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Paul Martin (Politiker, 1938)

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Paul Martin

Paul Edgar Philippe Martin (* 28. August 1938 in Windsor, Ontario), auch bekannt als Paul Martin, Jr. ist ein kanadischer Politiker. Er ist der 21. Premierminister des Landes und regiert seit dem 12. Dezember 2003. Er ist Vorsitzender der Liberalen Partei Kanadas. Seit dem 28. Juni 2004 steht er einer Minderheitsregierung vor. Diese verlor am 28. November 2005 ein Misstrauensvotum und unterlag am 23. Januar 2006 in der fälligen Wiederwahl.

Studium und beruflicher Werdegang

Paul Martin, Jr. ist der Sohn von Paul Martin Sr., einem einflussreichen Mitglied der Liberalen Partei Kanadas und Minister in vier verschiedenen Regierungen. Obwohl Martin eigentlich Frankokanadier ist, wuchs er in Ottawa und Windsor in einer englischsprachigen Umgebung auf. Um seine französischen Sprachkenntnisse zu verbessern, besuchte Martin eine Privatschule in Ottawa und studierte kurze Zeit an der University of Ottawa. 1961 machte er an der University of Toronto seinen Abschluss als Bachelor of Arts in Geschichte. Anschließend studierte er bis 1965 Rechtswissenschaft. Im selben Jahr heiratete er Sheila Ann Cowan; gemeinsam haben sie drei Söhne, Paul, Jamie und David.

Nach Beendigung des Studiums machte Martin Karriere in der Privatwirtschaft. Er arbeitete als:

  • Assistent des Geschäftsführers der Power Corporation of Canada
  • Vizepräsident der Power Corporation of Canada
  • Vizepräsident von Consolidated Bathurst Ltd, einer Tochtergesellschaft der Power Corporation
  • Präsident und später Chief Executive Officer der CSL Group
  • Vorstandsvorsitzender und CEO der Canada Steamship Lines
  • Vorstandsmitglied bei C.B. Pak Inc., Redpath Industries Ltd., Fednav Ltd., Manufacturers Life Insurance Co., Canadian Shipbuilding & Engineering Ltd. und Imasco Corp.

Im Juli 1981 wurde ihm die Möglichkeit angeboten, mit einem riskanten Management Buy-Out die Canada Steamship Lines zu übernehmen, damals eine Tochtergesellschaft der Power Corporation of Canada. Martin kalkulierte, dass er zusammen mit seinem Bekannten Lawrence Pathy die Übernahme leisten könnte, solange die Zinssätze, die sich damals auf einem für Kanada historischen Höchststand befanden, nicht weiter stiegen. Das Risiko zahlte sich dank sinkender Zinsen aus, die größte Firmenübernahme der kanadischen Geschichte wurde zu einem Erfolg und Martin zu einem Multimillionär. Er besaß Dutzende Unternehmen weltweit, 33 Schiffe sowie zahlreiche Bürogebäude, Appartementhäuser und Kinos. 2004 schätzte forbes.com sein Vermögen auf 225 Millionen kanadische Dollar (ca. 160 Millionen Euro).

Finanzminister

1988 wurde Martin als Abgeordneter des Wahlkreises LaSalle-Émard in Montréal ins kanadische Unterhaus gewählt. 1990 kandidierte er für den Vorsitz der Liberalen Partei und verlor nach einem erbittert geführten Wahlkampf gegen Jean Chrétien; diese Auseinandersetzung führte zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen den beiden Kontrahenten und deren Anhängern.

Dennoch gewannen die Liberalen die Wahlen von 1993 und Martin wurde von Premierminister Jean Chrétien zum Finanzminister ernannt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kanada eines der höchsten Budgetdefizite der G7-Länder. Martin gelang es, Schulden in der Höhe von 42 Milliarden Dollar (ca. 30 Milliarden Euro) abzubauen und fünf Mal in Folge einen Überschuss zu erwirtschaften. Über fünf Jahre hinweg senkte er die Steuerbelastung um 100 Milliarden Dollar (ca. 71 Milliarden Euro); dies war die größte Steuersenkung in der kanadischen Geschichte.

Während seiner Amtszeit als Finanzminister senkte Martin den Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt von 70 auf 50 Prozent. Darüber hinaus leitete er umfangreiche Reformen der kanadischen Altersvorsorge Canada Pension Plan ein, womit eine tiefgreifende finanzielle Krise abgewendet werden konnte. Martins Leistungen als Finanzminister wurden in Finanzkreisen gelobt, riefen aber auch Kritik hervor, weil die Dienstleistungen des Staates massiv reduziert wurden, insbesondere im Gesundheitswesen.

