnahmt, Mönche und Nonnen zum Übertritt in den weltlichen Stand aufgefordert. Die verbleibenden Mönche der drei Bettelordensklöster (der Prediger, der Augustiner-Eremiten und der Barfüsser) werden darauf mit dem Angebot lebenslänglichen Wohnrechts im Barfüsserkloster Zürich untergebracht, die Frauenklöster Oetenbach und St. Verena zur Kranken- und Armenpflege verpflichtet.
Die Ratsbeschlüsse erwähnen die Bücher der geistlichen Institutionen mit keinem Wort. Anzunehmen ist, dass Bücher den ihrem Orden treu bleibenden Personen, die auswandern müssen, mitgegeben worden sind, wie anderes bewegliches Gut. Damit ergab sich eine Bücherzerstreuung, die heute mit sorgfältiger Forschung nur teilweise zurückverfolgt werden kann. In dieser Phase kommt es zur Abwanderung vor allem von wertvollen Einzelstücken und Gebetbüchern mit Buchmalerei.
Der Grossteil der geistlichen Bibliotheken Zürichs bleibt vorläufig an Ort und Stelle, wenn auch teilweise unbeaufsichtigt und unbehütet. Die eigentliche Bücherausscheidung geschieht zwischen dem 17. September und dem 7. Oktober 1525. Es gibt mehrere Augenzeugenberichte.
So werden am 17. September auf Ratsbeschluss die Chorgesangbücher aus dem Grossmünster entfernt und weggeschlossen, mit dem Ziel, die Liturgie (Messfeier und Tagzeiten) zu verunmöglichen. In den folgenden Tagen werden auch die Bücher aus den andern Kirchen und Klöstern entfernt. Eine Kommission, bestehend aus Ulrich Zwingli, Leo Jud (Pfarrer zu St. Peter Zürich) und Heinrich Brennwald (Propst des Stiftes Embrach, dann Obmann der Almosen in Zürich), scheidet die liturgischen Bücher als „unnütz“ aus. Der Chronist und Augenzeuge Gerold Edlibach, selber kein Anhänger der Reformation, berichtet:[2] «dero was ein grosser huff, die alle verkouft, zurrissen und zurzerrt wurden und keins gantz bleib» (davon gab es einen grossen Haufen, die alle verkauft, zerrissen und zerzerrt worden sind und keines ganz geblieben ist). Das Zertrennen der Chorgesangbücher bezweckte, ihre weitere Verwendung in der Liturgie auch anderwärts zu verhindern.
Kein Zweifel, dass 1525 der grösste Teil des liturgischen Buchbesitzes und ein unbestimmbarer Teil der übrigen kirchlichen Bücher in Stadt und Landschaft Zürich zerstreut oder vernichtet worden sind. Pergamentblätter wurden von Apothekern und Krämern zu Pulvertüten gebraucht, von den Goldschmieden zur Herstellung von Blattgold, und damit zerstört. Was den Buchbindern verkauft wurde, ist zwar als Fragmente teilweise noch in Bucheinbänden vorhanden, aber zerstreut in Bibliotheken in nah und fern.[3] Noch 1538 kauft ein ungenannter Buchdrucker in Zürich „zerzeerte permentne Gsangbücher“ als Rohmaterial.
Der Gelehrte Conrad Pellikan (1478-1556) hat die verbliebenen kirchlichen Buchbestände seit 1531 im Grossmünster gesammelt. Mit der von Ulrich Zwingli nach seinem Tod 1531 hinterlassenen Privatbibliothek, die das Stift der Witwe abgekauft hat, hat Pellikan die reformierte Stiftsbibliothek errichtet und hat deren Buchbestand in Buchform katalogisiert. Darauf gestützt, konnte der damalige Buchbestand (Handschriften, Inkunabeln und alte Drucke) zum grössten Teil (74%) in den Beständen der Zentralbibliothek Zürich aufgefunden und identifiziert werden.[4] Daraus ergibt sich, dass die Buchzerstörung hauptsächlich liturgische Bücher betroffen hat.
- ↑ Eine gute Übersicht über die Vorgänge der Zürcher Reformation gibt Gottfried Wilhelm Locher: Zwingli und die schweizerische Reformation; Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982 (Die Kirche in ihrer Geschichte, Band 3 Lieferung J 1) ISBN 3-525-52333-5
- ↑ Gerold Edlibach: Aufzeichnungen über die Zürcher Reformation 1520-1526, Autograph in der Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Ms. L 104; Textedition von Peter Jezler in: Bilderstreit, Kulturwandel in Zwinglis Reformation; Hrsg. Hans-Dietrich Altendorf, Peter Jezler; Theologischer Verlag, Zürich 1984, ISBN 3-290-11555-0, S. 45-74, Zitat S. 65.
- ↑ Anna Maria Stützle-Dobrowolska: Was uns Makulatureinbände über die Bücherschätze des vorreformatorischen Grossmünsterstifts überliefern; in: Zürcher Taschenbuch 2014, Zürich 2013, S. 57-100, ill.
- ↑ Martin Germann: Die reformierte Stiftsbibliothek am Grossmünster Zürich im 16. Jahrhundert und die Anfänge der neuzeitlichen Bibliographie: Rekonstruktion des Buchbestandes und seiner Herkunft, der Bücheraufstellung und des Bibliotheksraumes, mit Edition des Bibliothekskataloges von 1532/1551 von Conrad Pellikan; Harrassowitz, Wiesbaden 1994 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen; 34), ISBN 3-447-03482-3, S. 103-108.