Sandleitenhof

Der Sandleitenhof ist eine kommunale Wohnhausanlage im 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring. Mit 1.587 Wohnungen und über 4.000 Bewohnern (ursprünglich über 5.000) ist er der größte Gemeindebau des Roten Wien der Zwischenkriegszeit.
Der Sandleitenhof umfasst ein Areal, dessen Zentrum der Mateottiplatz ist und das von folgenden Verkehrsflächen umgeben ist: Sandleitengasse, Steinmüllergasse, Rosenackergasse, Karl-Metschl-Gasse, Baumeistergasse, Nietzscheplatz. Durchzogen ist es von der Rosa-Luxemburg-Gasse, der Liebknechtgasse und der Gomperzgasse.
Entstehungsgeschichte

Die ehemaligen Sandgruben in Ottakring, auf denen die Gebäude errichtet wurden, kaufte die Gemeinde Wien, damals noch christlichsozial dominiert, während des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1915 und 1916 an. Da das Gelände, ein ehemaliger Weinberg, nach Nordwesten stark ansteigt, war ein geeigneter Verbauungsplan schwierig zu erstellen. Als Ergebnis des 1923 von der inzwischen sozialdemokratisch verwalteten Gemeinde ausgeschriebenen Architektenwettbewerbs wurden drei Architektengemeinschaften mit dem Bau beauftragt; das Stadtbauamt behielt die Oberbauleitung.
Der Sandleitenhof wurde von 1924 bis 1928 in fünf Etappen errichtet, wobei die Parzellen für die Bauvorhaben nach dem Einfallswinkel der Sonne in einer parkähnlichen Anlage mit nur wenigen Straßen ausgerichtet wurden. Für die Bauteile I–IV südlich der Rosenackerstraße zeichnete die Arbeitsgemeinschaft Emil Hoppe / Otto Schönthal / Franz Matuschek verantwortlich, für den nördlichen Teil V die von Franz Krauß und Josef Tölk (die Architekten des bekannten Wiener Bürgertheaters) sowie das Büro Siegfried Theiss / Hans Jaksch (die Architekten der 1936 eröffneten Reichsbrücke).
Obwohl mehrere der Architekten Schüler Otto Wagners waren, wählten sie nicht eine für ihn typische, streng geometrische Form der Anlage, sondern verfolgten eine an Camillo Sitte angelehnte Konzeption mit kleinen Plätzen, kurvenreichen Wohnstraßen, vielen Grünflächen und verschieden hohen Gebäuden und lösten sich damit von der bis dahin vorwiegenden geschlossenen Hofform.
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Steinmüllergasse 15A
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Rosenackerstraße 12
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Rosenackerstraße 7
Matteottiplatz, Struktur der Anlage
Das Zentrum der Anlage bildet der nach dem ermordeten italienischen Sozialisten Giacomo Matteotti benannte Matteottiplatz mit einer Terrasse und einem Steinbrunnen. Der Kino- und Theatersaal hat ein Fassungsvermögen von 600 Plätzen. Der Haupteingangsbogen der Anlage am Nietzscheplatz 2 bei der Sandleitengasse, am südlichen Ende der Anlage, ist mit Plastiken von Heinrich Karl Scholz geschmückt.
Die anderen kleinen Plätze haben dreieckige oder andere polygonale Formen, die Häuser selbst sind teilweise mit Arkaden, Laubengängen, Erkern und vielen Dekorelementen versehen. Außerdem umfasst die Anlage mehrere soziale Einrichtungen wie eine Wäscherei und eine städtische Bücherei. Diese befindet sich in der Rosa-Luxemburg-Gasse und weist zwei Wandbilder von Arthur Brusenbauch auf, den Symbolisierten Aufbau darstellend.
Neben den Wohnungen gehörten ursprünglich auch 75 Geschäftslokale, 58 Werkstätten, 71 Lagerräume, drei Ateliers, drei Kinderhorte sowie ein Postamt zu der Anlage, die ihr damit den Charakter einer „Stadt in der Stadt“ verliehen. Bis 2002 befand sich auch das 1936 von Stefan Jellinek an anderem Standort aufgebaute Elektropathologische Museum für einige Jahre hier; es ist seit September 2002 geschlossen. Der Archivbestand (Schriftgut, Grafiken und Bilder, Plakate, Dokumente zu Elektro- und Blitzunfällen sowie Presseberichte) befindet sich seit 2005 im Technischen Museum Wien.
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Bücherei
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Wäscherei
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Kindergarten
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Brunnen
Montessori-Kindergarten
1927 bis 1929 entstand nach den Plänen des späteren Leiters des Wiener Stadtbauamtes, Erich Franz Leischner, der 100. Kindergarten Wiens – ein Montessori-Kindergarten. Die Säule des Frohsinns stammt von Wilhelm Frass, die Skulptur Zicklein von Josef Riedl. Im Foyer des Gebäudes stehen die Worte von Julius Tandler, damals amtsführender Stadtrat für Wohlfahrtseinrichtungen, Jugendfürsorge und Gesundheitswesen: Dem Kinde Schönheit und Freude. Unauslöschbar haften Kindheitserlebnisse. In diesem Sinne wurde der Kindergarten künstlerisch mit Wandbildern von Trude Schiebel (Spielende Kinder) ausgestattet und galt somit als ein Vorzeigeprojekt der damaligen Zeit. Der Kindergarten bekam einen großen, in mehrere Teile gegliederten Freibereich mit Freibad und Sandkisten sowie eine Freiluftterrasse. Das Gebäude wurde 1995 generalsaniert.
Februar 1934
Das Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie, dasrotewien.at, führt zum Februaraufstand gegen die Diktatur, was den Sandleitenhof betrifft, Folgendes an:
- Um die Mittagszeit des 12. Februar 1934 versuchte die Polizei in Sandleiten einzudringen, wurde jedoch mit Schüssen zurückgewiesen. Die Regierung mobilisierte daraufhin Verstärkung in Form einer Polizeialarmkompanie mit fünf Maschinengewehren sowie Bundesheereinheiten mit 200 Soldaten, vier Kanonen, zehn Maschinengewehren und zwei Minenwerfern. Von der Hernalser Hauptstraße aus wurde der Angriff im Raum Güpferlingstraße / Kainzgasse vorbereitet, die Kanonen wurden im Kongresspark in Schussstellung gebracht.
- Da es inzwischen dunkel geworden war, musste der Sturmangriff auf die Morgenstunden verschoben werden, allerdings wurde die Anlage auch in der Nacht mehrmals mit Maschinengewehren beschossen. Da Polizei und Bundesheer an Zahl und Bewaffnung weit überlegen waren, erschien es den Verteidigern verantwortungslos, einen aussichtlosen Häuserkampf zu riskieren – in einer Wohnanlage, in der sich etwa 5.000 Frauen, Kinder und alte Leute befanden. Als die Staatsmacht in den Morgenstunden des 13. Februar in die Anlage eindrang, waren die Verteidiger bereits abgezogen und es gab keinen weiteren Widerstand mehr.[1]
Pfarrkirche St. Josef

