Sprachbund
Unter einem Sprachbund versteht man eine Gruppe von Sprachen, deren Ähnlichkeiten wegen ihrer gegenseitigen geographischen Nähe (das heißt durch Sprachkontakt) entstanden sind. Sie können genetisch überhaupt nicht oder nur entfernt verwandt sein. Dies grenzt den Sprachbund von der Sprachfamilie ab, für die genetische Verwandtschaft entscheidend ist.
Wo genetische Verwandtschaftsbeziehungen nicht klar ermittelt werden können, werden durch einen Sprachbund bedingte Ähnlichkeiten oft als Zeichen für genetische Verwandtschaft fehlinterpretiert. Ein gutes Beispiel dafür sind südostasiatische Sprachen wie Thai und Vietnamesisch, die Eigenschaften von umgebenden Sprachen angenommen haben. Ebenso wie Chinesisch haben sie einsilbige Wörter und auch die Tonhöhen sind bedeutungsunterscheidend. Trotzdem geht man heute nicht mehr von einer Verwandtschaft zur sino-tibetischen Sprachfamilie aus.
Einige Linguisten nehmen an, dass die Turksprachen, die mongolischen Sprachen und die mandschu-tungusischen Sprachen miteinander verwandt sind und rechnen sie zur altaischen Sprachfamilie. Die gemeinsamen Merkmale wie zum Beispiel die Vokalharmonie könnten aber statt durch Verwandtschaft auch durch Sprachkontakt erklärt werden.
Sprachbünde innerhalb der indogermanischen und europäischen Sprachen
Im folgenden werden einige Sprachbünde innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie kurz näher erleutert. Sie zeigen exemplarisch, wie relativ unterschieldiche Srachen (ein Sprecher der einen Sprache kann den Sprecher der anderen Sprache nicht auf Grund der genetischen Verwandtschaft verstehen) sich grammatisch angleichen.
Der Balkansprachbund
Zum „Balkansprachbund“ werden vor allem Albanisch, Rumänisch (eine romanische Sprache) sowie die zwei slawischen Sprachen Bulgarisch und Mazedonisch gezählt; auch das Neugriechische teilt gewisse Züge dieser Sprachen.
Die zu diesem Sprachbund gerechneten Sprachen gehören zwar alle zur indogermanischen Sprachfamilie, stammen aber aus unterschiedlichen Zweigen. Dennoch teilen sie einige Besonderheiten miteinander, die sich, soweit bekannt, erst relativ spät herausgebildet haben und in früheren Sprachstufen wie dem Altgriechischen, dem Latein und dem Altkirchenslawischen noch nicht vorhanden gewesen waren.
Am wichtigsten sind folgende Merkmale:
- nachgestellte (postponierte) Artikel, vergleiche rumän. lup „Wolf“ vs. lup-ul „der Wolf“
- das Fehlen der Kategorie Infinitiv
- das Futur wird mit dem jeweiligen Verb für „wollen“ umschrieben.
Der baltische Sprachbund
Manchmal spricht man vom baltischen Sprachbund, zu dem die drei baltischen Sprachen sowie einige russische und weißrussische Dialekte gehören. Folgende Merkmale sind für die Sprachen dieses Sprachbunds typisch:
- eine Reihe von periphrastischen Perfekttempora (z.B. lit. esu/buvau/busiu ėjęs/beeinąs);
- häufiger (überdurchschnittlicher) Gebrauch von Partizipien;
- unpersönliche passive Konstruktionen (oft mit Agens; auch im Polnischen, dort aber meist ohne Agens);
- der Nominativ als Objektfall (Patiens) beim Infinitiv (z.B. russ. корова надо подоить; здесь дорога видеть).
Man vermutet, dass diese Gemeinsamkeiten auf ein baltisches Substrat zurückgehen (s. auch altnowgoroder Dialekt, Dniepr-Balten).
SAE-Sprachbund
Der SAE-Sprachbund (auch Standard Average European oder Charlemagne-Sprachbund genannt) umfasst folgende Merkmale:
- die Unterscheidung zwischen unbestimmtem und bestimmtem Artikel (z.B. dt. ein/eine : der/die/das) (Ausnahmen unter den europäischen Sprachen: nur einen bestimmten Artikel kennen das Irische, Walisische, Bulgarische und Maltesische, gar keine Artikel kennen die slawischen Sprachen außer dem Bulgarischen, die Sprachen des Baltikums sowie das Finnische)
- die Bildung von Relativsätzen, die nach dem betroffenen Hauptwort stehen und mit einem veränderbaren Relativpronomen (z.B. dt. der/die/das/welcher/welche/welches) eingeleitet werden (Ausnahmen unter den europäischen Sprachen: die keltischen Sprachen und das Maltesische)
- eine Konstruktion mit haben als eine Möglichkeit der Vergangenheitsbildung (z.B. dt. ich habe gesagt) (Ausnahmen unter den europäischen Sprachen: die keltischen und slawischen Sprachen, die Sprachen des Baltikums, das Finnische, das Ungarische und das Maltesische)
- eine Passivkonstruktion, bei der das Objekt der Handlung zum Subjekt des Satzes wird und das Partizip Perfekt (oder Mittelwort der Vergangenheit) mit einem Hilfszeitwort kombiniert wird (z.B. dt. der Wein wird getrunken) (Ausnahmen unter den europäischen Sprachen: das Walisische, das Finnische und das Estnische)
- Steigerungsformen mit einer speziellen Endung (z.B. -er im Deutschen und Englischen: klein-er, small-er ‘kleiner’), wenngleich teilweise nur noch rudimentär
Der Alpensprachbund
In der letzten Zeit wird der sog. Alpensprachbund erforscht, dem einige oberdeutsche und (räto-)romanische Dialekte vor allem in der Schweiz angehören (die Forschung beschränkt sich vorerst auf diese zwei Gruppen). Als typische Merkmale dieses Sprachbunds gelten zum Beispiel:
- Passiv mit kommen (z.B. die Brücke kommt gebaut);
- Futur mit kommen (z.B. das kommt heuer zum Auszahlen);
- Dativkodierung durch Präpositon+Dativ (gib's an/in der Mutter);
- geminierte Pronomina (betont+klitisch; vor allem im (Höchst-)Alemannischen, aber seltener auch im Südbairischen, z.B. mir hamma ).
Auf dem Gebiet des historischen Karantanien werden ähnliche Interferenzerscheinungen für Südbairisch, Friaulisch und teilweise auch Slowenisch beobachtet.