Marshallplan

Der Marshallplan, offiziell European Recovery Program (kurz: ERP) war das wichtigste wirtschaftliche Wiederaufbauprogramm der USA, das nach dem Zweiten Weltkrieg dem zerstörten Westeuropa zugute kam. Das Programm wurde nach dem US-Außenminister und Friedensnobelpreisträger des Jahres 1953 George C. Marshall (Amtszeit 1947-1949) benannt, auf dessen Initiative es zurückgeht. Ausgearbeitet wurde es vor allem von William L. Clayton und George F. Kennan im Außenministerium.
Der Plan wurde auf einem Treffen der teilnehmenden europäischen Staaten im Juli 1947 entwickelt. Die Sowjetunion und die osteuropäischen Staaten waren ebenfalls eingeladen, Stalin sah den Plan aber als Gefahr für die Vorherrschaft der Sowjetunion in den osteuropäischen Staaten, die er als Sicherheitsgürtel benutzen wollte. Er verbot den Staaten unter sowjetischer Besatzung deshalb die Teilnahme, woran sich auch alle hielten. Das Programm begann 1947 und dauerte 4 Jahre. In diesem Zeitraum leisteten die USA den Staaten der Organisation for European Economic Co-operation (OEEC) ungefähr 12,4 Milliarden Dollar, das entspricht 85 Milliarden Euro im Jahr 2005, an Krediten, Rohstoffen, Lebensmittel und Waren.
Als das Programm auslief war die Wirtschaft aller Teilnehmerstaaten, ausgenommen Deutschland, stärker als vor dem Krieg. Über die nächsten zwei Jahrzehnte kam es in ganz Westeuropa zu einem nie dagewesenem Wachstum und Wohlstand. Der Marshallplan gilt auch als der erste Schritt zur europäischen Integration. Die Gründung einer gemeinsamen Institution (der OEEC) war eine Voraussetzung dafür, dass Zollbarrieren abgebaut wurden. Eine beabsichtigte Konsequenz war die systematische Übernahme des amerikanischen Führungsstiles in Unternehmen. In den letzten Jahren haben Historiker sowohl die Gründe als auch die Effektivität des Marshallplans hinterfragt, bei den Meisten gilt er aber noch immer als gut und sehr erfolgreich.
Geschichte
Zweiter Weltkrieg
Der Zweite Weltkrieg wurde durch den Angriffskrieg Hitler-Deutschlands auf Polen ausgelöst.In ihm kämpften die USA gemeinsam mit der Sowjetunion gegen Deutschland und die anderen Achsenmächte. Es handelte sich dabei aber mehr um ein Zweckbündnis, zwischen der kommunistischen Sowjetunion und den westlichen Alliierten mit ihrer freiheitlichen Demokratie und Marktwirtschaft bestand ein deutlicher Gegensatz. In ihren Kriegskonferenzen versuchten sie sich auch über die Behandlung Deutschlands nach dem Krieg zu einigen. In dem 6 Jahre dauernden Krieg wurden große Teile Europas verwüstet und mehrere Millionen Menschen starben. Durch die Bombenangriffe wurden vor allem die großen Industriestädte zerstört, Millionen wurden dadurch obdachlos. Durch die Zerstörung der Landwirtschaft kam es in mehreren Teilen Europas zu einem Nahrungsmittelmangel, besonders schlimm war es in den schweren Wintern 1946 und 1947.Die kleineren Städte und Ortschaften in Westeuropa hatten weniger Schaden erlitten, waren aber durch die massive Zerstörung der Infrastruktur isoliert. Schon nach dem Ersten Weltkrieg war die europäische Wirtschaft in eine tiefe Krise gestürzt. Die USA kehrten nach dem Krieg in eine Phase des Isolationismus zurück, versuchten aber trotzdem das Wachstum in Europa zu unterstützen und setzten sich teilweise in der Reparationsfrage für Deutschland ein.
