Narr
Als Narr (von Althochdeutsch Narro) bezeichnet man einen Spaßmacher, der im Mittelalter für Unterhaltung und Belustigung sorgen sollte und dabei meist auffällig gekleidet war.
Bedeutung des Narren im theologischen Umfeld
Als Narren werden noch heute verkümmerte Früchte benannt. Da Gott laut der Bibel den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hatte, wurden verkrüppelte Menschen als Narren bezeichnet, da sie nicht dem Normbild Gottes entsprachen. Sie wurden als "natürliche Narren" spezifiziert, da sie dem damaligen Glauben nach "innen hohl" waren, also keine Seele hatten, ebenso wie eine verkümmerte Frucht.
Die mittelalterliche Narrenfigur
Aus dem 12. Jahrhundert stammen Psalterillustrationen, die bei Psalm 52 meist eine Figur zeigen, die einem König gegenübersteht. Diese Figur ist oft nackt, schwingt eine Keule oder isst ein Brot. Im weiteren Verlauf des Mittelalters veränderte sich diese Figur: Sie trug ein meist farbiges Kleid, oft ein MiParti, das mit Schellen behängt war. Die Keule hatte sich zur Marotte oder zum Spiegel weiterentwickelt, ein Zeichen, dass der Narr in sich selbst verliebt war und Gott nicht erkannte. Oftmals wird die Figur mit einer Gugel, einer zipfeligen Mütze oder Kappe dargestellt, die ebenso mit Schellen behangen ist.
Diese Figur soll einen Narren, einen Unweisen (lat. insipiens) darstellen, der den weisen König David verhöhnt, der für Glauben steht und als Vorläufer Christi gilt. Der Anfang des Psalmes lautet: "Dixit insipiens in corde suo: Non est Deus" ("Es spricht der Narr in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott"). Der Narr war also keineswegs eine Figur, die nur Späße machte, sondern eine negative Gestalt. Da der Gottesleugner ebenso nicht dem Ebenbild Gottes entsprechen konnte, da er nicht an Gott glaubt, wurde er als "künstlicher Narr" bezeichnet, da er äußerlich der Norm entsprach, ihr aber im Denken widersprach.
Dadurch stand der Narr dem Teufel nahe, der für den Ursprung aller Narrheit stand. Durch seine Gottesferne und seine Nähe zum Teufel stand der Narr später (14., 15. und 16. Jahrhundert) für vanitas (lat. Vergänglichkeit), also für den Tod. Die Hofnarren sollten also ursprünglich ihren Herrn nicht belustigen, sondern ihn als ernste Figur ständig daran erinnern, dass auch er vergänglich ist und sterben muss.
Der Narr hatte durch diese Allegorien den Einzug in die mittelalterliche Fastnacht gefunden, in der er heute noch eine große Rolle spielt. Hier sollte er ebenfalls als negative Gestalt in der negativen Zeit (der österlichen Fastenzeit) seine Rolle als Gottesleugner, Teufel und Tod spielen. Die Illustrationen in Psalterhandschriften können jedoch nicht beweisen, dass es die Figur des Narren bzw. Hofnarren nicht schon viel früher gegeben hat.
Hofnarren im Mittelalter
Im frühen Hochmittelalter waren es vor allem körperlich Behinderte, Kleinwüchsige usw., die wie Raritäten z. T. in Käfigen gehalten wurden. Die Herrscher machten sich einen Wetbbewerb daraus, wer den spektakulärsten Narren in seiner Sammlung hatte. Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren es zunehmend Menschen, die sich nur dumm stellten oder über besonderes künstlerisches/humoristisches Talent verfügten, die als Unterhalter engagiert wurden. Teilweise gab es an Höfen Narrenausbilder, die auffällige Kinder aus der Umgebung zusammensuchten und diese zu Hofnarren ausbildeten. In der frühen Neuzeit waren es nicht selten durchaus intelligente und intrigante Strippenzieher, die ihren Posten als Hofnarr ausnutzten um sich ein schönes Leben bei Hofe zu machen, z. B. die französische Närrin Marthurine, die sich zusätzliches Geld damit verdiente, dass sie Hofklatsch drucken ließ und eigenhändig auf der Pont Neuf in Paris ans gemeine Volk verscheuerte.
Narren fanden sich sowohl im ritterlichen Gesinde, als auch an Fürstenhöfen. Für die dort tätigen Hofnarren galt die Narrenfreiheit, die es ihnen ermöglichte, ungestraft Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben. Auch die Parodierung von Adeligen war den Hofnarren erlaubt.
Manche Städte unterhielten so genannte Stadtnarren, die zur allgemeinen Belustigung Späße treiben durften. Ihre Entlohnung bestand meist aus erbettelten Gaben. Ein bekannter Stadtnarr war zum Beispiel Till Eulenspiegel.
Der klassische "Hofnarr" kann sich jedoch spätestens seit dem 14. Jahrhundert von der allgemeinen "Narrenfigur" zu unterscheiden. Das eine ist eine Stellung bei Hofe, die eines Entertainers, eines Spaßmachers und Zeitvertreibers. Das andere ist eine religiöse/philosophische Anschauung, dernach der Narr allgemein (spätestens seit dem 12. Jahrhundert) für Gottesferne, sündhaftes Leben und Vergänglichkeit steht. Jedoch gilt als gesichert, dass der Hofnarr für seinen Herrn auf die religiöse Deutung als Erinnerer an die Vergänglichkeit zurückgeht. Im 14. Jahrhundert kam jedoch mehr und mehr in Mode, sich neben den "natürlichen Narren" auch Spaßmacher zu halten. Als Beispiel dient hier der Lieblingshofnarr Kaiser Maximilians (gestorben 1519), Kunz von der Rosen, ein intelligenter Mann, der es verstand, sich durch seine Späße und seine Anmerkungen nicht selten zum Nachdenken anregte: So wurde er ein mal vom Rat des Kaisers befragt, was er von einem Friedensangebot halte. Von der Rosen antwortete darauf mit der Frage, wie alt er geschätzt werde. Nach einigen Versuchen sagte er, dass er schon über 200 Jahre alt sei, da er schon mindestens zwei Friedensangebote in Kraft treten hätte sehen, die beide über 100 Jahre abgeschlossen wurden. Nichtsdestotrotz hielten sie die Fürsten auch weiterhin "natürliche Narren". Hierbei kann ein Narr namens Claus Narren von Rannstedt genannt werden, einem stiernackigen, verwirrten Mann, der an verschiedenen Höfen in der Gegend des heutigen Sachsens mehr oder weniger "herumgereicht" wurde.
Der Narr heute
Heute wird der Begriff Narr als abwertende Bezeichnung für Menschen verwendet, die sich unvernünftig verhalten.
Siehe auch: Clown, Narr (Tarot), Jeck
Literatur
Mezger, Werner u.a.: Narren, Schellen und Marotten, Elf Beiträge zur Narrenidee, Remscheid 1984.
Mezger, Werner: Hofnarren im Mittelalter, Vom tieferen Sinn eines seltsamen Amts, Konstanz 1981.
Mezger, Werner: Das große Buch der schwäbisch-alemannischen Fasnet, Ursprünge, Entwicklungen und Erscheinungsformen organisierter Narretei in Südwestdeutschland, Stuttgart 1999.
Mezger, Werner: Narrenidee und Fastnachtsbrauch, Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur (= Konstanzer Bibliothek, hg.v. Peter Böger u.a., Bd. 15), Konstanz 1991.
Southworth, John: Fools and Jesters at the English Court, Sutton (GB) 1998.