Reformation
Reformation (v. lat. reformatio = Umgestaltung) bezeichnet im engeren Sinn die in Deutschland von Martin Luther, in der Schweiz von Johannes Calvin und Huldrych Zwingli angestoßene Erneuerungsbewegung im Christentum.
Ausgangssituation
Eine Vielzahl von Faktoren bereits aus der Zeit des Spätmittelalters bereitete den Nährboden für die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts.
- Das Heilige Römische Reich deutscher Nation war in viele Herrschaftsbereiche (Fürstbistümer, Fürstentümer, Herzogtümer und Grafschaften) gespalten. Die Kurfürsten wählten den Kaiser, daneben stellten die Reichsstände wesentliche Machtfaktoren dar, da die Reichstage im Zuge der Reformation eine wichtige Rolle spielten.
- Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war Karl V. Seine Verpflichtungen in Spanien, Italien, den Niederlanden und Burgund und seine Kriege mit Frankreich und den Türken beanspruchten seine volle Aufmerksamkeit und führten zur Vernachlässigung seiner hiesigen Pflichten.
- In Folge der Konzile von Pisa und Konstanz war das Schisma der abendländischen Kirche beendet worden. Obwohl die Lehren John Wyclifs und Jan Hus' verworfen wurden, kam es durch die Konzile zur Aufstellung umfangreicher Reformprogramme. Diese wiederum wurden notwendig durch sichtbare Verfallsprozesse in der Kirchenverfassung. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts konnte der Papst seine Position gegenüber dem Konziliarismus ausbauen. Bestehende Reformbeschlüsse wurden abgeschwächt.
- Die Kirche war eine sehr mächtige Institution in Europa, deren Gesetze, Vorschriften und Strafen auch für den Alltag der Menschen relevant waren. Dies ging mit Angst vor den Bischöfen und Priestern einher. Zugleich waren die Geistlichen schlecht ausgebildet, die Bischöfe bisweilen durch Ämterkauf oder aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen (Nepotismus) auf die Bischofsstühle gekommen. Sie sorgten sich weniger um die Gläubigen als um ein bequemes Leben für sich selbst, womit sie hohe Geldbeträge aufwenden mussten, die sie durch Steuern wieder eintrieben. Dies alles förderte eine antikirchliche Stimmung im Volk.
- Die Pestepidemien konfrontierten die Menschen beständig mit dem Tod und der Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Gläubigen erwarteten sich von der Kirche Antworten, die sie nicht geben konnte.
- Im Zuge des Neubaus von St. Peter, den Papst Julius II. angestrengt hatte, mussten seine Nachfolger Geldquellen erschließen. Papst Leo X. gewährte dem einen besonderen Ablass, der für den geplanten Neubau zu spenden bereit war. In Deutschland bemühte sich im Auftrag des Erbischofs Albrecht von Brandenburg von Mainz (und auch von Magdeburg und Halberstadt) der Dominikanermönch Johann Tetzel übereifrig, die Gläubigen zu großzügigen Gaben anzuhalten. - Dieser Punkt wird als letzter Auslöser für die Reformation angesehen.
- Erfindungen gab es in dieser Zeit zuhauf (z.B. Buchdruck von Johannes Gutenberg). Auch bahnbrechende Entdeckungen (heliozentrisches Weltbild von Nikolaus Kopernikus) ließen das überkommene Weltbild zusammenbrechen und schürten die Unsicherheit im Volk. Die Philosophie der Renaissance tat ein übriges: Erasmus von Rotterdam trat für einen persönlichen, von Vorbildern freien Lebensstil ein, Wilhelm von Ockham brachte mit seinem Gedanken vom natürlichen Recht die Trennung von Kirche und Staat in die Diskussion.
