Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/2016

Der Begriff Flüchtlingskrise in Europa 2015 beschreibt die Kombination aus einer Vervielfachung der Flüchtlingszahlen auf dem Weg nach Europa seit 2014 und der faktischen Aussetzung der Dublin-III-Verordnung der Europäischen Union sowie den Umgang einzelner Dublin-Staaten – worunter neben den EU-Mitgliedstaaten auch Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz fallen – mit der steigenden Zahl von Asylsuchenden.[1]
Abgrenzung/Definition von fliehenden Menschen
Als Flüchtlinge, Migranten oder Asylbewerber werden dabei in der Diskussion meist Personen bezeichnet, die – unabhängig von ihren Beweggründen, nach Europa zu kommen – dort angekommen, jeweiligen nationalen Asylverfahren unterworfen werden. Ob sie später Anspruch auf Asyl haben oder anderweitig unter Schutz gestellt oder abgelehnt werden, spielt dabei zunächst keine Rolle.
Flüchtlinge sind laut Genfer Konvention Menschen, die in ihrem Heimatland verfolgt werden und Schutz im jeweiligen Zielland suchen. Migranten sind allgemein Menschen, die aus ins Ausland übersiedeln.
Ausgangssituation in den Herkunftsländern

Die Zahl an internationalen Flüchtlingen erhöhte sich durch neue Kämpfe im Umfeld des religiös-politisch begründeten syrischen Bürgerkriegs, wo die Ausbreitung der Terrororganisation IS die Lage weiter verschärft hatte. Durch die Krise im Irak verschlimmerte sich die Lage weiter.[2]
Die Vereinten Nationen zählten im Juli 2015 4,6 Millionen Syrer, die aus ihrem Land seit Ausbruch der Kämpfe geflohen waren.[3] Verschlimmern werde sich die Lage weiter durch das Wegbrechen der Gelder für die Versorgung der Millionen Flüchtlinge beim UN-Flüchtlingshilfswerk, das nach eigenen Angaben vom August 2015 nur etwa die Hälfte der Gelder sammeln konnte, die es zur Versorgung der steigenden Zahlen syrischer Kriegsflüchtlinge, insbesondere in den Nachbarländern Syriens, wie der Türkei und Jordanien, benötigt.[4]
Der Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran,[5] in diesem Fall auf der anderen Seite der Arabischen Halbinsel, im Jemen, erzeugte mit der Militärintervention von 2015 eine weitere Flüchtlingsbewegung.
Auch die Anzahl der Flüchtlinge aus Afrika verringert sich nicht. Die Lage in Eritrea auf Grund dessen repressiver Politik beispielsweise ist nach wie vor angespannt.[6][7]
Hinzu kamen Versuche der Taliban in Afghanistan, den beginnenden Abzug der Koalitionstruppen zu nutzen, um erneut an Einfluss zu gewinnen.[8]
Nach Zahlen vom August 2015 haben im bisherigen Jahr 2015 332.000 Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa das Mittelmeer überquert, davon kamen zwei Drittel in Griechenland an, die meisten Übrigen in Italien. Man schätzt, dass im gleichen Zeitraum rund 2600 Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen, ums Leben kamen.[9] Die Kapazitäten der wichtigsten Ankunftsstaaten, Griechenland und Italien, werden überdehnt. Ärmere europäische Staaten haben es in Teilen aufgegeben, die Asylanträge der Personen aufzunehmen, und lassen sie trotz des Dubliner Übereinkommens ungehindert in beliebte Zielstaaten weiterreisen oder unterstützen sie aktiv dabei.[10]
Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen erklärte im August 2015, es sei langfristig nicht durchzuhalten, dass in Europa die Masse der Flüchtlinge allein von Deutschland und Schweden aufgenommen würde.[11]
Zahlen und politische Positionen

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Entwicklung 2013 auf 2014
Die Europäische Union verzeichnete bereits 2014 einen deutlichen Anstieg der Asylbewerberzahlen um rund ein Drittel auf 626.000 Personen. Die Antragszahlen erhöhten sich folglich von 2013 auf 2014 in den meisten Mitgliedsstaaten. Einzige Ausnahmen von dieser Regel waren Frankreich (−5 %), Kroatien (−58 %), Malta (−40 %), Polen (−47 %), Portugal (−12 %) und die Slowakei (−25 %). Auch Dublin-Staaten, die nicht Teil der Union sind, hatten deutlich mehr Anträge zu verzeichnen: die Schweiz (+11 %), Island (+36 %), Norwegen (+11 %) und Liechtenstein (+18 %). Hauptherkunftsländer der Asylsuchenden waren an erster Stelle Syrien, gefolgt von Afghanistan und dem Kosovo.[13]
Entwicklung in den Dublin-Staaten
Die sogenannten „Dublin-Staaten“ umfassen neben den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch die dem Abkommen beigetretenen Staaten Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz.
