Der Vorleser
Der Vorleser ist ein Roman von Bernhard Schlink.
In diesem 1995 zuerst in den USA unter dem Titel The Reader erschienenen Roman setzt sich Schlink mit der Judenvernichtung im Dritten Reich auseinander und ebenso mit der Frage, wie mit den Tätern umgegangen werden sollte. Gleichzeitig handelt der Roman von einem Generationenkonflikt der 1950er.
Inhalt
Das Buch ist in der Form einer fiktiven Autobiographie des Erzählers Michael Berg gehalten, der in der zweiten Hälfte des Jahres 1994 im Alter von 51 Jahren seine Erinnerungen niederschreibt. Das Buch ist in drei Teile und Zeitrahmen (neben dem Zeitpunkt des Aufschreibens) eingeteilt.
1. Teil: Beziehung zu Hanna in Michaels Jugendzeit
Der 15-jährige Gymnasiast Michael Berg verliebt sich 1958 in die 36jährige Hanna Schmitz und beginnt mit ihr eine Beziehung, deren Hauptmoment in einem ständig wiederkehrenden Ritual des Vorlesens, Sich-Badens und des anschließenden Geschlechtsverkehrs besteht. Die Beziehung ist geprägt durch die naiv-jugendliche Unterwürfigkeit Michaels und die dominant-herrischen Wesenszüge Hannas. Diese hält Michael konsequent auf Distanz und scheint ein Geheimnis vor ihm zu verbergen. Im August 1959 verschwindet Hanna spurlos, woraufhin Michael sich selbst schwere Vorwürfe macht, da er meint, sie verraten und vertrieben zu haben. Dieses Gefühl der Schuld macht ihn laut eigener Schilderung in seinem weiteren Leben unfähig, anderen Menschen gegenüber Gefühle zu zeigen und lässt alle seine weiteren Beziehungen zu Frauen, aufgrund der ständigen Vergleiche mit Hanna, scheitern. Frau Knoblauch is ne alte Fickfotze und das Buch ist sowieso scheiße!!!!LOL
2. Teil: Gerichtsprozess
1966, sieben Jahre später, sieht Michael als Jurastudent im Rahmen einer Gerichtsverhandlung zu Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus Hanna auf der Anklagebank sitzend wieder. Sie und einige andere Frauen werden beschuldigt, als KZ-Aufseherinnen während eines "Todesmarsches" gegen Ende des zweiten Weltkrieges den Tod vieler weiblicher Gefangenen verschuldet zu haben und in einem Vorlager von Auschwitz an der Selektion von Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Im Rahmen der Verhandlung erkennt Michael, dass Hanna Analphabetin ist, was sie jedoch während des Gerichtsprozesses nicht preis gibt. Vielmehr verschlimmert Hanna ihre Lage, indem sie versucht, ihre Schwäche vor Gericht zu verheimlichen. Hanna wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Michael Berg verschweigt sein Wissen vor Gericht.
3. Teil: Die Zeit danach
Michael bespricht Kassetten, indem er aus Büchern vorliest, und schickt Hanna diese ins Gefängnis. Hanna wiederum, lernt ohne sein Wissen im Laufe ihrer Haftzeit Lesen und Schreiben und überrascht ihn schließlich mit selbst geschriebenen Briefen (1978), auf die der distanzierte Michael jedoch nicht mit einem Rückbrief antwortet. Nach einigen Jahren soll Hanna schließlich frühzeitig entlassen werden, wobei man an Michael mit der Bitte herantritt, sich um ihre Resozialisierung zu kümmern. Er stimmt nach einigem Zögern zu und erklärt sich sogar bereit, Hanna kurz vor dem Entlassungstermin zu besuchen. 1984, an ihrem letzten Hafttag begeht sie allerdings Selbstmord und hinterlässt einen Brief, in dem sie Michael grüßen lässt und ihn bittet, ihr gespartes Vermögen den Überlebenden ihres Verbrechens zu übergeben.#Vorlage:Fußnote
Figuren
Die Handlung des Buches ist deutlich auf die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten Michael Berg und Hanna Schmitz zugeschnitten. Die Haltung beider Personen zueinander als auch ihre Charaktere werden dabei als ambivalent und unentschieden gekennzeichnet.
Michael Berg
Michael Berg ist ein intelligenter Gymnasiast und Akademiker, der sich Zeit seines Lebens in der Rolle des Außenseiters befand oder selbst dorthin manövrierte. Eine grundsätzliche Tendenz zu emotionaler Kühle gegen sich und andere ist ihm nachzuweisen.
