Morbus Scheie
Der Morbus Scheie ist eine abgeschwächte Verlaufsform der Mukopolysaccharidose Typ I (MPS I), einer lysosomalen Speicherkrankheit.[1][2][3] Morbus Scheie verläuft milder als der häufigere Morbus Hurler. Der Name leitet sich von dem US-amerikanischen Augenarzt Harold Scheie (1909-1990) ab, der diese Verlaufsform zum ersten Mal beschrieb.[4]
MPS I liegt ein Defekt des Enzyms Alpha-L-Iduronidase zugrunde.[1][2] Durch den Enzym-Defekt kommt es zur Ansammlung von Glykosaminoglykanen (GAG; früher als Mukopolysaccharide bezeichnet) und einer Störung des zellulären Stoffwechsels. Dem Enzymdefekt liegen verschiedene Mutationen zugrunde, daher unterscheiden sich die Symptome der Erkrankungen. MPS I kann in drei Verlaufsformen eingeteilt werden:[1][2][3]
Verlaufsform | Ausprägung |
---|---|
Morbus Hurler (M. Hurler) | Schwer |
Morbus Hurler/Scheie (M. Hurler/Scheie) | Mittel |
Morbus Scheie (M. Scheie) | Mild |
Inzwischen wird häufiger zwischen MPS I mit Beteiligung des zentralen Nervensystems (ZNS) und MPS I ohne ZNS-Beteiligung unterschieden.[5] Beim M. Scheie kommt es nie zu Schädigungen am ZNS. Beim Morbus Hurler hingegen muss immer von einer Beteiligung des ZNS ausgegangen werden.
Epidemiologie
MPS I ist eine seltene Erkrankung. Die Häufigkeit wird auf 1:145.000 Geburten geschätzt.[3] Bei der milderen Form des M. Scheie liegt die Häufigkeit sogar nur bei 1:500.000 Geburten.[6]
Ursache
Dem M. Scheie liegt wie allen MPS I Erkrankungen ein Defekt des Enzyms Alpha-L-Iduronidase zugrunde.[1] Dies führt dazu, dass Glykosaminoglykane (GAGs) nicht mehr ausreichend gespalten und abgebaut werden können. Es kommt zu einer Speicherung der GAGs in den Lysosomen der Körperzellen. Dabei lagern sich insbesondere Dermatansulfat und Heparansulfat an.[1][3] Infolgedessen wird die Funktion der Zellen stark beeinträchtigt, was letztendlich zu den Symptomen der Erkrankung führt.[3]
Symptome
Bei M. Scheie sind nicht alle Symptome der MPS I Erkrankung voll ausgeprägt.[2] Durch den Enzym-Defekt sind vor allem das Skelettsystem, die Augen und das Herz betroffen.[3]
Zu den Leitsymptomen gehören:[2][3]
- Gelenkkontrakturen und Gelenksteifigkeit (kann u.a. zu Klauenhänden führen)
- Hornhauttrübung
- Nabel- und Leistenhernien (meist beidseits)
- Hüftdysplasie (oft beidseits)
- Kompression des Rückenmarks im Bereich der oberen Halswirbelsäule (kraniozervikaler Übergang)
- Rezidivierende pulmonale Infekte
- Schwerhörigkeit
- Kardiomyopathien, Herzklappenerkrankungen
- Myelopathien
- Karpaltunnelsyndrom (oft schon als Kind oder Jugendlicher und beidseitig)
Die Symptome treten bei Patienten mit M. Scheie häufig erst im Verlauf der Erkrankung auf. Hernien sind eher frühe Anzeichen. Ein Karpaltunnelsyndrom oder eine Kardiomyopathie können aber auch erst im Erwachsenenalter auftreten.[2]
Im Gegensatz zu der schwersten Verlaufsform von MPS I, dem M. Hurler, ist bei Patienten mit M. Scheie das zentrale Nervensystem (ZNS) klinisch nicht betroffen. Die geistige Entwicklung ist bei Scheie-Patienten normal und die meisten Patienten haben eine normale Intelligenz.[2][3]
Erscheinungsbild
