Zum Inhalt springen

Pädophilie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 27. Mai 2003 um 18:10 Uhr durch F65.4 (Diskussion | Beiträge) (Wort ergänzt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Pädophilie (von griech. pais Knabe, Kind, und philia Freundschaft) nennt man die primäre sexuelle Neigung zu Personen vor oder zu Beginn der Pubertät (also zu Kindern). Aus Analogie zu den Begriffen Homo- und Heterosexualität und um die sexuelle Neigung zum Ausdruck zu bringen wird auch der Begriff Pädosexualität synonym verwendet. Pädophilie ist von Ephebophilie zu unterscheiden, die eine primäre Neigung zu männlichen Jugendlichen definiert. Die primäre sexuelle Neigung zu männlichen Kindern vor oder zu Beginn der Pubertät wird als Päderastie bezeichnet.

Eingeführt wurde der Begriff (als "Paedophilia erotica") 1896 durch den Wiener Psychiater Richard von Krafft-Ebing in dessen berühmter Psychopathia sexualis. Im wesentlichen ist es bei seiner Definition geblieben. Für Pädophilie werden folgende Merkmale aufgeführt:

  • das sexuelle Interesse gilt Kindern, die sich vor oder zu Beginn der Pubertät befinden
  • das sexuelle Interesse ist dabei primär, d.h. ausschließlich bzw. überwiegend und ursprünglich, auf Kinder ausgerichtet
  • das sexuelle Interesse ist zeitlich überdauernd

Bisweilen wird in Definitionen zusätzlich ein Altersunterschied von mindestens 5 Jahren aufgeführt, um so einverständliche sexuelle Handlungen unter Kindern bzw. zwischen Kindern und Jugendlichen nicht zu pathologisieren. Dem entgegen steht jedoch die Beobachtung, dass sich eine pädophile Orientierung bereits in der Adoleszenz - oder in der Kindheit - heranbildet.

Ausschlaggebend bei Pädophilie ist die primäre Neigung bzw. Fixierung sexueller Wünsche auf Kinder. Pädophilie liegt dann nicht vor, wenn zwar ein sexuelles Interesse an Kindern besteht, dies aber nicht primär ist. Es gilt als empirisch abgesichert, dass sehr viele Erwachsene durch Kinder sexuell stimulierbar sind (Hall et. al 1995, Freund und Watson 1991 und Quinsey et al. 1975). Der Begriff Pädophilie wird - vor allem im englischsprachigen Raum und in den Medien - oft nicht im streng wissenschaftlichen Sinne verwendet:

  • Durch Gleichsetzung mit sexuellem Missbrauch von Kindern, ohne nach der Motivlage des Täters zu unterscheiden (siehe auch sexueller Missbrauch von Kindern: Täter)
  • Bei sexuellen Handlungen oder Wünschen, die auf Jugendliche und nicht auf Kinder gerichtet sind

In diesen Fällen spricht man bisweilen auch von "Pseudopädophilie".

Psychologie In der Sexualwissenschaft wird kontrovers diskutiert, ob es sich bei Pädophilie um eine sexuelle Störung handelt. So definiert der ICD 10 Pädophilie als eine Persönlichkeitsstörung (Paraphilie) weil es sich um eine deviante - also von der Norm abweichende - Sexualpräferenz handelt. Der DSM-IV geht nur dann von einer Störung aus, wenn der Betreffende in seiner sozialen Funktionsweise beeinträchtigt ist und so unter dem Krankheitsbild zu leiden hat. Ungeklärt ist hierbei, ob das Leiden durch Pädophilie per se oder durch den sozialen Druck, dem sich ein Pädophiler ausgesetzt fühlt, verursacht wird. Es ist anzunehmen, dass die überwiegende Meinung der Sexualwissenschaft dahin tendiert, Pädophilie als eine Störung zu betrachten. Neben einigen Wissenschaftlern, die auch eine Parallele zur Homosexualität sehen, vertreten vor allem pädophile Organisationen die Auffassung, dass es sich bei Pädophilie um eine primäre sexuelle Orientierung handelt. Davon losgelöst fordern sie die Entkriminalisierung einverständlicher sexueller Handlungen mit Kindern.

Unabhängig von der Frage nach der sexuellen Orientierung werden in der Sexualwissenschaft einverständliche sexuelle Handlungen mit Kindern weit überwiegend abgelehnt. Diese Ablehnung stützt sich hauptsächlich auf zwei Begründungen. Kinder sind nicht in der Lage, die Konsequenzen sexueller Handlungen zu überblicken und können demnach zwar willentlich, nicht aber informiert zustimmen (Finkehor). Martin Dannecker stellte das Modell der Disparität der Wünsche bzw. der Ungleichzeitigkeit auf, nach dem Erwachsene und Kinder in einer sexuellen Beziehung unterschiedliche Wünsche haben und in ihrer sexuellen Entwicklung ungleichzeitig sind.

Phänomenologie Über die Anzahl der Pädophilen gibt es keine zuverlässigen Angaben. Vorsichtige Schätzungen gehen von 50.000 bis 200.000 Pädophilen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland aus. Nach Beobachtungen sind etwa 80 Prozent der Pädophilen auf Jungen fixiert. Unklar ist, ob auf Mädchen orientierte Pädophile wegen des höheren sozialen Drucks lediglich in geringerer Zahl öffentlich in Erscheinung treten und so eine Gleichverteilung der Geschlechtspräferenz unter Berücksichtigung dieses Dunkelfeldes vorliegt. Ebenso konnte beobachtet werden, dass Pädophilie zu über 90 Prozent bei Männern in Erscheinung tritt. Pädophile Frauen sind nur wenig bekannt.

