Leonardo da Vinci

Leonardo da Vinci [15. April 1452 in Anchiano bei Vinci; † 2. Mai 1519 auf Schloss Clos Lucé, Amboise) war erfolgreicher Maler, Bildhauer, Architekt, Musiker, Anatom, Mechaniker, Ingenieur, Naturphilosoph; er wird als das italienische Universalgenie bezeichnet. Sein Geburtsort Vinci war ein Kastell oder befestigtes Hügeldorf im Florentiner Territorium (ca. 30 km westlich von Florenz) nahe Empoli, von dem die Familie seines Vaters ihren Namen ableitete. Verkürzt spricht man „Leonardo“, weil da Vinci, zu Deutsch „aus Vinci“, kein Familienname ist.
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Herkunft und Jugend
Familie
Leonardo wurde als nichtehelicher Sohn des 25-jährigen Notars Ser Piero und des 22-jährigen Bauernmädchens Catarina geboren. Ihre Beziehung zu Ser Piero ging anscheinend kurz nach der Geburt des Sohns zu Ende. Sie heiratete wenig später den Töpfereibesitzer Accattabriga di Piero del Vacca aus Vinci und hatte fünf weitere Kinder mit ihm.
Ser Piero war seinerseits viermal verheiratet und hatte von seinen beiden letzten Frauen neun Söhne und zwei Töchter. Nach der Trennung von Catarina nahm er den jungen Leonardo als leiblichen Sohn an.
Piero war Notar der wichtigsten Familien der Stadt und übte den Beruf mit Erfolg aus. Seine Klienten waren unter anderem die Medici als auch Mitglieder des regierenden Rats des Staats (Signoria).
Leonardo wuchs im Hause des Vaters auf und verbrachte den größten Teil seiner Jugend in Florenz. Zu seiner Schönheit und Unternehmungslust kam ein gewinnender Charme, Taktgefühl in der Gesellschaft und eine Begabung für jegliches künstlerisches Fachgebiet. Unermüdliche intellektuelle Energie und Neugier lagen unter dieser liebenswerten Oberfläche. Zu den liebsten Interessen des jungen Leonardos gehörten Musik, Zeichnen und Modellieren. Sein Vater zeigte einige seiner Zeichnungen einem Bekannten, Andrea del Verrocchio, der sofort die künstlerische Berufung des Jungen erkannte und von Ser Piero als Lehrer ausgewählt wurde. Leonardo sollte lernen und seine künstlerischen Fähigkeiten weiter ausbauen.
Lehrjahre bei Verrocchio

Standbild , Uffizien, Florenz
Verrocchio war einer der bedeutendsten Bildhauer im damaligen Florenz und war als Goldschmied und auch als Maler ein erstklassiger Handwerker. Besonders begabt war er als Lehrer. In seinem Atelier arbeitete Leonardo etwa von 1470–1477, unter anderem in Gesellschaft von Lorenzo di Credi und anderen weniger berühmt gewordenen Schülern. In dieser Zeit freundete er sich mit den Malern Sandro Botticelli und Pietro Perugino an.
Er hatte bald alles gelernt, was Verrocchio ihm beibringen konnte – oder gar noch mehr, sofern man den oft erzählten Geschichten vom Schüler, der seinen Meister übertrifft, glauben schenken kann. Leonardo soll - so berichtet u.a. Vasari, ein Pionier unter den Kunstchronisten und Zeitgenosse Leonardos - auf dem Bild einer Taufe Christi, das Verrocchio für die Mönche von Vallombrosa entwarf (heute in den Uffizien in Florenz zu sehen), den auf der linken Seite kniende Engel in das Bild seines Lehrers eingefügt haben. Als Verrocchio den Engel sah, erkannte er die große künstlerische Überlegenheit des Schülers, was ihn angeblich dazu veranlasste, der Malerei für immer abzuschwören. Dieser letzte Teil der Geschichte trifft aber sicher nicht zu, da spätere Werke Verrocchios bekannt sind. Das ursprünglich in Tempera gemalte Bild der Taufe Christi wurde leider später z.T. in Öl übermalt (evtl. von Leonardo), so dass ein fundiertes Urteil über die Urheberanteile am Bild schwierig ist. Leonardos Hand wird nicht nur im Gesicht des Engels, sondern auch in Teilen der Bekleidung und des landschaftlichen Hintergrunds vermutet, welche sehr charakteristisch und in seinen zugeschriebenen Werken wiederzuerkennen sind. Das Werk wurde wahrscheinlich um 1470 angefertigt, als Leonardo 18 Jahre alt war.
Um 1472 findet sich sein Name in den Listen der St.-Lukas-Gilde, der Malergilde von Florenz. Hier lebte und arbeitete er weitere zehn oder elf Jahre und wird bis 1477 immer noch als Schüler oder Lehrling Verrocchios bezeichnet. Doch in diesem Jahr scheint er die besondere Gunst Lorenzo de Medicis gefunden zu haben und als unabhängiger Künstler unter dessen Patronage von 1482 bis 1483 gearbeitet zu haben. Für 1478 ist ein wichtiger Auftrag der Signoria und 1480 ein anderer durch die Mönche von San Donato in Scopeto dokumentiert.
Leonardo als Schüler der Natur
Leonardo war keiner der Renaissancekünstler, welche die Pracht der antiken Kunst durch die Imitation ihrer Modelle wiederzubeleben suchten. Die Antiquitäten in den Medici-Gärten scheinen ihn wenig beeinflusst zu haben, abgesehen davon, dass sie seinen Perfektionismus stimulierten. Nach seinen eigenen Instinkten war er lediglich Schüler der Natur. Von seinen ersten Tagen an machte er sich mit beispiellosem Eifer und Lust an derlei Studien. Als erster Maler erkannte er das Spiel von Licht und Schatten als wichtige Erscheinung, nachdem frühere Schulen übereinstimmend Licht und Schatten der Farbe und den Konturen untergeordnet hatten.
Nicht das Gewöhnliche und Offenkundige, sondern die fantastischen und ungewöhnlichen Erscheinungen der Welt zogen ihn besonders an. Merkwürdige Formen von Hügeln und Felsen, seltene Pflanzen und Tiere, ungewohnte Gesichter und Figuren von Menschen, zweifelhafte Mienen und Lächeln, ob schön oder grotesk, und andere Kuriositäten waren die Dinge, über die er gerne grübelte und die er im Gedächtnis behielt. Er machte auch nicht bei dem Oberflächlichen einer Sache halt, sondern versuchte unermüdlich, ihre versteckten Gesetze und Ursachen zu ergründen. Er war überzeugt, dass ein Künstler, welcher sich mit der Abbildung der äußerlichen Aspekte der Dinge zufrieden gibt, ohne nach den versteckten Naturvorgängen hinter ihnen zu suchen, für seine Berufung nur halbgültig ausgestattet sei. Jedes neue künstlerische Problem wurde für ihn sogleich auch tiefgehend wissenschaftlich. Die Gesetze von Licht und Schatten, von Perspektive einschließlich der Optik und der Physiologie des Auges, diejenigen der menschlichen und tierischen Anatomie und der Muskelbewegung, des Wachstums und der Struktur von Pflanzen und der Eigenschaften des Wassers, all diese und noch mehr verschafften seinem unersättlichen Forschungsgeist fast von Beginn an Nahrung.
Indizien für die Vorlieben und Neugierden des jungen Manns findet man in den Legenden über verlorene Werke aus seiner Jugend.
- Einer dieser Berichte weiß von einem monochromen Gemälde Adams und Evas in Tempera, er lobt neben der Schönheit der Figuren die unendliche Wahrhaftigkeit und Ausschmückung der Blätter und Tiere im Hintergrund in Begriffen, die an die Behandlung des Themas durch Albrecht Dürer in seinem dreißig Jahre später gefertigten berühmten Stich erinnern.
- Nach einer anderen Geschichte soll ein Bauer aus Vinci in seiner Naivität Ser Piero nach einem auf einem Holzschirm gemalten Bild gefragt haben; der Vater soll den Auftrag lachend an seinen Sohn weitergereicht haben. Dieser schloss sich daraufhin mit jeglichen schädlichen Insekten und grotesken Reptilien, die er finden konnte, ein. Er beobachtete, zeichnete und sezierte sie emsig und produzierte schließlich das Bild eines Drachen, der aus ihren verschiedenen Formen und Gesamtbildern zusammengesetzt war und so grimmig und realistisch wirkte, dass alle davor erschraken.
- Mit gleichen Untersuchungen und nicht geringerer Wirkung malte er bei einer anderen Gelegenheit den Kopf einer Medusa mit Schlangenhaar.
- Schließlich wird von Leonardo berichtet, dass er zu jener Zeit mit Bildhauerei anfing, indem er mehrere Köpfe von lächelnden Kindern und Frauen modellierte.
Gesicherte und akzeptierte Bildkunstwerke des jungen Genies, ob aus seiner Lehrzeit oder seinen unabhängigen Jahren in Florenz (um 1470-1482), sind nur noch wenige vorhanden, und die beiden wichtigsten sind unvollständig.
- Ein kleiner und reizvoller Streifen einer rechteckigen Verkündigung ist allgemein als seine Arbeit anerkannt und stammt von kurz nach 1470; eine Zeichnung in den Uffizien, die in größerem Maßstab dem Kopf der Jungfrau in dem gleichen Bild entspricht, scheint eher eine Kopie von späterer Hand zu sein.
- Die kleine Verkündigung im Louvre passt im Stil nicht zu einer anderen und größeren, oft diskutierten in den Uffizien, die eindeutig aus der Werkstatt Verocchios um 1473-1474 stammt und die viele Kritiker selbstsicher dem jungen Leonardo zuschreiben. Es könnte sich um eine gemeinsame Atelierarbeit von Verocchio und seinen Schülern einschließlich Leonardos handeln; sicherlich war dieser daran beteiligt, denn eine Studie für den Ärmel des Engels (in Christ Church, Oxford, erhalten) ist fraglos von seiner Hand. Die Landschaft mit ihren geheimnisvollen spiralförmigen Bergen und gewundenen Wasserläufen ist sehr leonardesk, sowohl in diesem Bild als auch in einer anderen zeitgenössischen Schöpfung aus der Werkstatt oder, wie einige meinen, aus der Hand Leonardos, nämlich einer sehr vollendeten Madonna mit Nelke (in München).
