Urophilie
Urophilie ist ein sexueller Fetisch, mit Fokus auf den Urin (meist „Natursekt“, „Watersports“, „Pissing“, „Golden Shower“ oder „Wet-Games“ genannt) und das Urinieren. Urophile empfinden Urin oder das Urinieren als erotisch und luststeigernd. Auch Urophagie, also Lustgewinn durch orale Aufnahme, kann damit verbunden sein.
Allgemeines
Vor dem Ausleben dieses Fetischs wird oft durch die Aufnahme von sehr viel Flüssigkeit (Wasser, Ananassaft, Früchte- oder Kräutertee etc.) und dem Essen von Früchten wie Wassermelone der Urin so weit verdünnt, dass kaum mehr Geruch wahrnehmbar ist. Andere Urophile wiederum lieben gerade diesen Geruch und mögen vor allem den Morgenurin, da er starken Geruch und Geschmack hat. Nahezu jeder Urophile hat seine eigenen Präferenzen hinsichtlich der Beschaffenheit des Urins, den er bevorzugt. Urophile versuchen oft durch den Genuss bestimmter Getränke oder Speisen die Farbe, den Geruch und vor allem den Geschmack des Urins zu beeinflussen. Alkohol wird vor allem wegen seiner enthemmenden Wirkung verwendet, und weil der Urin von vielen Urophilen nach dem Genuss von Bier als geschmacklich angenehm empfunden wird. Allgemein wird aber vom Genuss zu vieler alkoholischer Getränke zur Vorbereitung von Natursektspielen abgeraten.
Da Süßstoffe nicht verdaut werden, sind entsprechend gesüßte Getränke in der Urophagie sehr beliebt, um den Geschmack des Urins zu beeinflussen. Medikamente, Nikotin, Kaffee etc. wirken sich im allgemeinen negativ aus.
Ursprung
Psychologen vertreten meist die Auffassung, Urophilie sei aus einem Besudelungstrieb der Kleinkindphase entstanden und der Urophile somit in seiner sexuellen Entwicklung teilweise in diesem Alter stehengeblieben. Der Grund für dieses Verhalten liegt nach neueren Forschungsergebnissen in einem Instinkt zur Stärkung des Immunsystems begründet. So ist von vielen Tieren bekannt, dass sie aus Gründen der Gesunderhaltung ihren Urin und den von Artgenossen konsumieren oder sich mit diesem benetzen. Urin wurde früher auch für die Behandlung von Wunden verwendet (z. B. für solche des Zahnfleisches, wenn etwa auf Segelschiffen Skorbut ausgebrochen war) und wird heute für derartige Anwendungen wiederentdeckt. Der Urophile könnte nach dieser Forschermeinung schlicht einen Instinkt weiter ausleben, der von erwachsenen Menschen normalerweise nicht mehr wahrgenommen oder vielleicht sogar unterdrückt wird.
Ausprägungen
Es gibt mehrere Ausprägungen dieses Fetisches, die unterschieden werden können
- der Anblick des (nackt, bekleidet, ins Bett) urinierenden Partners/der urinierenden Partnerin (siehe auch Voyeurismus)
- auf den Partner/die Partnerin zu urinieren (aktiv)
- anuriniert werden (passiv)
- beim Geschlechtsverkehr uriniert der Mann der Frau in die Vagina
- beim Analverkehr uriniert der Mann der Frau oder einem anderen Mann in den After
- Urin (den eigenen und den des Partners/der Partnerin) trinken (Urophagie)
- selten auch das Urinieren einer Frau in bzw. auf den Anus oder in die Vagina einer anderen Frau
- Urinieren in die Kleidung oder in das Bett und das Tragen von Kleidung welche der Partner/die Partnerin mit Urin getränkt hat (siehe auch Besudelungstrieb)
- Urinieren in der Öffentlichkeit (siehe Exhibitionismus)
- Urinieren auf Dinge oder an ungewöhnlichen Orten bzw. der/dem Partner/in dabei zuschauen
- autoerotisch: sich selber anurinieren oder den eigenen Urin zu sich nehmen
- extrem langes Zurückhalten des Urins bis zum Kontrollverlust oder das Beobachten des extrem langen Zurückhaltens des Urins bis zum Kontrollverlust bei dem Partner/der Partnerin
Bezeichnungen und Abgrenzung von BDSM
Für Urophile ist es im allgemeinen viel angenehmer, wenn der Partner/die Partnerin auch Freude an dieser Spielart der Sexualität hat und aktiv teilnimmt. In der BDSM wird Urin hingegen eingesetzt, um den devoten Partner zu erniedrigen, in vielen Fällen bezieht der BDSMler die Befriedigung dabei allein aus der Demütigung. Dabei fällt eine Abgrenzung zwischen „Belohnung“ im Sinn von Urophilie und „Demütigung“ im Sinn von BDSM schwer, da sich beide Praktiken in vielen Fällen überschneiden. Eine weitere Variante im Bereich der BDSM ist die beim passiv-devoten Partner herbeigeführte Harnverhaltung bzw. die Kontrolle der entsprechenden Exkretion.
Verbreitung
Urophilie wird im allgemeinen als „eklig“ und „abartig“ bezeichnet. Entsprechend hoch ist die Hemmschwelle für Urophile, zu ihrem Fetisch zu stehen. Im Internet kann man aber Plattformen finden, wo sich unter dem Deckmantel der Anonymität Urophile treffen und unterhalten. Dabei geht es meist weniger um Erotik-Treffen, sondern um den Kontakt zu anderen Urophilen zum Austausch von Empfindungen und Ansichten gegenüber dem eigenen Fetisch.
