Zentralgefängnis Bagdad

Das Abu-Ghuraib-Gefängnis (arabisch سجن أبو غريب Sidschn Abū Ghuraib) ist ein Gefängnis-Komplex in Abu Ghuraib im Irak. Schon zu Zeiten Saddam Husseins war das Abu-Ghuraib-Gefängnis wegen seiner Folter-Praktiken berüchtigt. Außerdem sollen dort regelmäßig Hinrichtungen stattgefunden haben. Nach dem Irakkrieg wurde das Gefängnis von den US-geführten Besatzungstruppen übernommen und im Jahr 2004 wurden Erkenntnisse über die Folterung und Misshandlung irakischer Insassen bekannt.
Abu-Ghuraib-Folterskandal
Nach dem Ende der offiziellen Kampfhandlungen des dritten Golfkriegs kam das Gefängnis im April 2004 in die Schlagzeilen, als der Fernsehsender CBS in einer Folge seines Fernsehmagazins „60 Minutes“ über Folter, Missbrauch und Erniedrigungen von Gefangenen durch US-amerikanische Soldaten berichtete. Die dabei ausgestrahlten Bilder sollen im November oder Dezember 2003 aufgenommen worden sein und auch schon Gegenstand von Untersuchungen der US-Army gewesen sein.
Die Bilder zeigen nackte Gefangene, die gerade zu Oralsex gezwungen werden sollen, sowie einen Gefangenen, der an Elektrokabel angeschlossen ist, als werde er mit einer Hinrichtung durch Elektrizität bedroht. Darüber hinaus gibt es ein Bild, das einen Gefangenen zeigt, der tot zu sein scheint. Nach Auskunft von CBS hat die US-Army noch wesentlich mehr Fotos dieser Art, einschließlich eines, das einen Gefangenen zeigt, der von einem Hund angefallen wird.
Ein Gefangener trägt Beschuldigungen vor, unter der Aufsicht von US-Soldaten vergewaltigt worden zu sein.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat die US-Behörden nach eigenen Angaben bereits vor Monaten dazu angehalten, gegen die Misshandlungen irakischer Häftlinge einzuschreiten: „Unsere Erkenntnisse wurden bei unterschiedlichen Gelegenheiten zwischen März und November 2003 erörtert, entweder in direkten Gesprächen oder in schriftlichen Eingaben“, gab Pierre Krähenbühl vom IKRK am 7. Mai 2004 in Genf bekannt.
An den Folterungen im irakischen Gefängnis Abu Ghuraib sollen nach Angaben eines US-Wissenschaftlers auch Ärzte beteiligt gewesen sein. Diese hätten mit ihrem Verhalten ethische Werte der Medizin gebrochen und Menschenrechte verletzt, schreibt der amerikanische Bioethiker Steven Miles im Fachmagazin The Lancet. Der Doktor der Medizin und Professor an der Universität von Minnesota verlangte eine offizielle Untersuchung über die Rolle der Ärzte beim Folterskandal.
Miles wertete Protokolle des US-Kongresses aus, Aussagen von Inhaftierten und Soldaten, ärztliche Berichte und Pressemeldungen. Ein Militärsprecher bestätigte, die meisten der in dem Artikel beschriebenen Vorfälle und Anschuldigungen seien von den Streitkräften selbst dokumentiert worden.
Miles schreibt, laut Aussagen von Verantwortlichen der US-Armee hätten ein Psychiater und ein weiterer Arzt die Befragungsmethoden in Abu Ghuraib entworfen und genehmigt sowie die Verhöre überwacht. Er schildert einen Fall, der von einem Häftling beeidet worden sei: Ein Gefangener sei nach Schlägen bewusstlos zusammengebrochen und von Pflegekräften wiederbelebt worden. Diese seien dann gegangen, danach sei der Mann erneut misshandelt worden. Außerdem gebe es Berichte, dass selbst Ärzte Gefangene misshandelt hätten.
