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Appenzeller Bibliobahn

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X 1025
Die Appenzeller Bibliobahn
Die Appenzeller Bibliobahn
Die Appenzeller Bibliobahn
Nummerierung: X 1025
Anzahl: 1
Hersteller: SIG, ABB Zürich
Baujahr(e): 1909, 1942, 1988
Ausmusterung: 2009
Spurweite: 1000mm
Länge über Puffer: 13'200 mm
Höhe: 3.5 m
Breite: 2.5 m
Leermasse: 14 t
Stromübertragung: Oberleitung
Kupplungstyp: GF

Die Appenzeller Bibliobahn war eine weltweit einzigartige Fahrbibliothek in Appenzell Ausser- und Innerrhoden, welche zwischen 1988 bis 2008 wöchentlich in einem eigens umgebauten Bahnwaggon der Appenzeller Bahnen Bücher an verschiedenen Bahnhöfen auslieh.

Die Bibliobahn

Die Vorgeschichte

1965 reiste eine schweizer Delegation von Bibliothekaren nach Dänemark, um das dortige System der Volksbibliotheken zu studieren. Mit auf dieser Reise war Peter Wegelin, der damalige Leiter der Kantons¬bibliothek Vadiana, St. Gallen. In einer kleinen Ortschaft an der Nordsee bemerkte er, wie die dort ansässige Dorfbibliothek Holzkistchen mit Büchern füllte und den Seeleuten mitgab, welche erneut einige Tage auf hoher See verbrachten. Die Idee, dass Bücher zum Leser gebracht werden, faszinierte Peter Wegelin nachhaltig und sollte zum Schlüsselerlebnis für die Gründung der Appenzeller Bibliobahn werden. Als er 1979 mit dem Schweizer Bibliotheks¬dienst einen Ausflug auf den Hohen Kasten machte und dabei das Appenzellerland überblickte, bemerkte er, dass man mit den Bahnlinien, welche durch dieses Gebiet fuhren, etliche Dörfer mit Büchern bedienen könnte. Und würde eine solche „Bahnbibliothek“ die eine oder andere Gemeinde gar dazu anregen, später eine eigene Gemeindebibliothek zu schaffen, so hätte sie zusätzlich ein Ziel erreicht. Es sollten jedoch noch weitere neun Jahre vergehen, bis die Vision einer rollenden Bibliothek schliesslich realisiert werden konnte.[1]

Gründung

Nach jahrelanger Planung und Vorarbeit konnte schliesslich ein ausrangierter Bahnwagen des Typs X1025 der Appenzeller Bahnen aus dem Jahre 1909 umgebaut und auf rund 25m2 mit vorerst 1800 Büchern ausgestattet werden. Finanziert wurde die Bibliobahn hauptsächlich mit 88'000 Franken von der Julius Bär Stiftung in Zürich. Die Appenzellische Gemeinnützige Gesellschaft, kurz AGG, übernahm zukünftig deren Patronat mit einem jährlich zugesicherten Beitrag. Der Kanton und die beteiligten Gemeinden unterstützten die Bibliobahn ebenfalls finanziell. Zudem verlangten die Appenzeller Bahnen nichts für die jährlich anfallenden Rangierkosten von ca. CHF 20'000.-. Da die Bibliobahn als Verein amtlich nie registriert wurde und damit keine Statuten besass, stellt sie juristisch gesehen, gemäss Artikel 530 ff. des Schweizerischen Obligationenrechts, eine „Einfache Gesellschaft“ dar.[2]

Betrieb

Streckennetz der Appenzeller Bahnen

Am 12. März 1988 wurde die Appenzeller Bibliobahn offiziell eingeweiht. Damit war die Bibliobahn die erste Volksbibliothek der Welt (und ist es bis heute in dieser Form auch geblieben), welche ihre Bücher in einem Bahnwagen zu den Benutzern brachte. Radio SRF würdigte diesen Anlass in einer Vorschau und selbst die Tagesschau des Fernsehens SRF sandte einen Kurzbeitrag. Im folgenden Jahr produzierte die Swisslos gar einen 30-Sekunden-TV-Spot über die Bibliobahn, welcher 1990 im Fernsehen ausgestrahlt wurde.

Schnell etablierte sich die Bibliobahn in den angefahrenen Orten Herisau, Waldstatt, Bühler, Gais, Appenzell und Gonten. Von Beginn an erlebte die Bibliobahn grosses Interesse, vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendbücher. In den folgenden 20 Jahren versorgte die Bibliobahn jede Woche die angefahrenen Gemeinden mit einem ständig zunehmenden Bücherbestand. Die durchschnittlichen Tagesausleihen pendelten sich auf 50-60 Ausgaben ein, während in Spitzenzeiten zwischen 6000 und 7000 Ausleihen pro Jahr verzeichnet werden konnten; das hauptsächliche Zielpublikum blieben Kinder und Jugendliche.

