Plastination
Die Plastination ist ein Konservierungs-Verfahren, das vor allem bei der anatomischen Präparation von Körpern und Körperteilen Verwendung findet.
Als Erfinder der Plastination gilt der deutsche Anatom Gunther von Hagens. Die Methode, Zellflüssigkeit im Vakuum durch Kunststoff zu ersetzen, ist schon viele Jahre in der Präparation von Gewebe bekannt. So genannte Ausgusspräparate stellen feine Blutgefäße in ihrem Netz von Verbindungen plastisch dar. Der Ausdruck Plastination trägt gleichzeitig zwei Anklänge in sich: „Plaste“ für den verformbaren Werkstoff und „plastisch“ für die dreidimensionale Skulpturierung.
Plastinate
Bei der Plastination wird das in den Zellen vorhandene Wasser durch Kunststoff (Polymere, z. B. Silikon) ersetzt. Dadurch entstehen dauerhafte Präparate, die den natürlichen Gegebenheiten sehr nahe kommen. Oberflächen und Strukturen werden unverändert dargestellt. Die Farben gehen bei dem Verfahren zunächst verloren und müssen künstlich wieder eingefärbt werden. Eine solch gute Erhaltung, auch der inneren Oberflächen der Körperorgane, wurde bisher noch nie erreicht. Im Vergleich mit mumifizierten Leichen, Wachsnachbildungen (La Specola, Florenz . Zoolog. Museum) oder in Spiritus konservierten Leichenteilen sind die Plastinate in der normalen Umgebung (Licht, Zimmertemperatur und Berührung) ästhetisch, geruchsfrei und über lange Zeit haltbar. Daher ist der eigene Name „ Plastinate“ für diese Art der Präparate zutreffend.
Generell sind zwei Arten zu unterscheiden:
- Scheiben – das sind Längs- oder Querschnitte durch ein Organ oder eine Körperpartie. Mehrere hinter einander betrachtet ergeben dann wieder eine räumliche Vorstellung der Lage und Lageveränderung eines Organs .in Bezug zur Nachbarschaft. Die Scheiben sind durchscheinend und auf Berührungen sehr unempfindlich.
- Vollplastinate – das sind ganze Organe. Evtl. sind tortenstückartige oder schubladenförmige Einschnitte angebracht, die den Einblick in das Organinnere ermöglichen.
Im minus 25 Grad kalten Aceton-Bad wird dem Präparat zunächst Wasser der Zellen entzogen. Das Wasser gefriert. Aceton, in der chemischen Industrie als Lösungsmittel verwandt, erfüllt hierbei denselben Zweck. Zunächst löst es das Wasser, dann bei Raumtemperatur das Fett heraus. Niere, Gehirn oder der ganze Mensch in einer Kunststofflösung kommen in den fast luftleeren Raum einer Vakuumkammer. Durch den niedrigen Luftdruck fängt Aceton an zu sieden und "perlt" aus dem Präparat heraus. Dadurch entsteht ein Volumendefizit, und der Kunststoff wird im gleichen Volumen tief in jede Gewebezelle hinein gesaugt. Das Präparat ist danach vollkommen mit Kunststoff durchtränkt und härtet bei dem für Hagens patentierten Verfahren je nach Kunststoffart durch Wärme, UV-Licht oder Gas auf Dauer haltbar aus.
Ähnliche Verfahren werden schon seit längerem in der Archäologie verwendet, insbesondere um aus dem Wasser geborgene Gegenstände, die durch Austrocknen Schaden nehmen würden, zu erhalten. Ein bekanntes Beispiel ist das Wrack des Schiffes Vasa im Hafen von Stockholm. Dort muß das Verfahren über einen sehr langen Zeitraum gestreckt werden, weil das umgebende Gewebe geschont werden muß.
Körperspende
In der Geschichte der Anatomie ist die wissenschaftliche Leichenöffnung, aber auch die Schausektion für ein breites Publikum, immer wieder Gegenstand ethischer Debatten oder auch für moralische und juristische Urteile. Ohne Zur-Verfügung-Stellen von Leichnamen wäre medizinische Wissensvermittlung für Ärzte (Ausbildung) und wissenschaftliche Forschung über Anatomie und Physiologie über viele Jahrhunderte unvorstellbar. Deshalb ist es in der Medizingeschichte zur Entwicklung einer Praxis gekommen, die mit dem Worten „ Körperspende, Körperspender/-in“ umschrieben wird. Personen erklären bereits zu Lebzeiten ihr Einverständnis nicht nur mit der diagnostischen Leichenöffnung direkt nach dem Tod sondern der Verwendung ihres Leichnams zu einer länger dauernden Lehrsektion zu Ausbildungszwecken (z. B. für ÄrztInnen) inklusive der evtl. Herstellung von Schau-Präparaten zum gleichen Zweck. Verbunden mit einer derartigen Körperspenden-Erklärung ist auch die Regelung eines respektvollen Umgangs mit den Leichenteilen und einer abschließenden Bestattung (auch die Kostenübernahme durch die verwendende Institution)
In der Regel arbeitet Hagens mit einem ähnlichen Verfahren. Dabei können die Körperspender/-innen ihr Einverständnis genauer definieren und damit u. a. festlegen, wie mit dem Andenken an ihre Person umgegangen werden soll. Natürlich müssen dabei die gesetzlichen Vorschriften des jeweiligen Landes berücksichtigt sein. Körperspender/-in und Präparatoren setzen sich dennoch mit so einem Vorgehen evtl. auch der Kritik ihrer Umgebung aus.
