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Nikolaikirche (Leipzig)

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Die Nikolaikirche von Nordosten mit der Nikolaisäule (August 2010)
(Video) Außen- und Innenansichten, Dezember 2014

Die Nikolaikirche (offiziell: Stadt- und Pfarrkirche St. Nikolai) ist die größte Kirche in Leipzig und neben der Thomaskirche die bekannteste Kirche der Stadt. Der nach dem heiligen Nikolaus benannte Sakralbau ist Hauptkirche der Evang.-Luth. St. Nikolai Kirchengemeinde Leipzig. Die Umgestaltung und Ausstattung des Innenraumes der Nikolaikirche stellt eine bedeutende Schöpfung des Klassizismus dar.

Im Herbst 1989 war die Nikolaikirche zentraler Ausgangspunkt der friedlichen Revolution in der DDR mit dem anschließenden Mauerfall in Berlin am 9. November 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990.

Geschichte und Baugeschichte

Die Stadt- und Pfarrkirche St. Nikolai wurde ab 1165 nach der Verleihung des Stadt- und Marktrechtes an Leipzig im romanischen Stil erbaut. An der Westseite der Kirche ist der romanische Ursprung bis heute sichtbar. Im 15. und 16. Jahrhundert erfolgten Erweiterungen und der vollständige Umbau zur dreischiffigen spätgotischen Hallenkirche.

1452 erhielt die Nikolaikirche mit der Osanna ihre erste Glocke, verziert mit Darstellungen des gekreuzigten Jesus und den vier Evangelisten, dem heiligen Martin und dem Schutzpatron dieser Kirche, dem heiligen Nikolaus. Die Glocke läutete nicht nur die Gottesdienste ein, sondern sie wurde auch als Feuerglocke genutzt.[1]

Am 25. Mai 1539 wurde durch die Predigten der Reformatoren Justus Jonas der Ältere und Martin Luther die Reformation in Leipzig begonnen. Die Kirche wurde damit Sitz des ersten Superintendenten der Stadt Johann Pfeffinger.

Am Karfreitag, dem 7. April 1724 hat Johann Sebastian Bach sein bis dahin umfangreichstes Werk, die Johannespassion, in der Nikolaikirche uraufgeführt.

Im Zuge der Aufklärung und Revolutionsarchitektur wurde der Innenraum der Kirche zwischen 1784 und 1797 nach dem Ideal der Urhütte (Bäume = Säulen, Blätterdach, usw.) umgestaltet. Darauf weist auch die 1999 errichtete Palmsäule vor der Kirche hin. Die letzten großen baulichen Veränderungen erfolgten von 1901 bis 1902 an der Außenfassade. Das spätgotische Aussehen wurde beibehalten.

Die Montagsdemonstrationen, die gegen das DDR-Regime gerichtet waren, entwickelten sich aus den Montagsgebeten, die in der Nikolaikirche bereits Anfang der 1980er Jahre stattfanden und anfänglich nur von einigen wenigen Menschen besucht wurden (vgl. Friedliche Revolution (Leipzig)). In den späten Novembertagen 1982 wurde in der Nikolaikirche zum ersten Mal in der DDR eine große Schautafel mit dem Symbol für Schwerter zu Pflugscharen öffentlich aufgestellt. Ende der 1980er Jahre gingen allwöchentlich Zehntausende, manchmal sogar über 100.000 Menschen, während der Montagsdemonstrationen auf die Leipziger Straßen, um für Demokratie, freie Wahlen, Reisefreiheit und die Einheit Deutschlands zu demonstrieren. Auf dem Nikolaikirchhof neben der Kirche wurde 1999 nach Entwürfen des Leipziger Künstlers Andreas Stötzner die Nachbildung einer Dauthe‘schen Säule errichtet, die als Friedenssäule an die Montagsdemonstrationen und die Friedhaftigkeit der Revolution erinnern soll. Im Jahr 1995 drehte Frank Beyer einen nach der Kirche benannten Film, der die Geschehnisse des Jahres 1989 künstlerisch aufarbeitete.