- Deutschland erhielt 2014 32,4 % der Asylanträge in der EU.[13] Für 2015 wurden die Prognosen für Deutschland mehrfach nach oben korrigiert und liegen derzeit bei rund 800.000 Asylsuchenden.[14]
- Einige Regierungsvertreter deuteten bereits an, dass diese Situation untragbar werden könne.[15]
- Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung beklagte schon im April 2015, dass Deutschland, Schweden und Frankreich die Hauptlast der Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge trügen, während andere europäische Staaten nichts täten.[1] Ähnlich beklagte sich der Innenminister der Bundesrepublik im August 2015 über Griechenland und Italien, die die Flüchtlinge einfach, ohne ihre Asylanträge aufzunehmen, in den Schengen-Raum entlassen.[15] Die meisten Flüchtlinge im Jahr 2015 kommen aus Syrien, dem Kosovo und Albanien nach Deutschland.[16]
- Politiker suchten nach Maßnahmen die rund 46 % der Bewerber mit aussichtslosen Asylanträgen, die aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, dem Kosovo, Albanien oder Montenegro gekommen waren, schneller zurückzuschicken und beschlossen Anträge von Menschen aus dem Balkan bei der Bearbeitung entsprechend vorzuziehen.[17]
- Über die Anwendung des Dublin-Abkommens kam es Ende August und Anfang September 2015 zu Missverständnissen zwischen den Regierungen Ungarns, Österreichs und Deutschlands. Weil in Deutschland eine BAMF-Leitlinie bekannt wurde, die festlegte, dass Flüchtlinge aus Syrien nicht in die Ankunftsländer in der EU zurückgeschickt würden, verbreitete sich das Gerücht, Deutschland erlaube auch allen die Einreise. Dem widersprachen Politiker später.[18][19][20]
- Frankreich erhielt 2014 10 % der Asylanträge in der EU.[13] Die Regierung löste Ende August 2015 durch scharfe Kritik an Ungarns Grenzzaun diplomatische Verstimmungen aus.[21]
- Hauptsächlich trat das Land durch lang anhaltende Streitigkeiten mit Großbritannien wegen eines Lagers von rund 3000 Flüchtlingen nahe dem Eurotunnel bei Calais in den Medien in Erscheinung. Die Personen dort waren im Zuge der allgemeinen Auflösungserscheinungen bei der Sicherung der EU-Außengrenzen in der Hoffnung nach Frankreich gekommen, von Calais nach England zu gelangen.[22]
- Griechenland erhielt 2014 nur 1,5 % der Asylanträge in der EU,[13] ist aber das Land, in dem der überwiegende Teil der Flüchtlinge in Europa ankommt. Allein zwischen Januar und August 2015 wurden rund 200.000 Menschen[9] erfasst, die meist aus der Türkei nach Griechenland kamen – das Vierfache der Zahl des gesamten Jahres 2014. Auf die Frage, wohin die erfassten Flüchtlinge dann in Griechenland gehen würden, antwortete der griechische Migrationsminister in einem Radiointerview, sie würden „verschwinden“, mehr könne er nicht offen sagen. Die Menschen machen sich nach Medienberichten auf den Weg nach Mazedonien, von wo aus sie hoffen, über Serbien und Ungarn ins nördlichere Europa zu gelangen.[23]
- Großbritannien erhielt 2014 5,1 % der Asylanträge in der EU.[13] Das Land stand der Zuwanderung durch Asylsuchende skeptisch gegenüber und beteiligte sich beispielsweise nicht an der Rettungsaktion der europäischen Marinen für Bootsflüchtlinge im Mittelmeer, weil man befürchtete, dass das nur den Nachzug von noch mehr Migranten nach sich zöge.[24]