Zunehmende Konflikte
Auf der Potsdamer Konferenz, nach dem Ende des Krieges in Europa, wurden die gegensätzlichen Ansichten und Ziele sichtbar. Zu dieser Zeit bestand noch ein Konsens über die Forderung von Reparationen von Deutschland, deren Höhe aber umstritten war. Deutschland war in vier Besatzungszonen aufgeteilt, der Alliierte Kontrollrat sollte Entscheidungen für "Deutschland als Ganzes" treffen. Der Nahrungsmangel im harten Winter 1946/1947 führte zu einem Umdenken der Amerikaner und Briten, da so die "Umerziehung" (Reeducation), der Deutschen nicht möglich war. Dies wird zum Beispiel in der Vereinigung der Amerikanischen und der Britischen Zone zur Bizone sichtbar. Ein weiterer Grund für das Umdenken war vor allem für Großbritannien die Belastung durch die Besatzungskosten, in den USA kam es deshalb vor allem von Seiten der Republikaner zu Forderungen nach einer Rückkehr zum Isolationismus, der demokratische US-Präsident Harry Truman war der Ansicht, die USA müssten ihre weltpolitische Verantwortung wahrnehmen. Ein Grund für das amerikanische Interesse am Wiederaufbau Deutschlands war seine wirtschaftliche Bedeutung für die USA.
Konfrontation, Truman-Doktrin und Marshallplan
Der Auslöser für die Entscheidung die europäischen Länder einschließlich Deutschland zu unterstützen war der beginnende Kalte Krieg. Als Reaktion auf die Situation in Griechenland verkündete Truman am 12. März 1947 die Truman-Doktrin, nach der die USA alle "freien Völker" im Kampf gegen totalitäre Regierungsformen unterstützen werden. Griechenland war den Beschlüssen der Kriegskonferenzen zu Folge britisches Einflussgebiet, trotzdem unterstützte die Sowjetunion die dortigen Kommunisten im Bürgerkrieg. Da Großbritannien sich nicht in der Lage sah, mit der Situation dort fertig zu werden bat es um die Unterstützung der USA.

Als Element der Truman-Doktrin am 5. Juni 1947 verkündete George Marshall in einer Rede vor der Absolventenklasse der Harvard-Universität: “It would be neither fitting nor efficacious for this Government to undertake to draw up unilaterally a program designed to place Europe on its feet economically. This is the business of the Europeans. The initiative, I think, must come from Europe. The role of this country should consist of friendly aid in the drafting of a European program and of later support of such a program so far as it may be practical for us to do so. The program should be a joint one, agreed to by a number, if not all European nations.”
(deutsch: „Es wäre weder angebracht noch zweckmäßig, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten von sich aus ein Programm entwerfen würde, um die wirtschaftliche Wiederaufrichtung Europas durchzuführen. Das ist Sache der Europäer selbst. Ich denke, die Initiative muss von Europa ausgehen. Unsere Rolle sollte darin bestehen, den Entwurf eines europäischen Programms freundschaftlich zu fördern und später dieses Programm zu unterstützen, soweit das für uns praktisch ist. Es sollte ein gemeinsames Programm entworfen werden, hinter dem, wenn nicht alle, so doch eine Anzahl von europäischen Nationen stehen.“
- George F. Kennan arbeitet im Mai 1947 die Grundzüge im Auftrag von Marshall aus.
- Marshall stellt seine Idee vom europäischen Wiederaufbau erstmals am 5. Juni 1947 in einer Rede an der US-amerikanischen Harvard Universität vor Studenten vor.
- Nachdem die Details des Marshallplanes auf mehreren Konferenzen besprochen worden waren, bildeten 1948 16 europäische Länder den Ausschuss für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), den Vorläufer der heutigen OECD. Die USA garantierten diesen Ländern im Rahmen des Europäischen Wiederaufbauprogramms (ERP) bis zum Jahr 1952 finanzielle Unterstützung. Begleitet wurde dieses Programm von einer Informationskampagne für die Bevölkerung der beteiligten Staaten, die aus heutiger Sicht zwischen praktischen Ratschlägen, politischer Bildung und Propaganda anzusiedeln ist.