Nach der 1934 erfolgten Errichtung des austrofaschistischen Ständestaates versuchte die Kirche bei den Arbeitern Fuß zu fassen und ließ 1935/36 vom jungen Behrens-Schüler Josef Vytiska die Pfarrkirche St. Josef errichten. Die der Kirche zumeist eher distanziert gegenüberstehenden Arbeiter betrachteten dies allerdings als Provokation und gaben der Kirche den Spitznamen Vater-Unser-Garage. Die Pfarrkirche Sandleiten ist ein Sichtbetonbau mit einem Vordach auf Säulen.
SoHo in Ottakring (2014) und Einzug der Wiener Kunstschule (2015)
Nachdem 2014 das international bekannte Kunstfestival SoHo in Ottakring statt im Yppenplatzviertel im und um den Sandleitenhof organisiert wurde, kam es zur Vermittlung der Räumlichkeiten (Waschküche), die ehemals das Elektropathologische Museum beherbergten, an die Wiener Kunstschule. Der Einzug ist für den Sommer 2015[veraltet] geplant, der 2014 eingestellte Studienbetrieb wird im Oktober 2015 wieder aufgenommen.
Literatur
- Hans und Rudolf Hautmann: Die Gemeindebauten des Roten Wien 1919–1934. Schönbrunn-Verlag, Wien 1980, ISBN 3-85364-063-10, S. 398.
- Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1997, ISBN 3-218-00547-7 (Band 5) S. 43.
- Helmut Weihsmann: Das rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919–1934. Promedia, Wien 2002, ISBN 3-85371-181-2, S. 308f.
- Dehio-Handbuch Wien X. bis XIX. und XXI. bis XXIII. Bezirk. Anton Schroll, Wien 1996, ISBN 3-7031-0693-X.
Weblinks
- Gemeindebau Sandleitenhof im digitalen Kulturgüterkataster der Stadt Wien (PDF-Datei)
- Sandleiten. In: dasrotewien.at – Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie. SPÖ Wien (Hrsg.)
Koordinaten: 48° 13′ 22″ N, 16° 18′ 18″ O