Das Problem

Ausleihe in Bühler

Da der Wagen, der als Bibliobahn diente, in einem zunehmend schlechten Zustand war, wurde klar, dass er per Ende 2008, exakt 100 Jahre alt, aus dem Verkehr gezogen werden musste. Mit dem Fahrplanwechsel der Appenzeller Bahnen vom 14. Dezember 2008 trat damit für die Benutzung der Bibliobahn eine Übergangslösung in Kraft: Bis zur endgültigen Ausarbeitung einer neuen Lösung, wurde der Bibliobahn-Wagen auf einem Abstellgleis des Bahnhofs Gais deponiert; jeweils am Freitagnachmittag konnten somit bis auf Weiteres, zumindest in dieser Gemeinde, Bücher ausgeliehen werden. Die Trägerschaft AGG stellte zudem sicher, dass der Beitrag für das Jahr 2009 nochmals ausbezahlte wurde.

Es stellte sich also schon relativ früh die Frage nach der Zukunft der Bibliobahn. Ein neuer Wagen, inklusive Ausstattung, hätte 130’000 Franken gekostet. Bereits im Oktober 2007 trafen sich deshalb die betroffenen Gemeinden mit Kurt Sallmann, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Mögliche Finanzierungsmodelle wie Spenden, Gemeindebeiträge, Lotteriefonds oder die Gründung einer Stiftung wurden diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt meldeten sich auch Gegner der Bibliobahn: Sie stellten deren Weiterbetrieb in Frage, da sie in der Bibliobahn vor allem einen rein nostalgischen Stellenwert sahen und bemängelten, im Vergleich zu anderen Bibliotheken, die niedrigen Nutzerzahlen. Die seit 20 Jahren rollende Bibliothek wurde zum Politikum.

Die Machbarkeitsstudie

Umfrage, Evaluation

Metallgravur im Inneren des Waggons

Da es sich um einen Betrag in sechsstelliger Höhe handelte, forderte man eine Machbarkeits¬studie von neutraler Seite her durchzuführen. Die Leitfrage dabei lautete: Soll das Appenzellerland an diesem Unikum festhalten oder hatte die Bibliobahn ihren Dienst getan, der nicht zuletzt auch darin bestand, die Gründung neuer Bibliotheken anzuregen? Die Machbarkeitsstudie wurde von Frühjahr bis Herbst 2008 von der HTW Chur durchgeführt. Zwecks Datenerhebung fanden zwei gross angelegten Umfragen in allen betroffenen Gemeinden (unterteilt nach Kindern und Erwachsenen) statt. Weiter wurden mit gezielten Interviews Personen befragt, welche mit der Bibliobahn zu tun hatten. Zusätzlich zur Analyse des Bibliobahn-Betriebes selbst, wurden schliesslich auch die umliegenden Gemeinde- und Schulbibliotheken mit einbezogen.

Die Resultate

Im September 2009 konnte das Fazit der Machbarkeitsstudie an einer öffentlichen Pressekonferenz vorgestellt werden. Die Studie kam zur Überzeugung, dass es keinen Sinn machte, 130'000 Franken in einen neuen Wagen zu in¬ves¬tieren, um die Bibliobahn in ihrer bisherigen Form weiter zu führen. Folgende Punkte waren dabei ausschlaggebend:

  • Das Unikum der Rollenden Bibliothek stiess, trotz des unbestreitbar nostalgischen Charmes und seiner Einzigartigkeit, auf zu wenig Interesse in der Bevölkerung; dies vor allem in den drei betroffenen Gemeinden Bühler, Gais und Waldstatt
  • In den letzten Jahren waren die Ausleihen insgesamt rückläufig
  • Im Vergleich zu 1988 wies das Appenzellerland eine hohe Dichte an Bibliotheken auf (Stand 2008: 19 Bibliotheken)
  • Die öffentlichen Bibliotheken in der Nähe von Bühler, Gais und Waldstatt waren alle gut erreichbar (auch mit ÖV) und verzeichneten zudem jährlich steigende Benutzerzahlen aus den Gemeinden der Bibliobahn
  • Angebot und Öffnungszeiten der benachbarten Gemeindebibliotheken waren attraktiver
  • Die Schulbibliotheken aus Bühler, Gais und Waldstatt waren die Primärversorger des grossen Kundenstammes der Bibliobahn (Kinder und Jugendliche)
  • Die Appenzeller Bahnen investierten aus reinem „Goodwill“ jährlich CHF 20'000.- in ein Projekt, das werbemässig zu wenig zurückgab

Das Ende der Bibliobahn

Somit war nach 20 Jahren Betrieb das Ende der Appenzeller Bibliobahn Tatsache geworden. Am 11. September 2009 war der letzte Rückgabetermin für Bücher in dem in Gais deponierten Waggon. Der blaue Wagen wurde kurze Zeit später von den Appenzeller Bahnen verschrottet.

Die Folgen

Auf dem Abstellgleis

Kurz nachdem die Auflösung der Bibliobahn bekannt gegeben worden war, begannen in Waldstatt, Bühler und Gais die Diskussionen um weitere mögliche Szenarien. Schon sehr schnell zeigte es sich, dass in zwei der drei betroffenen Gemeinden die Gründung einer eigenen Dorfbibliothek durch private Initianten grosse Chancen hatte.