Der junge Michael Berg wird als dahinträumender, durchschnittlicher Jugendlicher beschrieben, der keine besonderen Ziele besitzt. Der Widerspruch zwischen anerzogenen moralischen Werten und erwachendem sexuellen Verlangen beherrscht ihn (ein Phänomen, das oft als typisch für die 1950er angesehen wird), sodass er zum Beispiel versucht seine Sexualität zu rationalisieren. Gegenüber seinen Altersgenossen versucht Michael, Souveränität und Überlegenheit auszustrahlen, die jedoch nur seine Gefühlsunsicherheit kaschiert. Die Beziehung zu Hanna bedeutet für ihn einen deutlichen Einschnitt und trennt ihn emotional von den bisherigen Lebenswelten (Familie, Schule). In der Beziehung zu Hanna neigt er zu Unterordnung und Anpassung. Die Erfahrung, von Hanna auf Distanz gehalten zu werden und eine weitere, von Michael gewollte Vertiefung zu verweigern, verstärkt noch seine Hörigkeit und Unsicherheit gegenüber Hannas Dominanz. Die Schwierigkeit der Beziehung zu Hanna führt gegen Ende zu einer schleichenden Abwendung von ihr; das bald darauf folgende Verschwinden Hannas verursacht ihm große Schuldgefühle, da er sich daran durch seinen "Verrat" schuldig fühlt.
Das Gefühl der eigenen Schuld und die nicht bewältigte, sich fortsetzende Abhängigkeit von Hanna führt bei Michael in der Folgezeit zu einer Bindungsunfähigkeit und einer Abweisung anderer Menschen.
Die erneute Begegnung mit Hanna geschieht für den Studenten Michael Berg enorm plötzlich und überwindet die von Michael über die Zwischenzeit aufgebauten Verdrängungsmechanismen und Abwehrtaktiken. Dies führt Michael auf seine innere Leere und Ohnmacht zurück. Ihm entstehen neue Schuldgefühle, und das Gefühl, von Hanna entfremdet zu sein, verstärkt sich. Hinzu kommt die Unmöglichkeit, mit Hanna im Gerichtssaal zu kommunizieren. Weiterhin lähmt Michael das moralische Dilemma, entlastende Hinweise um Hannas Schuld zu wissen. Versuche der Kontaktaufnahme zum Richter scheitern.
Die folgenden Jahre des erwachsenen Michaels werden weiter bestimmt durch die Distanz zu seinen Mitmenschen und die Vermeidung möglicher Verletzungen durch Gefühlslosigkeit und Abstand. Auch wenn diese Phänomene mit der Zeit abnehmen, scheitert Michaels 5jährige Ehe mit der ehemaligen Studienkollegin Gertrud.
Als Michael den „Kassettenkontakt“ mit Hanna im Gefängnis aufnimmt, beginnt ein langsamer, selbsttherapeutischer Prozess für Michael. Er hält jedoch weiterhin Distanz zu Hanna, und die Erinnerung an ihre bevorstehende Entlassung ist ihm eher widerwillig; zwar fühlt er sich für Hanna zuständig, doch kann er sich eine gemeinsame Zukunft nicht vorstellen.
Der alte (autobiographisch erzählende) Michael Berg schließlich zeigt ein hohes Schuldbewusstsein und eine hohe Selbstreflexivität. Das Schreiben bezeichnet er an verschiedenen Stellen als Konfliktbewältigung. Michael hat zu einer gewissen moralischen Läuterung gefunden, die in der unbeschönigten Beschreibung seiner Lebensgeschichte ihren Höhepunkt finden. Als Initiationspunkt dieses Geschehens ist sicherlich der Besuch der Tochter einer der betroffenen Häftlinge während der NS-Zeit zu sehen, mit der er als erster Person offen über die Beziehung zu Hanna spricht.
Familie Berg
Die Familie Michaels wird nur am Rand beschrieben, liefert aber wichtige Hinweise auf die Sozialisation Michaels. Es handelt sich um eine sechsköpfige Familie (Michael hat drei Geschwister) des gehobenen Bürgertums, die eine klassische Rollenverteilung für die 1950er Jahre aufweist.
Der Vater taucht in zwei wesentlicheren Szenen auf. Er ist von Beruf Philosophieprofessor, spezialisiert auf Kant und Hegel. Innerhalb der Familie spielt er die Rolle eines gemäßigt agierenden Patriarchen. Er hält seine Kinder stark auf emotionale und körperliche Distanz und plant sie genau wie seine Studenten in den täglichen Terminplan ein. Sein Verhalten wird als (unterbewusstes) Vorbild für Michaels Entwicklung gedeutet.
