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Traumnovelle

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Die Traumnovelle ist eine Novelle von Arthur Schnitzler aus dem Jahr 1926.

Schnitzler beschreibt in dieser Novelle die scheinbar harmonische Ehe von Fridolin, einem Arzt, und Albertine, unter deren Oberfläche beide von ungestillten erotischen Begierden heimgesucht werden, die sich durch wechselseitige Entfremdung zu einer Ehekrise auswachsen.


Inhalt

Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Ehe von Fridolin und Albertine, den beiden Hauptpersonen. Die beiden leben zusammen mit ihrer kleinen Tochter in Wien. Schon zu Beginn des Buches gestehen sie sich gegenseitig, dass sie sich schon mehrere Male zu anderen außerehelichen Personen hingezogen fühlten. An diesem Abend wird der Arzt Fridolin wegen eines medizinischen Notfalls gerufen, und er verlässt die eheliche Wohnung. Dies bedeutet für ihn den Anfang einer voller Überraschungen steckenden nächtlichen Tour mit verschiedenen erotischen Bekanntschaften, die aber alle nie zur Erfüllung kommen. Es hat den Anschein als sei dieses auf eine Angst Fridolins vor der Erfüllung seiner Wünsche zurückzuführen, was sich auch schon in der ,,nie gekannten Bewegung" zeigte, welche ihn an den Rand einer Ohnmacht bringt, als er damals am Strand einem halbnackten, verführerischen Mädchen gegenüberstand: Zuerst muss er den Tod eines Patienten feststellen, daraufhin gesteht ihm die Tochter des Verstorbenen ihre Liebe. Fridolin muss sie enttäuschen, weil er ihre Gefühle (angeblich) nicht erwidert. Da Fridolin noch nicht nach Hause gehen möchte, entschließt er sich zu einem Spaziergang, wobei er in den Armen einer jungen Prostituierten landet, es durch vorgeschobene Ausreden aber wieder nicht zum Verkehr kommt. Schließlich trifft er einen alten polnischen Freund, der ein hervorragender Pianist ist, in einer Kneipe wieder. Dieser erzählt ihm von geheimen Veranstaltungen, wo er engagiert wird. Fridolin interessiert sich sofort für diese Treffen. Obwohl dem Pianisten dort die Augen verbunden werden, weiß er zu berichten, dass die Teilnehmer der Veranstaltungen maskiert und die Frauen auch noch nackt sind. Fridolin möchte seinen Freund zu diesen Treffen begleiten, er leiht sich ein Kostüm, wobei er noch Zeuge einer aufregenden Szene der gestört - leichtlebigen Tochter des Kostümverleihers wird. Anschließend verrät ihm sein polnischer Bekannter die Parole, die er benötigt, um zu dem Treffen zugelassen zu werden. Dort angekommen trifft er eine verschleierte Frau, die ihn sehr beeindruckt. Sie warnt ihn: falls er bleibe und es erkannt wird, dass er ein Fremder sei, würde ihm Furchtbares widerfahren. Gebannt von der fremden Frau beschließt Fridolin trotz der Warnung zu bleiben; er wird als Eindringling entlarvt und bevor die geheime Gesellschaft ihn dafür bestraft, erklärt sich die fremde Frau bereit, sich an seiner Stelle bestrafen zu lassen. Er muss das Haus verlassen und kehrt tief in der Nacht nach Hause zurück. Dort weckt er seine Gattin Albertine aus einem Traum auf. In diesem ist sie ihrem Mann untreu geworden, der, obwohl er sich des Seitensprungs seiner Frau bewusst war, sich aus Liebe und aus Treue zu ihr hat foltern und töten lassen. Sie empfand weder Mitleid noch Scham für ihn, sie verspottete und verhöhnte ihn nur. Am folgenden Tag sucht Fridolin erneut alle Personen, die er in der Nacht getroffen hatte, auf und er versucht das Rätsel der geheimen Gesellschaft zu lösen. Dies gelingt ihm nicht. Später liest er in einem Café eine Zeitung, in der die Todesnachricht einer jungen Baronin steht. Verfolgt von dem Verdacht, dass diese Frau seine Retterin der vergangenen Nacht sein könnte, stellt er Nachforschungen an. Durch seine Beziehungen als Arzt, hat er die Möglichkeit den Leichnam der jungen Frau zu sehen, doch als sie dann vor ihm liegt, ist er sich nicht sicher, ob sie die Angebetete der vorigen Nacht ist. Nachdenklich kehrt er nach Hause zurück, wo er sich entschließt, seiner Ehefrau Albertine von den Ereignissen der vorigen Nacht zu erzählen. Durch diese Aussprache hat sich die Entfremdung der beiden zueinander gelöst, und sie sind bereit einen Neuanfang zu wagen.

