Koloman Wallisch

Koloman Wallisch, ungarin Wallisch Kálmán, (* 28. Februar 1889 in Lugos (deutsch Lugosch), Königreich Ungarn, Österreich-Ungarn; † 19. Februar 1934 in Leoben) war ein österreichischer sozialdemokratischer Arbeiterführer.
Leben
Koloman Wallisch wurde als Sohn einer Familie Banater Schwaben im ungarischen Teil der Habsburgermonarchie geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters musste er die Volksschule verlassen und begann als 11-jähriger eine Maurerlehre. Im Jahr 1905 trat er in die Gewerkschaft ein und engagierte sich in der ungarischen sozialdemokratischen Partei (Szociáldemokrata Párt, SZDP). Wie damals üblich, ging er nach der Abschluss seiner Lehre als Wandergeselle auf Wanderschaft, die ihn in den österreichischen Teil der Monarchie und nach Deutschland führte. 1910 wurde er als 21-jähriger zum dreijährigen Militärdienst eingezogen. In dieser Zeit lernte er auch seine spätere Frau Paula Wallisch kennen. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde er erneut eingezogen und diente in der k.u.k. Armee. Zunächst in Szeged im Banat stationiert, wurde er später an der russischen Front in Galizien und danach an der italienischen Front eingesetzt. Schon in seiner Jugend der Arbeiterbewegung angehörend, machte ihn das Fronterlebnis endgültig zum engagierten Sozialdemokraten.
Ungarische Räterepublik
Als sich die Armee im November 1918 chaotisch auflöste und die ungarischen Regimenter die Front verließen, kehrte er ins Banat zurück. Das Königreich Ungarn befand sich im Zusammenbruch und Wallisch begann sofort nach seiner Ankunft in Szeged die sozialdemokratischen Vertrauensleute zu organisieren. Eine Streikwelle, Antikriegsdemonstrationen und Landbesetzungen erschütterten das Land. In Budapest bildete sich zunächst eine bürgerlich-liberale Regierung unter Mihály Károlyi, die auch die Unterstützung der Sozialdemokraten hatte, während das Banat von französischen Truppen zusammen mit ihren serbischen und rumänischen Verbündeten besetzt wurde. Im multiethnischen Banat war das sozialistische, internationalistische Modell eine attraktive Alternative zum Nationalismus, der eine Teilung des Banats entlang ethnischer Grenzen forderte. Wallisch organisierte dort einen Arbeiterrat und knüpfte entgegen der sozialdemokratischen Parteilinie Kontakte zu lokalen Vertretern der ungarischen Kommunisten unter János Udvardi.
Im März 1919 stürzte die bürgerliche Regierung Károlyi in Budapest. Unzufrieden mit der katastrophalen Versorgungslage hatten die Gewerkschaften einen Generalstreik ausgerufen und zwangen die Sozialdemokraten, ihre Unterstützung dieser Regierung aufzugeben. Der linke Flügel der Partei übernahm nun die Macht und konnte eine Zusammenarbeit mit der erst im November 1918 gegründeten, aber rasant wachsenden Kommunistischen Partei (KMP) durchsetzen. Am 21. März 1919 wurde in Budapest die Ungarische Räterepublik ausgerufen unter der faktischen Führung von Béla Kun. Diese hatte jedoch nur militärische Verfügungsgewalt in Kernungarn, während das Banat unter Besatzung der Entente stand. Deshalb bildeten linke Sozialdemokraten und Kommunisten in Szeged ein eigenes Revolutionäres Exekutivkomitee (REK). Wallisch, einer der führenden Funktionäre der lokalen linken Sozialdemokraten, wurde dabei von den in der Stadt befindlichen Soldaten unterstützt. Es wurde eine Rote Armee gegründet und in der Stadt die Diktatur des Proletariats ausgerufen, die auch vom verbliebenen ungarischen Behördenapparat und zahlreichen Vereinen unterstützt wurde. Unter den Augen der schwachen französischen Besatzungsmacht sollten nun radikale sozialistische Reformen nach dem Vorbild der russischen Bolschewiki umgesetzt werden. Am 23. März beschloss das REK als erste auch von Wallisch unterzeichnete Maßnahme eine genaue Auflistung aller Vorräte an Lebensmitteln und Kleidung aller Haushalte und Geschäfte, um eine gerechte Verteilung unter der notleidenden Bevölkerung zu gewährleisten. Daneben wurden zahlreiche Großbetriebe enteignet und in das Eigentum der Stadtgemeinde überführt. Am 25. März wurde ein Erlass über die Pflichtversicherung der Arbeiter verabschiedet sowie begonnen, den Unterricht in den Schulen nach sozialistischen Grundsätzen umzugestalten. Ferner wurden die Landbesitzer aufgefordert, ihre Äcker zu bestellen, andernfalls würden diese enteignet. Um diese Maßnahmen durchzusetzen, wurde eine Hilfspolizei aus Gewerkschaftern und Soldaten aufgestellt, die „Volkswache“ oder „Rote Wache“.