Bühler

Bühler war eine der ersten Gemeinden, welche das Ende der Bibliobahn zu Schaffung einer eigenen Bibliothek nutzte: Die ehemalige Mitarbeiterin der Bibliobahnausleihe Lydie Looser initiierte den Aufbau einer Gemeindebibliothek, so dass bereits zwei Jahre später, mit Hilfe der Gemeinde, im Oberstufenschulhaus eine neue Bibliothek entstand. Der Bestand setzte sich aus der Schulbibliothek Bühler und der Hälfte der Bücher aus der ehemaligen Bibliobahn zusammen.

Gais

In Gais entstand, ebenfalls 2011, die Stiftung BiblioGais, welche Bücher für Kinder (aus der anderen Hälfte des Restbestandes der Bibliobahn) und Erwachsene im Dorf anbot. Auch hier war ein ehemaliger Bibliobahn-Mitarbeiter die treibende Kraft für das neue Angebot: Kurt Sallmann, der die letzten neun Jahre die Bibliobahn leitete, war nun im Stiftungsrat von BiblioGais. Vier Jahre später entstand daraus, durch die Zusammenlegung mit der Schulbibliothek und der Ludothek, die Volksbibliothek Gais.

Waldstatt

Einzig Waldstatt entschloss sich, kein Ersatzangebot aufzubauen. Der Hauptgrund dafür lag vor allem in der geographischen Nähe zur Bibliothek Herisau (3.2 km) und der Tatsache, dass diese bereits im Jahre 2007 über 300 eingeschrieben Benutzer aus Waldstatt verzeichnete.

Literatur

  • Hermann Grosser: Geschichte der Appenzellischen Bibliotheken. In: Appenzellische Jahrbücher, Nr. 79, Appenzeller Medienhaus, Herisau 1952
  • B. Hermann: Ein Bibliobus. In: Die Jugend und ihre Lektüre, Pro Juventute, 1954
  • Bérengère Sins, Michèle Steveaux: Avec le bibliobus, découvrez l’Alsace. Colmar, 1972
  • Werner Näf: Die Appenzeller Biblio-Bahn und das Appenzeller Bibliothekswesen (Diplomarbeit). Eigenverlag, St. Gallen, 1989, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, App 2347
  • Appenzellische gemeinnützige Gesellschaft (Hrsg.): Appenzellische Jahrbücher, Nr. 124, Appenzeller Medienhaus, Herisau 1997
  • Appenzeller Zeitung (Laux, B.): Ein Unikat rollt und rollt. Die Appenzeller Biblio-Bahn ist noch nicht aus der Mode gekommen. 23.10.2002
  • Martin Hüsler: Zug zum Buch hält an : [...] doch helfen auch im Appenzellerland Bibliotheken mit, dass der Griff zum Buch nach wie vor ein häufiger bleibt. In: Appenzeller Magazin, Nr. 11, Appenzeller Verlag, Schwellbrunn 2004
  • Appenzeller Zeitung (Strebel, H.): Ein europaweites Unikum. In der Appenzeller Biblio-Bahn werden im Tagesdurchschnitt 40 bis 50 Bücher ausgeliehen, längerfristige Zukunft ungewiss. 4.11.2005
  • St. Galler Tagblatt (Hugentobler, C.): Die Bibliobahn fährt weiter. Trotz des Ausstiegs des Bezirks Gonten. 16.1.2007
  • Evaluationsbericht Regionalbibliotheken AR, Appenzeller Medienhaus, Herisau 2007
  • L. Moser: Appenzeller Bibliotheken mit Leitbild. Appenzellerland – Bibliotheksland. In: SAB-Info-CLP, Nr. 2, 2007
  • St. Galler Tagblatt (Schmid-Pfändler, B.): Spannung aus der Bibliobahn. Über 100 neue Bücher warten auf Leserinnen und Leser - Der alte Biblio-Wagen kommt langsam in die Jahre. 1.6.2006
  • Peter Wegelin: Jahresberichte Bibliobahn. In: Appenzellische Jahrbücher, Appenzeller Medienhaus, Herisau 1989 – 2009
  • Gerold Ebneter: Machbarkeitsstudie „Appenzeller Bibliobahn“, (Masterarbeit). Eigenverlag, Trogen, 2009, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, App 2348
  • Appenzeller Zeitung (Berlinger-Bolt, G.): Nach der vierachsigen Bibliothek. 12.9.2009

Belege

  1. Gerold Ebneter: Machbarkeitsstudie Appenzeller Bibliobahn, (Masterarbeit), Eigenverlag, Trogen, 2009, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, App 2348
  2. Werner Näf: Die Appenzeller Biblio-Bahn und das Appenzeller Bibliothekswesen (Diplomarbeit). Eigenverlag, St. Gallen, 1989, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, App 2347