Afrikanische Sprachen





Als "afrikanisch" werden die Sprachen bezeichnet, die auf dem afrikanischen Kontinent gesprochen wurden und werden. Traditionell rechnet man auch die semitischen Sprachen Westasiens zu den "afrikanischen" Sprachen hinzu, da sie zu einer wesentlich in Afrika beheimateten - und möglicherweise auch aus Afrika stammenden - Sprachfamilie, dem Afroasiatischen, gehören. In diesem erweiterten Sinne gibt es fast 2.000 afrikanische Sprachen, die von rund 750 Mio. Menschen gesprochen werden.
Die Sprache Madagaskars - Malagasy - ist austronesisch und wird normalerweise nicht zu den "afrikanischen" Sprachen gerechnet, ebenfalls nicht die europäischen indogermanischen Sprachen der Kolonisatoren, Englisch, Afrikaans, Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Deutsch.
Die Afrikanistik ist die Wissenschaft, die sich mit den afrikanischen Sprachen und Kulturen befasst.
Die Einteilung der afrikanischen Sprachen
Seit den 1950er Jahren und auf Grund der entscheidenden Arbeiten von Joseph Greenberg werden die afrikanischen Sprachen in vier Gruppen oder Phyla eingeteilt:
- Afroasiatisch mit etwa 350 Sprachen und 350 Mio. Sprechern in Nordafrika und Westasien
- Niger-Kongo mit etwa 14000 Sprachen und 350 Mio. Sprechern in West-, Zentral- und Südafrika
- Nilosaharanisch mit etwa 200 Sprachen und 35 Mio. Sprechern im Sudan, Victoria-See-Gebiet, Zentralafrika, Tschad, Mali
- Khoisan mit 28 Sprachen und 385 Tsd. Sprechern vor allem im westlichen Südafrika
Die innere Struktur dieser Sprachgruppen wird in den Einzelartikel behandelt. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Klassifikation der afrikanischen Sprachen insgesamt.
Diskussion der afrikanischen Phyla
Ob diese Gruppen genetisch definierte Sprachfamilien bilden, wird in der Afrikanistik nach wie vor strittig diskutiert. Jedenfalls geht auch das einzige aktuelle Standardwerk über afrikanische Sprachen insgesamt - B. Heine and D. Nurse, African Languages - An Introduction (Cambridge 2000) - herausgegeben und verfasst von den führenden Afrikanisten unserer Zeit (B. Heine, D. Nurse, R. Blench, L.M. Bender, R.J. Hayward, T. Güldemann, R. Voßen, P. Newman, C. Ehret, H.E. Wolff u.a.) von diesen vier afrikanischen Phyla aus.
Dabei wird die genetische Einheit des Afroasiatischen und des Niger-Kongo als nachgewiesen und allgemein akzeptiert betrachtet. Auch das Nilosaharanische wird von den Spezialisten dieses Gebiets (L.M. Bender und C. Ehret) als im Wesentlichen gesicherte Einheit aufgefasst, deren Protosprache in Grundzügen zu rekonstruieren sei. Diese Meinung wird jedoch von einigen anderen Afrikanisten nicht geteilt, obwohl der Kern des Nilosaharanischen - Ostsudanisch, Zentralsudanisch und einige kleinere Gruppen - als genetische Einheit ziemlich unumstritten ist. Problematisch ist die Zugehörigkeit der Sprachen Kunama, Berta, Fur und der Maba-Gruppe, erst recht der auch nach Meinung von L.M. Bender als "Outlier" geltenden Gruppen Saharanisch, Songhai und Kuliak, die von mehreren Forschern bestritten wird. Dennoch kann keine Rede davon sein, dass das Konzept der nilosaharanischen Sprachen als Ganzes gescheitert sei, wahrscheinlich wird sich die eine oder andere Aussengruppe als eigenständig etablieren, der Kern aber als genetische Einheit bestand haben. Das Nilosaharanische insgesamt hätte dann immerhin den Charakter eines Sprachbundes.
Klarer ist die Situation beim Khoisan: die Autoren dieses Abschnitts im oben genannten Übersichtswerk (T. Güldemann und R. Voßen) halten die auf Greenberg und einige Vorgänger zurückgehende Vorstellung einer genetischen Einheit der Khoisan-Sprachen nicht aufrecht, sondern gehen stattdessen von drei genetisch unabhängigen Einheiten (Nordkhoisan oder Ju, Zentralkhoisan oder Khoe, Südkhoisan oder Taa-!Wi) aus, die früher zum Khoisan gerechneten Sprachen Sandawe, Hadza und Kwadi werden als isoliert betrachtet. Diese Einschätzung der Khoisan-Gruppe findet heute weite Zustimmung.
Die Geschichte der Klassifikation afrikanischer Sprachen
Die folgende Darstellung gibt einen tabellarischen Überblick über die Forschungsgeschichte der afrikanischen Sprachen. Die verwendeten Gruppenbezeichnungen sind teilweise modern, damit auch der Nichtfachmann den Zuwachs - oder Rückschritt - der gewonnenn Erkenntnisse verfolgen kann.
- Seit dem 10. Jhdt. Afrikanische Sprachen werden in arabischen Dokumenten beschrieben; die Verwandtschaft des Hebräischen, Arabischen und Aramäischen ist jüdischen und islamischen Sprachlehrern seit langem bekannt.
- 1538 G. Postel stellt als erster Europäer die Verwandtschaft der damals bekannten semitischen Sprachen fest.
