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Ostgebiete des Deutschen Reiches

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Als Ostgebiete des Deutschen Reiches oder auch ehemalige deutsche Ostgebiete werden die Landstriche östlich der Oder-Neiße-Linie bezeichnet, die am 31. Dezember 1937 zum Gebietsstand des Deutschen Reiches gehört hatten, 1945 nach Ende des Zweiten Weltkriegs von Deutschland abgetrennt wurden und heute zu Polen und Russland gehören. Im weiteren Sinne wird auch das (größere) Gebiet zu den Ostgebieten des Deutschen Reiches gezählt, das am 1. August 1914 zum Deutschen Reich gehörte, also auch Posen, Westpreußen, Ost-Oberschlesien und das Memelgebiet. Diese Gebiete mussten bereits nach dem Ersten Weltkrieg im Rahmen des Versailler Vertrages vom Deutschen Reich abgetreten werden.

Abtrennung von Deutschland

Auf Grund von Beschlüssen der alliierten Siegermächte sollten die Ostgebiete nach Kriegsende der sowjetischen Besatzungszone angehören. Die Sowjetunion unterstellte den größten Teil dieser Gebiete jedoch bereits im Frühsommer 1945 polnischer Verwaltung, ohne vorher die Zustimmung der anderen Alliierten oder der Bevölkerung eingeholt zu haben. Das Gebiet um Königsberg (nördliches Ostpreußen) wurde unmittelbar in die Russische Teilrepublik der UdSSR (RSFSR) integriert; es heißt heute Oblast Kaliningrad und ist seit dem Zerfall der Sowjetunion eine russische Exklave.

Auf der Potsdamer Konferenz billigten die USA und Großbritannien die polnische Verwaltung dieser Gebiete, ohne für eine zukünftige Friedenskonferenz Festlegungen zu treffen.

Im polnischen Sprachgebrauch war nach dem Zweiten Weltkrieg die Bezeichnung wiedergewonnene West- und Nordgebiete oder einfach wiedergewonnene Gebiete üblich. Dies bezog sich auf die Zugehörigkeit dieser Territorien zum polnisch-piastischen Staat vom 10. Jahrhundert bis zum 13. Jahrhundert bzw. 15. Jahrhundert und imitiert die Argumentation der deutschen Nationalsozialisten, die die Annexion großer Teile Polens im Jahre 1941 unter anderem mit der langen germanischen Besiedlung dieser Räume (Wartheland, Kujawien, Masowien) bis zum 5. Jahrhundert begründet hatten.

Anerkennung der Abtrennung

In der „alten Bundesrepublik“ (vor 1990) bildete der Rechtsstatus der Ostgebiete einen großen Teil der offenen deutschen Frage. Die Ostpolitik der westdeutschen Verfassungsorgane (Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat) war bis Mitte der 1960er Jahre auf eine Revision von Vertreibung und Abtrennung ausgerichtet. Man berief sich vehement auf die Regeln des Völkerrechts sowie verschiedene völkerrechtliche Verträge (namentlich insbesondere die Haager Landkriegsordnung und die Atlantik-Charta). Die Neue Ostpolitik der großen Koalition von 1966 und später verstärkt durch die sozialliberale Koalition ab 1969 vollzog einen allmählichen Wandel durch Annäherung und trug damit den Tatsachen Rechnung.

Seit 1970 erkannte die Bundesrepublik Deutschland dann mit dem Warschauer Vertrag (1970) faktisch die Zugehörigkeit dieser Gebiete zu Polen an. Allerdings war es der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des bis 1990 geltenden Vorbehalts der Alliierten für Fragen, die Deutschland als Ganzes und den Status Berlins betreffen, verwehrt, eine völkerrechtliche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als neuer deutsch-polnischer Grenze auszusprechen und auf die Rückforderung der Gebiete zu verzichten.

Erst im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurde die Abtrennung der Ostgebiete von Deutschland 1990 von der Bundesrepublik formalrechtlich vollzogen und die Oder-Neiße-Grenze festgeschrieben. Die von der Sowjetunion eingesetzte Führung der DDR (SED) hatte bereits 1950 mit der Unterzeichnung eines „Freundschaftsvertrages“ mit Polen (Görlitzer Vertrag) die Oder-Neiße-Linie als so genannte "Friedensgrenze" anerkannt, wobei diese aufgrund ihrer Formulierung allerdings im juristischen Sinne kein Grenzanerkennungsvertrag, sondern nur ein Gewaltverzichtsvertrag war, weshalb einige Wissenschaftler in letzter Zeit gefordert haben, die Grenzen per Grenzanerkennungsvertrag zu regeln (Quelle).