Weitere Werke dieser Zeit sind:
- Das Bildnis von Ginevra de Benci, das er laut Aufzeichnungen gemalt hat, hat man traditionell als das schöne Porträt einer Matrone im Palazzo Pitti identifiziert, welches absurderweise als La Monaca bekannt ist. Später hat man es in einem recht matten, ausdruckslosen verrocchiesken Porträt einer jungen Frau mit einem fantasievollen Hintergrund erkannt, das sich heute in der National Gallery of Art in Washington befindet. Beide Zuordnungen scheinen nicht überzeugend.
- Mehrere Bildhauerwerke, darunter ein Basrelief in Pistoia und ein kleines Terrakottamodell eines St. Johannes im Victoria and Albert Museum (?) sind ebenfalls ohne allgemeine Zustimmung als Handwerk des jungen Meisters ausgegeben worden.
- Von den vielen brillanten frühen Zeichnungen von ihm ist als erste eine Landschaftsstudie von 1473 datierbar.
- Eine prächtige Silberstiftzeichnung eines römischen Kriegers im British Museum ist eindeutig durch oder für ein Bas-Relief unter unmittelbarem Einfluss Verrocchios entstanden.
- Eine Reihe von Studien von Köpfen mit Stift oder Silberstift, mit einigen Entwürfen von Madonnen, einschließlich einer reizenden Serie im British Museum für eine Madonna mit der Katze, könnten zu den gleichen Jahren oder den ersten Jahren seiner Unabhängigkeit gehören.
- Ein Bogen mit zwei Kopfstudien trägt eine Notiz von 1478, die besagt, dass er in einem der letzten Monate dieses Jahres die Zwei Köpfe begann. Einer der beiden könnte das Bild der Erscheinung der Jungfrau des Heiligen Bernhard sein, von dem wir wissen, dass es in jenem Jahr für eine Kapelle im Palast der Signoria in Auftrag gegeben wurde, ohne beendet zu werden. Der Auftrag wurde nachher an Filippino Lippi übertragen, dessen Ausführung sich in der Badia befindet. Einer der beiden Köpfe auf diesem datierten Bogen könnte wahrscheinlich eine Studie für den gleichen Heiligen Bernhard sein; sie wurde später für einen Heiligen Leonard in einer steifen und faden Himmelfahrt Christi verwendet, die im Berliner Museum fälschlicherweise dem Meister selbst zugeordnet wurde.
- Eine Stiftzeichnung, die Bernardo Baroncelli darstellt, einen Anführer der Pazzi-Verschwörung, wie er nach seiner Auslieferung an die Abgesandten von Florenz durch den osmanischen Sultan aus einem Fenster des Bargello hängt, kann wegen des Themas auf den Dezember 1479 datiert werden.
- Eine Reihe seiner besten Zeichnungen der folgenden Jahre sind vorbereitende Stiftstudien für ein Altarbild der Anbetung der Weisen, das Anfang 1481 im Auftrag der Mönche von San Donato in Scopeto angefertigt wurde. Der monochrome Entwurf für dieses Bild, ein Werk außergewöhnlicher Kraft sowohl in der Zeichnung als auch im physiognomischen Ausdruck, ist in den Uffizien erhalten, aber das Altarbild selbst ist nie ausgeführt worden. Nachdem Leonardo diesen Auftrag nicht ausführte, musste auch hier an seiner Stelle Filippino Lippi eingesetzt werden.
- Von gleicher oder sogar stärkerer Kraft, wenn auch kleinerem Umfang, ist ein unvollendeter monochromer Entwurf für einen Heiligen Jerome, der zufällig von Kardinal Fesch in Rom gefunden wurde und sich jetzt in den Galerien des Vatikans (?) befindet; er scheint zur ersten Florentiner Phase zu gehören, ist aber in keinem Dokument erwähnt.
Die Geschichte der vollendeten Werke dieser zwölf oder vierzehn Jahre (ungefähr 1470-1483) ist also sehr spärlich. Man muss sich aber in Erinnerung rufen, dass Leonardo schon völlig von Projekten in Mechanik, Hydraulik, Architektur, Militärtechnik und Bauwesen ausgefüllt war und seine Aufgabe in experimentellen Studien und Beobachtungen in jedem Zweig der theoretischen oder angewandten Wissenschaft sah, die in seinem Zeitalter begonnen wurden oder in denen er selbst als erster Pionier zu forschen begann. Er war voll neuer Ideen zu den Gesetzen und Anwendungen mechanischer Kräfte. Die Kühnheit seiner technischen und architektonischen Projekte erstaunte selbst seine Mitbürger Alberti und Brunelleschi.
In der Geschichte gibt es wenig Menschen, die geistig anziehender sind als Leonardo da Vinci während seiner vielseitigen und schillernden Jugendphase. Er wurde aber auch verleumdet und wegen unmoralischer Praktiken denunziert, aber vollkommen und ehrenhaft freigesprochen.
Im Gegensatz zum späteren Michelangelo gab es an ihm nichts Düsteres, Geheimnisvolles oder Mürrisches; er war offen und freundlich zu jedermann. Er hat die selbstgenügsame Kraft der Einsamkeit in fast den gleichen Worten wie Wordsworth gepriesen, und von Zeit zu Zeit sonderte er sich selbst in seiner Jugend für eine Saison in völliger intellektueller Absorption ab, zum Beispiel, als er zwischen Fledermäusen, Wespen und Echsen arbeitete und dabei Essen und Schlafen vergaß. Hier müssen wir den schriftlichen Überlieferungen und der eigenen Fantasie vertrauen, um eine Vorstellung von ihm zu gewinnen. Es gibt kein Porträt von ihm aus dieser Zeit seines Lebens.
Seine weitreichenden Pläne und Studien brachten ihm keinen unmittelbaren Gewinn und lenkten ihn von anderen Aufgaben ab, mit denen er sich seinen Lebensunterhalt hätte bestreiten können. Trotz seiner glänzenden Fähigkeiten und seines Talents blieb er arm. Wahrscheinlich machte ihm sein ausschließlicher Glaube an experimentelle Methoden und seine Geringschätzung für reine Autorität – sowohl in der Wissenschaft wie in der Kunst – die intellektuelle Atmosphäre des Medici-Zirkels unsympathisch, mit ihrem gemischten Kult aus klassischer Vergangenheit und Christentum, mystisch vermischt und versöhnt mit dem Platonismus. In jedem Fall war er sofort bereit, Florenz zu verlassen, als sich ihm am Hof von Ludovico Sforza in Mailand die Chance auf eine feste Anstellung bot.
Bald nachdem der Fürst seine Macht als nomineller Protektor seines Neffen Gian Galeazzo Sforza – tatsächlich aber als usurpierender Herrscher des Staats – fest etabliert hatte, griff er ein Projekt zur Errichtung eines Reitermonumentes zu Ehren des Gründers des Herrscherhauses Francesco I. Sforza wieder auf und fragte Lorenzo di Medici um Rat bei der Wahl eines Künstlers. Lorenzo empfahl den jungen Leonardo, der sich auch um 1483 nach Mailand begab.
Aufgrund der bevorstehenden Feindseligkeiten zwischen Mailand und Venedig erwähnt Leonardo in seinem Empfehlungsschreiben an den Herzog hauptsächlich seine Fähigkeiten und Erfindungen in der Militärtechnik. Nachdem er diese in neun Punkten im Detail vorbringt, spricht er in einem zehnten von seinem Können als Bauingenieur und Architekt und fügt schließlich einen kurzen Hinweis auf seine Kenntnisse als Maler und Bildhauer hinzu, insbesondere bei einer angemessenen Ausführung des Monuments für Francesco Sforza.
Mailand (1487 - 1500)
Der erste eindeutige dokumentarische Beweis für Leonardos Beschäftigung in Mailand ist von 1487 datiert. Einige Biografen vermuten, dass der Zeitraum zwischen 1483 und 1487, oder wenigstens ein Teil davon, durch Reisen in den Osten beansprucht wurde. Begründet wird diese Annahme durch einige Entwürfe für einen Brief an den Diodario von Syrien, Leutnant des Sultans von Babylon (Babylon bezeichnete damals Kairo), in Leonardos Manuskripten. Hier beschreibt Leonardo in der ersten Person, mit Skizzen, die seltsamen Erfahrungen eines Reisenden in Ägypten, Zypern, Konstantinopel, an den kilikischen Küsten, beim Taurus-Gebirge und in Armenien. Er berichtet vom Aufstieg und der Verfolgung eines Propheten und Predigers sowie von der Katastrophe eines Bergsturzes und dem Untergang einer großen Stadt, gefolgt von einer allgemeinen Überflutung, und der Behauptung des Propheten, er habe die Katastrophen vorausgesagt. Danach folgen wissenschaftliche Beschreibungen des Flusses Euphrat und des wunderbaren Effekts des Lichtes beim Sonnenuntergang im Taurus-Gebirge.
Kein Zeitgenosse liefert auch nur den kleinsten Hinweis auf Leonardos Reise in den Osten. Für die von ihm erwähnten Orte benutzt er die klassischen, nicht ihre aktuellen orientalischen Namen; die von ihm beschriebenen Katastrophen werden durch keine andere Quelle bestätigt; er verwechselt Taurus und Kaukasus; einige der von ihm erwähnten Phänomene stehen bei Aristoteles und Ptolemäus. Es gibt wenig Grund, zu bezweifeln, dass er die Briefe lediglich entwarf, weil er eine geografische Abhandlung oder vielleicht einen Roman vorbereiten wollte. Neben seiner Leidenschaft für Geografie, Reiseerzählungen, Beschreibungen von Naturwundern und untergegangenen Städten war er selbst ein geübter Erzähler und Fabulierer, wie andere Passagen in seinen Manuskripten beweisen.
Auch ist die Lücke in den Überlieferungen seiner Tätigkeiten, nachdem er das erste Mal nach Mailand gekommen war, nicht so groß wie dargestellt. Ludovico wurde während der frühen Jahre seiner Usurpation heftig angegriffen, insbesondere von den Anhängern seiner Schwägerin Bona von Savoyen, der Mutter des rechtmäßigen Herzogs, des jungen Gian Galeazzo. Um diesen Attacken entgegenzutreten, beschäftigte er eine Reihe von Hofdichtern und Künstlern, die in öffentlichen Vorträgen und Schauspielen, in Sinnbildern und mit Spruchbändern die Weisheit und Güte seiner Vormundschaft und die Bosheit seiner Gegner verkündeten. Dass Leonardo zu diesen derart eingesetzten Künstlern gehörte, ist durch Notizen und Projekte in seinen Manuskripten und durch überlieferte allegorische Skizzen bewiesen. Mehrere solcher Skizzen befinden sich in der Christ Church, Oxford: eine zeigt eine gehörnte Hexe oder Teufelin, die ihre Hunde zu einem Angriff auf den Staat Mailand treibt und durch die Weisheit und Gerechtigkeit von Il Moro verwirrt wird (alles durch leicht erkennbare Embleme verdeutlicht). Die Anspielung weist fast sicher auf die versuchte Ermordung Ludovicos durch Agenten der Herzogin Bona 1484 hin.
