Seligpreisung

Seligpreisungen oder Makarismen (auch: Glückszusagen, Heilszusagen) heißen Aussagen der Bibel, die bestimmten notleidenden sozialen Gruppen die Hilfe JHWHs, des Gottes Israels, verbindlich zusagen.
Der Fachausdruck Makarismus bezeichnet eine literarische Gattung, die auch in außerbiblischen Schriften der Antike vorkommt. Sie beginnt mit der Aussageform „Glücklich [selig] sind die…“ (hebräisch Ascheri, griechisch Makarioi) oder der direkten Andredeform „Glücklich [selig] seid ihr…“. Im Tanach, der Bibel des Judentums, finden sich solche Aussagen als Zusagen JHWHS vor allem im Buch der Psalmen und in der Prophetie seit Jesaja (8. Jahrhundert v. Chr.).
Nach dem Neuen Testament (NT) hat Jesus von Nazaret biblisch-prophetische Heilszusagen mit seiner Botschaft vom nahen Reich Gottes aufgegriffen und aktualisiert. Damit begann er laut der Feldrede (Lk 6,21-25 EU) und der Bergpredigt (Mt 5,3-12 EU) sein öffentliches Wirken. Als Seligpreisungen bezeichnet das Christentum daher meist jene besonderen Heilszusagen Jesu. Als deren Ort wird traditionell der Berg der Seligpreisungen am See Genezareth vermutet.
Herkunft der Sprachform
Woher die Sprachform der biblischen Makarismen stammt, ist umstritten. Manche Forscher leiten sie aus der profanen altägyptischen Weisheitsliteratur ab. So finden sich seit Ramses II. (13. Jahrhundert v. Chr.) Sprüche, die Einzelpersonen als „Glücklich der, der…“ anreden und damit eine Tugend loben. Andere widersprechen dieser These, weil 60 Prozent aller biblischen Makarismen im Buch der Psalmen stehen. Diese Sammlung dient insgesamt der kultischen Verehrung JHWHS und beginnt programmatisch mit einem Makarismus dessen, der JHWHs Tora erfüllt (Ps 1,1 EU).
In der antiken griechischen Literatur bei Homer wurden anfangs nur Götter Makarioi genannt, die im Gegensatz zu Menschen unsterblich seien. Hesiod übertrug die Bezeichnung auf Menschen, die den jenseitigen Zustand der unsterblichen, von Mühe und Arbeit befreiten Götter erreicht hätten. Aristoteles unterschied dagegen erneut das den Sterblichen erreichbare Glück (eudaimonia) von der vollkommenen Glückseligkeit (makariotes) der unsterblichen Götter. Seit Aristophanes drang der Ausdruck in die profane Alltagssprache ein: Als makarioi wurden Reiche wegen ihres angenehmen Lebens oder Eltern wohlgeratener Söhne gepriesen; später auch Tote, weil sie der Mühsal des irdischen Daseins entkommen seien. Nie wurden Notleidende wegen ihrer Not so bezeichnet. Dies gilt ebenso für den Sprachgebrauch der Bibel.[1]
Judentum
Die Gattung der Seligpreisungen erscheint im Tanach zunächst in der biblischen Weisheitsliteratur ab Psalm 1. Der weisheitliche Makarismus beschreibt auf der Basis des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, dass nur ein Leben in Gottesfurcht und Weisheit gelingt (z. B. Spr 3,19-23 EU). Hier wird also der Mensch seliggesprochen, dem es aufgrund seiner Frömmigkeit gut geht.
In der biblischen und außerbiblischen jüdischen Literatur kommt auch der apokalyptische Makarismus vor, der aktuell Notleidenden ein die irdischen Zustände umstürzendes und verwandelndes Eingreifen JHWHS verspricht, um ihnen Hoffnung über den Tod hinaus zu geben. Hier werden Menschen seliggesprochen, denen es gerade nicht gut geht, sondern diee aufgrund ihrer gerechten Lebensführung oder unverschuldet ein schweres Schicksal ertragen müssen: Dafür werde Gott sie künftig belohnen und rechtfertigen. Diese Zusageform widersprach einer anderen weisheitlichen Tradition, wonach irdische Not auf ein Vergehen des Notleidenden gegen JHWH zurückzuführen sei (siehe Buch Hiob).
Urchristentum
Evangelien
Der Text nach Matthäus 5,3-12 LUT lautet in der Lutherübersetzung:
3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
12 Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Die Seligpreisungen beginnen neunmal mit „selig (sind) …“ (μακαριοι/makarioi). Die neunte Seligpreisung nimmt dabei eine Sonderstellung ein, weil sie sich den Jüngern in der 2. Person Plural direkt zuwendet, während die vorigen acht in der 3. Person formuliert sind. Es scheint sich in der neunten um eine unmittelbare Anwendung der achten Seligpreisung auf die Jünger Jesu zu handeln (darum: 8+1 Seligpreisungen). Die erste und die achte Seligpreisung schließen jeweils mit der Verheißung des „Himmelreiches“ (βασιλεία τῶν οὐρανῶν / basileia ton ouranon), für das Matthäusevangelium (und wohl schon für Jesus) ein zentraler Begriff. Auffallend ist auch, dass nach der 4. und nach der 8. Zeile jeweils Gottes "Gerechtigkeit" (δικαιοσύνη/dikaiosyne) genannt wird, ebenfalls ein Schlüsselbegriff des Matthäusevangeliums, wodurch die ersten acht Seligpreisungen wiederum in 4+4 untergliedert werden können. Dies wird auch durch die Beobachtung unterstützt, dass die ersten vier Seligpreisungen als π-Alliteration formuliert sind (Arme: πτωχοι/ptochoi; Trauernde: πενθουντες/penthountes, Sanftmütige: πραεις/praeis; Hungernde: πεινωντες/peinontes).