Die Mutter ist eine durchaus positiv dargestellte Figur, zu der Michael aber anscheinend keinen genügenden Bezug aufbauen kann. Sie vermittelt ihm das Gefühl von Nähe, ohne Michael restlos mit diesem Gefühl befriedigen zu können. Nach der ersten Nacht mit Hanna erinnert sich Michael an eine Szene aus seiner frühen Kindheit: Vor dem wärmenden Herd hatte ihn die Mutter gewaschen und angekleidet. Diese Szene mütterlicher Verwöhnung wird zum Muster für die Badeszenen mit Hanna, die eine prägende Rolle für ihre Beziehung spielen, gleichzeitig aber auch für die damit verbunden Schuldgefühle: "..., ich mich fragte, warum meine Mutter mich so verwöhnt hat. War ich krank?"
Die Geschwister spielen nur eine untergeordnete Rolle. Zu ihnen befindet sich Michael in einem Verhältnis gegenseitiger Rivalität und Distanz.
Stil
Schlinks Stil im Vorleser ist in den erzählenden Passagen schlicht und präzise. Es herrschen parataktische oder syntaktisch einfache Sätze vor. Ein Stilmittel sind Kapiteleröffnungen, die in einem lapidaren Satz wichtige oder überraschende Informationen vermitteln, der Handlung eine Wende geben: „Am nächsten Morgen war Hanna tot.“
In reflektierenden Passagen wird die Sprache poetisch. Vor allem das Spiel mit Gegensätzen („Ich habe nichts offenbart, was ich hätte verschweigen müssen. Ich habe verschwiegen, was ich hätte offenbaren müssen..“; Kap. 15) und Versuche, komplexe Erinnerungen in einprägsame Bilder zu fassen, sind bestimmend („...Bilder von Hanna, die mir geblieben sind. Ich habe sie gespeichert, kann sie auf eine innere Leinwand projizieren und auf ihr betrachten, unverändert, unverbraucht.“ Kap.12).
Das Sprachniveau ist durchgehend hochsprachlich. Zugleich benutzt Schlink viele durchgehende Bilder und Motive, etwa bei der Beschreibung des Bade-Rituals. Die Beschreibung ist geprägt durch die teilweise schon reflektierte (vorgebliche) Schreibhaltung des Ich-Erzählers, die emotionale Nähe ist dennoch an den meisten Stellen spürbar.
Themen
Drittes Reich und Judenvernichtung
Schlink wählt für die Betrachtung der Judenvernichtung eine ungewöhnliche Perspektive. Während er auf eine realistische, dokumentarische Nachzeichnung der Ereignisse im Großen verzichtet, gibt er dennoch ein – durch den Ich-Erzähler gefiltertes – Bild wieder, indem er Hanna auftreten lässt. Damit wird kein summarisches Faktenwissen als Darstellung des Dritten Reiches benutzt, sondern die Menschlichkeit eines individuellen Schicksals – das eines Täters!
Die Schuldfrage – sowohl die allgemeine als auch die individuelle – wird damit keinesfalls aufgelöst, aber differenziert. Der spezifische Mensch Hanna besitzt spezifische Schwächen, die bei Hanna sogar besonders schwer wiegen. Die von ihr ausgeübten Taten geschehen nicht aus einem "luftleeren", grundsätzlich moralisch verurteilbarem Raum, sondern besitzen eine Vorgeschichte, die das Individuum zu seiner persönlichen Schuld führt. So wird die Eigenverantwortlichkeit und die Schuldfähigkeit des Einzelnen hinterfragt; das scheinbar "Böse", das hinter den Taten steht und ihre Täter stigmatisiert wird jedenfalls entmumiszifiert.nimmen is muul
Analphabetismus und Ohnmacht
Schlink zeigt die Ohnmacht in Alltag und Gesellschaft, welche die Opfer von Analphabetismus betrifft. Die moderne Gesellschaft beruht auf der Schrift als einem Zeichensystem und gemeinsamen Kommunikationscode. Hannas Unvermögen zu schreiben stellt sie außerhalb dieser Gesellschaft und hindert sie, an Großteilen der gesellschaftlichen Kommunikation teilzunehmen. Dies führt in der Darstellung Schlinks auch teilweise zur Schuld, die Hanna auf sich lädt (siehe oben).
