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Flüchtlingstragödie bei Parndorf

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Die Flüchtlingstragödie bei Parndorf in der Nacht vom 26. auf den 27. August 2015 auf der österreichischen Ostautobahn A4 bei der burgenländischen Gemeinde Parndorf ist zurzeit Gegenstand polizeilicher Ermittlungen. 71 Menschen, Flüchtlinge, die wohl in einem Schlepperfahrzeug illegal nach Österreich gebracht worden waren, kamen in einem Kühllastwagen ums Leben.

Hergang

Nach Angaben der Polizei fuhr der Leicht-LKW , in dem später die Leichen gefunden wurden, am Morgen des 26. August in Ungarn, östlich der Hauptstadt Budapest, los,[1] wie Maut-Überwachungsbilder belegen. Aufgrund des fortgeschrittenen Verwesungsstadiums beim Auffinden muss davon ausgegangen werden, dass die Menschen zu dieser Zeit schon gestorben waren. [2] Am frühen Vormittag soll er sich noch vor der Grenze befunden haben und dann im Laufe des Tages Richtung Österreich gefahren sein, wo er in einer Pannenbucht der Ostautobahn A4 zwischen Neusiedl am See und Parndorf, etwa einen Kilometer nach der Ausfahrt Neusiedl in Richtung Wien, abgestellt wurde.[3][1]

Am Morgen des 27. August 2015 wurde der Lastwagen von einem Mitarbeiter der ASFINAG bei Mäharbeiten entdeckt, der daraufhin die Polizei alarmierte.[4][5]

Beim Eintreffen der beiden Polizeibeamten um etwa 11 Uhr trat bereits Verwesungsflüssigkeit aus dem Laderaum des LKW.[6] Die Fahrerkabine war unverschlossen und leer.[7] Nach einer Erstsicherung und Spurensuche wurde der LKW noch ungeöffnet in die ehemalige Veterinärgrenzdienststelle in Nickelsdorf gebracht, wo es die nötige Infrastruktur für eine provisorische Untersuchungsstelle gibt.[8] Die Opferanzahl konnte erst in der folgenden Nacht geklärt werden.[9] Nach ersten Schätzungen war von 20 bis vielleicht 50 Opfern ausgegangen worden, was zeigt, wie überfüllt der Laderaum gewesen ist.[4][8] Erst im Laufe der nächsten Tage werden die einzelnen Verstorbenen zur Obduktion in die Gerichtsmedizin in Wien überstellt.[10]

Untersuchungen

Pathologie

In dem Lastwagen kamen 71 Menschen ums Leben, darunter acht Frauen und vier Kinder. Die vier Kinder waren ein Mädchen im Kleinkindalter und drei Buben im Alter von acht bis zehn Jahren.[11] Die Polizei vermutet, dass es sich um syrische Flüchtlinge handelt, da am Tatort ein syrisches Reisedokument gefunden wurde.[12]

Die Todesursache der Flüchtlinge ist bisher unbekannt. Vermutet wird ein Tod durch Erstickung,[5] außerdem hatte es zu der Zeit, während der letzten Phase des Hitzesommers 2015, im pannonischen Raum bis 35 °C. Es gibt Mutmaßungen, dass die Flüchtlinge versucht haben, den Laderaum von innen aufzubrechen, da er nach außen ausgebeult ist und einen Riss aufweist.[13] Die Ladefläche des Fahrzeugs betrug etwa 14 m².[14]

Durch Einrichtung einer Hotline erhofft sich die Polizei auch Hinweise auf die Identität der Toten, obwohl man annimmt, dass ein Teil davon nie identifiziert werden kann.[15][16] Außerdem wurden einige Handys sichergestellt, die Auskunft über die Opfer geben könnten.

Kriminalistik

Das Fahrzeug, ein 7,5-Tonnen-Kühl-Kasten-LKW mit ungarischem Kfz-Kennzeichen,[3] trägt die Aufschrift eines slowakischen Wurstfabrikanten. Das Unternehmen gab bekannt, dass es in der Vergangenheit 21 seiner Kühlwagen an sieben unterschiedliche Käufer veräußert habe, darunter auch das Tatfahrzeug.[12] Der letzte Käufer des sichergestellten LKWs war das ungarische Unternehmen MasterMobilKer kft., das das Fahrzeug etwa ein Jahr zuvor von einem slowakischen Eigentümer erwarb. Der wiederum hatte er vom ebenfalls slowakischen Hühnerfleischproduzenten Hysa erworben.[17]