Obwohl die Nikolaikirche allein der evangelischen Kirche gehört, wird das Kirchengebäude von beiden Konfessionen, also auch von der katholischen Propsteigemeinde, zur Feier der sonntäglichen Messe und anderer Feiern genutzt.

Bis zum 30. März 2008 war Christian Führer Pastor der Nikolaikirche. Sein Nachfolger ist Bernhard Stief.

Innenraum und Ausstattung

Von 1784 bis 1797 wurde der Innenraum im klassizistischen Stil durch den Leipziger Stadtbaumeister Johann Carl Friedrich Dauthe grundlegend umgebaut. Die Gemälde der klassizistischen Ausstattung schuf der Leipziger Akademiedirektor Adam Friedrich Oeser. Dauthes Umgestaltung ist beeinflusst durch die Architekturtheorie von Marc-Antoine Laugier. Das Gesamtkonzept folgt Laugiers Forderungen im Kapitel „De la difficulté de décorer les églises gothques“ seiner „Observations sur l'architecture“ (Den Haag 1765). Laugier äußert sich positiv über die gotischen Kirchenbauten, will sie aber in klassischen Formen korrigieren und mittelalterliche Ausstattungselemente beseitigen.

Dauthe hat nach Laugiers Vorstellungen die Pfeiler der spätgotischen Hallenkirche durch Abarbeitung bzw. Antragung eines Stuckmantels in kannellierte Säulen von rötlichem Farbton umgedeutet. Die aus ihren Palmenkapitellen aufsprießenden hellgrünen Blätter kaschieren den Ansatz der gotischen Kreuzgewölbe. Deren Gewölbefelder sind zu klassischen, mit Rosetten besetzten Kassetten geworden. Alles ist auf den Farbakkord Weiß-Rosa-Hellgrün abgestellt. Die von Doppelsäulen korinthischer Ordnung getragenen Emporen orientieren sich hingegen mehr an Laugiers „Essai sur l'architecture“ (Paris 1753, 2. Aufl. 1755). Im Chor wurde ein hölzernes Tonnengewölbe unterhalb des mittelalterlichen Gewölbes eingezogen.

Orgel

Ansicht der Orgel

Die Orgel geht zurück auf ein Instrument, das 1862 von dem Orgelbauer Friedrich Ladegast (Weißenfels) erbaut worden ist. Die Orgel war damals die größte Kirchenorgel Sachsens und hat die romantische Interpretation der Orgelkompositionen Johann Sebastian Bachs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mitgeprägt.

In den Jahren 1902 bis 1903 wurde die Orgel durch die Firma Wilhelm Sauer (Frankfurt/Oder) umgebaut und erweitert. Das Pfeifenwerk blieb dabei weitgehend erhalten, die ursprünglich mechanischen Schleifladen wurden gegen pneumatische Kegelladen ausgetauscht, und die Windanlage in das Hauptgehäuse verlegt. Im Zuge einer Restaurierung des Instruments in den Jahren 1986 bis 1988 wurden die Trakturen durch VEB Orgelbau Sauer (Frankfurt/Oder) elektrifiziert.

In den Jahren 2002–2003 wurde das Instrument durch die Orgelmanufaktur Hermann Eule in Bautzen, in Orientierung an dem historischen Instrument und unter Wiederverwendung der erhaltenen historischen Substanz neu gebaut und in dem historischen Gehäuse von 1862 wieder aufgestellt. Neun Register mussten rekonstruiert werden. Der neue Spieltisch wurde von Designern der Firma Porsche AG entworfen und gesponsert. Der Spieltisch besitzt runde Winddruckanzeiger, die an ein Armaturenbrett erinnern. Darüber hinaus wird sie als einzige Orgel der Welt links gestartet – Porsche-typisch. Die Orgel hat 102 Register auf fünf Manualwerken und Pedal.[2] Die Benutzung oder Vorführung der Orgel ist kostenpflichtig.