- Dominant schien in der Presse die Auseinandersetzung mit Frankreich über rund 3000 Flüchtlinge, welche die französische Regierung bei Calais weitgehend unbehelligt ein illegales Lager errichten ließ, das den Bewohnern als Ausgangsbasis für ständige Versuche dient, den Ärmelkanal zu überqueren. Das veranlasste wiederum die britische Regierung zur Aufstockung der Mittel für die Grenzsicherung.[22] Weiterhin beklagte sich im August 2015 Innenministerin Theresa May, dass das Schengen-Abkommen, an dem Großbritannien nicht teilnimmt, mit seinem grenzenlosen Verkehr innerhalb Europas die Krise von Migranten verschärft habe, und kritisierte die Europäische Kommission, die von diesem System nicht abrücken wolle.[25]
- Premierminster Cameron hatte, unter innenpolitischem Druck von Zuwanderungsgegnern, versprochen nicht mehr als 1000 Syrer ansiedeln zu wollen. Weiteren 5.000 Menschen, die sich aus Syrien auf eigene Faust nach Großbritannien durchgeschlagen hatten, hatte man jedoch Asyl gewährt. Die Regierung verweist in der Debatte Kritiker auf ihr Engagement für Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens.[26]
- Italien erhielt 2014 10,3 % der Asylanträge in der EU.[13] Es ist das erste Ziel von zahlreichen Flüchtlingen, die über das Mittelmeer aus Nordafrika kommen. So beklagte der Außenminister im August 2015 die Kritik von Frankreich und Deutschland an der laschen Praxis Griechenlands und Italiens, die Asylanträge der Flüchtlinge nicht aufzunehmen, als ungerechtfertigt. Angesichts des Ansturms sei das nicht zu leisten.[27]
- Das Land beherbergte im Sommer 2015 rund 82.000 Flüchtlinge in Auffanglagern und erwartet im Gesamtjahr 2015 bis zu 200.000.[28] Anfang September 2015 kündigte man in Italien auf Bitten Bayerns das Wiedereinführen von Grenzkontrollen zu Österreich an, um Flüchtlinge aufzugreifen, die unkontrolliert über Italien nach Deutschland reisen.[29]
- Liechtenstein erhielt 2014 65 Bewerber, auf 1000 Einwohner kommen somit 1,8 Bewerber (Zum Vergleich: Der Mittelwert in der EU beträgt 1,2 Bewerber auf 1000 Einwohner).[13] Der größte Teil kam aus Serbien und Somalia.
- Die Niederlande erhielten 2014 4,2 % der Asylanträge in der EU, was rund 26.000 Anträgen entspricht.[13] Sie unterstützten die später gescheiterten Verteilungspläne der Europäischen Union vom Sommer 2015, nach denen sie rund 2000 Migranten hätten aufnehmen sollen.[30]
- Im Spätsommer diskutierte man jedoch härtere Asylgesetze, die abgelehnte Asylbewerber vollständig von den sozialen Sicherungssystemen des Landes ausschließen würden. Kritik von UN-Vertretern wies Regierungschef Rutte zurück, man könne keine Leute versorgen, die sich schlicht weigerten, zu gehen.[31]
- Österreich erhielt 2014 4,5 % der Asylanträge in der EU.[13] Es wurden bis Ende Juli 2015 28.300 Asylanträge gestellt und damit mehr als im gesamten Vorjahr. Die Weigerung einzelner Gemeinden, ihren Anteil an den zwischen 80.000 und 160.000 erwarteten Migranten aufzunehmen, machte die Lage zusätzlich kompliziert.[32]
- Polen erhielt 2014 1,3 % der Asylanträge in der EU.[13] Die Regierung zeigt sich weitgehends unwillig, Flüchtlinge aufzunehmen. Einzige Ausnahme war die Aufnahme von 150 christlichen Syrern im Sommer 2015, die von einer privaten polnischen Hilfsorganisation unterstützt werden.
- Im Juli 2015 sagte Polen zu, es werde in den nächsten zwei Jahren freiwillig 2200 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea aufnehmen.
- Polen ist entschiedener Gegner einer verpflichtenden Flüchtlings-Verteilungsquote.