Ursprünglich war die Unterstützung für alle kriegsbeteiligten Länder geplant. Doch die Sowjetunion zwangen einen Teil der Länder in ihrer Einflusssphäre auf die Mittel zu verzichten. Auch die damals noch demokratische Tschechoslowakei musste auf Druck Moskaus verzichten. So konnten nur die westlichen Länder davon profitieren. Auch die neutralen Staaten wie die Schweiz und Schweden bekamen finanzielle Hilfe.
Nach dem Bruch Jugoslawiens mit der Sowjetunion im Sommer 1948 unterstützten die USA das Land mit Hilfslieferungen und großzügigen Krediten. Der erste von mehreren Hilfslieferungen im Rahmen des Marshallplans für Jugoslawien erfolgte am 23. November 1950 nach Belgrad.
Die Länder hatten allerdings auch Verpflichtungen einzugehen. Durch Währungsreformen musste der jeweilige Staatshaushalt stabilisiert werden.
Der Originaltext des Marshallplans kann hier nachgesehen werden: wikisource:Marshall Plan
Leistungen aus dem Marshallplan
Großbritannien: 3,6 Mrd. US-Dollar
Frankreich: 3,1 Mrd. US-Dollar
Italien: 1,6 Mrd. US-Dollar
Westdeutschland: 1,4 Mrd. US-Dollar
Niederlande: 1,0 Mrd. US-Dollar
Griechenland: 0,8 Mrd. US-Dollar
Österreich: 0,7 Mrd. US-Dollar
Verschiedene Staaten (Belgien, Dänemark, Irland, Island, Jugoslawien (ab 1950), Luxemburg, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz, Türkei): 2,4 Mrd. US-Dollar
Im Rahmen des Marshallplans erhielten von 1948 bis 1952 sechzehn europäische Länder insgesamt etwa 14 Milliarden US-Dollar, das George C. Marshall-Center geht sogar von 16,2 Milliarden US-Dollar aus.
Die Mittel
Die USA gewährten Europa aufgrund des Marshallplans Gelder in Höhe von insgesamt fast 13 Milliarden US-Dollar (USD), Westdeutschland erhielt davon ca. 1,4 Milliarden USD. Die Gesamtsumme entspricht im heutigen Geldwert etwa 100 Milliarden USD.
Die Verwaltung der Mittel in Deutschland
Eine besondere Bedeutung bekam die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die am 16. Dezember 1948 in Frankfurt am Main ihre Arbeit aufnahm. Am 5. November 1948 hatte der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes die Voraussetzungen geschaffen. Hermann Josef Abs wurde Vorstand.
In Westeuropa
Der Marshallplan war zugleich auch ein Konzept gegen Krisen der Nachkriegszeit. Das britische Empire war durch Tendenzen der Entkolonisierung stark geschwächt, die innenpolitische Stabilität in Frankreich und Italien gefährdet, die Zukunft Deutschlands war offen und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme harrten dringend einer Lösung.
In Österreich
Österreich gelang es als einzigem Land, das nicht nur von westlichen, sondern auch durch sowjetische Truppen besetzt war, zu den Geldmitteln des Marshallplans zu kommen. Das Abkommen zwischen der USA und Österreich wurde am 2. Juli 1948 geschlossen, nach dem Österreich die Mittel als Grants (Geschenk) in Form von Sachgütern bekam. Im Gegenzug musste Österreich den Schilling stabilisieren und den Staatshaushalt möglichst ausgeglichen gestalten. Die Sowjets ließen sich die Zustimmung in der alliierten Kommission durch einen anderen Wechselkurs ihrer Barvermögen abkaufen.