In diese Situation der Unzufriedenheit und der Unsicherheit stieß der Augustinereremit und Theologieprofessor Martin Luther aus Wittenberg eine neue Diskussion an. Seine 95 Thesen sandte er am 31.10.1517 an den Erzbischof von Mainz und einige gelehrte Freunde (Der Thesenanschlag an der Schloßkirche zu Wittenberg ist eine Legende). Luthers Thesen sollten Grundlage für einen wissenschaftlichen Disput sein. Doch die Thesen wurden ins Deutsche übersetzt und konnten mit Hilfe der neu erfundenen Buchdrucktechnik schnell verbreitet werden. Da sie gegen den Willen Luthers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, setzte eine ursprünglich nicht beabsichtigte Diskussion in allen Bevölkerungsschichten ein, die nicht immer nur theologische Argumente beinhaltete.
Der lutherische Ansatz
Der Augustinereremitenmönch Martin Luther litt und rang damit, sich Gottes Gnade durch eigene Anstrengungen verdienen zu müssen, bis er im Bibelstudium Römer 3, 28 entdeckte: So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Die oft in den Vordergrund gerückten Mißstände der Römisch-Katholischen Kirche waren für Luther nicht der Auslöser der Reformation. Sein Problem war allein theologischer Natur. Seine Verwerfung des sich in Deutschland durch den Prediger Tetzel verbreitenden Ablasshandels und vieler anderer Traditionen der Kirche war die für ihn notwendige Folge seiner Auslegung der bereits von Paulus diskutierten Gerechtigkeit allein aus Glauben (Römer 1, 17: Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zum Glauben, wie es in der Schrift heißt: Der aus Glauben Gerechte wird leben.)
Grundgedanken
Die wesentlichen Punkte der Reformation, die auch heute noch gemeinsamer Nenner der protestantischen Kirchen sind, werden oft mit dem vierfachen "allein ..." ausgedrückt:
- sola scriptura - allein die Schrift ist die Grundlage des christlichen Glaubens, nicht die Tradition (Galater 2, 6-9)
- solus Christus - allein Christus, nicht die Kirche, hat Autorität über Gläubige (Epheser 5, 23-24)
- sola gratia - allein durch die Gnade Gottes wird der glaubende Mensch errettet, nicht durch eigenes Tun (Römer 1, 17)
- sola fide - allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch gute Werke (Galater 2, 16)
Bibelübersetzungen
Luthers Bibelübersetzung war ebenfalls grundlegend und neu. Die zu seiner Zeit verbreiteten Bibelübersetzungen fußten auf der Vulgata, der von Hieronymus geschaffenen lateinischen Bibel, die ihrerseits auf der griechischen Septuaginta beruhte (Altes Testament). Die ursprünglich hebräischen und aramäischen Texte des Alten Testamentes hatten also mindestens drei Übersetzungsvorgänge, die des Neuen Testamentes zwei hinter sich, bevor sie in Deutscher Sprache zu lesen waren. Luther bemühte sich um direktere Übersetzungen aus dem Hebräischen bzw. Griechischen. Dabei bediente er sich einer volkstümlichen und verständlichen Sprache, die für lange Zeit zum Maßstab deutscher Bibelübersetzungen wurde.
Kritik an bestehenden Traditionen
Dabei gibt es zwei Ansätze:
- Luther unterzog die Traditionen der Kirche einer strengen Überprüfung. Messlatte war der Text der Bibel. Traditionen, die nach seiner Meinung der Schrift zuwider liefen, wurden abgeschafft. Er trat aber dafür ein, Traditionen, die nicht direkt auf der Bibel fußten, aber hilfreich für das Leben der Gläubigen waren, beizubehalten. So sprach sich Luther aus didaktischen Gründen gegen ein Bilderverbot in der Kirche aus.
- Ulrich Zwingli und Johannes Calvin lehnten alle Traditionen ab, die nicht in der Bibel begründet sind. Daher haben die reformierten Kirchen nüchterne Gotteshäuser, die höchstens mit Bibelsprüchen dekoriert sind; die Kirchenstruktur ist synodal, presbyterianisch oder kongregationalistisch strukturiert (ohne Bischof), Zwingli lehnte zeitweilig sogar Instrumentalmusik in der Kirche ab. Das Abendmahl ist eine Gedenkfeier.