Das Geheimnisvolle dieser Novelle rührt von der Entdeckungsreise ins Selbst her, die Fridolin unternimmt, einen Abstieg in die Tiefen seiner eigenen Psyche, und den Veränderungen in den Beziehungen zwischen Menschen. Sie verkörpert eine Fülle von psychologischer Metaphorik und Symbolismus – vermittelt aber den Protagonisten in der abschließenden Aussprache die Erkenntnis der Gefährdung ihrer Beziehung durch das Unterbewusstsein und ihre Bewältigung.

Schnitzlers Novelle wurde 1999 von Stanley Kubrick als Eyes Wide Shut mit Nicole Kidman und Tom Cruise in den Hauptrollen verfilmt.

Personencharakteristik

Die beiden zentralen Figuren in dieser Novelle sind Fridolin und Albertine. Sie sind verheiratet und es scheint, als ob sie eine intakte Beziehung führen. Jedoch wird in der Novelle deutlich, dass ihre Beziehung Gefahr läuft zu scheitern, da sie beide in Gedanken erotischen Verlockungen anderer erliegen.

Albertine repräsentiert die "typische" Frau um die Jahrhundertwende. Sie hat früh geheiratet und musste ihre Triebe unterdrücken, weil sie jungfräulich in die Ehe gehen sollte. Jetzt, wo sie älter geworden ist, empfindet sie die frühe Hochzeit und die sexuelle Unterdrückung als Verlust eines ausgedehnten Lebens einer jungen Frau. Den Verzicht, den sie erlebt hat, versucht sie durch ihren Traum von einem Liebesabenteuer mit einem fremden Mann zu kompensieren. Sie macht Fridolin für ihren Triebverzicht verantwortlich. Das zeigt sich dadurch, dass sie in ihrem Traum kein Mitleid empfindet, als er gefoltert wird. Stattdessen macht sie sich über ihn lustig. Man könnte die erträumte Folter an ihrem Mann also als Rache betrachten.

Fridolin ist dem patriarchalistischen Denken verfallen. Er umsorgt seine Frau nach der typischen Rollenverteilung und merkt gar nicht, dass er sie dadurch entmündigt. Er denkt, seine soziale Fürsorglichkeit könne den Triebverzicht seiner Gattin ausgleichen, ohne zu merken, dass diese Annahme unzutreffend ist. Fridolin begegnet in den zwei Nächten, die er verbringt, vielen Personen. Doch bei keiner Begegnung kommt es zu einem Ende, immer bleiben Fragen offen (z.B. Was passiert mit der Tochter des Kostümverleihers?). Auf der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen versagt Fridolin.

Interpretation

Zentraler Konflikt

Der zentrale Konflikt in dieser Geschichte ist die gedankliche Untreue. Fridolin und Albertine merken, dass sie sich zu anderen außerehelichen Personen hingezogen fühlen und sich Liebesszenen mit diesen vorstellen. Daraus erfolgt eine Entfremdung der beiden voneinander. Diese Entfremdung könnte das Ende der Beziehung bedeuten, doch in diesem Fall findet das Ehepaar wieder zueinander.

Leitmotiv

In dieser Novelle ist das Leitmotiv der Traum. Der Traum gilt als ein Medium der Erkenntnis, da man in ihm verborgene Empfindungen aufspürt. So erkennt Albertine im Traum, dass ihre Beziehung zu Fridolin, aufgrund der vielen erotischen Verlockungen im Alltag, gefährdet ist. Diese Gefährdung wird durch Fridolins Erlebnisse angedeutet, jedoch durch Albertines Traum vertieft. Im Traum erkennt das Unbewusste etwas, was im wachen Zustand unerkannt bleibt. Die Maskenbälle der geheimen Gesellschaft verkörpern einen Anspruch des Einzelnen auf Unverwechselbarkeit. Doch nur die Männer erheben diesen Anspruch (nur sie sind maskiert), die Frauen befinden die Individualität für unbedeutend (sie sind nackt).

Literaturgeschichtliche Einordnung

Die "Traumnovelle" (1926) ist ein Resultat von einer langjährigen Beschäftigung Schnitzlers mit der Psychoanalyse. Diese sieht er als wesentlich für seine Arbeit an, denn mit ihrer Hilfe kann er Individuen analysieren und sie in ihrer sozialen und emotionalen Beziehung zu anderen Menschen darstellen. Schnitzler glaubt an die Existenz des Unbewussten, und damit eröffnete er zu seiner Zeit den Weg zu völlig unbekannten, neuen Erkenntnissen. Er behandelt in seinen Werken die Rollenbeziehung zwischen Menschen, insbesondere die zwischen Mann und Frau. Zur gleichen Zeit wie Schnitzler lebte und arbeitete auch Sigmund Freud in Wien. Er ist der Begründer der Psychoanalyse, der als psychologischer und medizinischer Wissenschaftler vorgeht, Schnitzler tut dies dagegen auf literarischer Ebene. Schnitzler folgt Freud auch in dessen besonderen Interessen für die Traumdeutung.