- Schweden nimmt relativ zur Bevölkerungszahl die meisten Flüchtlinge auf. Im Jahr 2014 wurden hier 13 % der Asylanträge in der EU registriert.[13] Aufgenommen wurden in dem Zeitraum 81.300 Menschen.[33]
- Für 2015 senkte man die Prognose im Spätsommer 2015 von 90.000 auf 74.000 Asylanträge, weil, nach schwedischen Angaben, die langen Bearbeitungszeiten der Anträge, im Vergleich zu Deutschland, die Bewerber abschrecken würden.[11]
- Die Schweiz erhielt 2014 23.555 Bewerber, auf 1000 Einwohner kommen 2,9 Bewerber, von allen Dublin-Staaten haben nur die Einreiseländer (Malta, Griechenland, Ungarn) sowie Österreich und Schweden eine höhere Bewerberquote pro Einwohner.[13] Der größte Teil, 29 %, kam aus Eritrea, die bereits eine Diaspora in der Schweiz hat. 16 % kamen aus Syrien und 5 % aus Sri Lanka. Im ersten Halbjahr 2015 stieg die Zahl der Bewerber deutlich an. Juli 2015 stellten 3805 Personen ein Asylgesuch ein, das sind 70 % mehr als im Vorjahresmonat (2234). Im 2. Quartal 2015 kamen von insgesamt 7384 Personen 3238 (43 %) alleine aus Eritrea. Flüchtlinge aus Syrien sind eher in einer Minderheit (390). Für die kommenden Monate wird erwartet, dass Flüchtlinge vermehrt die Balkan-Route einschlagen werden als die über das Mittelmeer.[34]
- Der Bundesrat will sich an das aktuelle Asylgesetz und somit an Dublin III halten, die SVP dagegen fordert die Einführung eines Notrechts, die Grünen wiederum eine Reform des Dublin-Abkommens, nach der Flüchtlinge nach Wirtschaftsstärke der einzelnen Staaten verteilt werden sollen. Zudem wird die Wiedereinführung des Botschaftsasyls gefordert, letzteres müsse gemäß Bundesrat jedoch auf EU-Ebene geschehen.[35]
- Ungarn erhielt 2014 6,8 % der Asylanträge in der EU, was rund 42.000 Antragsstellern entspricht.[13] Die Regierung meldete aber bereits im Juni 2015 57.000 Menschen, welche die Grenzen nach Ungarn überquert hätten, und kündigte bald den Bau eines Grenzzauns an, um ihren Aufgaben beim Schutz der EU-Außengrenzen nachkommen zu können.[36] Ungarn begann im Sommer 2015, Flüchtlinge nicht mehr zurückzunehmen, die es nach dem Dublin-II-Abkommen hätte aufnehmen müssen.[37]
- Am 26. August 2015 gab man bekannt, dass man die Tausende von Flüchtlingen, die man jeden Tag aufgreife, nicht mehr versorgen könne. Die Zahlen hatten sich in Ungarn im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht.[38]
- Wegen Missverständnissen über die Einreisepraxis Deutschlands Ende August 2015 ließ man zunächst am Bahnhof Budapest-Keleti einige Züge mit Flüchtlingen nach Österreich und von dort nach Deutschland passieren, stellte die Praxis zwischenzeitlich wieder ein, was zu Konflikten mit anderen angereisten Flüchtlingen an den Bahnhöfen führte.[39][40]
Organe der Europäischen Union
Der Europäische Rat (das Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten) versuchte im Juni 2015, ein Quotensystem für die Flüchtlingsverteilung innerhalb der Union zu etablieren, was jedoch am Widerstand der Visegrád-Gruppe aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien scheiterte.[36] Beobachter schätzen, dass die Wähler in den Mitgliedsstaaten der Union, die oft selbst von wirtschaftlichen Problemen betroffen oder bedroht sind und kein Interesse an der Aufnahme von weiteren hilfsbedürftigen Personen haben, immer mehr politischen Druck in diese Richtung ausüben.[41]
So beklagte auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am 29. August, dass die EU nicht versagen würde, sondern die Regierungen einzelner Mitgliedsstaaten. Es müsse „mehr Europa“ geben, und die Blockadehaltung von Mitgliedsstaaten in der Sache bezeichnete er als „zynisch“.[42]
Am 31. August 2015 beriefen die Innen- und Justizminister der Mitgliedstaaten ein Krisentreffen wegen der Flüchtlingswelle ein.[43]
Auswirkungen
Todesopfer auf den Fluchtrouten
Die meisten Todesopfer waren bislang beim Versuch der Einwanderung über das Mittelmeer zu beklagen. Kamen im Jahr 2010 etwa 10.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa, erhöhte sich die Zahl 2011 in Folge des Arabischen Frühlings auf rund 70.000 Menschen. 2012 und 2013 erreichten etwa 22.000 bzw. 60.000 Flüchtlinge Europa über das Mittelmeer. Seitdem ist die Zahl deutlich angestiegen. So kamen 2014 mit über 218.000 Flüchtlingen mehr als dreimal so viele, für 2015 wird eine weitere drastische Erhöhung erwartet; Frontex rechnet für 2015 mit 500.000 bis zu einer Million Menschen.[44]
