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Intergeschlechtlichkeit

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Intersexualität ist eine Bezeichnung, die gemeinhin für Menschen mit nicht eindeutig weiblichen oder männlichen körperlichen Geschlechtsmerkmalen verwendet wird. Einige Intersexuelle bevorzugen Ausdrücke wie Hermaphrodit oder sogar Zwitter, andere lehnen diese als vulgär und diskriminierend ab.

Biologische Aspekte

Uneindeutigkeiten des Körpergeschlechts können verschiedene Ursachen haben:

  1. Chromosomale Variationen: Statt den häufigsten Karyotypen 46,XX (weiblich) und 46,XY (männlich) gibt es unter anderem auch die Varianten 45,X, bekannt als Turner-Syndrom mit einem weiblichen Phänotypus und einem weiblichen Identitätsgeschlecht), und 47,XXY, das Klinefelter-Syndrom mit männlichem Phänotypus und meist männlichem Identitätsgeschlecht, sowie Mosaike mos45,X/46,XX, mos45,X/46,XY und den Chimerismus chi46,XX/46,XY.
  2. Gonadale Variationen: Fehlende (Agonadidsmus), ganz oder partiell zu sog. Streifengonaden degenerierte (Gonadendysgenesien), ovarielle und testikuläre Gewebeanteilen in entweder denselben (Ovotestes) oder getrennten Gonaden.
  3. Hormonelle Variationen: Auffällige Serumspiegel bei Geschlechtshormonen und deren Vorläufern, teils mit Folgen wie Gynäkomastie (Brustentwicklung bei Männern) oder Hirsutismus bei Frauen, teils aber auch die sexuelle Differenzierung insgesamt betreffend. Diese kann unterschiedliche Ursachen (Gonadale Varianten, Enzymdefekte) haben.
  4. Anatomische Variationen: von Syndromen mit unspezifischen Ursachen bis zu eher kulturell bedingten Einschätzungen wie „zu kleiner“ Penis oder „zu große“ Klitoris sind sehr viele Variationen bekannt.

Viele intersexuelle „Syndrome“ bestehen nicht nur aus einer einzigen nachweisbaren Variation, sondern entstehen im Zusammenspiel mehrerer Faktoren, so zum Beispiel bei AIS (Androgen-Rezeptor-Defekt, Androgenresistenz). Bei (vollständigem) AIS entwickeln sich zum Beispiel bei einem Fötus mit XY-Chromosomen Hoden, die im Körper verbleiben. Die Rezeptoren für Testosteron fehlen jedoch, sodass sich ein weibliches äußeres Geschlecht (allerdings ohne weibliche innere Organe) entwickelt; das Identitätsgeschlecht ist meist weiblich.

Die Häufigkeit von Intersexualität wird äußerst unterschiedlich geschätzt – von 1:100 bis 1:2000.

Für eine Übersicht über die unterschiedlichen Formen siehe Intersexuelle Syndrome.

Soziale Aspekte

Die Bandbreite der historisch und ethnographisch belegten Einstellungen gegenüber Intersexuellen und Intersexualität reicht von Verehrung bis Tötung intersexueller Menschen. In den westlichen Kulturen der Neuzeit wurde (und wird teilweise noch) angenommen, dass es wissenschaftlich möglich sei, das "wirkliche" Geschlecht eines jeden Menschen zu bestimmen, wodurch die bei weitem meisten zu sog. Pseudohermaphroditen (Scheinzwittern) hinwegerklärt werden konnten. Gleichfalls wurde und wird noch immer angenommen, dass es im Interesse des Intersexuellen läge, ihre Körper diesem "wirklichen" Geschlecht anzupassen.

Kritiker von Seiten intersexueller Aktivisten wie von Wissenschaftlern wenden hingegen ein, dass die Festlegung, welches Geschlecht denn nun das "wirkliche" sei, oft zweifelhaft sei, von subjektiven Willküren (Eltern wünschen oft in selbst unplausibelsten Fällen eine männliche Zuweisung) oder medizinischen Machbarkeiten (Gearhardt's zynisches "Es ist einfacher, ein Loch zu machen als einen Pfahl zu bauen.") oder sportlichem Ehrgeiz ("Urologen basteln gerne Jungen.") gelenkt, historischer und kultureller Relativität unterworfen (wofür alleine der Trend von männlichen Zuweisungen in 3/4 aller Fälle ambiger Genitalien zu weiblichen in 2/3 aller solcher Fälle in der 2. Hälfte des 20 Jh. spricht). Weiterhin wurde, da die entsprechenden medizinischen Eingriffe (siehe geschlechtsangleichende Operation) oft im Säuglings- und Kleinkindalter vorgenommen wurden, der für die Betreffenden wichtigste Faktor, das Identitätsgeschlecht, nicht berücksichtigt.