Die Seligpreisungen Jesu stehen in der Tradition des apokalyptischen Makarismus, sind aber offen auf eine diesseitige Interpretation hin.
Rezeption
Musikalische Bearbeitungen
- Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem, op. 45 (1869), 1. Satz: Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
- César Franck: Les Beatitudes (Die Seligpreisungen). Oratorium (Entstehung 1869-1879). Das Werk umfasst einen Prolog und Chorsätze mit Sologesang zu den Versen 3, 5, 4, 6 bis 10.
- Wilhelm Kienzl: Selig sind, die Verfolgung leiden ..., Lied aus seiner Oper Der Evangelimann (1894)
- Felicitas Kukuck: Das kommende Reich. Die Seligpreisungen, Oratorium (1953)
- Gloria Coates: The Beatitudes (1978)
- Arvo Pärt: The Beatitudes/ Beatitudines (1990/2001)
- Felicitas Kukuck: Die Seligpreisungen, Motette (1994)
- Inga Rumpf: Walking In The Light (1999)
Widmungen
- Kapelle der Seligpreisungen, Berchtesgaden
- Kirche der Seligpreisungen Lobenhausen bei Melsungen, Lobenhausen
Literatur
- Historisch-kritisch
- Hermann Lichtenberger: Makarismen in den Qumrantexten und im Neuen Testament. In: David J. Clines und andere (Hrsg.): Weisheit in Israel. Beiträge des Symposiums »Das Alte Testament und die Kultur der Moderne« anlässlich des 100. Geburtstags Gerhard von Rads (1901-1971). LIT-Verlag, Münster 2003, ISBN 3825854590, S. 167-182
- Heinz-Josef Fabry: Die Seligpreisungen in der Bibel und in Qumran. In: C. Hempel, A. Lange u.a. (Hrsg.): The Wisdom Texts From Qumran and the Development of Sapiental Thought. BEThL 159, Leuven 2002, S. 189–200.
- Thomas Hieke: Q6: 20-21. the Beatitudes for the Poor, Hungry, and Mourning (Documenta Q). Peeters, 2001, ISBN 9042910437
- Howard B. Green: Matthew, Poet of the Beatitudes. JSNT S 203, Sheffield 2001.
- Ingo Broer: Die Seligpreisungen der Bergpredigt. Studien zu ihrer Überlieferung und Interpretation. P. Hanstein, Bonn 1986, ISBN 3775610758
- Hans Dieter Betz: Die Makarismen der Bergpredigt (Mt 5,3-12). Beobachtungen zur literarischen Form und theologischen Bedeutung. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 75 (1978), S. 1–19.
- Walter Zimmerli: Die Seligpreisungen der Bergpredigt und das Alte Testament. In: Ernst Bammel u.a. (Hrsg.): Donum Gentilicium. Festschrift für D. Daube. Oxford 1978, S. 8-26
- Praktisch-theologisch
- Eugen Drewermann: Worte der Freiheit - Die Seligpreisungen Jesu. (2008) Patmos, 2014, ISBN 384360486X
- Walter Klaiber: Anleitung zum Glücklichsein: Die Seligpreisungen der Bergpredigt. Bibellesebund, 2013, ISBN 395568007X
- Jürgen Werth: Das Geheimnis der Seligpreisungen (Schätze der Bibel). SCM R.Brockhaus, 2012
- Christof Vetter, Sylvia Mustert (Hrsg.): Selig sind …: Die Seligpreisungen. edition chrismon, 2009, ISBN 386921015X
- Holger Finze-Michaelsen: Das andere Glück. Die Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 35256042622006
- Bernardin Schellenberger: Entdecke, dass du glücklich bist: Die Seligpreisungen der Bergpredigt. Echter, 2006, ISBN 3429027640
- Carlo M. Martini: Selig seid ihr! Die Seligpreisungen der Bergpredigt als Lebensorientierung. Neue Stadt, 2002, ISBN 3879965501
- Nico TerLinden: Die Seligpreisungen der Bergpredigt und das Vaterunser. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001, ISBN 3579056220
- Peter Spangenberg: Wahrheit und Wirklichkeit. Die Seligpreisungen. Agentur des Rauhen Hauses, 2000, ISBN 3760016111
- Mark A. Powell: Matthew's Beatitudes. Reversals and Rewards of the Kingdom. In: Catholic Biblical Quarterly 58 (1996), S. 460-479.
- Jan van Rijckenborgh: Das Mysterium der Seligpreisungen. 4. Auflage, Rozekruis Pers, 1995, ISBN 9067321540
- Pinchas Lapide, Carl Friedrich von Weizsäcker: Die Seligpreisungen. Calwer, Stuttgart 1980, ISBN 3766806564
- Kunst
- Jochen Rieger (Hrsg.): Selig sind ... Seligpreisungen der Bergpredigt in Liedern: Liederheft. Gerth Medien Musikverlag, 2009, ISBN 3896154346
- Anselm Grün (Hrsg.): Ein Segen sollst du sein: Fotos und Meditationen zu den Seligpreisungen. St. Benno, 2005, ISBN 3746218985
Weblinks
- Eine multimediale Umsetzung der Seligpreisungen als Flash-Animation
- Ausführungen zum Bericht des Matthäus von Biblische Lehre.de
- Katholische Gemeinschaft der Seligpreisungen in Uedem
- Predigt auf BonnUBF.org: Seligpreisungen & Ihr seid das Licht der Welt
Einzelnachweise
- ↑ Hermann Lichtenberger: Makarismen in den Qumrantexten und im Neuen Testament. In: David J. Clines und andere (Hrsg.): Weisheit in Israel, Münster 2003, S. 168-170