Dabei starben zwischen 2000 und 2013 nach Schätzungen des Projekts The Migrants Files, an dem unter anderem die NZZ beteiligt ist, etwa 3840 Flüchtlinge im Mittelmeer. Insgesamt sind etwa 23.000 Flüchtlinge zwischen 2000 und 2013 beim Versuch, Europa zu erreichen, ertrunken, verhungert, verdurstet, an Kälte oder Unterkühlung gestorben, in LKWs erstickt oder wurden beim Überqueren von Minenfeldern getötet. Aktuell ist von etwa 30.000 Toten seit 2000 die Rede.[45][46]
2015 sind nach Berichten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit 1750 Toten bis April bereits 30 Mal mehr Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken als im Vorjahreszeitraum. [47]
Während in der Regel Schleuser für die Toten, wie beispielsweise bei der Flüchtlingstragödie beim österreichischen Parndorf im August 2015 mit 71 Toten, verantwortlich gemacht werden, verweisen Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen auf die europäische Abschottungspolitik, die kaum legale Einreisemöglichkeiten bieten würde.[48]
Fremdenfeindliche Ausschreitungen
Im Zuge der Krise kam es in mehreren europäischen Ländern zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen.
- In Deutschland fanden dabei neben mehreren Brandanschlägen auf vorgesehene Asylbewerberunterkünfte vor allem die fremdenfeindlichen Proteste und Ausschreitungen in Freital, Heidenau und Dresden in den Medien Beachtung.
- In Italien kam es 2015 zu zahlreichen gewaltlosen Demonstrationen gegen Immigranten, aber auch Rechtspolitiker der FN und Neofaschisten nutzen die sozialen Spannungen aus und schürten Proteste, wie in Casale San Nicola, die in einigen Fällen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Brandanschlägen ausarteten.[28]
- In Schweden kam es 2014/15 vermehrt zu Anschlägen auf Roma und deren Lager[49] sowie zum Jahreswechsel zu mehreren Brandanschlägen auf Moscheen.[50] Der rapide Anstieg der Popularität der Anti-Immigrations-Partei der Schwedendemokraten wird ebenfalls mit den Auswirkungen der Flüchtlingsproblematik in Zusammenhang gebracht.[49]
Europarat
Der „Ausschuss für Migration, Flüchtlinge und Displaced Persons“ der Parlamentarischen Versammlung des Europarates im März 2014 fasste in seinen Bericht über „Flüchtlinge und das Recht auf Arbeit“ mit folgendem Plädoyer zusammen:
„Finden Asylsuchende und Flüchtlinge erfolgreich Arbeit, dann nützt das den Aufnahmegesellschaften. Der Staat muss weniger für soziale Unterstützung ausgeben. Der soziale Zusammenhalt wird gestärkt, denn Arbeit hängt eng mit anderen Integrationsbereichen zusammen. Für jeden Einzelnen ist Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig. Arbeit hilft, das Selbstwertgefühl wieder herzustellen. Arbeit ist entscheidend für menschliche Würde, sie erleichtert die Gesundung nach traumatischen Erlebnissen, sie ermöglicht finanzielle Unabhängigkeit.“[51]
Wirtschaft
- Deutschland
- Für Asylbewerber gilt in den ersten drei Monaten ein generelles Beschäftigungsverbot. Nach Ablauf dieser Frist konkurrieren sie mit Bewerbern aus Deutschland und der EU um Beschäftigung, die bei der sogenannten 15-monatigen „Vorrangprüfung“ bevorzugt werden. Arbeitgeberverbände forderten die Vorrangsprüfung zeitlich zu verkürzen und den Lehrlingsmangel in bestimmten Betrieben durch die Anstellung von Flüchtlingen auszugleichen. Die Bundesagentur für Arbeit bemühte sich insbesondere für gut ausgebildete Fachkräfte unter den Flüchtlingen die Genehmigungsverfahren zu verkürzen und für sie den Zugang zu Arbeit über die Blue-Card-Regelung der EU zu erleichtern.[52]
- Schweiz
- Das Ziel des Bundesrats ist es, Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Personen oder anerkannte Flüchtlinge stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren.[53]
Dokumentation
- Panorama extra: Flüchtlinge – wie Deutschland mit ihnen umgeht, Dokumentation von Norddeutscher Rundfunk in der ARD Mediathek, gesendet auf Das Erste am 31. August 2015.