I Hauptwerk C–a3

1. Bordun (ab c0) 32' L
2. Principal 16' L
3. Bordun 16' L
4. Principal 8' L
5. Doppelgedackt 8' L
6. Flaut major 8' E
7. Gambe 8' L
8. Gemshorn 8' T
9. Rohrquinte 51/3' L
10. Oktave 4' L
11. Spitzflöte 4' L
12. Rohrflöte 4' T
13. Terzflöte 31/5' R
14. Quinte 22/3' L
15. Septime 22/7' R
16. Oktave 2' L
17. Terz 13/5' L
18. Mixtur IV 2' L
19. Cymbel III 2' L
20. Cornett III-V 22/3' L
21. Trombone 16' E
22. Trompete 8' R
23. Trompete 4' E
II Oberwerk C–a3
24. Principal (ab c0) 16' L
25. Quintatön 16' L
26. Principal 8' L
27. Bordunalflöte 8' L
28. Fugara 8' E
29. Quintatön 8' L
30. Rohrflöte 8' L
31. Oktave 4' L
32. Gedackt 4' L
33. Hohlflöte 4' L
34. Spitzquinte 22/3' L
35. Oktave 2' L
36. Waldflöte 2' L
37. Terz 13/5' L
38. Quinte 11/3' E
39. Flageolett 1' E
40. Cymbel IV 2' R
41. Cornett III 51/3' R
42. Basson 16' E
43. Trompete 8' S
Tremulant
III Brustwerk C–a3 (schwellbar)
44. Lieblich Gedackt 16' L
45. Geigenprincipal 8' L
46. Flauto traverso 8' L,E
47. Doppelflöte 8' L
48. Harmonica 8' L
49. Octave 4' L
50. Octavflöte 4' E
51. Piffaro 4' R
52. Rohrquinte 22/3' L
53. Piccolo 2' L
54. Scharf III 11/3' L
55. Fagott 16' R
56. Oboe 8' R
57. Cor anglais 8' S
Tremulant
IV Schwellwerk C–a3
58. Stillgedackt 16' E
59. Diapason 8' S
60. Flute traversiere 8' S
61. Viola di Gamba 8' S
62. Aeoline 8' S
63. Voix celeste 8' E
64. Flute octaviante 4' E
65. Octavin 2' E
66. Plein jeu IV-V 22/3' S
67. Bombarde 16' E
68. Trompette harm. 8' E
69. Basson-Hautbois 8' E
70. Clairon harm. 4' E
Tremulant
V Echowerk C–a3 (schwellbar)
71. Viola 16' L
72. Viola d'amour 8' L
73. Lieblich Gedackt 8' L
74. Salicional 8' L
75. Unda maris II 8' E
76. Sanftflöte 8' L,E
77. Viola 4' L
78. Zartflöte 4' L
79. Nassat 22/3' L
80. Violino 2' L
81. Harmonia aetheria III 22/3' L
82. Aeoline 16' R
83. Vox humana 8' S
Tremulant
Pedal C–f1
84. Principalbaß 32' L
85. Untersatz 32' S
86. Principalbaß 16' R
87. Violonbaß 16' L
88. Salicet 16' L
89. Subbaß 16' T
90. Terz 124/5' L
91. Nassat 102/3' R
92. Octavbaß 8' L
93. Baßflöte 8' L
94. Violoncello 8' L
95. Nassat 51/3' R
96. Octavbaß 4' L
97. Cornett V 22/3' L
98. Posaunenbaß 32' R
99. Posaunenbaß 16' R
100. Dulcian 16' R
101. Trompete 8' R
102. Clarine 4' R
  • Koppeln:
    • Normalkoppeln: II/I, III/I, IV/, III/II, IV/II, IV/III, V/VI, I/P, II/P III/P, IV/P, V/P
    • Superoktavkoppel: III/P
    • Suboktavkoppel: III/I
  • Spielhilfen: 4000-fache Setzeranlage, Crescendowalze, Absteller
  • Anmerkungen:
T = Register weitgehend von Trampeli
L = Bestand von 1862 (Friedrich Ladegast)
S = Register von 1903 (Sauer)
R = nach Ladegast rekonstruiertes Register (Eule, 2004)
E = neues Register von Eule (2004)