Bei einer Pressekonferenz am 28. August wurde bekanntgegeben, dass drei mutmaßliche Schlepper in Ungarn festgenommen worden seien. Es soll sich um einen Bulgaren libanesischer Herkunft als Fahrzeughalter, einen weiteren Bulgaren, und einen Afghanen mit ungarischer Identitätskarte[18] als Fahrer handeln.[19][1] Kurz darauf wurde ein weiterer Verdächtiger festgenommen.[10] Es scheint sich um die unterste Ebene eines bulgarisch-ungarischen Schlepperrings zu handeln. Die österreichische Staatsanwaltschaft stellte einen Europäischen Haftbefehl aus,[10] was die schnelle Auslieferung ermöglicht, es muss aber noch abgeklärt werden, ob nicht Straftaten schon in Ungarn vorliegen. Ermittelt wird in der zuständigen Behörde in Eisenstadt vorerst wegen Schlepperei, vorsätzlicher Gemeingefährdung mit Todesfolge und Mordverdachts.[10]

Reaktionen

Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer rief im Verlauf der Westbalkan-Konferenz, die gleichzeitig in der österreichischen Bundeshauptstadt Wien stattfand, und die EU-Flüchtlingskrise auf der Balkan-Route zum Thema hatte, zu einer Schweigeminute auf.[20]

Bereits tags darauf wurde von der Europäischen Friedensuniversität beschlossen, ein Mahnmal zum Gedenken vor dem Studienzentrum in Stadtschlaining zu errichten.[21]

Bei aller Betroffenheit wiesen einige Akteure der Flüchtlingsthematik darauf hin, dass ähnliche tragischen Vorfälle auf der Mittelmeer-Route seit Jahren nahezu der Normalfall seien. Es sei erschreckend, dass solche Ereignisse Mitteleuropa erreichen müssen, um die humanitäre Katastrophe in der EU-Flüchtlingskrise wieder in die mediale Aufmerksamkeit zu rücken.

Die Kronen Zeitung veröffentlichte am 28. August 2015 in einer Ausgabe ein Foto der verwesten Leichen. Die Zeitung wurde deswegen heftig kritisiert.[22][23][24]

Einzelnachweise

  1. a b c Österreich: Schlepper laut Medienbericht festgenommen. In: sueddeutsche.de. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  2. Flüchtlingsdrama auf A4: Leichenbergung dauert bis Freitag. APA. In: Salzburger Nachrichten. (Artikelarchiv). Vorlage:Salzburger NachrichtenJahr= Monat= Tag= wird nicht mehr unterstützt; jetzt Datum=.
  3. a b Flüchtlingsdrama auf A4 - Firma verkaufte Lkw im vergangen Jahr. In: tt.com. 27. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  4. a b Wzonline/apa, Red: Flüchtlingstragödie auf der Ostautobahn: Bis zu 50 Tote in Kühltransporter gefunden. In: wienerzeitung.at. 27. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  5. a b Etliche tote Flüchtlinge auf A4 in Österreich gefunden. In: sueddeutsche.de. 27. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  6. Nach Flüchtlingsdrama auf A4: Mehrere Festnahmen. In: news.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  7. Burgenland: Mehr als 70 Tote aus Lkw geborgen. In: kurier.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  8. a b Über 70 tote Flüchtlinge im Burgenland: Mikl-Leitner will Anlaufstellen an EU-Grenze: Leichenbergung in Nickelsdorf. In: der Standard online, 28. August 2015 – mit einem Video der Pressekonferenz Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.
  9. „Die ganze Nacht gearbeitet“. ORF.at, 28. August 2015.
  10. a b c d Vier Verdächtige festgenommen. In: ORF.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  11. ulz: Details zum Fall in Österreich: Im Flüchtlings-Lkw starben auch Kinder. In: Spiegel Online. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  12. a b 71 Leichen aus Lkw geborgen – Drei Festnahmen. In: welt.de. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  13. Mehr als 70 Tote aus Schlepper-Lkw geborgen. In: news.ORF.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  14. Tragödie bei Parndorf: Die Habseligkeiten von 71 Toten. In: kurier.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  15. 71 Flüchtlinge im Schlepper-Lkw gestorben. In: Burgenland.ORF.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  16. Flüchtlingstragödie: Identifikation schwierig. In: Wien.ORF.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  17. Boris Kálnoky, Budapest: Wem gehört der Schlepper-Lastwagen? In: welt.de. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  18. 71 tote Flüchtlinge in Kühl-Lkw: Vier Verdächtige in Ungarn festgenommen. In: derstandard.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  19. Polizei: Drei Schlepper festgenommen. In: ORF.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  20. Opfer vermutlich seit Tagen tot. In: ORF.at. 27. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  21. Gedenkstätte für tote Flüchtlinge. In: Burgenland.ORF.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  22. Apa: Heftige Kritik nach "Krone"-Foto von Toten. In: salzburg.com. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  23. nachrichten.at/apa: Flüchtlingsdrama: 71 Tote, darunter vier Kinder. In: nachrichten.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.
  24. Birgit Schaller: Unerträglich: „Kronen Zeitung“ versetzt Leser in Schockstarre. In: horizont.at. 28. August 2015, abgerufen am 28. August 2015.

Koordinaten: 47° 59′ 39,4″ N, 16° 49′ 56,8″ O