Alter des Kindes In wissenschaftlichen Definitionen ist überwiegend die Pubertät im Sinne der Geschlechtreife ('Gonadarche') die Grenze für "Kinder" im Zusammenhang mit Pädophilie zu finden. Dieses Alter liegt heute fast überall unterhalb des gesetzlichen Schutzalters (als die einschlägigen Gesetze entstanden, war dies aber häufig umgekehrt). Entgegen der Definition werden Kinder aber üblicherweise als Personen vor oder zu Beginn der Pubertät verstanden. Problematisch an dieser Grenzziehung ist, dass die Pubertät als eine sichere Marke erscheint, dies aber nur scheinbar so ist. Zwar kann man sie im Prinzip durch Augenschein feststellen, aber die Vorstellung, mit der Pubertät werde die Sexualität gleichsam im Kinde "eingeschaltet" oder wenigstens "umgeschaltet" scheint nicht haltbar zu sein. Vielmehr beginnt die Entwicklung bereits viel früher im sechsten bis achten Lebensjahr und führt bei großer Varianz im Durchschnitt bereits mit zehn Jahren zu einem stabilen erotischen Interesse.

Das präferierte Alter ist bei Pädophilie zwischen 4 und 14 Jahren einzuordnen, wobei es zwei Gipfel in der Alterspräferenz gibt: der eine Gipfel liegt bei 5-6 Jahren, der andere bei 11-12 Jahren. Das sexuelle Begehren ist beim konkreten Pädophilen in der Regel auf einen Alterabschnitt in diesem Bereich - und nicht den gesamten Bereich - orientiert. Es erlischt spätestens bei der Ausprägung sekundärer Geschlechtsmerkmale beim Kind.

Strafrechtlicher Aspekt Pädophilie als nicht aktiv ausgeübte sexuelle Neigung wird strafrechtlich nicht verfolgt. Problematisch wird es, wenn es zu sexuellen Handlungen mit Kindern kommt. Dies ist als sexueller Missbrauch von Kindern unter Strafe gestellt. Vermutlich wegen der juristischen Konsequenzen und der Gefahr einer Schädigung der Kinder vermeidet ein großer Teil der Pädophilen sexuelle Kontakte zu Kindern.

Der Anteil pädophiler Täter am sexuellen Missbrauch von Kindern wird auf 2 bis 10 Prozent eingeschätzt (Kinsey-Report, Lautmann, Brongersma, Groth). Internationale Studien belegen, dass straffällig gewordene Pädophile mit etwa 40 bis 50 Prozent im Gegensatz zu anderen Sexualstraftaten (Mittel: 22 Prozent) ein deutlich höheres Rückfallrisiko für einschlägige Delikte haben (Egg 2001). Dabei neigen Pädophile eher zu minderschweren sexuellen Handlungen (vornehmlich genitale Berührungen oder orale Stimulation des Kindes) während bei regressiven Tätern Geschlechtsverkehr mit Kindern häufig über einen länger andauernden Zeitraum zu beobachten ist (Deegener). Die Anwendung von Gewalt ist bei Pädophilen selten anzutreffen. Sie suchen Kontakte mit Kindern in der Regel einverständlich aufzubauen.

Sexuelles Interesse Die Intensität des sexuellen Interesses (Triebstärke) am Kind ist individuell unterschiedlich ausgeprägt. Sie variiert dabei zwischen geringem und sehr starkem Bedürfnis nach sexuellen Handlungen mit Kindern. Wie bei anderen Sexualitäten, kommt das Bedürfnis nach nichtsexueller körperlicher oder emotionaler Nähe - ebenfalls individuell ausgeprägt - als zusätzliche Dimension hinzu. Ein Ansatz zu umfassender Betrachtung der Pädophilie berücksichtigt so das Spannungsdreieck Liebe - Erotik - Sexualität. Pädophile Organisationen haben in den 70er und 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts das sexuelle Interesse verneint und Pädophilie als reine "Kinderliebe" dargestellt.

Therapeutischer Aspekt Die pädophile Orientierung ist tief in der Persönlichkeitsstruktur verankert und lässt sich nicht ohne Schäden an der Persönlichkeit des Betroffenen ändern (man spricht auch von strukturierten Pädophilen). Dennoch ist die Inanspruchnahme externer Hilfe angezeigt, wenn die Gefahr besteht, dass es zu sexuellem Missbrauch von Kindern kommen kann oder wenn der Pädophile unter dem mit seiner Orientierung einhergehenden sozialen Druck zu leiden hat. Hierbei bieten sich Gesprächstherapien an, in denen der Pädophile ausreichend über seine sexuelle Orientierung reflektieren und einen ichsyntonen sowie verantwortungsvollen Umgang mit seiner Orientierung erlernen kann. Ein niederschwelligeres Hilfsangebot wird durch pädophile Selbsthilfegruppen sowie durch Foren zum Gedankenaustausch mit gleich orientierten im Internet geleistet.

Literatur

  • Archives of Sexual Behavior: Special Section on pedohilia, Vol. 31, No. 6 (Dec. 2002), S. 465-510 (mit Beiträgen insbes. von Green, Schmidt, Rind, u.a.)
  • Volkmar Sigusch: Sexuelle Störungen und ihre Behandlung, Thieme 2001, ISBN 3131039434
  • Martin Dannecker: Das Drama der Sexualität, Europäische Verlagsanstalt 1992, ISBN 3434460993
  • Günther Deegener: Sexueller Missbrauch: Die Täter, Beltz 1995, ISBN 3621272518

Siehe auch: Päderastie -- Schutzalter -- Pubertät -- Sexualität -- Heterosexualität -- Homosexualität-- sexueller Missbrauch von Kindern -- Kinderprostitution -- Babystrich -- Strichjunge