Miles zitiert ferner einen Offizier der Militärpolizei: Ein Arzt habe einem unter Folter gestorbenen Inhaftierten eine Infusion in die Vene gelegt, damit es so aussehe, als habe der Mann im Krankenhaus noch gelebt. Totenscheine von Gefangenen in Afghanistan und im Irak seien gefälscht worden. «Die Ärzte bestätigten routinemäßig den Tod durch Herzinfarkt, Hitzeschlag oder andere natürliche Todesursachen», schreibt Miles. Nur wenige Einheiten im Irak und in Afghanistan hätten den Gefangenen die von der Genfer Konvention geforderten monatlichen Untersuchungen ermöglicht, Ärzte hätten nicht für eine regelmäßige medizinische Betreuung gesorgt.

Am 24. Mai 2004 kündigte US-Präsident Bush in einer Ansprache an das amerikanische Volk den Abriss des Abu-Ghuraib-Gefängnisses an. Es werde auf Kosten der USA durch ein modernes Hochsicherheitsgefängnis ersetzt werden.
Am 15. Februar 2006 veröffentlicht der australische Sender SBS weitere Bilder, die das Pentagon trotz eines Gerichtsurteils unter Verschluss halten wollte. Der Moderator der Sendung „Dateline” erklärte den Zuschauern, dass die bisher unveröffentlichten Bild-Dokumente aus jener Sammlung stammen, die im Jahr 2004 weltweit Empörung hervorgerufen hatte. Der Sender begründete die Ausstrahlung der Bilder mit seiner Informationspflicht und Pressefreiheit. Sie würden enthüllen, dass die Misshandlungen – sexuelle Erniedrigung, Verstümmelung und Folter bis hin zum Tod – „verbreiteter und viel schlimmer” gewesen seien, als bisher angenommen. Weitere Fotos wurden von der australischen Zeitung „Sydney Morning Herald” ins Internet gestellt. Darauf ist u.a. zu sehen, wie einem am Boden liegenden Mann die Zunge aus dem Mund geschnitten wird. Ein anderes Foto zeigt einen stehenden Mann, dessen Kopf offenbar gegen eine Stahltür geschlagen wird. Mehrere Leichen werden gezeigt sowie Körperteile mit Brandwunden und selbst die Misshandlung von Kindern.
Am 9. März 2006 kündigten die USA an, die Kontrolle über das Gefängnis an die irakischen Sicherheitsbehörden übergeben zu wollen und die Gefangenen zu verlegen. Stattdessen will die US-Regierung den Neubau eines Hochsicherheitsgefängnisses finanzieren.
Am 15. März 2006 veröffentlichte das US-Internetmagazin Salon.com 279 Fotografien und 19 Videos, die zum Teil bisher unbekannt waren. Die Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Dorothea Krimitsas äußerte sich „schockiert“ über die neu veröffentlichten Folterbilder. „Wir sind bestürzt über die Misshandlungen“, sagte sie der Schweizer Nachrichtenagentur SDA am 16. März.
Anklage in Deutschland
Am 15. September 2005 wies das Oberlandesgericht Stuttgart den Klageerzwingungsantrag eines Mitglieds des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins im Auftrag von 17 Folteropfern und einer Menschenrechtsorganisation ab. Generalbundesanwalt Kay Nehm hatte nach der Anzeige von den 17 Opfern noch kein Ermittlungsverfahren gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eingeleitet.
Siehe auch
- Charles Graner
- Guantanamo-Bucht (Guantanamo-Gefangenlager „Camp X-Ray“)
- Ricardo Sánchez
- Lynndie England
Weblinks
- Interview mit dem Islamwissenschaftler Bernard Haykel: Zorn, Ideologie und Realpolitik ("Süddeutsche Zeitung", 17. Februar 2006)
- Mark Benjamin, Salon exclusive: The Abu Ghraib files (Salon.com, 16. Februar 2006 - vgl. [1])
- Andreas Fischer-Lescano, Rechtsrealität versus Realpolitik (Thema: die Strafanzeige in Deutschland gegen Donald Rumsfeld wegen der Folterungen in Abu Ghuraib; HSFK-Standpunkt Nr. 1/2005)
- Rückkehr in die Barbarei: Die dunkle Welt der Folter (Spiegel Online, August 2004)
- Einige Überlegungen über Abu Ghraib und das Unbewusste in der Popkultur von Slavoj Zizek, Die Amerikaner kontrollieren gar nichts! Nicht mal sich selbst! Berliner Zeitung, 23. Juni 2004
- Bilder aus dem Abu-Ghuraib-Gefängnis bei salon.com