Kinderwahlrecht
Mit dem Kinderwahlrecht bezeichnet man ein Wahlrecht von Geburt an. Verfechter des Kinderwahlrechts wollen, dass niemand aufgrund seines Alters am Wählen gehindert wird.
Diskussion in Deutschland
Praktische Umsetzung
In der Praxis stellen sich die Befürworter beispielsweise vor, dass sich jeder Mensch vor seiner ersten Wahlteilnahme persönlich ins Wählerverzeichnis eintragen muss. Dabei soll es keine Rolle spielen, wie alt dieser Mensch ist.
Abgrenzung
Vom Kinderwahlrecht unterschieden werden muss das manchmal geforderte Familienwahlrecht, demnach Eltern gemäß der Anzahl ihrer Kinder unter 18 Jahren die entsprechende Anzahl von zusätzlichen Wahlstimmen zugewiesen werden soll. Dieser Vorschlag geht jedoch an der Forderung nach einer Einbeziehung von Kindern in das politische Geschehen gänzlich vorbei, da nur die Eltern zusätzliche eigene Stimmen erhielten und darum nicht verpflichtet wären, sich mit ihren Kindern entsprechend deren Alter und Reife abzustimmen. Sie könnten diese Stimmen also ihre eigene Meinung unterstützend verwenden, ohne dass die Meinung der Kinder wirklich repräsentiert wäre.
Dieses Familienwahlrecht wird fälschlicherweise oft auch als Kinderwahlrecht bezeichnet.
Zu unterscheiden hiervon ist das Stellvertreterwahlrecht. Bei diesem üben Eltern das Stimmrecht ihrer Kinder bis zum Erreichen der Wahlaltersgrenze treuhänderisch aus, wobei sie nach § 1626 Absatz 2 BGB verpflichtet wären, ihre Wahlentscheidung zuvor mit dem Kind/den Kindern zu besprechen und dabei Einvernehmen anzustreben.
Argumente
Befürworter
Die Befürworter des Kinderwahlrechts argumentieren, dass durch dessen Einführung die Interessen von jungen Menschen in der Politik mehr berücksichtigt würden. Die Parteien würden damit gezwungen, auch kinderrechtliche Punkte in ihre Programme aufzunehmen.
Außerdem sei der Ausschluss der unter 18-jährigen vom Wahlrecht verfassungswidrig, denn er widerspreche dem Artikel 20 Grundgesetz, Absatz 2: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen [...] ausgeübt. Da Kinder unbestreitbar zum Volk gehörten, müsse ihnen auch die Teilnahme an Wahlen gewährt werden. Dieser Artikel habe auch höheren Rang als Artikel 38 Absatz 2, der die Altergrenze festlegt. Zur Zeit werde jeder fünfte Deutsche allein auf Grund seines Alters von den Wahlen ausgeschlossen. Jedoch sollten in einer Demokratie sich alle Menschen, die von Entscheidungen betroffen sind, am Zustandekommen dieser Entscheidungen beteiligen können, also zum Beispiel durch Wahlen.
Gegner
Die Gegner eines Kinderwahlrechts argumentieren u.a. mit der historischen Tradition und der möglicherweise fehlenden Einsichtsfähigkeit von Kindern. Darüber hinaus seien Kinder bis zur Volljährigkeit weitestgehend von ihren Eltern abhängig, sie würden somit wie ihre Eltern wählen. Das widerspreche dem Prinzip der freien Wahl nach Art. 38 I GG und liefe auf ein Elternwahlrecht hinaus. Zudem könne eine Verstärkung des ochlokratischen Elements eintreten.
Aktionen
Unter anderem setzen sich das Kinderrechtsprojekt Krätzä sowie das Deutsche Kinderhilfswerk für ein Kinderwahlrecht in Deutschland ein.
Verfassungsbeschwerde
1995 legten ein 16- und ein 13jähriger unterstützt von Krätzä eine Verfassungsbeschwerde ein, die sich auf den o.g. Widerspruch im Grundgesetz zwischen Art. 20 und Art. 38 bezog. Diese wurde aus formalen Gründen abgelehnt: Gegen Gesetze müsse spätestens ein Jahr nach deren Verabschiedung Widerspruch eingelegt werden, beim Grundgesetz also bis 1950 - lange bevor die Beschwerdeführer geboren waren.
Antrag auf Aufnahme in das Wahlverzeichnis
1998 versuchte ein unter 18-jähriger, sich in das Wählerverzeichnis einzutragen. In einem Fall erteilte das Bezirkswahlamt Berlin-Mitte einen formalen Ablehnungsbescheid. Daraufhin wurde Klage beim Verwaltungsgericht eingelegt. Diese wurde jedoch erst 13 Tage vor der Wahl verhandelt. Da eine grundsätzliche verfassungsgerichtliche Klärung vor der Wahl nicht mehr möglich war, empfahl der Richter, die Bundestagswahl anzufechten.
Anfechtung der Bundestagswahl
Im gleichen Jahr wurde die Bundestagswahl angefochten. Nach Ablehnung durch den Bundestag und eingereichtem Widerspruch befasste sich das Bundesverfassungsgericht erstmals inhaltlich mit der Forderung nach einem Kinderwahlrecht: Das Ersuchen wurde abgelehnt und im Wesentlichen mit zwei Punkten begründet:
- Eine Altersgrenze beim Wahlrecht sei "historisch erhärtet".
- Eine Einschränkung von Wahlprinzipien wie der Allgemeinheit der Wahl (also dem Ausschluss von Unter18jährigen) sei vereinbar, wenn sie aus "zwingenden Gründen" geschehe. Damit war der Rechtsweg in Deutschland beendet.
Zitat einer Rückfrage des Bundesverfassungsgerichts
- Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl haben Sie nicht dargelegt. Allgemeinheit der Wahl bedeutet Gleichheit bezüglich der Fähigkeit zu wählen und gewählt zu werden. Der Grundsatz der Allgemeinheit untersagt den unberechtigten Ausschluss von Staatsbür gern von der Teilnahme an der Wahl. Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahl rechts auszuschließen und fordert, dass grundsätzlich jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise soll ausüben können (BVerfGE 58, 202 <205>). Beeinträchtigungen der Allgemeinheit bedürfen eines besonderen rechtfertigenden Grundes.
- Begrenzungen des allgemeinen Wahlrechts sind "verfassungsrechtlich zulässig, sofern für sie ein zwingender Grund besteht" (BVerfGE 28, 220, <225>; 36, 139 <141>). Es ist von jeher aus zwingenden Gründen als mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verträglich angesehen worden, dass die Ausübung des Wahlrechts an die Erreichung eines Mindestalters geknüpft wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang in einer früheren Entscheidung (BVerfGE 42, 312 <340 f.>) festgestellt:
- "Verfassungsprinzipien lassen sich in der Regel nicht rein verwirklichen; ihnen ist genügt, wenn die Ausnahmen auf das unvermeidbare Minimum beschränkt bleiben. So ist das Demokratieprinzip und das engere Prinzip der Allgemeinheit der Wahl nicht verletzt durch Einführung eines Mindestalters,..."."
Kampagnen
2002 sammelte die Petitions-Kampagne Ich will wählen Unterschriften von unter 18-jährigen, die für sich persönlich das Wahlrecht einforderten.
Weblinks von Befürwortern
Deutschland
- FAQ zum Kinderwahlrecht von Krätzä
- Wahlrecht für Kinder - eine Streitschrift
- Ich will wählen - Projekt mehrerer (Jugend-)Organisationen, die für das Kinderwahlrecht kämpfen