Zwischen Premierminister Jean Chrétien und Finanzminister Paul Martin gab es häufig Meinungsverschiedenheiten und beide verstanden sich auch persönlich nie besonders gut. Politische Beobachter gehen davon aus, dass Martin nach dem Parteikonvent 1990 aus der Partei ausgetreten wäre, wenn Chrétien ihn nach dem Wahlsieg von 1993 nicht das Amt des Finanzministers angeboten hätte. Die Folge wäre eine Spaltung der Liberalen Partei gewesen. Nach dem Wahlsieg im Jahr 2000 kamen Gerüchte auf, wonach Martin das Amt des Premierministers anstrebte und Chrétien zu einem vorzeitigen Rücktritt drängen wollte.

Der Konflikt zwischen Martin und Chrétien erreichte 2002 seinen Höhepunkt. Martin wurde aus dem Kabinett entlassen und durch John Manley ersetzt. Bald darauf gab Martin offiziell bekannt, dass er beim nächsten Parteikonvent im Januar 2003 für den Parteivorsitz kandidieren würde. Als immer klarer wurde, dass nur eine Minderheit der Delegierten ihn unterstützte, erklärte Chrétien, dass er im Frühling 2004 zurücktreten würde. Nach dieser Bekanntmachung zogen Martins Konkurrenten ihre Bewerbung rasch zurück. Am 21. September 2003 besiegte Martin seine einzige verbliebene Konkurrentin, Vizepremierministerin Sheila Copps, deutlich mit über 92 Prozent der Delegiertenstimmen. Am 12. Dezember 2003 ernannte ihn Generalgouverneurin Adrienne Clarkson zum 21. Premierminister Kanadas.

Premierminister

Martin sorgte nach seinem Amtsantritt für einigen innerparteilichen Wirbel, weil er nur die Hälfte der Minister der Chrétien-Regierung übernommen hatte. Dennoch genoss die Regierung zu Beginn hohe Zustimmung bei Meinungsumfragen. Am 9. Februar 2004 änderte sich dies jäh, als die parlamentarische Rechnungsrevisorin Sheila Fraser einen Bericht veröffentlichte. Nach dem knapp abgelehnten Unabhängigkeitsreferendum der Provinz Québec hatte Chrétiens Regierung mit verschiedenen Werbeagenturen Verträge abgeschlossen, um bei der frankophonen Bevölkerung das Vertrauen in die bundesstaatlichen Behörden zu stärken. Doch viele der beauftragten Agenturen hatten enge Bindungen zur Liberalen Partei und von den bewilligten 250 Millionen Dollar (ca. 178 Millionen Euro) waren rund 100 Millionen Dollar (ca. 71 Millionen Euro) spurlos verschunden.

Martin beteuerte, dass er keine Kenntnis der verschiedenen Agenturverträge hatte und ordnete eine öffentliche Untersuchung an, die sich in der Folge zum "Sponsoren-Skandal" ausweitete. Seine Gegner hingegen meinten, als Finanzminister hätte Martin von den Verträgen wissen müssen. Als Folge des Skandals sank die Zustimmung rapide. Nichtsdestotrotz entschied sich Martin, auf den 28. Juni 2004 Neuwahlen anzusetzen, um Schaden von der Liberalen Partei abzuwenden, bevor die Untersuchungskommission weitere Berichte veröffentlichen konnte.

Diese Ankündigung traf die Konservative Partei Kanadas völlig unvorbereitet. Im Wahlkampf gelang es der Regierung, die Aufmerksamkeit der Medien vom Skandal abzulenken, indem sie behauptete, der konservative Parteivorsitzende Stephen Harper habe ein "geheimes Parteiprogramm" und plane massive Verschärfungen im Abtreibungsrecht. Obwohl die Liberalen bei den Wahlen ihre absolute Mehrheit verloren, gelang es Martin, eine Minderheitsregierung zu bilden.

Minderheitsregierung

Die neue Regierung wurde bedrängt von den Separatisten Québecs, den Autonomisten Neufundlands und dem sich ausweitenden Skandal. Die Beziehungen zu den USA verschlechterten sich und die Regierung hatte Mühe, ihre Anliegen im Parlament durchzubringen. Bei der Thronrede am 5. Oktober 2004 zwang die Konservative Partei die Regierung zu Kompromissen und wurde dabei vom separatistischen Bloc Québécois und der New Democratic Party unterstützt.

Ein wichtiges Anliegen der Regierung war die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare, im Volksmund auch "Homo-Ehe" genannt. Der römisch-katholische Paul Martin hatte diese 1999 zusammen mit einer Mehrheit der Parlamentsabgeordneten noch abgelehnt, hatte aber inzwischen seine Meinung geändert. 2003 und 2004 war die gleichgeschlechtliche Partnerschaft in sieben Provinzen und Territorien legalisiert worden. Nun sollte diese Regelung auf ganz Kanada ausgeweitet werden. Das House of Commons stimmte dem Gesetz im Juni 2005 zu, der Senat einen Monat später.