Beiden Richtungen gemeinsam war die massive Kritik am Papsttum. Zugrunde liegt wieder ein theologisches Problem. Die Sonderstellung des römischen Bischofs wird traditionell begründet mit Matthäus 16,18 (Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.) Christus bezeichnet Petrus als Fundament der Kirche. Petrus wird später Bischof von Rom. Das wird als Einsetzung des Papstes durch Christus ausgelegt. Dieser wiederum hat stellvertretend für Christus die Vollmacht, weitere Priester zu ernennen. Dem stellt Luther Matthäus 18,19 gegenüber, wo die Gemeinde Christi als Versammlung von mindestens zwei Menschen unter dem Namen Christi definiert wird. In Verbindung mit Kapitel 12 des 1. Korintherbrief wird die Vorstellung vom Laienpriestertum entwickelt. Der Pfarrer ist dann nicht mehr Nachfolger des von Christus eingesetzten Petrus, sondern das Glied der Gemeinde, das es am besten versteht, die Aufgaben des Pfarrers, wie Predigt und Seelsorge, wahrzunehmen. Dieses Gemeindemitglied hat seine Sonderstellung nicht aufgrund seiner Weihe sondern aufgrund seiner Ausbildung.
Neue Gottesdienstordnungen
Verschiedene Reformatoren (Thomas Müntzer mit der ersten deutschsprachigen Gottesdienstordnung 1523, auch Karlstadt oder Luther) bemühten sich um die Schaffung von Gottesdienstordnungen in der Landessprache. Diese ersetzten in den protestantischen Gebieten zunehmend die Liturgie der lateinischen Messe. Im Zentrum dieser Ordnungen standen Schriftlesung und Predigt (Wortgottesdienst). Die deutsche Bibelübersetzung ermöglichte es jedem Gemeindemitglied, die Auslegung des Pfarrers (Predigt) mit dem Wort der Bibel zu vergleichen.Hurensohn
Unmittelbare politische Entwicklungen
Die Grundlagen der Reformation waren im Gegensatz zu späteren Interpretationen nicht die politischen und sozialen Missstände der Kirche. Diese waren lediglich der Nährboden für die neuen theologischen Gedanken der Reformatoren. Luther versuchte zuerst ein theologisches Problem zu lösen. Die protestantischen Reichsfürsten hingegen versuchten mit der Reformation einige ihrer politischen Probleme mit Kaiser und Papst zu lösen.
Zum theologischen Ringen um die richtige Auslegung der Bibel traten auch bald politische Aspekte hinzu. Die neuen Gedanken gaben den Reichsfürsten eine theologische Begründung, die von Rom auferlegte Abgabenlast reduzieren zu können. Das Entstehen der protestantischen Landeskirchen stärkte ebenfalls die Autonomie der Fürstentümer. Bedeutende protestantische Territorien im Deutschen Reich waren Hessen, die Pfalz, Sachsen und Württemberg.
Es kam in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu verschiedenen Kriegen zwischen Katholiken und Protestanten innerhalb von Deutschland und der Schweiz, die in Deutschland 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden und in der Schweiz 1531 mit dem 2. Landfrieden von Kappel endeten. Bei beiden kam es auf "eius regio, eius religio" (dein Land, dein Glaube) heraus. In Deutschland bestimmte der jeweilige Fürst die Konfession seines Landes, in den Schweizer Kantonen die jeweiligen republikanischen Regierungen.
Der sogenannte linke Flügel der Reformation
Die von dem Täuferforscher Heinold Fast so bezeichnete reformatorische Bewegung bietet kein einheitliches Bild. Zwar war allen (wie übrigens auch anderen Reformatoren) eine apokalyptische Welt- und Zeitsicht eigen. Die Konsequenzen, die sie jedoch daraus zogen, waren durchaus unterschiedlich.