Einzelnachweise
- ↑ a b Anthony Faiola: "A global surge in refugees leaves Europe struggling to cope" Washington Post vom 21. April 2015
- ↑ „UN High Commissioner for Refugees António Guterres: Sweden is doing the right thing“ UNHCR vom Februar 2015
- ↑ „More than 4 million refugees have fled Syria's civil war, UN says“ Los Angeles Times vom 9. Juli 2015.
- ↑ "As tragedies shock Europe, a bigger refugee crisis looms in the Middle East" Washington Post vom 29. August 2015
- ↑ Chris Arsenault :„Half Yemen's children malnourished as hunger worsens strife“ Reuters vom 20. November 2014
- ↑ NZZ: In Eritrea bleiben heisst sterben vom 30. November 2013, abgerufen am 3. September 2015
- ↑ NZZ: Paranoia und Pseudospitäler in Eritrea vom 21. August 2015, abgerufen am 3. September 2015
- ↑ Carol J. Williams:„Record numbers of migrants swarming Greek islands to reach Europe“ Los Angeles Times vom 10. August 2015
- ↑ a b AP:"The Latest: UN chief ‘horrified’ by latest refugee deaths" Washington Post vom 28. August 2015
- ↑ Michael Birnbaum: „Refugees race into Hungary as border fence nears completion“ Washington Post vom 25. August 2015
- ↑ a b AFP/Local: „UN: Sweden is bearing brunt of migrant crisis“ the local.se vom 18. August 2015
- ↑ Asylum and first time asylum applicants by citizenship, age and sex Monthly data (rounded). Eurostat, 2. September 2015, abgerufen am 3. September 2015.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m „Zahl der Asylbewerber in der EU im Jahr 2014 sprunghaft auf mehr als 625000 gestiegen“ Eurostat vom 20. März 2015
- ↑ Flüchtlingskrise bleibt größte Herausforderung. Gemeinsame Aufgabe der EU. Bundesregierung, 31. August 2015, abgerufen am 2. September 2015.
- ↑ a b "Germany says Europe’s inaction on refugees ‘unacceptable’" Washington Post vom 20. August 2015
- ↑ Zeit online:"Wir schaffen uns unsere Armutsmigranten selbst", "Die Zeit" vom 31. August 2015, abgerufen am 31. August 2015.
- ↑ Uta Rasche: "Die Unerwünschten vom Balkan", FAZ vom 8. August 2015, abgerufen am 31. August 2015.