Die Gomery-Kommission, die den Skandal um die Verträge mit Werbeagenturen untersuchte, veröffentlichte am 1. November 2005 den ersten Band des Untersuchungsberichts. Die Kommission sprach Paul Martin von jeglicher Schuld frei und machte seinen Vorgänger Jean Chrétien für den Skandal verantwortlich. Martins politische Gegner kritisierten den Bericht und behaupteten, er habe die Untersuchung in seinem Sinne beeinflusst.

Am 17. Mai 2005 wechselte die konservative Abgeordnete Belinda Stronach zur Liberalen Partei und wurde Ministerin für das Staatspersonal (Ministry of Human Resources and Skills Development). Die Opposition beschuldigte Stronach des politischen Opportunismus und warf Martin sogar Bestechung vor. Stronachs Wechsel hatte zur Folge, dass die Gewichte im Parlament sich zugunsten der Regierung verschoben. Am 19. Mai 2005, als das Budget beraten werden sollte, ging das von der Opposition beantrage Misstrauensvotum unentschieden aus. Der Speaker fällte daraufhin einen Stichentscheid zugunsten der Regierung, die damit weiterhin im Amt blieb.

Am 4. August 2005 gab Paul Martin bekannt, er habe Königin Elisabeth II. den Rat gegeben, die ursprünglich aus Haiti stammende Michaëlle Jean zur Generalgouverneurin von Kanada zu ernennen. Am 31. Oktober 2005, einen Tag vor Veröffentlichung des Gomery-Berichts, war Martin in einer Folge der kanadischen Sitcom "Corner Gas" zu sehen, wo er sich selbst spielte.

Am 28. November 2005 beantrage Oppositionsführer Stephen Harper von der Konservativen Partei erneut ein Misstrauensvotum und wurde dabei vom Bloc Québecois und von der New Democratic Party unterstützt. Mit 171 zu 133 Stimmen kam der Antrag durch und die Regierung wurde abgesetzt. Paul Martin bestimmte den 23. Januar 2006 als Termin für die kommenden Neuwahlen. Es war das erste Mal, dass eine kanadische Regierung nach einem direkten Misstrauensvotum zurücktreten musste, frühere Minderheitsregierungen waren im Zusammenhang mit wichtigen parlamentarischen Entscheiden gestürzt worden, wie z.B Budgetabstimmungen.

Wahlen 2006

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen mussten Paul Martin und seine Liberale Partei eine Niederlage einstecken, auch wenn diese nicht ganz so schwer ausfiel wie befürchtet. Das erste Mal seit 13 Jahren wurden die Liberalen nur noch zweitstärkste Kraft und verloren damit den Regierungsauftrag, den nun Stephen Harper übernimmt. Paul Martin verkündete daraufhin, dass er für eine weitere Kandidatur als Spitzenkandidat der Liberalen Partei nicht mehr zur Verfügung stehe.

Sein Mandat als Abgeordneter des Wahlkreises LaSalle-Emard in Montréal will Martin in der kommenden Legislaturperiode jedoch wahrnehmen. Ob und wie lange er den Vorsitz der Liberalen Partei behält, ließ Martin wenige Stunde nach der verlorenen Wahl offen.

Außenpolitik

Paul Martin mit George W. Bush und Vicente Fox

Martin hatte das Amt des Premierministers mit der Absicht angetreten, die Beziehungen zu den USA zu verbessern, die sich während der späteren Regierungszeit von Jean Chrétien merklich abgekühlt hatten. Doch nach vielen Verzögerungen gab Außenminister Pierre Pettigrew am 24. Februar 2005 bekannt, dass Kanada sich nicht am US-amerikanischen Programm National Missile Defense beteiligen wird. Paul Martin verlangte auch, benachrichtigt zu werden, sollten amerikanische Raketen kanadischen Luftraum durchqueren. Diese Haltung entsprach dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit.

Martin kritisierte mehrmals die US-Regierung, dass sie sich nicht um den Umweltschutz kümmere und die Folgen der globalen Erwärmung verharmlose. Die Opposition warf Martin Heuchelei in Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen vor und gab zu bedenken, dass Kanada im Bereich der CO2-Reduktion eine noch schlechtere Bilanz aufweise als die USA.

Die kanadische Regierung wurde mehrmals kritisiert, dass sie das Ziel verfehlt habe, 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. U2-Sänger Bono kündigte an, er werde Martin deswegen "in den Arsch treten".