Trotz der vertraglichen Anerkennung der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstandenen territorialen Lage durch das vereinte Deutschland, gibt es die Auffassung meist vom rechtem Rand von der Unhaltbarkeit dieser Anerkennung unter völkerrechtlichen Aspekten. Allerdings wird diese Auffassung weder in der deutschen Öffentlichkeit breit diskutiert noch von Regierungsseite unterstützt, jedoch führen derartige Argumentationen im Ausland gelegentlich zu Irritationen.

Umfang der Ostgebiete

Datei:Historisches deutsches Sprachgebiet.PNG
Deutschsprachige Bevölkerung vor dem 2. Weltkrieg

Im einzelnen umfassen die Ostgebiete die ehemaligen preußischen Provinzen:

Gesamtumfang: 114.267 km² (die Differenz zu 114.296 km² ist rundungsbedingt)

Nach Darstellung mancher Staatsrechtler werden auch das überwiegend deutsch besiedelte Sudetenland und das Memelgebiet den Ostgebieten zugerechnet, obwohl sie erst 1938 bzw. 1939 (wieder) zum Deutschen Reich kamen. Dasselbe gilt für die vor der Vertreibung zu 97 Prozent deutschsprachige Freie Stadt Danzig. Für das Memelgebiet und für Danzig ist dieses - geschichtlich gesehen - als berechtigt anzusehen, da diese Gebiet bis 1918/19 zum Gebietsstand des Deutschen Reiches gehörten. Die Zugehörigkeit des Sudetenlandes zu den Ostgebieten ist mit Vorsicht zu betrachten, da es bis 1918/19 staats- und völkerrechtlich zu Österreich gehört hatte.

Die Ostgebiete des Deutschen Reiches wiesen 1939 eine Bevölkerung von 9.620.800 Menschen auf (davon 45.600 Nichtdeutsche). Von diesen entfielen auf

  • Ostpreußen 2.488.100 Einwohner (davon 15.100 Nichtdeutsche)
  • Schlesien 4.592.700 Einwohner (davon 16.200 Nichtdeutsche; Zahlen der Bevölkerung Zittaus enthalten)
  • Pommern 1.895.200 Einwohner (davon 11.500 Nichtdeutsche)
  • Ost-Brandenburg 644.800 Einwohner (davon 2.800 Nichtdeutsche)

Wichtige Städte in den Ostgebieten waren unter anderem Breslau (1925: 614.000 Einwohner), Königsberg (Preußen, russisch: Kaliningrad), (294.000), Stettin (270.000), Hindenburg O.S., polnisch Zabrze (132.000) und Gleiwitz (109.000).

Flucht und Vertreibung

Datei:Verbreitungsgebiet der deutschen Sprache.PNG
Deutschsprachige Bevölkerung nach dem Ende des 2. Weltkrieges

Die Bevölkerung der Ostgebiete des Deutschen Reichs wurde in den Jahren 1944 bis 1949 durch Flucht, Vertreibung und Neuansiedlung von Polen, Ukrainern und Lemken bzw. Russen fast vollständig ausgetauscht. Nicht unerwähnt sollte dabei bleiben, dass die Neuangesiedelten zu weiten Teilen selbst im Rahmen der Westverschiebung Polens und, im Fall der Ukrainer und Lemken, Akcja Wisła aus ihrer weiter östlich gelegenen Heimat vertrieben wurden.

Die Provinzen wiesen folgende Zahlen auf:

  • Ostpreußen: 2.209.200 Vertriebene/Geflohene
  • Schlesien: 3.587.300 Vertriebene/Geflohene
  • Pommern: 1.761.700 Vertriebene/Geflohene
  • Ost-Brandenburg: 597.500 Vertriebene/Geflohene

Insgesamt mussten 8.155.700 Deutsche die Ostgebiete verlassen. In den Ostgebieten leben heute noch etwa 400.000 Deutsche, hauptsächlich in Oberschlesien. Sie wurden über Jahrzehnte hinweg diskriminiert. Diese Diskriminierung war nach 1990 zunächst weitgehend verschwunden, viele Gemeinden in Oberschlesien bekamen deutschstämmige Bürgermeister, auch einige deutsche Schulen (meist mit deutscher Finanzierung) wurden errichtet.