Hauptmann von Köpenick
Friedrich Wilhelm Voigt (* 13. Februar 1849 in Tilsit; † 3. Januar 1922 in Luxemburg) war ein aus Ostpreußen stammender Schuhmacher. Bekannt wurde er unter dem Namen Der Hauptmann von Köpenick.
Leben
Wilhelm Voigt wurde 1849 als Sohn eines Schuhmachers in Tilsit (damals Ostpreußen, heute Sowjetsk in Russland) geboren. Schon mit 14 Jahren wurde er wegen Diebstahls zu 14 Tagen Haft verurteilt. Zwischen 1864 und 1891 wurde er viermal wegen erneuten Diebstahls und zweimal wegen Urkundenfälschung verhaftet und verurteilt. Nach seiner Entlassung 1906 zog er nach Wismar, und arbeitete dort bei dem Hofschuhmachermeister Hilbrecht in der Lübschen Straße 11, bis er das Aufenthaltsverbot für das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin erhielt. Danach zog er zu seiner Schwester nach Berlin. Am 24. August 1906 wurde Wilhelm Voigt auch aus Berlin ausgewiesen, woran er sich jedoch nicht hielt.
Voigt hatte in diversen Trödelläden, u. a. in Potsdam in der Mittelstraße 3, im Holländer-Viertel, die Teile der Uniform eines preußischen Hauptmannes erworben.
Am 16. Oktober 1906 verkleidete er sich als Hauptmann, unterstellte die in der Seestraße stationierte Mannschaft der Schwimmschulwache vom Plötzensee seinem Kommando und besetzte mit ihnen das Rathaus von Köpenick. Er verhaftete den Bürgermeister Georg Langerhans, beschlagnahmte die Stadtkasse (4002 Mark, 37 Pfennige, wobei 1,67 Mark zum Sollbestand des Kassenbuches fehlten). So ergab sich eine Rechnung laut Aktenlage: 4000,70 minus 443,25 Mark eingelöster Anleihscheine. Diese Summe ließ er aber liegen und flüchtete mit dem Vorortzug und der in ein Säckchen gefüllten Geldsumme von 3557,45 Mark nach Berlin. Bei den Geldsummen gibt es immer wieder verschiedene Angaben, ebenso über sein Motiv des Überfalls. Seine nächste Etappe war die Friedrichstraße/Ecke Schützenstraße, wo er sich bei einem Herrenausstatter zivile Kleidung beschaffte. Zuvor erteilte er noch der Polizei den Befehl, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Zehn Tage später wurde er verhaftet und durch das Landgericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Da Kaiser Wilhelm II. ihn begnadigte, wurde er am 16. August 1908 vorzeitig aus der Haftanstalt Tegel entlassen.
Nach der Haftentlassung
1909 ging er nach Luxemburg, der Hauptstadt des Großherzogtums Luxemburg. Dort wohnte er in der Neippergstraße Nr. 5, erhielt am 1. Mai 1910 einen luxemburgischen Ausweis und arbeitete überwiegend als Kellner und Schuhmacher. Gelegentlich trat er auch im Zirkus als Hauptmann von Köpenick auf und verkaufte dabei Autogrammkarten. Die Köpenickiade machte ihn weltbekannt, so dass er in „Tourneen“ u. a. in Kanada, USA und Frankreich auftrat und ihm zu Ehren später auch eine Figur bei Madame Tussaud aufgestellt wurde.
Tod
Am 3. Januar 1922 verstarb er im Alter von 72 Jahren völlig verarmt in Luxemburg und wurde auf dem dortigen Liebfrauenfriedhof begraben.
Sein Grab in Luxemburg
Der Zirkus Sarrasani kaufte 1961 das Grab von Wilhelm Voigt für 15 Jahre und stiftete zugleich einen Grabstein. Dieser zeigte die bissige Karikatur des Kopfes eines offensichtlich deutschen Soldaten mit Pickelhaube und mit zum Austeilen von Befehlen geöffneten Mund, umrahmt von der Aufschrift: „Der Hauptmann von Köpenick“.
Seit 1975 wird das Grab von der Stadt gepflegt und auf Betreiben einiger Abgeordneter des Europäischen Parlamentes wurde auch zugleich der Grabstein erneuert. Er zeigt nun eine Pickelhaube und die Aufschrift „HAUPTMANN VON KOEPENICK“. Darunter steht noch kleiner „Wilhelm Voigt 1850–1922“, wobei hier das Geburtsdatum falsch angegeben wurde.
Das Haus, in dem er bis zu seinem Tode wohnte, kann nicht mehr besichtigt werden, da es mittlerweile abgerissen worden ist.
Zeitgenössische Resonanz
Ganz Deutschland lachte über die Affäre. Einige wurden aber auch nachdenklich. Konnte es wirklich sein, dass ein Soldat ohne jegliche Legitimation außer seiner Uniform die Zivilgewalt außer Kraft setzte? Viele sahen in diesem Vorfall ein Symptom für die bedenkliche Rolle des Militärs im Reich.