Die erhaltenen Waren mussten zum Inlandspreis verkauft werden. Die erzielten Geldmittel mussten auf ein Counterpart-Konto eingezahlt werden. Warenlieferungen erfolgten bis 1953 und erreichten einen Wert von ungefähr einer Milliarde Dollar. Dieses Konto wurde am 12. Juli 1962 in die Verfügungsgewalt des österreichischen Staates übergeben aus dem dann der privatwirtschaftlich geführte ERP-Fond entstand.
Die Förderungen für Österreich fielen relativ hoch aus. Dafür gab es zwei Gründe: Einerseits war Österreich vor dem Zweiten Weltkrieg sehr schwach industrialisiert und musste erst eine Industrie errichten, andererseits musste Österreich wie Deutschland Reparationszahlungen an die Sowjetunion zahlen. Aufgrund dieser beiden Gründe galt Österreich als besonders förderungswürdig.
Die wirtschaftliche Bedeutung für die USA
Nach dem Zweiten Weltkrieg befürchteten liberale amerikanische Wirtschaftskreise wegen des wirtschaftlichen Niederganges Europas den Verlust wichtiger Absatzmärkte bzw. Handelspartner. Das wirtschaftliche Erstarken Europas nützte auch dem amerikanischen Export.
Die politische Bedeutung für die USA
Daneben kam dem Programm jedoch auch eine wichtige Funktion im Rahmen der seit März 1947 von den USA verfolgten Eindämmungspolitik, der so genannten Truman-Doktrin gegenüber der UdSSR zu. Die Bindung der Regierungen und Volkswirtschaften der europäischen Länder an die USA wurde verstärkt. Obwohl das Angebot amerikanischer Wirtschaftshilfe offiziell auch an die UdSSR und andere kommunistische Länder gerichtet worden war, konnte aus ideologischen Gründen eine Annahme nicht erwartet werden. So gesehen war der Marshall-Plan auch ein "Kind des Kalten Krieges".
Die UdSSR und der Marshallplan
Die UdSSR lehnte durch Außenminister Molotow anlässlich der Pariser Außenministerkonferenz (27. Juni bis 2. Juli 1947) erwartungsgemäß eine Beteiligung am ERP als Einmischung in die Souveränität der europäischen Staaten ab. Sie verhinderte die Einbeziehung der in ihrem unmittelbaren Einflussbereich befindlichen Staaten Mittel- und Osteuropas in den Marshallplan. Interesse an einer Beteiligung bekundeten unter anderem Bulgarien, die Tschechoslowakei, Polen und Ungarn. Stattdessen initiierte die UdSSR die Gründung des Kominform und im Januar 1949 des RGW als politisch- wirtschaftliches Gegenstück zur Eindämmungspolitik und dem Marshallplan.
Marshallplan heute
Zur Zeit verwaltet das Bundeswirtschaftsministerium das Sondervermögen in Höhe von zwölf Milliarden Euro und finanziert damit Programme zur Wirtschaftsförderung. Für die Zukunft ist geplant, den Sonderfonds an die staatliche KfW-Bankengruppe zu übertragen. Immer wieder gibt es öffentliche Diskussionen darüber, ob eine Auflösung dieses Sondervermögens zur kurzfristigen Sanierung des Staatshaushaltes durch das Bundesministerium für Finanzen geplant sei.
Siehe auch
- Europazug
- UNRRA
- Morgenthau-Plan
- Global Marshall Plan Initiative
- Mitteleuropadebatte
- Bundeszentrale für pol. Bildung
Weblinks
- Originalton von George Marshalls Rede am 5. Juni 1947 an der Harvard University
- Film- und Tondokumente zum Marshallplan in Österreich
- [1]
- US-Geschichte: Marshall Plan
- Marshallplan Zeitleiste, Rede, Gründe etc.
- Marshallplan und Bundesbahn
- kalenderblatt.de: Marshallplan verkündet
- Vorlage:Aeiou
- Truman Presidential Library: Marshal Plan 1946 - 1967