Zum einen gehörten zu diesem linken Flügel die radikalen Reformatoren, für die hier stellvertretend Thomas Müntzer, der große Gegenspieler Martin Luthers, genannt werden soll. Ihre zentralen Anliegen waren die radikale Reform der Kirche und die revolutionäre Umwälzung der politischen und sozialen Verhältnisse. Hier lagen auch die Wurzeln des Deutschen Bauernkriegs. Dabei kam es auch in Thüringen zur Gründung des Ewigen Rates, der die politischen und sozialen Forderungen der Bauern durchsetzen sollte.
Die kurz nach dem Bauernkrieg im Umfeld der Schweizer Reformation entstandene Täuferbewegung verfolgte die Wiederherstellung der neutestamentlichen Gemeinde Jesu. Die von ihnen ausschließlich praktizierte Gläubigentaufe, die von ihren Gegnern irreführend als Wiedertaufe bezeichnet wurde, war nur ein Teil und - genau genommen - Folge ihrer Ekklesiologie. Kirche war für sie die Gemeinde der Gläubigen, in der die sozialen Schranken gefallen waren. Sie praktizierten das Allpriestertum und wählten ihre Ältesten und Diakone auf "demokratische" Weise. Sie traten für die Trennung von Kirche und Staat ein, forderten Religionsfreiheit nicht nur für sich und verweigerten in weiten Teilen ihrer Bewegung den Kriegsdienst und den Eid. Zu ihnen gehörten unter anderem auch die Hutterer und die Mennoniten.
Ganz anders positionierten sich die sogenannten Münsterschen Wiedertäufer, deren Wegbereiter - wenn auch ungewollt - Melchior Hofmann geworden war. Ihr enthusiastischer und gewaltbereiter Chiliasmus, der durch die erlittenen Verfolgungen entfacht worden war, gipfelte in der gewaltsamen Aufrichtung des Königreichs von Münster. Ihre Führer sahen sich als die entscheidenden Werkzeuge und Wegebahner eines hereinbrechenden Reiches Gottes.
Eine vierte Gruppe innerhalb des linken Flügels der Reformation' bildeten die von ihren Gegenern als Schwärmer bezeichnete Bewegung. Sie waren mit der Täuferbewegung eng verwandt und gingen zum Teil aus ihr hervor. Sie vertraten einen stark verinnerlichten Glauben. Ihr Ziel war es nicht in erster Linie, eine sichtbare und verfasste Kirche zu bilden. Sie legten auch auf die äußeren Zeichen bzw. Sakramente wie Abendmahl und Taufe keinen großen Wert. Sie verstanden sich als eine Art unio mystica. Zu ihren bedeutenden Vertretern gehörte Sebastian Franck.
Sowohl die katholischen als auch die lutherischen und reformierten Obrigkeiten verfolgten die genannten Gruppen mit großer Härte - ohne Ansehen ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen und Lehren. Tausende von (friedlichen) Täufern wurden wegen ihrer Überzeugungen gefangen gesetzt, gefoltert und bei lebendigem Leib verbrannt oder ertränkt.
Die Reformation in England
Die Reformation in England wurde vor allem aus politischen Gründen ausgelöst. Allerdings hatten Theologen auch aus eigenen Gründen die Schriften und das Wirken von Martin Luther, Johannes Calvin und Ulrich Zwingli mit Interesse verfolgt, und es kam vielen von ihnen nicht ungelegen, dass sich nun mehr die Gelegenheit bot, bestimmte Prinzipien, die vormals von Rom verboten waren, auch in England anwenden zu dürfen. So hatte es z. B. Versuche gegeben, die Bibel in englischer Sprache zu verbreiten (siehe John Wyclif, William Tyndale). Diese endeten auch unter Heinrich VIII. mit der Hinrichtung des Übersetzers. Erst unter Edward VI. wurden größere Reformen (z. B. das erste Book of Common Prayer) eingeführt. Mit seinem Tod wurde England unter der "blutigen Maria" wieder gewaltsam zur römischen Lehre zurückgeführt, aber mit der Nachfolge von Elisabeth I. auf dem Thron wurde die Anglikanische Kirche endgültig in England etabliert. Siehe hierzu: Geschichte der Anglikanischen Kirche.