Weiterhin hat ihn wohl die 1484-1485 in Mailand wütende Pest veranlasst, Ludovico Projekte vorzulegen, nach welchen die Stadt unterteilt und nach verbesserten sanitären Prinzipien wiederaufgebaut werden sollte. 1485-1486 scheint er außerdem ausgefeilte – wenn auch unerfüllte – Pläne zur Verschönerung und Verstärkung des Castello in Angriff genommen zu haben. Bald darauf begann er offenbar eine weitere bedeutsame Unternehmung zu planen: die Vollendung des Mailänder Doms, für die ein Wettbewerb zwischen deutschen und italienischen Architekten ausgeschrieben worden war. Zahlungen an ihn im Zusammenhang mit diesen architektonischen Plänen sind von August 1487 bis Mai 1490 dokumentiert; am Ende wurde jedoch keiner von diesen Plänen ausgeführt.
Vom Beginn seines Aufenthalts in Mailand an war Leonardo durch seine Verbindung beispielloser technischer Findigkeit, Redegewandtheit, seinem gewinnenden höfischen Charme und der nötigen allegorischen Erfindungsgabe zum führenden Geist in allen Hofzeremonien und Festivitäten geworden. Anlässlich der Hochzeit des jungen Herzogs Gian Galeazzo mit Isabella von Aragon 1487 war der Künstler für die Bühnenbilder und Kostüme der Masque Il paradiso verantwortlich. Gleich darauf entwarf er für die junge Herzogin einen Badepavillon von ungewöhnlicher Raffinesse und Schönheit. Inzwischen füllte er seine Notizbücher fleißig mit den Ergebnissen seiner Studien in Geometrie, Statik und Dynamik, menschlicher Anatomie und den Phänomenen von Licht und Schatten.
Er hat sich wohl stets an seine große Aufgabe des Sforza-Monuments erinnert, mit begleitenden Forschungen über die Bewegung und die Anatomie von Pferden und über die Kunst bzw. Wissenschaft der Bronzebearbeitung in großem Maßstab. Die vielen existierenden Entwürfe für diese Arbeit (von denen sich die Hauptsammlung in Windsor befindet) können nicht exakt datiert werden. 1490, im siebten Jahr seines Aufenthalts in Mailand, war er nach einigen Ungeduldsbekundungen seines Patrons so weit und bereitete sein Modell anlässlich der Heirat Ludovicos mit Beatrice d'Este zur Vorführung vor. Im letzten Moment war er aber mit seiner Arbeit doch nicht zufrieden und begann noch einmal von vorn.
Im gleichen Jahr, 1490, verbrachte Leonardo ungestört einige Monate mit mathematischen und physikalischen Forschungen in den Bibliotheken und unter den Gelehrten von Pavia. Hierhin war er als Berater hinsichtlich einiger architektonischer Schwierigkeiten beim Bau der Kathedrale berufen worden. Hier gab ihm auch das Studium eines antiken Reitermonuments (des sogenannten Regisole, der 1796 zerstört wurde) neue Ideen für seinen Francesco Sforza. Im Januar 1491 wurden bei einer doppelten Sforza-Este-Heirat (Ludovico Sforza mit Beatrice d'Este und Alfonso d'Este mit Anna Sforza, der Schwester von Gian Galeazzo) erneut Leonardos Dienste als Masque- und Festorganisator in Anspruch genommen.

In den folgenden Jahren verschaffte ihm die zunehmende Festlichkeit und Prachtliebe des Mailänder Hofs fortwährend Aufträge ähnlicher Art, darunter die Komposition und Rezitation von Sagen, Fabeln und Prophezeiungen (d.h. moralischen und sozialen, im Futurum formulierten Satiren und Allegorien); in seinen Manuskripten tauchen die Entwürfe für viele davon auf, einige sind sowohl scharfsinnig als auch beißend. Inzwischen arbeitete er wieder am Monument für Francesco Sforza, und dieses Mal mit handfestem Ergebnis. Als Abgesandte aus Österreich gegen Ende 1493 nach Mailand kamen, um die Verlobte ihres Kaisers Maximilian, Bianca Maria Sforza, auf der Hochzeitsreise zu eskortieren, befand sich das vollendete kolossale, über sieben Meter hohe Denkmal an seinem Platz im Hof des Castello.
Zeitgenössische Berichte bestätigen die Großartigkeit des Werks und den Enthusiasmus, den es erregte; aber die Berichte sind zu unpräzise, als dass wir beurteilen könnten, nach welcher der beiden überlieferten Skizzensammlungen es geformt worden war. Eine davon zeigt Pferd und Reiter in relativ ruhigem Gang, in der Art des Gattemalata-Monuments, das fünfzig Jahre zuvor von Donatello in Padua errichtet worden war, und des Colleoni-Monuments, mit dem Verocchio in Venedig engagiert war. Die andere gibt das Pferd galoppierend oder sich aufbäumend wieder, in einigen Fällen beim Trampeln auf einem gefallenen Feind. Es ist außerdem nicht möglich, die Skizzen für das Sforza-Monument mit Sicherheit von denen für eine andere, später in Auftrag gegebene Reiterstatue zu unterscheiden, nämlich der zu Ehren von Ludovicos großem Feind Gian Giacomo Trivulzio.
1494
1494 war von großer Tragweite für die italienische Politik. In diesem Jahr starb der lange von seiner Herzogsnachfolge verdrängte Gian Galeazzo unter höchst verdächtigen Umständen. Ludovico, jetzt selbst Herzog von Mailand, begann seine Intrigen mit Karl VIII. von Frankreich, um seine Macht gegenüber Neapel zu vergrößern, was später zu einer Flut von Invasionen und Revolutionen in Italien führte. Dieses Jahr war auch für Leonardo da Vinci von besonderer Wichtigkeit. Dokumenten zufolge plante er während einer mehrmonatigen Abwesenheit aus Mailand Ingenieursarbeiten zum Verbessern der Bewässerung und der Wasserwege in der Lomellina-Region und anderen Teilen der lombardischen Ebene; er studierte Phänomene des Sturms und des Gewitters, des Flussverhaltens und der Bergstruktur; und er entwarf mit seinem Freund Donato Bramante, dem großen Architekten, Pläne zur erneuten Verbesserung und Ausschmückung des Castello in Mailand.
Weiterhin bat er den Herzog, ihm eine angemessene Bezahlung für eine Madonna sicherzustellen, die er kurz vorher mit der Hilfe seines Schülers Ambrogio de Predis für die Bruderschaft der Unbefleckten Empfängnis von San Francesco in Mailand ausgeführt hatte. Dabei handelt es sich um die Madonna in der Felsengrotte, die entgegen den Wünschen der Bruderschaft mit Jesus und Johannes dem Täufer ohne Gold und Heiligenscheine in einer kalten und leblosen Höhle dargestellt ist. 1499 gelangte dieses Gemälde nach Frankreich, heute ist es im Louvre. Als Ersatz wurde eine leicht modifizierte Version angefertigt (heute in der National Gallery in London).
Laut Vasari besuchte Leonardo 1494 oder Anfang 1495 Florenz. Dort nahm er an Beratungen über den geplanten neuen Ratssaal teil, der im Palast der Signoria gebaut werden sollte. Er schuf dann außergewöhnlich stetig und schnell ein Bild, das schließlich sein großartigstes wurde: Das Letzte Abendmahl, für das Refektorium der Konventskirche von Santa Maria della Grazie in Mailand auf gemeinsamen Auftrag (wie es scheint) Ludovicos und der Mönche selbst angefertigt.
Cenacolo (Abendmahl)
Das Bild Das Abendmahl in der Santa Maria delle Grazie in Mailand, das weltberühmte Cenacolo, von Leonardo, ist Gegenstand vieler Legenden und fehlgeleiteter Experimente. Nachdem es, aufbauend auf technischen Unzulänglichkeiten am Beginn, über die Jahrhunderte furchtbare Beschädigungen erlitt (durch Vandalismus, Nachlässigkeit und verheerende atmosphärische Bedingungen, am meisten aber durch ungeschickte Reparaturen), sind seine Überreste schließlich 1904-1908 auf wissenschaftlicher Grundlage konserviert worden.
Zur gleichen Zeit wurde die Entstehungsgeschichte des Bildes erforscht. Die Fülle der manuellen und intellektuellen Mittel, die sein Meister in es einbrachte, zeigt sich darin, dass er es innerhalb von nur vier Jahren vollendete, trotz seiner Nebentätigkeiten und andauernden Pausen in selbstkritischem Brüten, für die wir direktes Zeugnis von Zeitgenossen besitzen.
Leonardo malte das Werk in Tempera auf der Wand – nicht in Öl, wie eine Legende behauptete, die innerhalb von zwanzig Jahren nach der Fertigstellung entstand. Die Tempera-Trägersubstanz, die neue experimentelle Bestandteile enthalten haben könnte, hielt nicht lange auf dem Gipsuntergrund fest und dieser auch nicht auf der Wand. Es kam zu Abblätterung und Schuppenbildung. Harte Schimmelkrusten formten sich aus, die sich zwar wieder auflösten, aber je nach Wetterlage sowohl auf den festen wie den lockeren Teilen auch wieder zurückkamen.
Diese Prozesse gingen jahrzehntelang weiter. Ein Regen aus winzigen Schuppen löste sich laut einem Augenzeugen ständig von der Oberfläche und schien das Bild schon gänzlich zugrunde zu richten. Die ersten Restaurationsversuche im 18. Jahrhundert gründeten auf der falschen Annahme aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts, das Werk sei in Öl ausgeführt worden. So hat man es einmal mit Öl getränkt, weil man hoffte, man könne dadurch die Farben wiederbeleben.