Ethisch problematisch war und ist es, wenn Leichen öffentlich zur Schau gestellt werden. Dabei ist es nicht allein die Frage der Anonymität sondern auch eine Frage des generellen Respekts vor Personen –und damit in der Folge auch vor ihren Leichnamen. In vielen Ländern gibt es deshalb besondere Schutzvorschriften zum Bestattungswesen und der Persönlichkeitsrechte.
Bei Hagens Plastinaten (einigen der vielen Hundert) wurde wiederholt darüber hinaus die Frage der Einwilligung der Verstorbenen und deren Angehörigen kritisch gestellt und nicht eindeutig beantwortet. Sollten heutzutage Leichname von Opfern der Todesstrafe in anderen Ländern zur gewerblichen Nutzung als Ausbildungsobjekt benützt werden, widerspräche dies unserem ethischen Verständnis hier.
Gesundheitsbildung, öffentl. Interesse
Zur Allgemeinbildung gehört unzweifelhaft auch die Kenntnis über Aussehen und Funktion des eigenen Körpers. Dass dies ein Recht ist, wird regional oder durch Glaubensgemeinschaften unterschiedlich beurteilt und gehandhabt. In Europa wurde in der Aufklärung und in der Zeit der so genannten „Studentenrevolte“ (68er Jahre des XX. Jahrhunderts) insbesondere das Recht der sexuellen Freizügigkeit mit der Wissensvermittlung über die Körperfunktionen der Geschlechtsorgane verknüpft. Das Interesse an der persönlichen Gesundheitsbildung entspricht generell auch dem öffentlichen Interesse an Vorsorge / Prävention gegen Krankheit und Behinderungen durch gesundheitsschädliches Verhalten, dem Umgang mit den Risikofaktoren häufiger Krankheiten. Dabei kann das belastende Verhalten individuell oder gesellschaftlich bedingt sein.
Außerhalb von agrarischen Gesellschaften fehlen in der Regel konkrete anatomische Kenntnisse in der Bevölkerung. Aber auch dort ist die physiologisch richtige Kenntnis über die Körperfunktionen zum Beispiel des Blutkreislaufs und der Verdauung nicht Allgemeinwissen. Es gibt laienhafte Vorstellungen über die Physiologie, die eine ärztliche Behandlung zumindest erschweren, wenn sie nicht sogar dazu führen, dass Ärzte erst gar nicht um Rat gefragt werden – das subjektive Körperbild. Das Schulwesen in den D-A-Ch-Ländern vermittelt traditionell immer noch nur unzureichende Kenntnisse dazu.
Hagens Ausstellungen haben deshalb ähnlich wie Gesundheits-Ratgeber-Sendungen im Fernsehen oder Illustrierten-Artikel zum Körperinneren in der Öffentlichkeit lebhaftes Interesse hervorgerufen. Dies gilt für Europa wie Übersee.
Ausstellungen
Außerhalb der Fachwelt bekannt wurde die Plastination durch die Wanderausstellung "Körperwelten" (engl: bodyworld)), in der zahlreiche derartige anatomische Präparate, sowie fast komplette Leichen, zum Teil in speziellen Funktionsdarstellungen oder künstlerisch verfremdet, öffentlich präsentiert werden. Diese Präparate sind immer anonym und zum Teil auch aus verschiedenen Körpern komponiert, um den Darstellungszweck optimal zu erreichen.
Eine Herabwürdigung oder Illuminierung der Verstorbenen ist mit der Inszenierung selbst der als sensationell empfundenen Plastinate (z. B. Darstellung von einer werdenden Mutter, Träger der eigenen Haut, explodierendere Körperdarstellung – explodierend im architektonischen Sinn genutzt meint die räumliche Darstellung z. B. einer Zentralperspektive) nicht verbunden. Sie können von unvoreingenommenen Besuchenden oder Fachpublikum als Objekt der Wissensvermittlung betrachtet werden. Der Aufbau der Ausstellungen folgt einem pädagogischen Konzept und ist nicht vergleichbar mit in der Presse manchmal polemisch als Vergleich herangezogenen „Sensationen“ in Jahrmarktsbuden früherer Jahrzehnte.
siehe auch
- Leichenschau, Geschichte der Medizin, Obduktion, Pathologie, Sektion
- bekannte Anatomen: Claudius Galenus hatte trotz seiner Wirkung für die Medizinerausbidung selbst wahrscheinlichl nie einen Menschen seziert, Andreas Vesalius (Werk: De humani corporis fabrica), Hermann Hoepke
Literatur und www-Links
- Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin. 5. Aufl. 2005, 335 S. 35 Illus.; ISBN 3-540-21287-6. Springer, Berlin u. a. (Relativ knappe und gut lesbare wissensch. Darstellung des Gesamtthemas. Lehrstuhl in Heidelberg)
- Dirk Flachsmeyer: Die Geschichte der Autopsie unter besonderer Berücksichtigung der Pathologie in Rostock. Dissertation, Uni. Rostock 1995.
- Zur chemischen Seite des Verfahrens (bei www.bodiesrevealed.com Roy Glover, engl. ! )
- Zur weiteren Perspektive in der Anatomie: www.virtopsy.com
- weitere Literatur beim Stichwort Gunther von Hagens