Die psychologische Konstellation des Sich-Versteckens, der Scham, der Angst und der Aggression wird von Schlink in vielen Details gezeigt. Gründe oder die Vorgeschichte von Hannas Analphabetismus werden allerdings nicht beschrieben; Hannas Analphabetismus ist ein allgemeines Symbol für ihre Unmündigkeit, die wesentlich ihr Leben bestimmt.
Stark ungleichaltrige Beziehungen
Auf besonders starke Rezeption vor allem in den USA stieß die Beziehung zwischen dem 15jährigen Michael und der 36jährigen Hanna; nach deutschem Recht ist eine solche Beziehung (auch heute) widerrechtlich, und ist auch im Sinne konservativer Moralvorstellungen negativ zu beurteilen. Hanna ist als grenzwertige Pädophile zu beurteilen, sexuell neigt sie zu Sadismus. Die asymmetrische Beziehung, die sich aus einem so großen Altersunterschied ergibt, wird von Schlink gezeigt. Deutlich wird die tiefeinschneidende psychologische Wirkung einer solchen Beziehung. Hätte sich der Autor dazu entschieden, ein 15-jähriges Mädchen durch einen 36 Jahre alten Analphabeten in die Kunst der Liebe einführen zu lassen, wäre die Diskussion sicher anders ausgefallen, vor allem wenn dieser alternde Straßenbahnschaffner mit Tendenzen zur Brutalität sich als erbarmungsloser KZ-Aufseher erwiesen hätte. So liegt aber über der Debatte ein seltsamer, pinker Nebel. Reflektiert wird nicht nur vom Erzähler vor allem, ob der Junge seiner Liebe wirklich gerecht geworden sei, ob er Hanna die Treue gehalten, ob er sie vor Freunden und Familie verleugnet habe. Aus der Täterin wird so ein Opfer. Die harte Verurteilung vor Gericht beruht ebenso auf Hannas verheimlichtem Analphabetismus wie ihre Entscheidung, zur KZ-Aufseherin zu werden. Auch die Trennung von Michael und die wilde Flucht aus ihrem Lebensumfeld beruht auf dem festen Willen, ihren Analphabetismus zu verschleiern.
Rezeption
Als ein kommerziell sehr erfolgreiches Buch, erfuhr Der Vorleser eine breite Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.
Ein Großteil der literarischen Kritik äußerte sich lobend zum Vorleser. Hervorgehoben wurde vor allem der präzise Stil Schlinks, die direkte Erzählweise und außergewöhnliche Art und Weise der Vergangenheitsbewältigung.
Rainer Moritz (Die Welt, 15. Oktober 1999) betonte, der Roman führe "den künstlichen Gegensatz zwischen Privatheit und Politik ad absurdum". Werner Fuld (Focus, 30. September 1995) schrieb in Hinblick auf den Vorleser, man müsse "große Themen nicht breit auswalzen, wenn man wirklich erzählen kann".
Für seine Methode der Beschreibung der NS-Verbrechen wurde Schlink von anderer Seite stark kritisiert und in Zusammenhang mit Geschichtsrevisionismus und Geschichtsfälschung gestellt. Jeremy Adler hob in der Süddeutschen hervor, Schlink betreibe "Kulturpornographie", indem in seinem Buch die "entscheidenden Motive von Schuld und Verantwortung sowie die Frage nach dem Verhältnis von persönlicher und staatlicher Macht" an Bedeutung verlören. Schlink "vereinfache" die Geschichte und zwinge zu einer Identifikation mit eigentlich schuldigen Tätern der NS-Zeit.
Erfolg im Ausland
Schlinks "Der Vorleser" stellt einen der wenigen Bestseller deutscher Autoren auf dem amerikanischen Buchmarkt dar. Der Vorleser wurde in 37 Sprachen übersetzt und war das erste deutsche Buch, das auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times stand.
Preise
- Hans-Fallada-Preis (1997)
- Prix Laure Bataillon (bestdotierter Preis für übersetzte Literatur) (1997)
- WELT-Literaturpreis der Zeitschrift Die Welt (1999)
- Evangelischer Buchpreis 2000
- Platz 14 auf der Liste der ZDF-Lieblingsbücher 2004
Weblinks
- [1] Diplomarbeit "Bernhard Schlink – Der Vorleser" von Dagmar Erne
- [2] Artikel in der FAZ zu Schlinks Vorleser
- Bravopunkworld (PDF) - Buchvorstellung - Der Vorleser (PDF)