Andere versuchten es mit unterschiedlichen Geheimmitteln, meistens schädlichen Lacken und Klebstoffen. Zum Glück wurden, außer an einigen Teilen der Gewänder, nicht viele von ihnen mit dem Übermalen fertig. Die Hauptversuche stammen von Bellotti 1726, Mazza 1770 und Barezzi 1819 sowie in den Jahren hiernach. Keiner stoppte die Auflösungserscheinungen, einige beschleunigten sie sogar. Dennoch hinterließ der Geist des Bildes, schon halb aufgelöst, immer wieder einen unbeschreiblich tiefen Eindruck.
Die weiße – heute eingedunkelte – Fläche im unteren, mittleren Teil des Bildes stammt daher, dass die Mönche einen Tunnel durch die Wand gruben und später wieder zugipsten.

Leonardos Letztes Abendmahl war trotz aller Beschädigungen immer die typische Darstellung des Motivs und ist es bis heute geblieben. Goethe schrieb darüber in seiner berühmten Kritik.
Leonardo weicht von seinen Vorgängern ab, indem er die Jünger mit dem Meister in der Mitte schart, auf Enden und Langseite eines langen schmalen Tisches, und die andere Langseite dem Betrachter freigibt. Der Speiseraum erscheint in einer perfekt symmetrischen Perspektive. Die Rückwand wird von drei flachen Öffnungen durchstoßen, welche ein Gefühl für stille Distanz und Geheimnis, von der offenen Landschaft hinter ihnen vermitteln. Das Mittelfenster, etwas breiter, rahmt die Schultern und das Haupt des Erlösers ein. Zu seiner Linken und Rechten sind in gleicher Zahl die Jünger angeordnet.
Die Kammer ist mit gewissenhafter Klarheit und Genauigkeit möbliert und ausgestattet. Trotzdem wird die Szene ganz von menschlichen und dramatischen Elementen beherrscht. Die Gelassenheit der heiligen Versammlung ist innerhalb eines Augenblicks durch die Worte ihres Meisters unterbrochen worden: "Einer von euch wird mich verraten". Im Aufruhr ihrer Gefühle haben die Jünger jeweils zu dreien Gruppen entlang des Tischs gebildet, von denen jede harmonisch durch eine natürliche Handlung mit der nächsten verkettet ist.
Leonardo führt hier perfekt das griechische Prinzip ausdrucksvoller Vielfalt aus. Die Einzelheiten werden dabei einer allgemeinen Symmetrie untergeordnet. Mit Hilfe seines erworbenen Wissens über Perspektive schafft er eine fast vollständige Illusion für das Auge, die aber nichts Triviales besitzt und durch die Stärkung unseres Sinns für die materielle Realität den tiefen spirituellen Eindruck der Szene erhöht.
Von den authentischen Vorstudien für das Werk sind nur wenige überliefert. Der Louvre enthält ein Blatt mit Skizzen für die Anordnung des Themas, lange vor der ersten Idee und dem letztlichen Auftrag. Ein späteres und weiter fortgeschrittenes, aber wahrscheinlich ebenfalls vor den eigentlichen Auftrag zu datierendes Blatt findet sich in Venedig. Außerdem existiert im Victoria and Albert Museum (London) eine Manuskriptseite mit schriftlichen Notizen des Malers darüber, welche dramatischen Motive zu den jeweiligen Jüngern passen. In Windsor und Mailand sind einige fertiggestellte Studien in roter Kreide für die Köpfe. Eine Reihe von lebensgroßen Kreidezeichnungen der gleichen Köpfe, die Mehrheit von ihnen in Weimar, besteht aus früheren Kopien. Leider können sie nicht als original gelten. Kaum weniger zweifelhaft ist die gefeierte unvollendete und beschädigte Studie des Hauptes Christi im Brera (Mailand).
Sforza-Monument
Leonardos Triumph mit seinem Letzten Abendmahl ermutigte ihn dazu, mit der Arbeit am Sforza-Monument fortzufahren, dessen Modell für die letzten drei Jahre zur Bewunderung aller Betrachter im Corte Vecchio des Castello gestanden hatte. Er war mit dem Mathematiker Luca Pacioli aus Borgo San Sepolcro eine neue, enge Freundschaft eingegangen. Pacioli, dessen Summa de aritmetica, geometrica etc. Leonardo bei ihrer Ersterscheinung in Pavia aus Neugier erworben hatte, war am Hof von Mailand ungefähr zur Zeit der Vollendung des Cenacolo angekommen. Der Mathematiker war gleichermaßen erstaunt und erfreut über Leonardos große Errungenschaften in Malerei und Skulptur, und mehr noch über seine genialen mathematischen, physikalischen und anatomischen Forschungen, die er in den Manuskriptsammlungen des Meisters kennenlernte. Die zwei begannen zusammen an den Materialien für Paciolis nächstes Buch De divina proportione zu arbeiten. Pacioli half Leonardo bei Berechnungen und Messungen für die Bearbeitung des Bronzepferds und -Reiters.
Aber bald nahm ihn Ludovico für eine andere Unternehmung in Anspruch: die Fertigstellung der Innendekoration bestimmter Kammern des Castello, des Saletta Negra und des Sala delle Asse, die bereits von anderer Hand begonnen worden war. Bei Reparaturarbeiten Ende des 19. Jahrhunderts durfte der Student Paul Müller-Walde unter den neu verputzten und getünchten Raumdecken Spuren von Leonardos Handwerk freilegen, zur Identifizierung mit jenem Innendekorations-Auftrag. In einer kleinen Kammer wurde ein Zierstreifen mit Cupidos, vermischt mit Blattwerk, freigelegt; er konnte aber nur der Hand eines späteren, nachlässigen Dekorators der Schule zugeschrieben werden, die von Raffael ebenso wie von Leonardo beeinflusst war. In einem anderen Raum (Sala del Tesoro) wurde eine gigantische kopflose Figur wiederentdeckt, aller Wahrscheinlichkeit nach Merkur, die zuerst Leonardo zugeschrieben wurde, später allerdings Bramante. Aber im großen Sala delle Asse wurden reichlich Spuren von Leonardos eigner Hand gefunden. Ein Großteil der Dekoration war gut erhalten und deshalb restaurierbar. Für diese und andere künstlerische Arbeiten wurde Leonardo 1498 mit einem Garten außerhalb der Porta Vercelli belohnt, zu einer Zeit, als Geld nur spärlich floss und sein Gehalt lange im Rückstand war.
Aber wiederum konnte er die Aufgabe nicht beenden. Als leitender Militäringenieur (ingegnere camerale) hatte er die Kanäle und Wasserwege des Herzogtums zu inspizieren und zu pflegen. Gefahren zogen sich über Ludovico und dem Staat Mailand zusammen: Frankreich war Ludovicos Feind geworden; Ludwig XII. hatte mit dem Papst und Venedig einen Bund geschlossen, um sein Fürstentum unter sich aufzuteilen. Ludovico dachte sie mit einer Gegenallianz der norditalienischen Fürstentümer aufzuhalten, wobei er die Türken gegen Venedig sowie die Deutschen und Schweizer gegen Frankreich aufwiegelte.
Leider kam es dann zum Krieg zwischen Deutschen und Schweizern. Ludovico reiste im September 1499 nach Innsbruck, um seine Interessen besser vorantreiben zu können. In seiner Abwesenheit marschierte Ludwig XII. ins Milanese ein, und die Offiziere, die die Stadt bewachen sollten, übergaben diese ohne Widerstand. Der eingefallene Souverän begab sich mit seinem Gefolge nach Santa Maria delle Grazie, um das berühmte Gemälde des Abendmahls zu bewundern, und ersuchte, es von der Wand abzunehmen und nach Frankreich zu bringen. Der französische Leutnant in Mailand, Gian Giacomo Trivulzio, ein erbitterter Feind Ludovicos, wirkte als rachsüchtiger Tyrann in der Stadt, die so lange die Gewalt des Usurpators erduldet hatte.
Große Künstler waren für gewöhnlich von den Konsequenzen politischer Revolutionen ausgenommen, und so erhielt Leonardo schließlich von Trivulzio den Auftrag zum Entwurf eines Reiterdenkmals für ihn. Leonardo war während der zwei Monate des neuen Regimes ungestört in Mailand geblieben, wusste aber, dass Ludovico einen Schlag zur Wiederherstellung seiner Macht vorbereitete und erneuter Aufruhr folgen würde. Im Dezember verließ er deshalb Mailand mit seinem Freund Luca Pacioli, nachdem er etwas von seinen bescheidenen Ersparnissen zur Anlage nach Florenz geschickt hatte. Er wollte die Ereignisse abwarten. Sie entwickelten sich in eine Richtung, die ihn für die nächsten sieben Jahre in Mailand zu einem Fremden machte.
Ludovico kehrte an der Spitze einer Armee aus Schweizer Söldnern im Februar 1500 siegreich zurück und wurde von der Bevölkerung, die von der Unterdrückung durch die Invasoren angewidert war, willkommengeheißen. Aber im April wurde er nochmals von den Franzosen in einer Schlacht bei Novara gestürzt, nachdem die Schweizer im letzten Moment ihre überfällige Bezahlung gefordert und sich geweigert hatten, gegen eine von La Trémouille geführte Truppe ihrer eigenen Landsleute zu kämpfen. Ludovico wurde gefangengenommen und nach Frankreich verschleppt. Die Stadt, die beim ersten Einmarsch Ludwigs XII. streng geschont worden war, wurde geplündert; das Modell von Leonardos Statue machte man laut Augenzeugen zur Zielscheibe für Gascon-Schützen. Zwei Jahre später bat der Herzog Ercole von Ferrara den Leutnant des französischen Königs in Mailand um das beschädigte Kunstwerk, weil er damit Ferrara verschönern wollte. Daraus wurde nichts; innerhalb von kurzer Zeit scheint es ganz zerstört worden zu sein.
Florenz
Als Leonardo und Luca Pacioli Mailand im Dezember 1499 verließen, war ihr Ziel Venedig. Sie hielten sich kurz in Mantua auf, wo Leonardo gütig von Herzogin Isabella Gonzaga empfangen wurde, der kultiviertesten Dame ihrer Zeit. Er versprach, zu einem späteren Zeitpunkt ein Porträt von ihr zu malen; in der Zwischenzeit fertigte er die schöne Kreidezeichnung von ihr an, die sich heute im Louvre befindet. In Venedig angekommen, scheint er sich hauptsächlich mit Studien in Mathematik und Kosmografie beschäftigt zu haben.