- ↑ Stephan Löwenstein, Hegyeshalom: "Sturm auf Züge nach Wien" FAZ vom 31. August 2015
- ↑ Anna Reimann und Severin Weiland: "Syrische Flüchtlinge in Bayern: Wie ein Gerücht Tausende auf die Züge lockte" SPON vom 1. September 2015
- ↑ "Tausende Flüchtlinge harren vor Keleti-Bahnhof aus" Die Zeit vom 2. September 2015
- ↑ Reuters: "France Criticizes Eastern Europe, Hungary Over Refugee Policy" New York Times vom 30. August 2015
- ↑ a b „Calais migrant crisis: Theresa May signs deal with France“ BBC vom 20. August 2015
- ↑ Costas Kantouris:"In Greece, red tape, typos add to Syrian refugees’ ordeal" Washington Post vom 19. August 2015
- ↑ „The Guardian view on the refugee crisis: Europe must meet this moral challenge“ The Guardian vom 28. Oktober 2014
- ↑ Reuters:„Britain Attacks 'Broken' EU Migration System, Demands Tighter Rules“ New York Times vom 30. August 2015
- ↑ Griff Witte und Karla Adam: "Britain takes in so few refugees from Syria they would fit on a subway train" Washington Post vom 1. September 2015
- ↑ Jamey Keaten: "UN refugee chief seeks better EU cooperation on migrants" Washington Post vom 26. August 2015
- ↑ a b Julius Müller-Meiningen: "Proteste gegen Flüchtlinge in Italien – sozialen Spannungen" Badische Zeitung vom 20. Juli 2015
- ↑ ZEIT ONLINE, AFP, stü:"Tschechien lässt Syrer nach Deutschland weiterreisen" "Die Zeit" vom 2. September 2015
- ↑ "Dutch government supports EU Commission proposal on migrants" Reuters vom 9. Juni 2015
- ↑ Yoruk Bahceli: "Dutch plan tougher asylum policy as migrants flock to Europe" Reuters vom 26. August 2015
- ↑ Christoph Steitz, Shadia Nasralla: "Austria admits flaws in handling refugees, pledges action" Reuters vom 31. Juli 2015
- ↑ Kate Connolly:“ Germany to receive 750,000 asylum seekers this year, reports claim “ The Guardian vom 18. August 2015
- ↑ SRF: Zahl der Asylgesuche steigt in der Schweiz stark an, abgerufen am 3. September 2015
- ↑ http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/schweiz/schweiz-sda/Bundesrat-sagt-Nein-zu-Asylmoratorium;art46447,589503
- ↑ a b Jan Lopatka und Tatiana Jancarikova: "France, central European states oppose quotas in EU migrant debate" Reuters vom 19. Juni 2015
- ↑ „Weary Hungarians polarized by tide of refugees“ Reuters vom 5. August 2015.
- ↑ Carol J. Williams: "50 bodies found in ship's hull as migrant wave inundates Europe" Los Angeles Times vom 26. August 2015
- ↑ "400 Flüchtlinge erreichen Bayern", FAZ abgerufen am 31. August 2015.
- ↑ Stephan Löwenstein: "Sturm auf Züge nach Wien" FAZ vom 31. August 2015
- ↑ "Why is EU struggling with migrants and asylum?" BBC vom 28. August 2015
- ↑ Reuters: "EU Parliament Chief Attacks 'Cynical' States Over Refugee Crisis" New York Times vom 29. August 2015
- ↑ Bundesamt: Zahl der Flüchtlinge aus Syrien wird wachsen, abgerufen am 31. August 2015.
- ↑ Anna Reimann: Fakten zur Flucht übers Mittelmeer: Wer sind die Flüchtlinge? Woher kommen sie? In: Spiegel Online. 20. April 2015, abgerufen am 4. September 2015.
- ↑ The Migrants Files. In: themigrantsfiles.com. Abgerufen am 4. September 2015.
- ↑ Neue Schätzung: Mindestens 23.000 tote Flüchtlinge seit dem Jahr 2000 : Pro Asyl. In: proasyl.de. 31. März 2014, abgerufen am 4. September 2015.
- ↑ 2015 schon 30 mal mehr Tote im Mittelmeer als im Vorjahreszeitraum. In: tagesspiegel.de. 21. April 2015, abgerufen Format invalid.
- ↑ Aurélie Ponthieu: "Words of concern, walls of deterrence: refugees pushed out to sea" Ärzte ohne Grenzen vom 15. April 2015
- ↑ a b Daniel Dickson und Elias von Hildebrand: "Swedish tolerance under question as attacks on migrants rise"The Globe and Mail vom 24. August 2015
- ↑ Sweden protest after three mosque fires in one week - BBC News. In: bbc.com. 1. Januar 1970, abgerufen am 3. September 2015 (englisch).
- ↑ Mitteilungsblatt der Gemeinde Karlshuld (PDF-Datei) vom 2. Juli 2015
- ↑ TAZ: "Arbeitsagentur will „Blue Card“" TAZ vom 19. Juli 2015
- ↑ nzz.ch: Arbeitsmarktintegration für Flüchtlinge