Organisten und Kantoren

Sehenswürdigkeiten

Trivia

Das historische Hufeisen
  • An der südlichen Außenseite des Chores befindet sich in einer Nische ein leicht überdimensioniertes Hufeisen. Seine Herkunft ist ungeklärt. Deshalb ranken sich Sagen darum. Eine schreibt es dem Pferd des heiligen Georg zu, das es beim Kampfe Georgs mit dem Drachen verloren habe. Eine andere bringt es mit dem Tode des Landgrafen Diezmann 1307 in Leipzig in Verbindung, dessen Pferd bei einer Verfolgung durch die Stadt ein Hufeisen verlor, das bis in die Nikolaikirche geschleudert worden sei.[3][4]
Wichtig war das Hufeisen, in welchem ein ehemaliges Zunftzeichen eines Leipziger Schmiedemeisters vermutet werden kann, für wandernde Handwerksgesellen, die mit der genauen Kenntnis der Lage dieses Wahrzeichens der Stadt nachweisen konnten, in Leipzig gewesen zu sein.[5]

Einzelnachweise

  1. Nikolaikirche Leipzig: Kurze Baugeschichte, abgerufen am 20. November 2014.
  2. Nähere Informationen zur Geschichte und Disposition der Orgel der Nikolaikirche
  3. Wilhelm Schäfer: Das Hufeisen an der Nikolaikirche. In Deutsche Städtewahrzeichen: Ihre Entstehung, Geschichte u. Deutung, Band 1, Verlagsbuchhandlung J. J. Weber, Leipzig 1858, S. 18–24 (Digitalisat des Buches)
  4. Johann Georg Theodor Grässe: Das Hufeisen an der Nicolaikirche zu Leipzig (Wikisource)
  5. Claus Uhlrich: Der Marienborn und andere Geschichten aus dem alten Leipzig, ProLeipzig 2001, ISBN 3-9807201-8-7, S. 67
  6. Erich Loest: Nikolaikirche. Dt. Taschenbuch-Verl. München 1997, ISBN 3-423-12448-2.
  7. Martin Jankowski: Rabet oder Das Verschwinden einer Himmelsrichtung, via verbis München 1999, ISBN 3-933902-03-7.

Literatur

  • Karl Czok: Die Nikolaikirche Leipzig. Edition Leipzig 1992 ISBN 3-361-00390-3
  • Christian Dietrich, Uwe Schwabe (Hg.): Freunde und Feinde. Friedensgebete in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 1994
  • Cornelius Gurlitt: Nikolaikirche. In: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. 17. Heft: Stadt Leipzig (I. Theil). C. C. Meinhold, Dresden 1895, S. 3.
  • Martin Jankowski: Der Tag, der Deutschland veränderte - 9. Oktober 1989. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2007, ISBN 978-3-374-02506-0
  • Armin Kohnle (Hg.): St. Nikolai zu Leipzig. 850 Jahre Kirche in der Stadt. Imhof, Petersberg 2015, ISBN 978-3-86568-857-6
  • Heinrich Magirius: Nikolaikirche Leipzig (Schnell u. Steiner, Kleiner Kunstführer), München 1991
  • Heinrich Magirius: Die Umgestaltung des Innenraums der Nikolaikirche zu Leipzig durch Johann Carl Friedrich Dauthe 1784 bis 1797. In: Gebaute Vergangenheit heute - Berichte aus der Denkmalpflege, Berlin/München 1993, S. 121-152, ISBN 3-345-00530-1
  • Reinhard Wegner, Gotik und Exotik im Zeitalter der Aufklärung. Der Umbau der Nikolaikirche in Leipzig. In: Deutsche Baukunst um 1800. Köln usw.: Böhlau (2000) S. 53-63.
Commons: Nikolaikirche – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 51° 20′ 25″ N, 12° 22′ 42,8″ O