Im April hörten die Freunde vom zweiten und endgültigen Sturz des Ludovico il Moro, und auf diese Nachricht hin gaben sie jeden Plan einer Rückkehr nach Mailand auf und zogen weiter nach Florenz, das gerade von inneren Problemen und vom Andauern des ergebnislosen und unrühmlichen Kriegs mit Pisa bedrückt war. Hier verpflichtete sich Leonardo, ein Altarbild für die Kirche Annunziata zu malen; Filippino Lippi, der bereits den Auftrag erhalten hatte, zog sich höflich zu seinen Gunsten zurück. Ein Jahr verging, ohne dass ein Fortschritt bei der Malerei zu verzeichnen war. Fragen der physikalischen Geografie und des Ingenieurwesens fesselten Leonardo wie immer. Er schrieb an Briefpartner, um Erkundigungen über die Gezeiten im Euxinischen und Kaspischen Meer einzuholen. Zur Information der Mercanti berichtete er über die gegen einen drohenden Erdrutsch auf dem Hügel von San Salvatore dell'Osservanza zu ergreifenden Maßnahmen. Er legte Zeichnungen und Modelle für die Kanalisierung und die Kontrolle des Arno vor und schlug mit Beredsamkeit und Überzeugungskraft einen Plan zum Transport des Florentiner Baptisteriums (Dantes bel San Giovanni) in einen anderen Stadtteil vor, wo es auf einen stattlichen Marmorsockel gestellt werden sollte.
Allmählich wurden die Serviten-Brüder von Annunziata wegen ihres Altarbilds ungeduldig. Im April 1501 hatte Leonardo lediglich den Karton fertiggestellt, und ganz Florenz kam zusammen, um diesen zu sehen und zu bewundern. Isabella Gonzaga, die Hoffnung hegte, seinen Schöpfer dauerhaft an den Hof von Mantua binden zu können, bat ihn schriftlich um Neuigkeiten und um eine Malerei für ihr Arbeitszimmer, das bereits mit Meisterwerken der hervorragendsten italienischen Künstler geschmückt war, oder wenigstens eine kleine Madonna. In Erwiderung sagt ihr Briefpartner, dass der Meister völlig von der Geometrie eingenommen sei, aber zur gleichen Zeit erzählt er alles über seinen gerade vollendeten Karton für die Annunziata. Das Thema war die Jungfrau, die sich auf dem Schoß der Heiligen Anna sitzend vorbeugt, ihr Kind festzuhalten, das halb aus ihrer Umarmung entflohen ist, um mit einem Lamm auf dem Boden zu spielen. Die Beschreibung entspricht genau dem Aufbau des berühmtes Bildes von der Jungfrau und Anna im Louvre .
Ein Karton dieser Komposition in der Esterhazy-Sammlung in Wien (?) wird nur für eine Kopie gehalten, den originalen Karton muss man als verschollen betrachten. Aber ein anderes verwandtes, wenn auch nicht identisches Motiv ist in der National Gallery in London überliefert. In diesem unvergleichlichen Werk lächelt die Hl. Anna, mit ihrer linken Hand nach oben zeigend, mit einem intensiven Blick des Wunderns und Fragens in das Gesicht der Jungfrau, die ihrerseits auf ihr Kind herabblickt, wie es sich von ihrem Schoß neigt, um den kleinen Johannes den Täufer neben ihm zu segnen. Offenbar waren zwei ähnliche Entwürfe in Leonardos Kopf gereift. Ein erster Rohentwurf für das Motiv des National-Gallery-Kartons befindet sich im Getty Museum in Los Angeles. Ein Gemälde Leonardos auf Basis des Kartons existiert nicht. Es bleibt umstritten, ob der Karton in der National Gallery oder der von Leonardo 1501 in der Annunziata gezeigte der frühere ist.
Trotz des allgemeinen Lobs für seinen Karton brachte Leonardo das Bild nicht zuende, und die Mönche von Annunziata mussten den Auftrag wieder Filippino Lippi geben, nach dessen Tod die Aufgabe von Perugino beendet wurde. Es bleibt unsicher, ob eine kleine Madonna mit Spindel, die Leonardo laut einem Briefpartner Isabella Gonzagas für einen Favoriten des Königs von Frankreich begonnen haben soll, jemals vollendet wurde. Er malte, wie es heißt, zu dieser Zeit ein Porträt Ginevra Bencis, einer Verwandten oder vielleicht Schwester von Giovanni di Amerigo Benci, der Leonardos Leidenschaft für kosmografische Studien teilte. Und er begann ein weiteres Porträt, die berühmte La Gioconda, das erst vier Jahre später vollendet wurde.
Der Gonfaloniere Soderini bot ihm vergeblich den riesigen Marmorblock zur freien Verfügung an, aus dem Michelangelo drei Jahre später seinen David meißeln sollte. Isabella Gonzaga bat Leonardo abermals in einem selbstgeschriebenen Brief um eine Malerei von seiner Hand, aber ihr Ersuchen wurde aufgeschoben; er tat ihr jedoch einen kleinen Gefallen, indem er für sie einige juwelenbesetzte Vasen aus dem früheren Besitz Lorenzo de Medicis begutachtete. Die aufdringliche Erwartung eines Meisterwerks in Malerei oder Bildhauerei, die ihn von allen Seiten in Florenz bedrängte, veranlasste ihn, wieder in den Dienst eines fürstlichen Patrons zu gehen, wenn möglich eines zu ihm passenden Genies, das es ihm ermöglichen würde, Ingenieursprojekte in großem Maßstab anzugehen.
Im Dienst Cesare Borgias
So wechselte er im Frühjahr 1502 plötzlich in den Dienst Cesare Borgias, Herzogs von Valentino. Dieser war mit der Konsolidierung seiner jüngsten Eroberungen in der Romagna beschäftigt. Zwischen Mai 1502 und März 1503 bereiste Leonardo als oberster Ingenieur einen großen Teil Mittelitaliens. Nach einem Besuch in Piombino an der Küste gegenüber Elba fuhr er über Siena nach Urbino, wo er Zeichnungen anfertigte. Dann wurde er eilig über Pesaro und Rimini nach Cesena gerufen; zwischen Cesena und Cesenatico verbrachte er zwei Monate, in denen er Kanal- und Hafenarbeiten plante und leitete und die Restaurierung des Palasts Friedrichs II. plante. Von da schloss er sich eilig seinem Arbeitgeber an, der momentan in Imola von Feinden belagert wurde. Er folgte ihm wahrscheinlich nach Sinigallia und Perugia, durch einen Wirbel von Stürmen und Überraschungen, Vergeltung und Verrat, und schließlich über Chiusi und Acquapendente nach Orvieto und wahrscheinlich Rom, wo Cesare am 14. Februar 1503 ankam. Als Vito Luzza, ein ehemaliger Gefolgsmann von Cesare, mit dem sich Leonardo angefreundet hatte, noch vor Cesares eigenem Sturz von diesem umgebracht wurde, hatte Leonardo annscheinend genug von diesem Dienstverhältnis, denn er war zwei Monate später zurück in Florenz. Er hat zu den meisten genannten Stationen datierte Bemerkungen und Zeichnungen hinterlassen, daneben einen Satz von sechs eigens gezeichneten groß angelegten genauen Karten, die fast das ganze Territorium der Maremma, der Toskana und Umbriens zwischen dem Apennin und der Tyrrhenischen See abdecken. Im Auftrage seines unberechenbaren Dienstherrn hatte er auch Pläne zur Umleitung des Flusses Arno ausgearbeitet, die jedoch nicht ausgeführt wurden.
Gemälde der Anghiarischlacht

In Florenz wurde Leonardo schließlich auf Initiative Piero Soderinis überzeugt, für seine Heimatstadt ein Gemälde zu übernehmen, das so groß werden sollte wie das Letzte Abendmahl, mit dem er Mailand so viel reicher gemacht hatte. Dies war ein Schlachtengemälde und ausersehen, eine der Wände des neuen Ratssaals, der Sala dei Cinquecento im Palazzo della Signoria zu schmücken. Der Meister wählte als Thema eine Episode vom Sieg der Republik über Niccolo Piccinino nahe einer Brücke bei Anghiari, im oberen Tibertal. Der junge Michelangelo wurde sogleich mit einem konkurrierenden Schlachtengemälde auf einer anderen Wand des gleichen Saals betraut und entschied sich für die Schlacht bei Cascina. Er wollte malen, wie die Florentiner Truppen beim Baden in der Nähe von Pisa überrascht werden. Etwa zur gleichen Zeit nahm Leonardo an der Diskussion über den richtigen Platz für Michelangelos gerade vollendeten David teil und bestimmte dafür die Loggia dei Lanzi, gegen die Mehrheit und Michelangelo selbst. Weder Leonardos Genie noch seine vornehmen Manieren konnten das rüde und spottende Temperament des jüngeren Kollegen dämpfen, dessen künstlerischer Stil sich nichtsdestoweniger in dieser Zeit durch das Vorbild Leonardos tiefgreifend veränderte.
Leonardo hat in einem der Abschnitte seines projektierten Traktats über die Malerei ausführlich – und offenbar auf der Grundlage eigener Beobachtungen – die bildlichen Aspekte einer Schlacht beschrieben. Die Wahl dieses Themas entsprang sicherlich nicht Kriegsliebe oder Gleichgültigkeit gegenüber den Schrecken des Krieges. Seine Manuskripten enthalten fast so viele Bemerkungen über das Leben und die menschlichen Angelegenheiten wie über die Kunst und die Naturgesetze, und den Krieg hat er als bestialischen Irrsinn (pazzia bestialissima) abgelehnt. In seinen Plänen für den Ratssaal wollte er diesen Irrsinn in seiner ganzen Schärfe darstellen. Er wählte den Moment eines schrecklichen Kampfs um die Fahnen der gegenüberstehenden Seiten. Gemäß Augenzeugenberichten und nach den wenigen überlieferten Indizien wurde die Darstellung kriegerischer Raserei und Verzweiflung, das wirre Durcheinander von Menschen und Pferden wohl nicht weniger meisterlich erdacht und wiedergegeben als die Blicke und Gesten des Kummers und der Verwirrung in dem stillen Ensemble auf der Mailänder Konventswand.
