Fiasko (Stanisław Lem)
Das Werk Fiasko von 1986 zählt zu den realen, nicht märchenhaften Science Fiction Romanen von Stanisław Lem, in dem er versucht, ein mögliches Szenario einer wissenschaftlich weit fortgeschrittenen Zukunft der Menschheit zu schildern. Fiasko ist ein groß angelegter Roman, ein Spätwerk des Autors, mit einem Handlungsstrang, der mehrmals von kleinen farbenreichen Erzählungen, Rückblicken und wissenschaftlichen Essays, unterbrochen wird.
Handlung
Die Hauptgeschichte unterteilt sich zeitlich in zwei Abschnitte.
Der erste spielt in nicht allzu ferner Zukunft, als die Menschen erste noch unfertige Raketenlandeplätze und Versorgungseinrichtungen auf dem Saturnmond Titan errichten. Das tektonisch äußerst komplexe Gebiet zwischen den Stationen wird zur Falle für einige Angehörige, die mit Großschreitern den Weg zur Nachbarstation versuchten. Darunter auch die in Lems Kurzgeschichten bekannte Figur des Piloten Pirx. Bei einem anschließenden Rettungsversuch wird auch die Erzählperson des Romans, der Pilot Angus Parvis, mit seinem Großschreiter Opfer des tückischen Geländes. Als er die Aussichtslosigkeit seiner Situation erkennt, entscheidet er sich für den Tod durch die Vitrifizierung, in der vagen Hoffnung von einer späteren Generation mit weiterentwickelten medizinischen Fähigkeiten wiedererweckt werden zu können.
Der zweite Teil des Romans findet nun in dieser futuristischen Welt der in Physik, Raumfahrt und Medizin weit fortgeschrittenen Menschheit statt, die tatsächlich in der Lage ist, die in den Großschreitern ums Leben gekommenen Menschen, zumindest in einer Person wiederzubeleben. Die Menschheit der Zukunft hat ein enormes technologisches Potenzial erreicht und befindet sich gerade dabei, eine große Raumfahrtexpedition zu starten, deren Ziel es ist, erstmals Kontakt zu einem Planeten aufzunehmen, auf dem man Anzeichen intelligenten Lebens beobachtet hat. Unter Aufbietung ihrer Wissenschaft, der siderischen Technologie, und eigentlich unvorstellbaren navigatorischen Kunstgriffen, deren Beschreibung durch Lem dennoch den Anschein der Konformität mit den Naturgesetzen und der physikalischen Machbarkeit suggeriert, überwinden sie die Abgründe an Raum und Zeit, die zwischen den Zivilisationen liegen. Dort angekommen, werden sie jedoch mit einem äußerst feindseligen, sich im Jahrhunderte währenden Rüstungswettlauf zweier Kontinente befindlichen, Planeten konfrontiert. Bei der Planung ihrer Vorgehensweise geraten sie, auch unter Einsatz ihrer kybernetisch finalen Generation von Computern, zwischen die Fronten der paranoiden Zivilisation. Als die Menschen begreifen, daß der Kontakt, den sie mit derart hohem Einsatz, den die Expedition gekostet hat, nicht gestattet bekommen und wiederholt hintergangen werden, beginnen sie ihn mit brutalen Maßnahmen zu erzwingen. Sie versuchen mit einem Lunoklasmus, der Zerstörung des dortigen Mondes, mächtigen Göttern gleich, ihre Überlegenheit zu demonstrieren und erreichen schließlich, daß man einem einzigen Menschen die Landung erlaubt: der Erzählperson aus der Vergangenheit der Menschen. Ohne auch nur sicher gewesen zu sein, einen der Bewohner tatsächlich zu Gesicht bekommen zu haben, verstreicht ein Ultimatum und das Unternehmen endet mit der Zerstörung des Planeten im Fiasko.
Personen
Neben der Erzählperson des Piloten Mark Tempe (alias Pirx, Parvis) sind wenige Personen in Gesprächen über den Sinn der Expedition beteiligt. Sie sind Stereotype ihres jeweiligen Berufs, ein Physiker, der Expeditionsleiter, Kybernetiker, Mediziner, und mit besonderer Bedeutung Pater Arago, ein Abgesandter des heiligen Stuhls an Bord eines Raumschiffs, der quasi als moralische Instanz und Kritiker der ganzen Unternehmung fungiert.
Interpretation
Erneut widmet sich Lem dem Thema der Unmöglichkeit des Kontakts zwischen verschiedenen Lebewesen. Was in den Romanen Solaris und Der Unbesiegbare bereits klar dargestellt wird, dass die fremde Spezies sich der Begreifbarkeit und unserer gewohnten Kommunikation entzieht, wird auch hier zum Drama des Romans. Lem zeigt, wie banal unsere Vorstellungen von Aliens und von einer Kontaktaufnahme sind. Die Begegnung der dritten Art kann nicht so stattfinden, wie sie in Filmen inszeniert wird.
Man könnte mutmaßen, dass der für den einzelnen Menschen schon schwer fassbare Sinn des Lebens, auf die ganze Menschheit und ihre Zukunft projiziert, der Kontakt zu fremden außerirdischen Lebewesen sein könnte; und sieht gleichzeitig, daß auch dieses Ziel für immer unerreichbar sein wird.
Anders als in vielen Romanen oder Filmen des Science-Fiction-Genres, in dem die Menschen einem höher entwickelten fremden Wesen begegnen, hat in Fiasko die Menschheit die höhere Technologie und Entwicklungsstufe als die Anderen erreicht. Die Gruppe Abgesandter von der Erde agiert mit Mitteln, die in den Bereichen Physik, Waffen- und Informationstechnologie ausgefeilteste Raffinesse erreicht haben. Der Computer GOD (General Operational Device), von dem es eine ganze Reihe an Bord gibt, spielt vielleicht die Rolle der Weiterführung und Vollendung des HAL (Heuristic ALgorithmic Computer) von Arthur C. Clarke. Und obwohl GOD quasi unfehlbar bleibt, scheitert die Expedition an dem scheinbar einfachen Vorhaben, einen Kontakt zu den Planetenbewohnern herzustellen.
Lem gibt einen Ausblick, was eine Menschheit noch alles zu erforschen und zu entdecken hat, bevor das Universum seine Geheimnisse alle offenbart hat. Indem er hier weit über die gängige, unsere Vorstellung bestimmende Denkweise hinausgeht, hat er in diesem seinem letzten Zukunftsroman ein Meisterwerk des Science-Fiction-Genres geschaffen.