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Alexandriner

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Der Alexandriner ist ein jambisches Versmaß mit sechs Versfüßen (sechshebiger Jambus) oder, anders gesagt, mit zwölf und (beim weiblichen Versausgang) dreizehn Silben. Nach der dritten Hebung weist er meistens eine Zäsur auf. Er trägt einen festen Akzent auf der sechsten und zwölften Silbe. Man unterscheidet zwischen heroischem Alexandriner (Paarreim) und elegischem Alexandriner (andere Reimstellung).

Ein Beispiel für letzteren (aus: Andreas Gryphius, Es ist alles eitel):

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein,
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Das Versmaß wurde in Frankreich gegen Ende des elften Jahrhunderts entwickelt. Seinen Namen erhielt der Alexandriner von seiner Verwendung in den Alexanderromanen (Li romans d’Alexandre, 12.Jahrhundert). Auf Französisch heißt er alexandrin, auf Englisch alexandrine. Manchmal wird auch der Name jambischer Hexameter gebraucht, doch dies führt zu Verwechslungen mit dem eigentlichen (daktylischen) Hexameter.

Der Alexandriner in der französischen Literatur

Der Alexandriner entwickelte sich in der französischen Dichtung seit der Renaissance zur vorherrschenden Versform. Er wird in der Lyrik, im Epos und der dramatischen Dichtung verwendet. Die Versdramen der großen Klassiker (Corneille, Racine, Molière) sind ausnahmslos in Alexandrinern geschrieben.

In der Lyrik bleibt der Alexandriner bis zum Ende des 19. Jahrhunderts üblich (Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud, Stéphane Mallarmé). Seine Dominanz nimmt erst ab im 20. Jahrhundert, als strenge metrische Bindungen sich aufzulösen beginnen (Jules Supervielle).

Dadurch, dass die Basis des französischen Versmaßes nicht die Zahl der Versfüße, sondern die Silbenzahl ist, wird der Rhythmus im Französischen viel abwechslungsreicher. Jeder Vers schließt schon aus sprachlichen Gründen mit einem Akzent am Ende - anders als im Italienischen oder Spanischen, wo auch weibliche Endungen vorkommen können. Für deutsche Ohren klingt der französische Alexandriner deshalb in jeder Vershälfte so ähnlich wie drei aufeinanderfolgende Jamben, oder wie zwei Anapäste:

Exilé sur le sol / au milieu des huées, (Anapäste)
Ses ailes de géant / l'empêchent de marcher. (Jamben)
(Charles Baudelaire: L'Albatros)

Eine andere Form des Alexandriners ist der dreimal in vier Silben aufgeteilte "romantische Trimeter":

Ici l'on fume, ici l'on chante, ici l'on dort.
(Paul Verlaine, L´auberge (1868), Jadis et Naguère)

Außerdem besteht noch die Möglichkeit, die typische Zäsur in der Mitte ganz aufzuheben:

Aussitôt et sans cré / puscule liminaire
La nuit, du fond du ciel, se pose sur les yeux.
(Jules Supervielle: A la nuit, Œuvres poétiques complètes, p. 475)

Die rhythmischen Variationsmöglichkeiten dieses Verses werden in dem Artikel der französischen Wikipedia ausführlich besprochen.

Ein modernes (1961) Beispiel für Alexandriner sind die Cent Mille Milliards de Poèmes von Raymond Queneau.

Der Alexandriner in der deutschen Literatur

Aus der französischen Renaissancedichtung dringt der Alexandriner im 16. Jahrhundert nach Deutschland vor. In der von Martin Opitz bestimmten Form wird er in der Dichtung des Barock, vor allem in dem barocken Sonett, zur beherrschenden Versform. Andreas Gryphius benutzt ihn mit großer Meisterschaft in seinen Sonetten, aber zum Teil auch in den dramatischen Dichtungen.

Der Alexandriner eignet sich in besonderer Weise zum Ausdruck prägnanter, sich in Antithesen und Gegensätzen bewegender Gedanken, zum Beispiel auch in Sinnsprüchen. Angelus Silesius verwendet ihn ausschließlich in Der cherubinische Wandersmann. Ein Beispiel:

Blüh auf, gefrorner Christ, der Mai ist vor der Tür:
Du bleibest ewig tot, blühst du nicht jetzt und hier.

Auch in der Dichtung der Aufklärung und der Anakreontik erscheint der Alexandriner als eine passende Form. Goethe verfasst seine frühen Komödien in diesem Versmass, ebenso seine Übersetzung von Voltaires Mahomet. Anlässlich der Aufführung dieses Dramas schreibt ihm Schiller:

„Die Eigenschaft des Alexandriners, sich in zwei gleiche Hälften zu trennen, und die Natur des Reims, aus zwei Alexandrinern ein Couplet zu machen, bestimmen nicht bloß die ganze Sprache, sie bestimmen auch den inneren Geist dieser Stücke, die Charaktere, die Gesinnung, das Betragen der Personen. Alles stellt sich dadurch unter die Regel des Gegensatzes, und wie die Geige des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet, so auch die zweischenklige Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüts und der Gedanken. Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert und jedes Gefühl, jeder Gedanke in dieser Form wie in das Bette des Prokrustes gezwängt.“

In der Epoche des Sturm und Drang und unter dem Einfluss der KritikLessings am französischen Theater war das Gekünstelte des Alexandriners besonders augenfällig geworden. Er wurde für die dramatische Dichtung der Klassik und die Zeit danach durch den aus England kommenden natürlicheren, freieren und dynamischeren Blankvers ersetzt.

Der Alexandriner in der englischen Dichtung

In die spanische und italienische Literatur, wo der jambische Pentameter vorherrscht, findet der Alexandriner keinen Eingang.

Auch in der englischen Literatur spielt der Alexandriner eher eine geringe Rolle. Michael Drayton benutzt ihn für sein umfangreiches Werk, Poly-Olbion (1613 –1622) und Chapman für die Übersetzung von Homers Ilias (1611). Aber für die Übersetzung der Odyssee (1614-15) wechselte er über zu dem flexibleren heroic couplet (einem reimenden jambischen Pentameter).

Der Alexandriner tritt manchmal zur Erzielung einer besonderen Wirkung in Verbindung mit einem jambischen Pentameter auf. Edmund Spenser benutzt ihn z. B. in dem Versepos Fairie Queene (1589 –1596) als abschließenden Vers in der Spenserstrophe (Spenserian stanza), wodurch er der Strophe einen getragenen und feierlichen Ausklang verleiht.

In seinem Essay on Criticism (1711) spottet Alexander Pope:

A needless Alexandrine ends the song,
That, like| a wound|ed snake, |drags its| slow length| along.