Das Vorurteil, dieser Fetisch betreffe nahezu nur Männer ist falsch, da sich gerade zu diesem – im Vergleich zu anderen Fetischen sehr harmlosen und ungefährlichen Fetisch – viele Frauen hingezogen fühlen. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass immer mehr junge Frauen und Mädchen eine besondere Vorliebe für die Urophagie entwickeln.
Gesellschaftliche Ächtung
Gesellschaftlich ist dieser Fetisch doch eher geächtet und findet nahezu ausschließlich im Verborgenen statt. Viele Urophile leben ihre Neigung ohne Wissen des Partners durch autoerotische Praktiken oder unter Benutzung pornographischer Medien aus, da sie Ablehnung der Partners oder gar die Trennung vom Partner fürchten. Das Coming Out ist eine psychisch stark belastende Stresssituation und erfordert vom Urophilen in der Regel sehr viel Mut.
Gesundheit
Aus medizinischer Sicht ist der Umgang mit frischem menschlichen Urin von gesunden Menschen gänzlich harmlos. Die geringe Bakterienkonzentration im Urin rührt von Bakterien her, die in der Harnröhre leben. Diese sind für gesunde Menschen harmlos und nicht pathogen; auch werden sie beim Oralverkehr in nahezu gleicher Menge aufgenommen (so kein Kondom bzw. Latextuch verwendet wird). Urin schadet der Gesundheit nicht, und eine eventuelle erhöhte Kochsalzaufnahme oder der Harnsäuregehalt stellen für einen gesunden Körper keinerlei Problem dar. Es gibt sogar Anwendungen der Alternativmedizin, welche recht heilsam sein sollen, so etwa die Eigenurintherapie (siehe hier auch Indikationen, welche den Genuß von Urin ausschließen). Urin enthält außerdem viele Spurenelemente. Von Kontakt zu gelagertem Urin sollte aber wegen der rasch einsetzenden Verkeimung der Flüssigkeit dringend abgesehen werden.
Krankheiten
Es ist natürlich auch möglich, sich durch die Aufnahme von fremdem Urin eines kranken Menschen mit Krankheiten anzustecken. Diese Krankheiten werden allerdings auch durch andere Körperflüssigkeiten übertragen, somit geht vom Urin – gerade beim Geschlechtsverkehr – keine besondere Gefahr aus, da die Viruskonzentrationen in Speichel, Ejakulat oder Scheidensekret in der Regel viel höher sind. Eine Ausnahme bildet Hepatitis A; dieses Virus wird bei der Aufnahme fremden Urins in höherer Konzentration übertragen. Das AIDS-auslösende HI-Virus kann durch Urin nicht übertragen werden. Bei einer Blasenentzündung (Zystitis) verbietet sich diese sexuelle Praktik schon durch die Symptome der Erkrankung. Das Urinieren ist extrem unangenehm und wird so sicherlich niemandem Freude bereiten.
Psychische Erkrankung
In einigen medizinischen Publikationen wird darauf hingewiesen, dass Urophilie eine Vorstufe zur Sexsucht darstellt. Dies ist aber umstritten und wird von den Urophilen selbst meist nicht so empfunden. Es wird auch die Theorie vertreten, dass Urophile, die über ihre Leidenschaft sprechen, Menschen sind, die mit dem Thema Sexualität viel offener und prominenter umgehen als der Durchschnittsbürger und so eher den Eindruck erwecken, in sexueller Hinsicht übertrieben aktiv zu sein.
Koprophilie
Urophilie kann mit Koprophilie (Kot-Fetisch) zusammenfallen, dies ist aber bei den meisten Urophilen nicht der Fall, wohingegen Koprophile den Urin meist nur als Beigabe betrachten. Bei Koprophilen ist der Fetisch primär auf Kot fixiert.
Homosexualität
Unter Homosexuellen steht im „Hanky code“ ein gelbes Taschentuch für Urophilie. Die Hosentasche, in der es getragen wird, gibt Aufschluss über die näheren Vorlieben hinsichtlich dieser Praktik. Unter Lesben ist die Urophagie so stark verbreitet, dass diese Spielart durchaus als gängige Praxis bezeichnet werden kann.
Kunst
In der Kunst ist die Beschreibung und Darstellung von urinierenden Personen nicht neu. Von Rembrandt gibt es die Zeichnung einer urinierenden Bauersfrau. Bei Picasso findet man Entsprechendes in einigen seiner Bilder. Die Figurinen Männeken Pis und Janneken Pis sind plastische Darstellungen dieses Genres. In der Aktfotografie war dieses Sujet von Anfang an mit vertreten. Aktuelle Fotobände gibt es von Claude Fauville Pisseuses (ISBN 3980501760) und Amanda James, Paul Compton Feminine Anarchy-Girls Pissing in Public (ISBN 3934020178). Und auch in der Literatur wird der Akt des Urinierens dargestellt. So findet man zum Beispiel in Die 120 Tage von Sodom von Marquis de Sade entsprechende Beschreibungen, ebenso wie bei Nancy Friday (ISBN 3442124719), Jean (ISBN 3923646372) / Jeanne de Berg (ISBN 3923646380), Lost Angel (ISBN 3899061861) oder Walter (ISBN 3821844698).
Siehe auch
Besudelungstrieb, Koprophilie, Koprophagie, Fetischismus (Psychologie)