Das Erscheinungsbild des Morbus Scheie ist nicht so eindeutig wie bei der schweren Form des Morbus Hurler.[2] Optisch können Auffälligkeiten wie ein gedrungener Körperbau oder grobe Gesichtszüge bestehen. Obwohl Betroffene durch die Skelettveränderungen und Gelenkkontrakturen z.B. ein charakteristisches Gangbild aufweisen können, erreichen viele eine fast normale Körpergröße. Menschen mit Morbus Scheie können auch völlig unauffällig erscheinen.[2][3]
Diagnose
Die Diagnose des M. Scheie erfolgt durch den verzögerten Verlauf und das variable Krankheitsbild häufig verspätet. Einige Patienten werden deshalb erst im Pubertätsalter oder im Erwachsenenalter diagnostiziert.[3] Da MPS I fortschreitend verläuft, ist eine frühe Diagnose aber besonders wichtig. Gerade bei der milderen Form, dem M. Scheie, kann das frühzeitige Einschreiten den Verlauf der Erkrankung bremsen. Wenn ein Verdacht vorliegt, kann dieser mit Hilfe eines Bluttests (aus Blutserum oder in den weißen Blutzelle sowie durch einen direkten Gentest) bestätigt werden.
Prognose
Im Gegensatz zu Patienten mit M. Hurler können Patienten mit M. Scheie eine annähernd normale Lebenserwartung erreichen.[2][3]
Therapie
Für M. Scheie und die anderen Verlaufsformen von MPS I steht seit 2003 eine Langzeitbehandlung zur Verfügung. Bei der sogenannten Enzymersatztherapie wird das defekte Enzym durch eine biotechnologisch hergestellte Form ersetzt und die pathologische Speicherung von GAGs kann wieder abgebaut werden.[3][7] Durch die Therapie kann MPS I nicht geheilt werden. Besonders bei der milderen Verlaufsform M. Scheie kann sie jedoch den Symptomen entgegenwirken und die Lebensqualität verbessern.[2][3] Im Gegensatz zu M. Hurler spielt die Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantation in der Behandlung des M. Scheie keine Rolle.
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e Muenzer J. Rheumatology (Oxford). (2011) 50 Suppl 5:v4-12
- ↑ a b c d e f g h i j k Lampe C. Lysosomale Speicherkrankheiten. Thieme-Refresher Innere Medizin. (2014) R35–R54
- ↑ a b c d e f g h i j k l m Gesellschaft für Mukopolysaccharidose e.V. http://www.mps-ev.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i Unterseiten: http://www.mps-ev.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i/merkmale-16870, http://www.mps-v.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i/ursachen-39016, http://www.mps-ev.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i/haeufigkeit-40219, http://www.mps-ev.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i/therapien-80477, http://www.mps-ev.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i/enzymersatztherapie, http://www.mps-ev.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i/lebenserwartung-92578, http://www.mps-ev.de/mps/mukopolysaccharidosen/krankheitsbeschreibungen/mps-i/knochenmarktransplantation-kmt, Zugriff am 23.11.2015
- ↑ Scheie H. et al. A newly reconized forme fruste of Hurler’s Disease. Am J Ophthalmol. (1962) 53:753-769
- ↑ Mengel KE. Mukopolysaccharidose Typ I – Seltene lysosomale Speicherkrankheit – Defizienz des lysosomalen Enzyms α-L-Iduronidase. Klinikarzt (2008) S02:s2-26
- ↑ Lowry RB, Renwick DHG. Relative frequencies of the Hurler and Hunter syndromes. (1971) N Engl Med. 284:221
- ↑ Clarke LA. Expert Rev Endocrinol Metab. (2011) 6:755-768