Unbestritten ist auf jeden Fall, dass sich viele dieser Zuweisungen als falsch herausgestellt haben. Dass viele Intersexuelle nicht nur körperliche Schäden aufgrund der schmerzhaften Eingriffe davongetragen haben (zum Beispiel wenn eine "zu große" Klitoris so verkleinert wurde, dass die Sensibilität verloren ging und womöglich durch Vernarbung sexuelle Erregung zu Schmerzen führt - oder daß schon Kleinkindern die angelegte Neovagina bougiert werden muss), auch werden durch die conta-chromosomale Hormontherapie Stoffwechselstörungen hervorgerufen. Ebenso auch psychische Schäden durch den - im Gegensatz zur Erziehung nicht-intersexueller Kinder bewusst und besonders stark ausgeübten - Druck, sich dem zugewiesenen Geschlecht entsprechend zu verhalten incl. der häufigen Untersuchungen, und dem routinemäßigen Verschweigen der Diagnose. Überhaupt noch nicht berücksichtigt sind hier die Auswirkungen der geschlechtsangleichenden Maßnahmen im hohen Alter.

Aufgrund dieser Proteste haben sich bereits erste Anzeichen für eine Änderung dieser Praxis gezeigt. Bei manchen Syndromen zeichnet sich eine Abkehr von der Zwangszuweisung und den damit verbundenen medizinischen Eingriffen ab.

Viele intersexuelle Menschen argumentieren daher häufig (zusammen mit Transgendern) auch, dass die westliche Vorstellung von genau zwei sauber unterscheidbaren Geschlechtern (siehe Heteronormativität) falsch ist. Einige intersexuelle Menschen nutzen in ihren Bemühungen um gesellschaftliche Akzeptanz der Begriffe "Zwitter" oder "Hermaphrodit" um sich zu benennen, da der Begriff "Intersexueller Mensch" gesellschaftlich wenig bekannt ist und für sie zudem nur eine medizinische Kategorie darstellt, der sie äußerst kritisch gegenüberstehen.

Kulturelle Aspekte

In einigen Kulturen und Religionen – so nach einer von mehreren möglichen Interpretationen auch im heiligen Buch des Islam (Koran XLII, 49-50) – werden Intersexuelle (oft zusammen mit Transgender-Personen) als Angehörige eines dritten Geschlechts betrachtet. In christlichen Ländern wird dagegen häufig noch argumentiert, dass Gott die Menschen ausschließlich als Mann und Frau geschaffen habe. Daher wurden Hermaphroditen gerade hier immer wieder gezwungen, sich einem dieser beiden Geschlechter anzupassen.

1999 hat die intersexuelle Theologin Sally Gross diese Form der Zwangsanpassung als Folge eines Übersetzungsfehlers analysiert und gezeigt, dass im jüdischen Talmud auch andere Auslegungen der heiligen Schrift zu finden sind. In ihnen wird die Existenz von Hermaphroditen nicht nur anerkannt, sondern sogar ausdrücklich auf biblische Gestalten bezogen.