Nicht so der Kaiser. Er lachte auch. „Das soll uns mal jemand nachmachen“, soll er gesagt haben.
In gewisser Weise war die Begebenheit ein komödianter Vorläufer der Zabern-Affäre.
Theaterstück und Verfilmung
Carl Zuckmayer schrieb 1930 nach dieser Geschichte die dreiaktige Tragikomödie Der Hauptmann von Köpenick. Ein deutsches Märchen, die am 5. März 1931 am Deutschen Theater Berlin in der Regie von Heinz Hilpert mit Werner Krauss in der Titelrolle uraufgeführt wurde.
Das Stück behandelt im zweiten und dritten Akt die Zeit um den spektakulären Überfall und im ersten ein Stück Vorgeschichte zehn Jahre vorher. Neben kleineren Änderungen (so wird Voigts Geburtsort in die Nähe der Wuhlheide verlegt, sodass Voigt Berliner Dialekt spricht), besteht der Hauptunterschied des Stückes zur Wirklichkeit in der Stilisierung Voigts zum „edlen Räuber“ – allerdings hatte auch der reale Voigt die Stadtkasse ja nicht angerührt. So ist das Motiv für seinen Überfall ausschließlich der Pass, den er, um wieder ein normales Leben zu beginnen, dringend braucht und der während des ganzen Stückes und auch in der Vorgeschichte sein Ziel gewesen ist – wobei er nicht bedacht hat, dass er dafür ein Kreisamt hätte überfallen müssen – und er stellt sich, die Stadtkasse fast unangetastet, am Ende der Polizei, wobei er sich allerdings für die Zeit nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis einen Pass versprechen lässt.
Dadurch, dass Voigt die Uniform, anders als in der Wirklichkeit, „am Stück“ erwirbt – an sich eher eine banale Änderung – hat diese eine Geschichte und mehrere Vorbesitzer, sodass Zuckmayer, indem er diese vorstellt, nicht nur die Vorgeschichte einiger Nebenpersonen (des Köpenicker Bürgermeisters beispielsweise) erzählen, sondern auch die Gelegenheit zu einer Karikatur der kaiserlichen Armee und vor allem der Gläubigkeit an diese besser nutzen kann. Er zeigt die Allgegenwärtigkeit des Militärs vom Uniformhandel über stolze Reserveoffiziere und die Frage bei der Arbeitssuche „Wo hamse gedient?“ bis hin zu den grotesken militärischen Rollenspielen, die der Gefängnisdirektor seine Sträflinge, darunter auch den sich hier sehr hervortuenden Voigt, zur Feier des Jahrestages der Schlacht von Sedan aufführen lässt. Dass diese Darstellung zwar vielleicht etwas übertrieben, aber im Kern wohl zutreffend ist, zeigt der Vergleich mit Wilhelm II..
Daneben lässt auch die extrem unsympathische Darstellung des jüdischen Uniformschneiders A. Wormser und die wesentlich sympathischere, dafür aber umso geschäftstüchtigere des ebenfalls jüdischen Krämers Krakauer Schlüsse auf die latente leicht antisemitische Einstellung und die entsprechenden Vorurteile der Weimarer Republik zu.
Zuckmayers Stück wurde, beginnend mit dem Jahr seiner Uraufführung (mit Max Adalbert in der Titelrolle), mehrfach verfilmt – unter anderem mit Heinz Rühmann (1956), Rudolf Platte (1960; TV) und Harald Juhnke (1997).
Im Filmarchiv in Berlin existiert ein Originalfilmdokument mit Wilhelm Voigt.
Siehe auch:
Literatur
- Winfried Löschburg: Ohne Glanz und Gloria – Die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick. Ullstein, 1998. ISBN 3-548-35768-7.
Weblinks
- Historische Daten und Fakten der Köpenickiade (Deutsch und Englisch)
- Der historische „Hauptmann“ (Zusammenstellung von Zitaten aus Forschung, Presse und Literatur)
- Multimediale Darstellung der Episode in der Preussen-Chronik des RBB
- Dauerausstellung im Heimatmuseum Köpenick
- Hauptmannsdarsteller Jürgen Hilbrecht
- Übersicht der Filme in der IMDb
- Internetpräsentation der Gefangenen der Haftanstalt Tegel von 2000
Personendaten | |
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NAME | Voigt, Friedrich Wilhelm |
ALTERNATIVNAMEN | Hauptmann von Köpenick |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-luxemburgischer Schuhmacher und Hochstapler |
GEBURTSDATUM | 13. Februar 1849 |
GEBURTSORT | Tilsit |
STERBEDATUM | 3. März 1922 |
STERBEORT | Luxemburg |