Dies ging der französischen Besatzungsmacht zu weit und sie stellte dem REK am 26. März ein Ultimatum. Am folgenden Tag marschierte die französische Armee ein und die auf Grund der Abrüstungsbestimmungen nur leicht bewaffneten ungarischen Revolutionäre mussten sich ergeben. Die fünftägige Kommune von Szeged war damit beendet. Wallisch floh mit zahlreichen Getreuen aus der Stadt ins nordwestlich gelegene Kiskunfélegyháza, das außerhalb des Besatzungsgebietes lag. Von dort aus wollten sie die weitere, nur noch im Untergrund mögliche Arbeit in Szegedin und Umgebung organisieren. Wallisch wurde nun zum Kontaktmann zwischen dieser Banater Exilgruppe und der Räteregierung in Budapest. Er wurde auch in ein revolutionäres Gerichtstribunal gewählt, das unter seinem Vorsitz am 2. April fünf Angeklagte wegen konterrevolutionärer Aktivitäten verurteilte, einen davon zum Tode. Alle Verurteilten wurden jedoch wenig später begnadigt. Am 10. Juni wurde Wallisch in das Präsidium des lokalen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates gewählt. Eine Landreform wurde diskutiert, aber mit Rücksicht auf die bereits fortgeschrittene Anbauperiode auf später verschoben. Ebenfalls im Juni 1919 nahm Wallisch als Delegierter in Budapest am Rätekongress der nun vereinigten Arbeiterpartei teil. Dort vertrat er in einem Referat die Position der Dritten Internationale, befürwortete die Vereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten und meinte: „Was den Namen betrifft, bin ich der Ansicht, dass wir aufrichtig sein und offen sagen sollen, was wir sind: Kommunisten.“[1]
Die ungarische Räterepublik sah sich im Sommer 1919 jedoch wachsendem Druck der Nachbarländer ausgesetzt, die unter Duldung der Entente eigene Gebietsansprüche durchsetzen wollten. Um dem entgegenzuwirken, versuchte die Szegediner Exilgruppe im Banat einen Generalstreik gegen die Konterrevolution und die französische Besatzungsmacht zu organisieren. Szeged war in der Zwischenzeit jedoch zu einem Sammelpunkt rechter ungarischer Kräfte geworden; der frühere Admiral Miklós Horthy hatte hier eine konservative Gegenregierung gebildet. Als nun im August 1919 tschechoslowakische und rumänische Truppen immer weiter vorrückten und schließlich Budapest einnehmen konnten (Ungarisch-Rumänischer Krieg), zerbrach die Räterepublik. Der rechte Flügel der Sozialdemokraten verließ die zwangsvereinigte Arbeiterpartei und versöhnte sich mit den bürgerlichen Kräfte.
Exil in Österreich
Wegen des nun einsetzenden Weißen Terrors mussten die Funktionäre der Räterepublik ins Ausland fliehen. Koloman Wallisch ging zunächst nach Maribor in Jugoslawien. Nachdem er dort versucht hatte, Streiks zu organisieren, wurde er nach Österreich ausgewiesen.[2] Dort landete Wallisch in der Steiermark und war in der Folge Parteisekretär und Gemeinderat in Bruck an der Mur, Landesparteisekretär der SDAP, steirischer Landtagsabgeordneter und von 1930 bis 1934 Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat.
Nach dem Justizpalastbrand riefen die Sozialdemokraten österreichweit zu einem eintägigen Generalstreik auf und versetzten den Schutzbund in Alarmbereitschaft. In Bruck an der Mur ging Wallisch noch einen wesentlichen Schritt weiter: Er übernahm mit einem „Arbeiter-Exekutiv-Ausschuss“ die Macht, untersagte jede Vereins- und Versammlungstätigkeit wie auch jene der bürgerlichen Parteien und ließ die Verkehrswege nach Graz und Wien sperren. Wallisch wird in diesem Zusammenhang mit den Worten zitiert: „Für Arbeiterblut, das fließt, wird vielfach Bürgerblut in Bruck fließen“.[3] Nach einem Ultimatum des Steirischen Heimatschutzes bzw. seines Führers Walter Pfrimer, der mit einem gewaltsamen Vorgehen gegen Bruck an der Mur drohte, verständigten sich die Sozialdemokraten mit Landeshauptmann Hans Paul auf ein geordnetes Ende des Streiks.[4] Wallischs eigenmächtiges Vorgehen wurde auch innerparteilich kritisch gesehen: Der Abgeordnete Norbert Horvatek räumte im Nationalrat „Ungeschicklichkeiten, die der Herr Wallisch begangen hat“ ein und sprach von Vorgängen, „die sicherlich nicht in jeder Hinsicht für richtig befunden werden können“. Horvatek betonte aber, es sei während der gesamten Aktion in Bruck „keinem Menschen auch nur ein Haar gekrümmt“ worden. Der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Reinhard Machold sprach von einer „Dummheit“ Wallischs.[5]
Februar 1934
Bei einem Generalstreik der Arbeiter im Zuge der Februarkämpfe im Februar 1934 wurde der zu diesem Zeitpunkt in Graz wohnhafte Wallisch nach Bruck an der Mur gerufen, um dort die Führung des Republikanischen Schutzbundes zu übernehmen, der zeitweise die Kontrolle über die Stadt übernehmen konnte. Einem Bericht der Bundesgendarmerie ist Folgendes zu entnehmen: „Die Seele des Aufruhrs in Bruck war der bekannte Brucker Gemeinderat, Landtagsabgeordnete und spätere Nationalrat Koloman Wallisch, der im Laufe des Vormittags des 12. Februar mit einem Kraftwagen in Bruck eingetroffen ist.“
Als das Bundesheer anrückte, musste sich Wallisch mit 320 Schutzbundangehörigen in die nahe gelegenen Berge zurückziehen. Da auf ihn ein Kopfgeld in Höhe von 5.000 Schilling ausgesetzt war, wurde er erkannt und am 18. Februar 1934 auf der Flucht mit dem Auto von Leoben nach Admont gefangen genommen.