Zur Vorbereitung seines Kartons wurde Leonardo der Sala del Papa in Santa Maria Novella zugewiesen. Dieses eine Mal arbeitete er stetig und unermüdlich an seiner Aufgabe. Aus seinen Berichten an die Signoria ersehen wir sein Fortkommen Schritt für Schritt. Er hatte den Karton in weniger als zwei Jahren beendet (1504-1505), und als dieser zusammen mit dem von Michelangelo ausgestellt wurde, erschienen allen die beiden konkurrierenden Werke als eine neue Offenbarung der Mächte der Kunst. Den damaligen Studenten dienten sie als Modell und Beispiel, so wie die Fresken von Masaccio in Santa Maria del Carmine den Schülern zwei Generationen davor geholfen hatten. Der junge Raffael, dessen unvergleichlicher Instinkt für rhythmische Zeichnung sich bis dahin entsprechend den umbrischen Traditionen an heiliger Stille und versunkenem Nachdenken geübt hatte, lernte von Leonardo, denselben Spürsinn auch bei dramatischen Gegenständen anzuwenden. Leonardos Kampfesdarstellung verlieh auch Fra Bartolommeo und einer ganzen Schar weiterer aufsteigender Florentiner Maler neue Impulse.
Der Meister verlor keine Zeit, seinen Entwurf auf die Maueroberfläche zu übertragen. Diesmal hatte er eine technische Methode erfunden, die er nach einem vorläufigen Versuch im Sala del Papa für erfolgversprechend hielt. Die Farben – ob Tempera oder andere ist zweifelhaft – mussten auf einen speziell präparierten Untergrund aufgetragen werden, worauf beides zusammen – Farben und Untergrund – mittelst Wärme auf der Mauer zu befestigen waren. Nach Beendigung der zentralen Gruppe wurde Hitze angewendet, die aber ungleichmäßig wirkte: Die Farben im oberen Teil verliefen oder schuppten von der Wand ab, das Resultat war ein Fehlschlag.
Die unvollendete und verfallene Malerei blieb rund fünfzig Jahre auf der Wand, wurde aber nach 1560 von Vasari mit neuen Fresken überdeckt. Der Karton hielt nicht so lange. Nachdem er seine Aufgabe als inspirierendes Schulbeispiel erfüllt hatte, scheint er zerschnitten worden zu sein.
Weiterhin malte Leonardo auch die Heilige Anna Selbtritt (auch Selbdritt von "zu Dritt"), ein träumerisches Bildnis mütterlicher Liebe, fertiggestellt 1510.

Im Hospital des Klosters Santa Maria Nuova betrieb der Meister damals auch umfangreiche anatomische Studien. Damals war die Sektion von Leichen geächtet und offiziell verboten und wurde nur gelegentlich von der katholischen Kirche an hingerichteten Straftätern erlaubt. Deshalb musste Leonardo die Leichen heimlich sezieren. Auf Fragen nach seinem Tun antwortete er, derlei Studien hälfen ihm in der Malerei, den menschlichen Körper mit seinen Proportionen, seinen sichtbaren Muskeln und seinen anderen anatomischen Details korrekt wiederzugeben. Aber im Grunde wollte er wissen, was sich unter den Muskeln befand. Fasziniert von Anatomie und Mechanik, baute er den ersten Roboter der Welt. Der Roboter war ursprünglich für eins der spektakulären Feste von Ludovico Sforza, Herzogs von Mailand, entworfen und soll später an Ort und Stelle in einer Grotte platziert worden sein. In den folgenden Jahren beschäftigte Leonardo sich besonders eingehend mit Botanik, Medizin, Anatomie, Geometrie und Geologie.
Als Leonardo 1516 Italien endgültig den Rücken kehrte, verstaute er den größeren Teil seiner neueren Arbeiten im Kloster von Santa Maria Nuova, in dem er für gewöhnlich auch sein Geld hinterlegte. Doch scheint vieles davon schon bald von dort verschwunden zu sein. Geblieben ist folgendes: einige kleine Federstudien von kämpfenden Männern und Pferden; drei hervorragende Studien in roter Kreide in Budapest für Köpfe in der Hauptgruppe; ein Kopf in Oxford in der Kopie eines Zeitgenossen in Originalgröße; eine kleine Skizze von Raffael, auch in Oxford; ein Stich von Zacchia aus Lucca von 1558, nicht nach dem Original, sondern nach einer Kopie; sowie eine flämische Zeichnung der Hauptgruppe aus dem 16. Jahrhundert und eine weitere von Rubens, beides Kopien von Kopien.
Mona Lisa

In den Jahren 1503-1506 oder nach anderen Quellen 1510-1515 nahm Leonardo auch das Porträt der Mona Lisa, der neapolitanischen Hausfrau Monna Lisa del Giocondo (geb. Gherardini), Gattin des Francesco di Bartolommeo di Zanobi del Giocondo, wieder auf (wenn er es denn tatsächlich schon vor seinen Reisen mit Cesare Borgia begonnen hat) und vollendete es. In Lisa Gherardini hatte er ein Modell gefunden, deren Antlitz und Lächeln einen einzigartigen, rätselhaften Charme besaß, welcher ihn entzückte. Der Meister arbeitete an ihrem Porträt, wie er sagte, während eines Teils von vier aufeinanderfolgenden Jahren, und ließ während der Sitzungen Musik aufspielen, damit der gespannte Ausdruck nicht aus dem Antlitz seines Gegenübers entschwinde. Zeit seines Lebens konnte sich Leonardo nicht von dem Bilde trennen, es begleitete ihn auf allen seinen weiteren Lebensstationen. Erst nach seinem Tod wurde das Werk durch Franz I. von Frankreich für viertausend Goldflorin erworben. Heute ist es das Prachtstück des Louvre. Man sagt, noch nie habe es jemand geschafft, das Lächeln der Mona Lisa zu kopieren.
Der Reichtum der Farben, über den sich Vasari ausließ, ist in der Tat verflüchtigt, teils wegen Beschädigungen, teils weil der Maler bei seinen Bemühungen um Effekte daran gewöhnt war, seine Figuren auf dunklem Hintergrund zu modellieren, und in diesem Ölbild genauso wie auch in seinen anderen der Hintergrund in erheblichem Maße durchgekommen ist. Trotzdem, selbst in seinem abgedunkelten Zustand schlägt das Porträt den Betrachter unwiderstehlich in einen Bann, sowohl durch die Raffinesse des Ausdrucks und durch die Präzision und Verfeinerung der Zeichnung wie durch die romantische Erfindung des Hintergrundes. Endlose kritische Schwärmereien sind an die Mona Lisa angeknüpft worden.
Mailand (1506 - 1513)
In den frühen Jahren des 16. Jahrhunderts akzeptierte Leonardo – vielleicht wegen seines Ärgers über das Scheitern seiner Arbeit im Ratssaal – eine dringende Einladung nach Mailand, von Charles d'Amboise, Marschall von Chaumont, Leutnant des französischen Königs in der Lombardei. Auf Ersuchen des französischen Vizekönigs war er von der Signoria für drei Monate beurlaubt worden. Der Zeitraum wurde mehrmals verlängert, erst widerwillig, da Soderini klagte, dass Leonardo die Republik in Sachen des Schlachtengemäldes im Stich gelassen habe. Daraufhin bot der Maler ehrenvoll die Rückerstattung des gezahlten Honorars an, was die Signoria aber ebenso ehrenvoll ablehnte.
Ludwig XII. schickte Nachricht, Leonardo solle seine Ankunft in Mailand abwarten; er hatte eine kleine Madonna von ihm in Frankreich gesehen (wahrscheinlich die von Robertet gemalte) und erhoffte sich von ihm Werke der gleichen Klasse und vielleicht ein Porträt. Der König kam im Mai 1507 an, und bald darauf wurden Leonardos Dienste formal und gütlich von der florentinischen Signoria auf Ludwig übertragen, der ihm den Titel eines Hofmalers und ordentlichen Ingenieurs verlieh. Im September des gleichen Jahres riefen unangenehme Privatangelegenheiten Leonardo nach Florenz. Sein Vater war 1504 gestorben, anscheinend ohne Testament. Leonardo kam mit seinen sieben Halbbrüdern – Ser Pieros legitimen Söhnen – über das Erbe in Konflikt. Sie waren alle viel jünger als er. Einer von ihnen, der dem Beruf seines Vaters folgte, machte sich zum Sprecher der anderen in der Anfechtung von Leonardos Ansprüchen auf seinen Anteil, erst an der Erbschaft des Vaters, dann auch noch an der eines Onkels. Der darauf folgende Rechtsstreit schleppte sich über Jahre hin und zwang Leonardo zu häufigen Besuchen in Florenz und Unterbrechungen seiner Arbeit in Mailand, trotz dringender brieflicher Ersuchen von Charles d'Amboise, vom französischen König selbst und von anderen mächtigen Freunden und Patronen an die Behörden der Republik, den Vorgang zu beschleunigen. Es gibt Arbeitsspuren aus diesen unfreiwilligen Besuchen in Florenz. Ein dort 1508 gezeichnetes Blatt mit Skizzen zeigt den Anfang einer Madonna, die bis auf Kopien verloren ist. Eine der Kopien – Madonna Litta genannt – befindet sich in St. Petersburg. Ein Brief Leonardos an Charles d'Amboise von 1511, in dem er das Ende des Rechtsstreits ankündigt, spricht von zwei Madonnen verschiedener Größe, die er mit nach Mailand bringen wolle. Eine davon war zweifellos das Urbild der Madonna Litta von Petersburg. Könnte es sich bei der anderen um das Bild von Jungfrau, Hl. Anna und dem Hl. Johannes im Louvre handeln, das nun, basierend auf dem Karton, vollendet wurde?

Unterdessen war Mailand sein Hauptaufenthaltsort. Gemäß den Aufzeichnungen beschäftigten ihn nur wenige Bildwerke und gar keine Skulpturen (es sei denn, der unerfüllte Auftrag für das Trivulzio-Monument gehörte in diese Zeit) während der sieben Jahre seines zweiten Weilens in der Stadt von 1506 bis 1513. Er hatte sich einen neuen und ergebenen Freund und Schüler adliger Herkunft zugesellt, Francesco Melzi. In der Villa der Melzi-Familie in Vaprio, wo Leonardo regelmäßig verkehrte, wurde eine kolossale Madonna auf einer der Wände traditionell ihm zugeschrieben, es handelt sich aber tatsächlich um ein Werk Sodomas oder der Melzi-Familie selbst unter der Aufsicht des Meisters.