Reaktion der katholischen Kirche
Die katholische Kirche versuchte zuerst zu überzeugen, dann verlegte sie sich auf politischen und kirchlichen Druck. Luther musste fliehen und überlebte nur durch fürstlichen Schutz. Zwingli gelang es, den Rat von Zürich von der Richtigkeit seiner Lehre zu überzeugen. Die Ideen der Reformation breiteten sich wie ein Lauffeuer aus - die Bevölkerung strömte zum neuen Glauben, Reichsstädte und Fürsten gingen auf die Seite der Reformation über.
Der damalige Kaiser Karl V. blieb katholisch, konnte sich jedoch nicht auf die Niederschlagung der Reformation konzentrieren, da ihn die Außenpolitik stark beanspruchte (Türkei, Frankreich).
In der Folge leitete der von Ignatius von Loyola gegründete Orden der Jesuiten die Gegenreformation ein.
Die Gegenreformation stellt allerdings nur die eine Seite der Reaktion der Alt-gläubigen Kirche dar. Das Konzil von Trient versuchte innerhalb der drei Sitzungsperioden, die im 15. Jahrhundert begonnenen Reformen weiter fortzuführen. Die drei Sitzungsperioden stehen jeweils unter anderen Vorzeichen. Als das Konzil 1562/63 tagte standen die Entwicklungen in Frankreich mit den Konflikten der Hugenotten im Vordergrund. Eine gesamte Reform der römischen Glaubenslehre hatte zu keiner Zeit zur Debatte gestanden.
Ausbreitung in Europa
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts kam eine zweite Generation von Reformatoren zum Zug. In Genf Calvin, in Zürich Heinrich Bullinger, der als Nachfolger von Ulrich Zwingli der Züricher Kirche vorstand. Deren Beitrag war es, die Reformation theologisch zu konsolidieren - Calvin mit seiner "Institutio", Bullinger mit dem "Zweiten Helvetischen Bekenntnis". Beide übten einen europaweiten Einfluss auf den Protestantismus aus. Aus ihren Lehren geht die Reformierte Kirche hervor.
Theologisch wie auch politisch gipfelte die Reformation in den Bekenntnisschriften der protestantischen Kirchen:
Bedeutung und Folgen der Reformation
Die Reformation war einer der großen Wendepunkte in der Geschichte des Abendlandes. Für die Geschichte des Christentums bedeutete die Reformation den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die von der beinahe vollständigen Allmacht der katholischen Kirche über die ab dem 13. Jahrhundert verstärkt formulierte Kritik an ihr (Averroismus, Jan Hus, John Wyclif, Wilhelm von Ockham) und die Bildung zahlreicher "häretischer" christlicher Glaubensgruppen bis hin zur endgültigen Spaltung der Christenheit führten. Die neu entstandenen Konfessionen konnten sich nach langem Ringen schließlich als gleichberechtigte Kirchen neben der katholischen etablieren. Da die neuen Konfessionen zu stark waren, um dauerhaft unterdrückt werden zu können, waren, obwohl es zahlreiche Rückschläge und sogar Religionskriege gab, beide Seiten auf Dauer zur religiösen Toleranz gezwungen. Die katholische Kirche verlor nicht nur in weiten Teilen Europas an Einfluss, sondern insbesondere auch ihr bis dahin beinahe unantastbares Deutungsmonopol für die Auslegung der Bibel. Die Reformation führte durch den Druck, der durch den schnellen Abfall ganzer Regionen vom Katholizismus verursacht wurde, auch auf katholischer Seite zu Reformen. Daher spricht man hierfür auch von katholischer Reform. Außerdem wurde versucht eine Rekatholisierung der vom katholischen Glauben abgefallenen Gebiete zu erreichen, was wiederum eine Seite der Gegenreformation darstellt.
