Zum Inhalt springen

Baunscheidttherapie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. März 2006 um 19:44 Uhr durch Hermannthomas (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
"Lebenswecker" (rechts) und Nadelwalze

Die Baunscheidttherapie ist ein alternativmedizinisches Behandlungsverfahren, welches um 1840 von dem westfälischen Gewerbelehrer und Erfinder Carl Baunscheidt (1809-1873) stammt. Es zählt zu den ausleitenden Verfahren (siehe dort) und ist in dieser Form fast nur in Deutschland verbreitet. Mit dieser Methode werden chronische Entzündungen, Schmerz- und Reizzustände und Verkrampfungen, Rheumatismus, Gicht, Multiple Sklerose, Lungenleiden, Bandscheibenschäden, Migräne u.a. behandelt.

Baunscheidt vertrieb zuerst kleinere Erfindungen wie ein Gewehrvisier oder eine Muttermilchpumpe. Sein „Lebenswecker“, den er selbst zuerst "Mücke" nannte, machte ihn so reich, dass er schließlich das Schloss Dottendorf bei Bonn erwerben konnte. Nach eigener Erzählung habe er die Idee gehabt, als eine Mücke ihm in die gichtkranke (nach anderer Quelle: rheumakranke) Hand stach und seine Schmerzen daraufhin verschwanden.

Der „Lebenswecker“ ist ein Nadelungsgerät. Es besteht aus einer münzgroßen Scheibe an einem Griff. In der Scheibe sind 25–30 Stahlnadeln befestigt, die von Hand oder mit einer Feder 1–2 mm tief in die Haut gestochen werden. Auch Nadelwalzen sind gebräuchlich. Die Behandlung wird meist beiderseits der Wirbelsäule am Rücken, seltener an anderen Körperstellen durchgeführt. Als Ersatz für das Mückengift mischte Baunscheidt ein hautreizendes Öl, dass in die angeritzten Hautstellen eingerieben wurde, das sog. Pustulanzium, dessen historische Rezeptur nicht überliefert ist. Nach dem Tode Baunscheidts haben die Anhänger der Methode eine Reihe von Ersatzrezepturen ersonnen, u. a. mit Wacholderöl, Senföl und anderen hautreizenden Stoffen, besonders häufig wurde jedoch Crotonöl verwendet, um dessen Verwendung in der Originalrezeptur in der Literatur immer noch gestritten wird. Auf den behandelten Stellen entstehen Bläschen oder Pusteln, die meistens narbenlos abheilen. Der Patient bekommt mitunter leichtes Fieber. Die Behandlung ist nicht schmerzfrei.

Da die Verwendung von Crotonöl Heilpraktikern in Deutschland verboten ist, griffen diese zuletzt auf histaminhaltige Präparate zurück, deren Beschaffung ist inzwischen aber problematisch, da sich praktisch alle industriellen Hersteller von diesem Markt zurückgezogen haben.

Kritik und Risiken

Wissenschaftler raten von der Therapie ab, weil eine therapeutische Wirkung nicht nachgewiesen werden konnte. Dagegen kann Schmutzeintrag in die verletzte Haut schwere Dermatitiden und auch generalisierte Infektionskrankheiten hervorrufen. Als Folge des Baunscheidtierens ist es durch Infektionen zu mehreren schweren Zwischenfällen gekommen (Stiftung Warentest 1996). Auch allergische Reaktionen auf hautreizende Öle sind möglich.

Crotonöl förderte außerdem im Tierversuch hochwirksam die Entstehung von Krebs als sog. Co-Karzinogen. Crotonöl wird aus den Samen des ostasiatischen croton tiglium L. (Euphorbiaceae) gewonnen. Neben organischen Triglycerinestern enthält es mehrere Phorbolester, darunter das tumorpromovierende 12-Tetradecanoyl-phorbol-13-acetat.

siehe auch: Ausleitende Verfahren