Ein anderer Maler im Dienste des französischen Königs, Jean Perréal oder Jehan de Paris, besuchte Mailand und beriet sich mit Leonardo über technische Fragen. Vorwiegend war dieser aber wohl mit der Fortführung seiner großen hydraulischen Projekte bzw. Bewässerungsarbeiten in der Lombardei beschäftigt. Er griff sein altes Amt des Schauspielmeisters und Erfinders von wissenschaftlichem Spielzeug beim triumphalen Einzug Ludwigs XII. nach dem Sieg von Agnadella 1509 wieder auf und erfreute damit das französische Gefolge des Königs. Auch beim Bau des neuen Chorgestühls für die Kathedrale wurde Leonardo konsultiert. Er arbeitete wie immer eifrig in den Naturwissenschaften, insbesondere in Anatomie zusammen mit dem berühmten Professor von Pavia, Marcantonio della Torre. In diese Zeit, als er auf sein sechzigstes Jahr zuging, könnte das Selbstporträt in roter Kreide in der Biblioteca Reale in Turin gehören. Der Meister sieht für seine Jahre zu alt aus, aber ziemlich ungebrochen. Der Charakter der Altersweisheit zeichnet sich ab; seine Gesichtszüge sind würdevoll und deutlich liniert, der Mund fest und fast streng, das Haar fällt ungeschnitten über die Schultern und vermischt sich mit einem majestätischen Bart.
Rom

Als sein Prozess 1511 zuende war und er nach Mailand zurückkehrte, hätte sich Leonardo auf einen Lebensabend freuen können, erfüllt von erfolgreicher Arbeit und wahrscheinlich – wäre es nach ihm gegangen – der Hauptaufgabe, die Masse an Beobachtungen und Vermutungen, welche er in seinen Notizbüchern gesammelt hatte, zu ordnen und einige von davon für die Veröffentlichung vorzubereiten. Doch wie sein eigener Stern aufstieg, sank der seines königlichen Protektors. Der Einfluss der Franzosen in der Lombardei wurde durch feindliche Mächte erschüttert und dann wieder für eine Weile durch die Siege von Gaston de Foix bestätigt, aber schließlich zerstört, als dieser vor Ravennas Mauern fiel. Im Juni 1512 brachte ein Bündnis zwischen Spanien, Venedig und dem Papst wieder die Sforza-Dynastie in Mailand an die Macht, diesmal Ludovicos Sohn Massimiliano.
Massimiliano muss als Kind mit Leonardo bekannt gewesen sein, ärgerte sich aber vielleicht über dessen Entscheidung, seine Loyalität bereitwillig den Franzosen zu übertragen; jedenfalls gab er ihm keine Anstellung. Binnen weniger Monate verabschiedete sich daher der alternde Meister von Mailand und zog mit Hab und Gut sowie einem Gefolge aus Schülern nach Rom, in den Dienst des Hauses, mit dem er zuerst befreundet gewesen war: der Medici. Papst Julius II. hatte Rom bereits zum Zentrum der italienischen Kunst gemacht. Als ihm 1513 Giulio de Medici als Leo X. nachfolgte, machte man sich allerseits Hoffnungen auf noch üppigere und wohlwollendere Patronage. Leonardos spezieller Freund am päpstlichen Hof war der jüngste Bruder des Heiligen Vaters, Giuliano de Medici, der verschwenderische Gewohnheiten mit einem echten Interesse an Kunst und Wissenschaften verband. Durch seinen Einfluss wurden Leonardo und seine Leute im Belvedere des Vatikans untergebracht. Der Meister bekam ein eigenes Atelier mit einem deutschen Mitarbeiter, welcher jedoch den Auftrag hatte, den Papst, der selbst keine hohe Meinung von Leonardo hegte, stets über dessen Aktivitäten zu unterrichten.
Aber die Bedingungen der Zeit und des Orts stellten sich als ungünstig heraus. Die junge Generation behauptete das Feld. Raffael und Michelangelo, die teilweise auf Leonardos Schultern zu großer Berühmtheit aufgestiegen waren, hatten gerade durch ihre bedeutenden Errungenschaften in der Stanze und der Sixtinischen Kapelle frischen Ruhm geerntet. Ihre rivalisierenden Anhänger hassten sich gegenseitig, aber beide Gruppen, insbesondere die Michelangelos, wandten sich erbittert gegen den altgedienten neu Hinzukommenden. Von Leonardos kleinen Findigkeiten und Experimenten in der Wissenschaft, insbesondere von einer Art zoologischer Spielzeuge, die er als Zeitvertreib erfunden hatte, und von mechanischen Tricks, die mit lebenden Tieren durchgeführt wurden, soll der Papst schon eher angetan gewesen sein. Um die ernsthafteren Projekte und Forschungen des Genies aber kümmerte er sich wenig, war er doch weit mehr an den Fantastereien der Alchemisten und Astrologen interessiert.
Als man Leonardo nach dem Auftrag über ein Bild dabei fand, wie er für sich ein neues Medium aus Ölen und Kräutern zusammenmischte, noch bevor er mit dem Entwurf begonnen hatte, war der Papst – vielleicht nicht ohne Grund – der Meinung, dass nichts Ernsthaftes dabei herauskommen werde. Die einzigen Gemälde, die der Meister nach der Quellenlage sicher in Rom anfertigte, waren zwei kleine Tafelbilder für einen Beamten des päpstlichen Hofs, eines von einem Kind, das andere von einer Madonna, beide verloren oder nicht auffindbar. In diese Zeit könnte auch eine verlorene Leda gehören, die aufrecht steht, mit einem Schwan an ihrer Seite und den vier Kindern zu ihren Füßen. Dieses Bild war im 16. Jahrhundert in Fontainebleau und ist aus mehreren Kopien bekannt, die schönste in der Galleria Borghese in Rom, sowie aus einem oder zwei vorläufigen Skizzen vom Meister selbst und einer kleinen skizzierten Kopie von Raffael.
Ein Porträt einer Florentiner Dame, das er für Giuliano de Medici gemalt haben soll und das später in Frankreich gesehen wurde, könnte ebenfalls in Rom geschaffen worden sein, allerdings könnten wir es hier auch mit einer verwirrten Beschreibung der Mona Lisa zu tun haben. Traditionell wird Leonardo ein reizvolles Fresko einer Madonna im Konvent von St. Onofrio zugeschrieben, aber dies scheint klar ein Werk Boltraffios zu sein. Die einzigen aus Leonardos Römer Zeit bekannten Ingenieurswerke waren am Hafen und an den Verteidigungsanlagen von Civitavecchia. Durch weitere umfangreiche anatomische Studien entdeckte Leonardo damals auch die Arteriosklerose (Arterienverstopfung) bei alten Menschen. Doch seine – ebenfalls umfangreichen – Aufzeichnungen hierüber wurden nie publiziert und blieben jahrhundertelang verschollen.
Insgesamt fand sich der Meister während seiner römischen Jahre zum ersten und einzigen Mal im Leben gekränkt. Der Hilfsarbeiter aus Deutschland bewohnte sein Heim und bespitzelte ihn für den Papst. Aufgrund dessen Vorwürfe der Leichenfledderei und Pietätlosigkeit bei anatomischen Studien entzog der Papst Leonardo seine Gunst zeitweise ganz. Insgesamt blieb dieser nicht ganz zwei Jahre in Rom.
Ludwig XII. war in den letzten Tagen des Jahres 1514 gestorben. Sein junger und brillanter Nachfolger Franz I. von Frankreich überraschte Europa: er stieß an der Spitze einer Armee über die Alpen vor, um seine Rechte in Italien zur Geltung zu bringen. Nach einigem Zögern befahl Leo X. im Sommer 1515 Giuliano de Medici als Gonfaloniere der Kirche, die päpstlichen Truppen in die Emilia zu führen und die Bewegungen der Invasoren zu beobachten. Leonardo begleitete seinen Protektor auf dem Marsch und blieb mit dem Hauptquartier der päpstlichen Armee in Piacenza, als Giuliano erkrankte und sich nach Florenz zurückzog. Nach der Schlacht bei Marignano sollten sich Franz und der Papst im Dezember in Bologna treffen. Der Papst, der über Florenz reiste und dort einen großen neuen Plan für die laurentinische Bibliothek diskutierte, beabsichtigte, diesen Auftrag Leonardo zu geben; aber Michelangelo kam eilends aus Rom und sicherte ihn sich selbst. Leonardo begab sich von Piacenza aus in seine Heimatstadt und wurde zur rechten Zeit dem König vorgestellt. Der brillante junge Souverän und der weise Alte waren sich auf Anhieb sympathisch. Leonardo begleitete Franz auf dessen Heimmarsch bis Mailand und beschloss dort, die Einladung des Königs nach Frankreich anzunehmen, wo ihm ein neues Heim, Ehre und Achtung zugesichert wurden.
Frankreich
Die letzten zweieinhalb Jahre seines Lebens verbrachte Leonardo da Vinci im Schloss Clos Lucé bei Amboise, das ihm mit einer großzügigen Pension überlassen wurde. Der Hof kam oft nach Amboise, und der König erfreute sich der Gesellschaft seines Schützlings. Er erklärte, dessen Wissen in der Philosophie und den schönen Künsten stehe jenseits dem aller Sterblichen. Im Frühjahr 1518 hatte Leonardo Gelegenheit, seine alten Talente als Festmeister auszuüben, als der Dauphin getauft und eine Medici-Bourbonische Hochzeit gefeiert wurde. Er zeichnete Pläne für einen neuen Palast in Amboise und arbeitete am Projekt eines großen Kanals (Canal du Centre) zwischen Loire und Saône. Weil schriftliche Beweise fehlen, ist ein einfallsreicher Versuch unternommen worden, nachzuweisen, dass er die berühmte spiralförmige Treppe in Blois entworfen hat.
Unter seinen Besuchern war ein Landsmann, Kardinal Louis d'Aragon, dessen Sekretär einen Bericht hinterlassen hat. Leonardo litt anscheinend an einer leichten Paralyse, die die Bewegung seiner Hand beeinträchtigte. Aber er zeigte dem Kardinal drei Bilder, das Porträt einer Florentiner Dame für Giuliano de Medici (die Mona Lisa?), die Jungfrau im Schoß der Hl. Anna (das Louvre-Bild, vollendet in Florenz oder Mailand 1507-1513?) und einen jugendlichen Johannes den Täufer. Das letztere (das er möglicherweise erst in Frankreich schuf) ist das abgedunkelte und teilweise neu gemalte, aber immer noch kraftvolle Bild eines Oberkörpers im Louvre , mit einem Lächeln inneren Entzückens und dem prophetischen Finger aufwärts zeigend wie bei der Heiligen Anna im National-Gallery-Karton. Über die Pomona, die von Lomazzo als Werk der Amboiser Zeit erwähnt wird, sagt sein Besucher nichts, auch nicht über den Bacchus im Louvre, der traditionell Leonardo zugeschrieben wurde, aber klar das Werk eines Schülers ist. Neben Gemälden scheint der Meister seinen Besuchern auch einige seiner Notizen und Beobachtungen über Physik und Anatomie gezeigt zu haben. Er hoffte immer noch, Ordnung in seine Aufzeichnungen – eine Ansammlung aus mehr als vierzig Jahren – zu bekommen und vielleicht der Welt einen Teil der Studien, die sie enthielten, geben zu können. Aber seine Kraft war fast erschöpft. Am Osterabend 1519 fühlte er, dass sein Ende nahte, und machte sein Testament. Er bestimmte, dass in drei verschiedenen Kirchen in Amboise Messen gelesen und Kerzen geopfert werden sollen, dass er in St. Florentin beerdigt werden wolle, und dass sechzig arme Männer bei seiner Bestattung als Fackelträger dienen sollen.