- 1700 H. Ludolf erweitert die semitischen Gruppe um die äthiopischen Sprachen Ge'ez und Amharisch.
- 18. Jhdt. Erste wissenschaftliche Beschäftigung mit afrikanischen Sprachen in Europa: Koptisch (1636), Nubisch (1638), Kongo (1652), Nama (1643), Ge'ez (1661), Amharisch (1698).
- 1776 L.B. Proyart erkennt die genetische Verwandtschaft einiger Bantusprachen.
- 1778 L. Marsch beschreibt die Umrisse der Bantufamilie und erkennt, dass sie etwa so nah verwandt sind, wie die romanischen Sprachen.
- 1808 H. Lichtenstein teilt die südafrikanischen Sprachen in Bantu- und Nama (Khoisan)-Sprachen ein.
- 1826 A. Balbi versucht die erste Gesamtübersicht und Einteilung der afrikanischen Sprachen.
- 1850 Etablierung der "hamitischen Gruppe" (Ägyptisch, Berberisch, Kuschitisch) und die Feststellung ihrer Verwandtschaft zum Semitischen; damit ergibt sich die Gesamteinteilung in (1) Bantu-Sprachen (2) Nama-Buschmann-Sprachen (heute Khoisan) (3) Semitisch-Hamitisch (4) "Nigritische" Sprachen als Restmenge.
- 1888 Der deutsche Ägyptologie K.R. Lepsius rechnet die Nama-Buschmann-Sprachen zum Hamitischen; eine falsche Klassifikation, die lange Bestand hatte (und hinter die Klassifikation von 1850 zurückfällt).
- 1912 C. Meinhof erweitert die hamitischen Sprachen um Khoisan (wie Lepsius), aber auch noch Fulani, Maassai u.a.. Die Gesamtklassifikation umfasst danach (1) Bantu (2) Hamito-Semitisch (im weiten Sinne Meinhofs) und (3) Sudanisch (als Restmenge, etwa heutiges Niger-Kongo und Nilosaharanisch zusammen). Dieser - nach heutiger Vorstellung völlig falsche - Ansatz hält sich bis etwa 1950.
- 1927 D. Westermann (ein Schüler C. Meinhofs) beschreibt die Verwandtschaft der westlichen Sudansprachen zum Bantu und legt damit - gegen die Meinung seines Lehreres - den Kern für das heutige "Niger-Kongo"; er erkennt auch, dass die östlichen Sudansprachen - ebenfalls im Gegensatz zur Auffassung seines Lehrers - nicht mit den westlichen verwandt sind.
- 1949-63 J. Greenberg gelangt über verschiedene Zwischenstufen zur heute weitgehend akzeptierten Einteilung in (1) Semito-Hamitisch (das er in Afroasiatisch umbenennt) (2) Niger-Kordofanisch (heute Niger-Kongo) (3) Khoisan (4) Nilosaharanisch.
- nach 1963 Die gesamte afrikanistische Forschung - soweit sie klassifikatorisch tätig ist - arbeitet auf Basis des Greenbergschen Modells, auch wenn sie dieses nicht in allen Einzelheiten anerkennt (Kritik vor allem am Nilosaharanischen, später auch am Khoisan.)
Die Leistung J. Greenbergs in der Klassifikation der afrikanischen Sprachen
- Verzicht auf nicht-linguistische Kriterien wie Rasse und Kultur (diese Kriterien hatten zum verfehlten Begriff des "Hamitischen" geführt); konsequenterweise die Elimination der Einheit "Hamitisch"
- Erkenntnis, dass die Zweige der Hamito-Semitischen Gruppe gleichberechtigt sind und somit Aufgabe der Zweiteilung in "Semitisch" und "Hamitisch"; als Folge davon die Umbenennung dieser Einheit in "Afroasiatisch" (da der alte Name diese Zweiteilung suggeriert)
- Etablierung des "Tschadischen" als unabhängiger Zweig des Afroasiatischen, das damit aus den gleivberechtigten Zweigen Semitisch, Ägyptisch, Berberisch, Kuschitisch und Tschadisch besteht (das Omotische wird später vom Kuschitischen abgetrennt)
- Entfernung der Gruppen, die Lepsius und Meinhof fälschlicherweise dem "Hamitischen" einverleibt hatten, und ihre Zuordnung an andere Familien: so wurde Fulani dem Niger-Kongo, Nama dem Khoisan, "Nilo-hamitisch" zu Nilotisch und zu einer Unterfamilie des Nilosaharanischen
- Zuordnung des Adamawa und Ubangi zum Niger-Kongo
- Erkennen der korrekten Position des Bantu als Unter-Untergruppe des Niger-Kongo
- Einführung des Nilosaharanischen als Restkategorie der Sprachen, die weder zum Afroasiatischen, noch zum Niger-Kongo, noch zum Khoisan gehören. Versuchter Nachweis der genetischen Einheit dieser Gruppe. (Vor allem diese letztere Einschätzung wurde von Greenbergs Gegnern kritisiert, obwohl Meinhof das "Sudanische" als eine Restkategorie definiert hatte, die sogar das heutige Niger-Kongo und Nilosaharanische umfasst.)
Literatur
- J. Greenberg, The Languages of Africa. Bloomington, 1963.
- B. Heine und andere (Hrsg.), Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981.
- B. Heine and D. Nurse (Hrsg.), African Languages. An Introduction. Cambridge University Press 2000.
- H. Jungraithmayr und andere, Lexikon der Afrikanistik. Reimer, Berlin 1983 (völlig veraltet).