Bereits am gleichen Tag wurde Wallisch in Leoben verhört, vor ein Standgericht gestellt und zum Tode durch Hängen verurteilt; das Urteil wurde am 19. Februar im Hof des Kreisgerichtes Leoben durch den Scharfrichter Johann Lang am Würgegalgen vollstreckt. Wallisch wurde in einem anonymen Grab auf dem Leobener Zentralfriedhof begraben, trotz aller Versuche der Geheimhaltung aber entwickelte sich das Grab Wallischs zu einer regelrechten Pilgerstätte. Die Exekutivorgane hatten alle Mühe, täglich die nächtens gebrachten Blumen, Kerzen und Botschaften zu entfernen. Zu Ostern musste sogar der Friedhof abgeriegelt werden, da eine Demonstration der Arbeiterschaft befürchtet wurde.[6]
Zum Gedenken an Wallisch wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in den obersteirischen Städten Bruck an der Mur, Kapfenberg und Leoben (2007) Plätze in "Koloman-Wallisch-Platz" umbenannt.
Rezeption in der Literatur
Anna Seghers schrieb 1934 die Erzählung Der letzte Weg des Koloman Wallisch.[7]
Bertolt Brecht verfasste über den Abgeordneten des österreichischen Nationalrates die "Koloman Wallisch-Kantate",[8] ein Auszug daraus:
„Im Februar vierunddreißig
Der Menschlichkeit zum Hohn
Hängten sie den Kämpfer
Gegen Hunger und Fron
Koloman Wallisch
Zimmermannssohn.“
Einzelnachweise
- ↑ KPÖ Steiermark: Koloman Wallisch in der ungarischen Räterepublik
- ↑ parlament.gv.at
- ↑ Alexander Haas: Die vergessene Bauernpartei. Der Steirische Landbund und sein Einfluß auf die österreichische Politik 1918–1934. Leopold Stocker Verlag, Graz/ Stuttgart 2000 (zugl. Univ. Diss. Graz) ISBN 3-7020-0885-3, S. 216.
- ↑ Bruce F. Pauley: Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Steirischer Heimatschutz und österreichischer Nationalsozialismus 1918–1934. Europa Verlag, Wien/ München/ Zürich 1972, ISBN 3-203-50383-2, S. 49f.
- ↑ ÖNB-ALEX: Stenographisches Protokoll des Österreichischen Nationalrates, III. GP, 8. Sitzung, 26. Juli 1927, S. 216f.
- ↑ http://www.oapen.org/download?type=document&docid=437193
- ↑ Anna Seghers, Der letzte Weg des Koloman Wallisch, in: ebd., Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Band 9. Erzählungen 1926-1944, Aufbau Verlag, Berlin 1977; Ernst Hackl, Evelyne Polt-Heinzl (Hg.), Im Kältefieber - Februargeschichten 1934, Picus Verlag Wien 2014, S.203-217
- ↑ luettgerding.net
Weblinks
- Literatur von und über Koloman Wallisch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Eintrag zu Koloman Wallisch im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
- Koloman Wallisch auf der Website des österreichischen Parlaments
- Verfilmung von 1983
Personendaten | |
---|---|
NAME | Wallisch, Koloman |
ALTERNATIVNAMEN | Wallisch, Kálmán |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer sozialdemokratischer Arbeiterführer, Landtagsabgeordneter, Abgeordneter zum Nationalrat |
GEBURTSDATUM | 28. Februar 1889 |
STERBEDATUM | 19. Februar 1934 |
STERBEORT | Leoben, Österreich |
- Abgeordneter zum Nationalrat (Österreich)
- Landtagsabgeordneter (Steiermark)
- SPÖ-Mitglied
- Widerstand gegen den Austrofaschismus
- Opfer des Austrofaschismus
- Hingerichtete Person (Österreich in der Zwischenkriegszeit)
- Person im Ersten Weltkrieg (Österreich-Ungarn)
- Banater Schwabe (Rumänisches Banat)
- Person (Transleithanien)
- Österreicher
- Geboren 1889
- Gestorben 1934
- Mann