Vasari erzählt uns von einer Bekehrung und Reue auf dem Totenbett. Doch Leonardo war nie ein Freund oder ein Feind der Kirche gewesen. Manchmal prangerte er scharf die Anmaßung der Priester an; aber niemand hat mit so tiefer spiritueller Einsicht einige von den entscheidenden Momenten der christlichen Geschichte dargestellt. Seine unersättlichen Forschungen über die Natur brachten den Verdacht auf, er betreibe magische Künste, aber diese verachtete er über alles. Er neigte in seiner Denkweise immer dazu, sich durch Erfahrung belehren zu lassen, nicht aber durch Autorität, und Naturgesetze beschäftigten seine Gedanken sicherlich weit mehr als religiöse Dogmen; aber wenn er diese erwähnte, tat er es mit Respekt, als ob er von einer fremden Seite Licht auf die Wahrheit werfen wollte. Seine Anpassung am Schluss stand zu seiner Vergangenheit also nicht im Widerspruch. Nachdem er die Sakramente der Kirche empfangen hatte, starb er am 2. Mai 1519.
König Franz, der zu jener Stunde an seinem Hof in Saint-Germain-en-Laye weilte, soll um den Verlust eines solchen Dieners geweint haben; dass er am Totenbett war und den sterbenden Maler in seinen Armen hielt, ist aber ein Märchen. Nach einer vorläufigen Bestattung an einem anderen Ort wurden die Gebeine entsprechend seinem Willen am 12. August zum Kloster von St. Florentin gebracht. Er hinterließ alle seine Manuskripte und anscheinend die gesamte Ausstattung seines Ateliers zusammen mit anderen Geschenken dem ergebenen Francesco Melzi, den er zum Vollstrecker bestimmte; seinem Diener Battista Villani und Salaj jeweils die Hälfte seines Weinbergs außerhalb von Mailand; Geld und Kleider seinem Dienstmädchen Maturina; weiteres Geld den Armen des Hospitals in Amboise; und vierhundert Dukaten, die in Florenz hinterlegt waren, seinen Halbbrüdern.
Wie kein anderer war Leonardo gleichzeitig für Kunst und Wissenschaft begabt. In der Kunst war er ein Erbe und Vollender, in einer Zeit großartiger und vielseitiger Bestrebungen geboren, die er durch sein Werk zum Abschluss führte. In der Wissenschaft war er ein Pionier, der völlig für die Zukunft arbeitete, zum großen Teil allein. Dass seine beiden ungeahnten Gaben sich in gewissem Maße gegenseitig neutralisieren würden, war unvermeidlich. Niemand kann sich vorstellen, auch nur ein Hundertstel dessen zu leisten, was Leonardo anpackte. Allein der Versuch, das Verständnis von Licht und Schatten in die Malerei einzubringen, sollte die Fertigkeiten von Generationen in Anspruch nehmen.
Leonardo vereinte sein Wissen über Licht und Schatten mit den alten Florentiner Stärken der linearen Zeichnung und des psychologischen Ausdrucks und trug es auf eine neue Höhe. Die Früchte sind leuchtend, aber bedauerlich wenig. Tun und Erkennen lockten ihn gleichermaßen, und seine Tatkraft wurde oft von seiner unaufhaltbaren Neugier gelähmt. Zunächst wollte er lernen, Bilder von Kraft und Schönheit zu verbessern. Dann erwuchs in ihm die Leidenschaft nach Wissen um seiner selbst willen. In seiner Natur konnte zwar die Vergilsche Sehnsucht rerum cognoscere causas (die Ursachen der Dinge herauszubekommen) nie wirklich den Aufruf zum Handeln besiegen. Aber im Laufe der Zeit verwendete er die ihm eigenen Fähigkeiten immer weniger für Schöpfungen seiner Fantasie und versuchte immer mehr, sein durch Studium angeeignetes Wissen über Naturkräfte zum Nutzen der Menschheit einzusetzen. In der Wissenschaft ging er als einer der Ersten in der Moderne die Probleme an, deren Lösung spätere Forscher über Generationen hinweg in ihrem Bann hielt. Florenz hatte andere Söhne von universellem Genie, technisch und künstlerisch, darunter vielleicht Leon Battista Alberti als den wichtigsten. Je mehr wir darüber erfahren, wie und über was alles Leonardo geforscht hat, desto mehr überstrahlt er seine Zeitgenossen.
Werke
Leonardo da Vinci erstellte unzählige Entwürfe für Kunstgegenstände wie Gemälde, Skulpturen und Fluggeräte, von denen er viele nie ausgeführt hat. Außerdem schuf er eine große Zahl von künstlerisch wertvollen Illustrationen zu verschiedenen Themen wie Biologie, Anatomie, Technik, Waffentechnik und Architektur.
In seinen Notizbüchern sind außerordentlich viele Skizzen erhalten geblieben. Leonardo notierte alles in Spiegelschrift. Als Erklärung dafür wird vermutet, dass er seine Ideen nicht sofort allgemein zugänglich machen wollte. Zu seiner Zeit gab es zum Schutz der Urheberschaft an Erfindungen noch nicht das für uns so selbstverständliche Patentrecht, aber dafür Gilden und Geheimbünde, die das Wissen nur vom Meister auf den Lehrling übertrugen. Außerdem war Leonardo Linkshänder. In Spiegelschrift fällt Linkshändern das Schreiben leichter, weil sie dabei die Feder nicht zu ihrer Spitze hinschieben müssen, sondern sie, von rechts nach links, normal ziehen können. Durch experimentelle Nachbauten wurde erwiesen, dass er in seinen Konstruktionszeichnungen kleine, aber entscheidende Details vertauschte, die nur ihm selbst bekannt waren, so dass ein genauer Nachbau des Gezeichneten nicht funktionieren könnte. Leonardos bekannteste Illustration ist der "Vitruvische Mensch", heute auf der italienischen 1-Euro-Münze abgebildet. (Die Idee dieses Proportionsschemas der menschlichen Gestalt stammt allerdings von Vitruv, einem römischen Architekten, Ingenieur und Schriftsteller des 1. Jh. v. Chr.; daher der Name "Der Vitruvische Mensch".)
Besonders berühmt ist das Porträt der Mona Lisa, heute im Louvre in Paris ausgestellt. Fast ebenso großer Bekanntheit erfreut sich das Wandgemälde Das Abendmahl in Mailand. Aber auch andere Gemälde von Leonardo sind sehr bekannt geworden, darunter die Dame mit dem Hermelin in Krakau.
Skulpturen sind jedoch leider keine im Original erhalten.
Literatur
- Daniel Arasse: Leonardo da Vinci. DUMONT Literatur und Kunst Verlag 2002. ISBN 3-8321-7150-9
- Serge Bramly: Leonardo da Vinci. Rowohlt 1995. ISBN 3-499-13706-2
- Andre Chastel: Leonardo Da Vinci. Sämtliche Gemälde und die Schriften zur Malerei. Schirmer/Mosel 1990. ISBN 3-88814-286-5
- Kenneth Clark: Leonardo da Vinci in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt. ISBN 3-499-50153-8
- Hermann Grothe: Leonardo da Vinci. Reprint-Verlag-Leipzig 2003. ISBN 3-8262-0720-3
- Heinz Kühne: Leonardo da Vinci. Prestel 1999. ISBN 3-7913-2199-4
- Giorgio Vasari, Roland Kanz: Das Leben von Leonardo da Vinci, Raffael von Urbino und Michelagnolo Buonarroti, Reclam, Ditzingen 1996. ISBN 3-15-009467-4
- Frank Zöllner: Leonardo da Vinci 1452-1519. Taschen Verlag. ISBN 3-8228-6363-7
- Frank Zöllner: Leonardo da Vinci. Taschen Verlag. ISBN 3-8228-5726-2 (Sämtliche Gemälde, sämtliche eigenhändigen Zeichnungen)
- Pietro C. Marani: Leonardo - Das Werk des Malers. München 2001. ISBN 3-8296-0015-1
- D. M. Field: Leonardo da Vinci. Verlag EDITION XXL 2005. ISBN 3-89736-331-3
Weblinks
Paul Valery:"Einführung in die Methoden des Leonardo da Vinci",erschienen in Paris 1895 in der "Nouvelle Revue"
Leonardos künstlerisches Schaffen
- Leonardo da Vinci, Gallery of Paintings and Drawings
- National Museum of Science and Technology Milano englisch
- http://www.mos.org/leonardo/
- Leonardo Da Vinci - Diverse Bilder
- The drawings of Leonardo da Vinci
- Der Codex Leicester von Leonardo da Vinci
- Die Proportionsstudie nach Vitruv von Leonardo da Vinci und ihre Mathematik
- Art Gallery - Leonardo da Vinci
Technische Museen mit Leonardos Erfindungen
- Nationalmuseum d. Wissenschaft u. Technologie Leonardo da Vinci in Milano [1]
- Museo Leonardiano di Vinci [2]
Gesamtdarstellungen über Leonardo
- leo.skyar.com
- Leonardo-da-Vinci
- Ein zu früh Geborener
- Leonardo da Vinci (1452-1519) - Universalgenie
- Leonardo da Vinci - 101 Projekt - eine euregionale Veranstaltungsreihe [3]
Personendaten | |
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NAME | Leonardo Da Vinci |
KURZBESCHREIBUNG | Italienischer Künstler und Universalgelehrter |
GEBURTSDATUM | 15. April 1452 |
GEBURTSORT | Anchiano bei Vinci |
STERBEDATUM | 2. Mai 1519 |
STERBEORT | Schloss Cloux, Amboise |