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Hyperbare Oxygenierung

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Definition

Die hyperbare Oxygenierung (HBO) oder hyperbare Sauerstofftherapie beschreibt eine Therapieform, bei der Sauerstoff (zumeist 100%iger Anteil in der Einatemluft) unter einem erhöhten Umgebungsdruck (der Luftdruck ist höher als der normale Atmosphärendruck) für definierte Zeiträume und Intervalle einem Patienten systemisch (hier: durch Einatmung zur Anwendung kommt.

Durchführung


Der erhöhte Umgebungsdruck (Überdruck) wird dabei typischerweise durch eine Druckkammer etabliert. Es werden prinzipiell unterschieden:

  1. Einpersonendruckkammer: in diesen besteht die "Kammerluft" zugleich aus dem Atemgas (typischerweise hier 100% Sauerstoff)
  2. Mehrpersonendruckkammer: in diesen besteht die "Kammerluft" nicht aus dem Atemgas. Dieses muß über separate Atmungssysteme zugeführt werden.


Die systemische Zufuhr von Sauerstoff kann auf mehrere Weisen realisiert werden:

  1. Atmung über eine Gesichtsmaske
  2. Atmung über ein sogenanntes Kopfzelt
  3. Atmung über einen Tubus (Endotrachealtubus, Pharyngealtubus).


Die Durchführung einer Hyperbaren Sauerstofftherapie ist somit auch bei maschinell beatmeten Patienten möglich. Hierzu sind allerdings speziell zertifizierte Beatmungsgeräte erforderlich.

Prinzip

Physikalische Grundsätze

Mehrere physikalische Prinzipien liegen der Etablierung ("Erfindung" und Anwendung hyperbaren Sauerstofftherapie zu grunde:

Druck-Volumenbeziehung
Dieses richtet sich nach dem Gesetz von Boyle-Mariotte. Dieses Gesetz besagt im Kernsatz, daß sich bei zunehmendem Druck das Volumen (Rauminhalt) eines Gases verkleinert. Oder: bei abnehmenden Druck vergrößert sich das Volumen (Rauminhalt). Umgekehrt gilt auch, daß bei zunehmenden Volumen der Druck abnimmt, oder bei abnehmenden Volumen der Druck zunimmt.
Beispiel:
Ein Luftballon enthält an der Meeresoberfläche 1 Liter Luft. Bringt man diesen Luftballon in eine Wassertiefe von 10 Metern, so enthält der gleiche Ballon ohne Zufuhr oder Abfuhr von Luft lediglich noch 250 Milliliter (0,25 Liter) Luft. Der Umgebungsdruck ist gleichzeitig von ca. 1,0 bar (Meeresoberfläche) auf 2,0 bar (ca. 10 Meter Wassertiefe) angestiegen.
Partialdruck-Prinzip
Dieses Prinzip richtet sich nach dem Gesetz über die Partialdrücke von Dalton). Dalton stellte fest, daß der Gesamtdruck eines Gasgemisches wie beispielsweise der normalen Atmosphärenluft der Erde sich zusammensetzt aus den Partialdrücken der einzelnen Gase des Gemisches.
Beispiel:
In der Atmosphärenluft befinden sich ca. 78% Stickstoff, ca. 21% Sauerstoff und ca. 1% Edelgase, Kohlendioxid und andere Gase. Die Atmospähre hat an der Meeresoberfläche einen Druck von ca. 1,0 bar. Der Atmosphärendruck von 1,0 bar setzt sich nach dem Gesetz von Dalton daher zusammen aus:
ca. 78% Stickstoff = ca. 0,78 bar Partialdruck des Stickstoffs
ca. 21% Sauerstoff = ca. 0,21 bar Partialdruck des Sauerstoffs
ca. 1% restliche Gase = ca. 0,1 bar Partialdruck der restlichen Gase
Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten Prinzip
Dieses Prinzip beruht auf der durch das physikalische Gesetz von Henry von der Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten. Dabei nimmt die Menge des in einer Flüssigkeit gelösten Gases im proportionalen Ausmaß mit dem auf der Flüssigkeit lastenden Druck zu. Konkretisiert bedeutet dies, daß man um so mehr Gas in eine Flüssigkeit "drücken" kann, je stärker man "drückt".
Beispiel:
Ein sehr gutes und anschauliches Beispiel ist die Flaschenabfüllung von Mineralwasser mit Kohlensäure. Dabei wird entsprechend des Gesetzes von Henry unter Überdruck Kohlendioxid dem Wasser zugeführt. Und (nach Henry) auch vermehrt im Wasser gelöst. Wird beim Öffnen der Flasche der Druck vermindert, entweicht Kohlendioxid und das im Wasser unter Überdruck gelöste Kohlendioxid perlt als Sprudel aus. Die Löslichkeit des Kohlendioxids sinkt im Wasser mit der Minderung des Drucks durch Öffnung.