Zwar wurde die christliche Religion durch die Reformation nicht grundlegend in Frage gestellt, dennoch wurden fundamentale Glaubenssätze und religiöse Praktiken, die jahrhundertelang als unumstößlich galten, erfolgreich von den Reformatoren und ihren Anhängern verworfen. Erstmals hatte sich eine von in der Kirchenhierarchie weitgehend unbedeutenden Personen geäußerte Kritik tatsächlich durchgesetzt. Die Autorität der Kirchen über die Gläubigen wurde zwar zunächst nur teilweise aufgebrochen, dennoch bereitete die Reformation den Weg zum Zeitalter der Aufklärung in dem das Individuum in seiner persönlichen Freiheit deutlich aufgewertet wurde und in der schließlich selbst atheistische Weltbilder Anerkennung erfuhren, oftmals (wie in Frankreich von Voltaire) sogar zur Doktrin erhoben wurden.
Doch die Reformation revolutionierte nicht nur das geistige Leben, sie setzte auch eine gesellschaftspolitische Entwicklung in Gang. Der Staat löste sich von der Bevormundung durch die Kirche, um nun seinerseits im Landesherrentum und Absolutismus die Kirche von sich abhängig zu machen. Doch auch dies stellte nur eine Übergangsphase in einer Entwicklung dar, die in vielen Ländern in die Trennung von Kirche und Staat mündete.
Somit wirkte die Reformation weit über die eigentliche Reformationszeit hinaus und bildete einen Wendepunkt hin zur Entwicklung der modernen Gesellschaft der Neuzeit.
Literatur
- Christine Roll (Hrsg.): Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, Frankfurt/a. M. u. a. 1996, 531 S., ISBN 3-631-47923-9
- Rudolf Stickelberger, Kirchengeschichte für Jedermann, 1969 (Kirchengeschichte mit Schwerpunkt Reformation, etwas Schweiz-lastig, aus reformierter Sicht)
- B. Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation, (Deutsche Geschichte 4), 1999 ISBN 3-525-33462-1 (die profanhistorische Reihe zeichnet sich durch einen sozialgeschichtlichen Zugang aus)
- Armin Sierszyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, Band 3, Reformation und Gegenreformation, 2000, ISBN 3-7751-3247-3. (umfassende Darstellung, viele Quellenangaben, aus landeskirchlich-evangelikaler Sicht)
- Hans Küng, Das Christentum, 1994, ISBN 3-492-03747-X, Kapitel IV, Das protestantisch-evangelische Paradigma (neuartige Sicht auf die Kirchengeschichte, eher katholisch)
- Carter Lindberg: The European Reformations, 1996, ISBN 1-55786-575-2 (Sehr umfassende Geschichte der Reformation vom Spätmittelalter bis zur Gegenreformation, die sämtliche europäischen Länder mit reformierter Geschichte einschließt - aus amerikanischer Sicht)
- Anette Völker-Rasor (Hrsg.), Frühe Neuzeit, München 2000, ISBN 3-486-5626-9 (Lehrbuch des Oldenbourg Verlags)
- Stefan Zweig: Ein Gewissen gegen die Gewalt: Castellio gegen Calvin, 1936, (Roman)
- Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter - Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563-1675) (= Kirchengschichte in Einzeldarstellungen, II/8), Leipzip 2000, ISBN 3-374-01719-3
Weblinks
- Martin Luther
- Einführung in die Reformierte Geschichte
- Calvinianum
- Martin Luther und die Reformation
[Kategorie:Gegenreformation]