Historische Aspekte

Die Assimilierung von Hermaphroditen oder Zwittern, wie intersexuelle Menschen vor der Einführung dieses Begriffes meist genannt wurden, in die beiden Geschlechter "Mann" und "Frau", die womöglich aus einer falschen Auslegung der Bibel resultierte (s.o.), erhielt mit der modernen Medizin eine völlig neue Qualität. So stellte in Preußen das Allgemeine Landrecht Hermaphroditen noch frei, sich bis zu ihrer Volljährigkeit entweder für das männliche oder für das weibliche Geschlecht zu entscheiden. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen Mediziner jedoch zunehmend für sich in Anspruch, anhand willkürlicher und sich über die Zeit hinweg verändernder Kriterien das "wahre" Geschlecht von "Pseudo"-Hermaphroditen unabhängig von deren Willen zu bestimmen; mit oft traumatischen Folgen für diejenigen, die plötzlich aus ihrem angestammten Leben gerissen und einem ihnen fremden Geschlecht zugewiesen wurden. Dies lässt sich unter anderem an der Autobiographie und dem Selbstmord von Herculine Barbin ablesen.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden "Pseudo"-Hermaphroditen darüber hinaus als "missgebildet" und "krank" klassifiziert. Ihre Genitalien wurden nicht selten von Ärzten abfotografiert und öffentlich zur Schau gestellt. Doch erst in den 1950er Jahren war die Medizin so weit, ihr Heilungsinteresse auch praktisch geltend zu machen. Zu diesem Zeitpunkt begann der amerikanische Arzt und Psychiater John Money, mit frühkindlichen Operationen an Intersexuellen zu experimentieren. Das Ziel war es, die fehlende Geschlechtseindeutigkeit spätestens bis zum zweiten Lebensjahr durch massive chirurgische und hormonelle Eingriffe zu beheben. Die Empfehlung Moneys, das künftige Geschlecht des Kindes einfach nach Machbarkeit auszuwählen, setzte sich schließlich 40 Jahre lang als internationaler Standard durch, wird jedoch seit Mitte der 1990er Jahre sowohl durch die Proteste von intersexuellen Menschen als auch durch die Kritik von renommierten Medizinern wie Milton Diamond zunehmend in Frage gestellt. (Vergleiche auch David Reimer.)

Einige intersexuelle Menschen stellen heute die in der westlichen Kultur und Tradition tief verankerte Vorannahme in Frage, dass jede Abweichung von der Zweigeschlechternorm nichts anderes als eine Krankheit, eine Missbildung oder eine Monstrosität sein könne. Wenn auch bei weitem nicht alle intersexuelle Menschen sich zu Angehörigen eines drittes Geschlechts stilisieren wollen, sondern es vorziehen, in der Rolle als Mann oder Frau weiter zu leben, so ist doch gleichwohl die Debatte über die Zahl der Geschlechter in den letzten Jahren neu eröffnet worden.

Eine Berliner Polizistin lebte fast 50 Jahre lang als Mann. Bei ihrer Geburt (1954) wurde entschieden, dass sie ein Mann ist, obwohl es nicht eindeutig war. Nachdem sie sich umwandeln ließ, wurde sie so stark von ihren Kollegen gemobbt, dass sie sich das Leben nahm.

Intersexualität und Transgender

Transgender sind Menschen, die sich mit ihrem zugewiesenen Geschlecht falsch oder unzureichend beschrieben fühlen oder auch jede Form der Geschlechtszuweisung- bzw. -kategorisierung grundsätzlich ablehnen. Dies schließt natürlich auch manche, aber keineswegs alle intersexuellen Menschen ein. Während in einigen Organisationen und Bündnissen Transgender und Intersexuelle zusammenarbeiten, da viele Gemeinsamkeiten gesehen werden, lehnen andere Intersexuelle jede Zusammenarbeit mit Transgendern ab. (Vergleiche Hermaphrodit.)

Intersexuelle Menschen sind Menschen, deren chromosomales Geschlecht sich vom phänotypischen Geschlecht unterscheidet. Viele kommen mit einem uneindeutigem Genital auf die Welt (z. B. PAIS), andere werden erst in der Pubertät auffällig (CAIS, Swyer-Syndrom). Geschlechtsangleichende Operationen an intersexuellen Kindern werden u. a. wegen des Rechts auf Selbstbestimmung von vielen erwachsenen intersexuellen Menschen abgelehnt. Oft haben intersexuelle Menschen Schwierigkeiten, später ihre eigenen Patientenunterlagen zu erhalten, obwohl diese (und das Wissen um das eigene chromosomale Geschlecht) wichtig wären, um die Folgen einer contra-geschlechtlichen Hormonbehandlung zu minimieren.

Für die medizinische Diagnose Transsexualität hingegen ist Intersexualität formal ein Ausschlusskriterium. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass intersexuelle Menschen, welche die Geschlechtsrolle wechseln, gar nicht erfahren, dass sie eigentlich intersexuell sind, und daher medizinisch und vor allem juristisch (TSG) wie transsexuelle Menschen behandelt werden.

Um Intersexualität auszuschließen ist eine Chromosomenanlyse notwendig. Bei Menschen mit 5-Alpha-Reduktase-Mangel entwickelt der Körper erst ab der Pubertät ausreichende Mengen an 5-Alpha-Reduktase, um ein männliches Genital auszubilden und sich zum fortpflanzungsfähigen Mann zu entwickeln.

Intersexuelle Menschen können ihren Vornamen nach dem Personenstandsgesetz § 47 ändern.

Selbsthilfe und Kritik der gegenwärtigen Praxis

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