Übertragung auf Lebewesen

Da Blut im wesentlichen einer Flüssigkeit entspricht (passendere Analogie wäre Erbsensuppe), gelten die zuvor genannten Grundsätze auch dann, wenn Blut einem höherem Umgebungsdruck ausgesetzt wird. Und wenn das Blut 100% Sauerstoff ausgesetzt wird. Genau dies geschieht im Rahmen der Hyperbaren Sauerstofftherapie. Durch die Erhöhung des Umgebungsdrucks in einer Druckkammer wird der darin befindliche Patient einem erhöhten Umgebungsdruck ausgesetzt, inklusive seines Blutes. Entsprechend dem Partialdruck-Prinzip ist bei Atmung von normaler Luft mit ca. 21% Sauerstoff nur 21% des erhöhten Umgebungsdrucks auf den Sauerstoff zurückzuführen. Wird der Anteil (wie bei der Hyperbaren Sauerstofftherapie üblich) des Sauerstoff auf 100% erhöht, so steigt der durch den Sauerstoff bedingte Partialdruck auf 100% des Gesamtdrucks. Als Summeneffekt wird der Sauerstoffpartialdruck, welcher der Gradmesser der Sauerstoffversorgung im Blut ist, erhöht. Und: die Erhöhung findet nicht ihre Grenzen in der Löslichkeit von Sauerstoff unter Normaldruckbedingungen.

Sauerstoff wird normalerweise durch die roten Blutkörperchen des Menschen transportiert (genauer: durch das in diesen enthaltene Hämoglobin). Die limitierte Anzahl der roten Blutkörperchen begrenzt dabei die Sauerstofftransportkapazität: es kann nicht mehr Sauerstoff transportiert werden, wenn nicht die Menge an roten Blutkörperchen erhöht wird (siehe Blutdoping). Es ist möglich durch die Zufuhr von 100% Sauerstoff mehr Sauerstoff im Blut zu transportieren als bei Atmung normaler Luft mit 21% Sauerstoff. Da die roten Blutkörperchen bzw. das Hämoglobin bereits bei 21% Sauerstoff zu 95-100% ausgelastet bzw. gesättigt sind (Sauerstoffsättigung), ist eine Steigerung über das Hämoglobin nur wenig möglich. Die verbleibende Steigerung muß über eine Lösung von Sauerstoff in der Blutflüssigkeit (Plasma bzw. Serum) erfolgen. Durch Anhebung des Sauerstoffanteils in der Luft von 21 auf 100% (ca. 5-fache) wird der Sauerstoffpartialdruck ebenfalls deutlich erhöht. Bezogen auf den gesamten Sauerstoffgehalt im Blut ist der Steigerungseffekt jedoch nicht groß:
Beispiel:

Sauerstoffpartialdruck Lunge bei 21% Sauerstoff (normale Luft) 150 mmHg
Sauerstoffpartialdruck Lunge bei 100% Sauerstoff 713 mmHg
Sauerstoffgehalt arterielles Blut bei 100% Sauerstoff und Hämoglobinkonzentration von 15 g/dL 22,4 mL/dL
 - davon chemisch gebunden an Hämoglobin 20,3 mL/dL
 - davon physikalisch gelöst im Serum/Plasma 2,1 mL/dL


ist allerdings begrenzt. Bei Gesunden ist das Hämoglobin im arteriellen Schenkel unter Normaldruckbedingungen zu 96 - 98% mit Sauerstoff gesättigt. Eine signifikante Steigerung der Sauerstoffaufnahme des Körpers ist über die chemische Bindung an das Hämoglobin nicht zu erreichen. Bei der Sauerstoffatmung unter Überdruck wird das Hämoglobin als Transportmedium umgangen und der Sauerstoff vermehrt physikalisch im Blut gelöst.

Der Amsterdamer Chirurg Boerema veröffentlichte 1961 sein berühmtes Werk „Life without blood“. Er entfernte bei Versuchstieren die Erythrozyten als Sauerstoffträger und füllte das Volumen mit Plasmaexpander auf. Es zeigte sich, daß die Tiere trotz des erythrozytenfreien Blutes unter hyperbaren Bedingungen einzig und allein aufgrund des physikalisch gelösten Sauerstoffanteils überlebten.

Wirkungen

Die Wirkungen (uach Nebenwirkungen) können in unmittelbare und mittelbare unterschieden werden.



zielt darauf ab, mittels extrem hoher Sauerstoffpartialdrücke (ca. 300kPa) in einer Druckkammer und gleichzeitiger Inhalation (über eine Maske) von 100%igem Sauerstoff durch Diffusionseffekte den Partialdruck im infizierten Gewebe zu erhöhen. 

Damit erhofft man sich einen Behandlungserfolg durch drei Mechanismen:

  • Entzug der Lebensgrundlage für anaerobe Keime, die nur in sauerstoffarmer Umgebung wachsen können
  • Stimulation von neutrophilen Granulozyten im infizierten Gewebe, um die Wundheilung zu beschleunigen
  • Gefäßinduktion im infizierten Gewebe, um die Wundheilung zu fördern und nachhaltig das Sauerstoffangebot in der Wunde zu steigern

Anwendung

Die hyperbare Oxygenierung findet ihre Anwendung sowohl bei Osteomyelitis als auch bei begründetem Gasbrandverdacht (oft kann wegen des hochakuten Verlaufes der Krankheit nicht auf die Resultate der mikrobiologischen Tests gewartet werden) Bei eingetretenem Schock kommt die hyperbare Oxygenierung zu spät. Die Hyperbare Oxygenierung findet auch Anwendung bei späten Hautreaktionen nach einer Bestrahlungstherapie.

Gefahren

Die seltenen Gefahren der Anwendung sind:

  • Sauerstoff-Intoxikation (erkennbar am Thoraxschmerz)
  • Nausea und Sehbeschwerden
  • Barotrauma
  • Unfallrisiken während der Behandlung durch Brandgefahr in der Druckkammer wegen des erhöhten Sauerstoffpartialdruck