Strafvollzug
Der Strafvollzug ist der im Rahmen des Strafvollstreckungsverfahrens erfolgende Vollzug der Freiheitsstrafe. Er wird durch das Strafvollzugsrecht geregelt. Strafvollzug erfolgt in Gefängnissen, die in Deutschland Justizvollzugsanstalten (JVA), in Österreich Strafvollzugsanstalten und in der Schweiz Strafanstalten heißen.
Deutschland
Der deutsche Strafvollzug wird durch das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) und bundeseinheitliche Verwaltungsvorschriften geregelt. In § 2 Satz 1 StVollzG ist als „Vollzugsziel“ die Resozialisierung festgeschrieben. Darüber hinaus gehört zu den weiteren Aufgaben des Strafvollzugs der Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten (§ 2 Satz 2 StVollzG). Den Bundesländern obliegt die Aufgabe, den Strafvollzug in diesem Rahmen zu organisieren. So gibt es erhebliche Unterschiede in der Praxis der einzelnen Länder.
Strukturen des deutschen Strafvollzugs
Gegenstand des deutschen Strafvollzugs ist die Vollstreckung der gerichtlich verhängten Freiheitsstrafe. Nicht zum Strafvollzug gehören der Maßregelvollzug (Vorlage:Zitat-dej, Vorlage:Zitat-dej Strafgesetzbuch), die Sicherungsverwahrung gemäß Vorlage:Zitat-dej StGB, die Untersuchungshaft, der Vollzug der Jugendstrafe und die Abschiebehaft. Untersuchungshaft, Sicherungsverwahrung und gelegentlich auch Abschiebehaft werden in Justizvollzugsanstalten vollzogen, die Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB in psychiatrischen Krankenhäusern und Entziehungsanstalten, die Jugendstrafe in besonderen Justizvollzugsanstalten für jugendliche Täter.
Offener oder geschlossener Vollzug
Nachdem die Verurteilung rechtskräftig geworden ist, kommt der Inhaftierte in eine Anstalt des offenen oder des geschlossenen Vollzuges. Während der Haft ist ein Wechsel zwischen beiden Einrichtungen möglich.
Das Strafvollzugsgesetz schreibt in § 10 vor, dass ein Gefangener im offenen Vollzug untergebracht wird, wenn keine Befürchtung besteht, dass der Gefangene entweichen oder die besonderen Möglichkeiten missbrauchen würde. Die Kriterien zur Entscheidung, ob einem Gefangenen die Fähigkeit zur Einhaltung der Regeln zugetraut wird, sind je nach Bundesland unterschiedlich festgelegt.
War der Verurteilte zum Zeitpunkt der Verurteilung in Straf- oder Untersuchungshaft oder handelt es sich um einen Rückfalltäter, wird die Freiheitsstrafe meist im geschlossenen Vollzug vollstreckt. Wenn der Gefangene während der Haft als nicht fluchtgefährdet und nicht für die Gemeinschaft gefährlich eingeschätzt wird und an der Umsetzung des Vollzugsziels mitarbeitet, kann er in den offenen Vollzug verlegt werden. Umgekehrt werden Gefangene in den geschlossenen Vollzug (zurück) verlegt, wenn sie Regeln missachten. Die Interpretation des im Strafvollzugsgesetz gegebenen Entscheidungsspielraums zeigt unter anderem in Abhängigkeit von politischen Grundeinstellungen eine erhebliche Bandbreite.
Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplan
Zu Beginn des Strafvollzuges wird mit Beteiligung des Gefangenen eine Behandlungsuntersuchung nach § 6 StVollzG durchgeführt. Hier erfasst man das Verhältnis des Gefangenen zu seiner Tat bezüglich Schuldeinsicht und Erklärungsversuchen, zu den Lebensumständen vor der Tat und in der Sozialisation sowie seine Möglichkeiten und Grenzen der Resozialisierung während der Verbüßung.
Bei Gewalt- und Sexualstraftätern wird besonders gründlich verfahren, indem die psychische Verfassung und die Bedeutung evtl. vorhandener Persönlichkeitsdefizite für das Tatgeschehen und das Verständnis der Person mittels Psychodiagnostik beschrieben werden. Hierzu werden gegebenenfalls alle verfügbaren Informationsquellen (z.B. Urteil, Gutachten, Auszug aus dem Bundeszentralregister) herangezogen.
Dies mündet in einen Vollzugsplan, der den Verlauf der Haft bezüglich individueller Ziele (z.B. Arbeit, Ausbildung, schulische Bildung, Förderung sozialer Kontakte, Indikation psycho- oder sozialtherapeutischer Behandlung, Lockerungseignung) etc. skizziert. Der Vollzugsplan wird regelmäßig fortgeschrieben um Ziele und erforderliche Maßnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern. Der Behandlungsauftrag des Strafvollzuges (§§ 2, 3, 4 StVollzG) verlangt sowohl von den JVAen Angebote der Behandlung anzubieten, als auch von dem Gefangenen, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuarbeiten.
§ 9 Strafvollzugsgesetz schreibt vor, dass Gefangene, die wegen einer Sexualtat verurteilt wurden, in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen sind, wenn die Behandlung angezeigt ist. Zur Indikation der sozialtherapeutischen Behandlung gehört, dass der Gefangene einen Bearbeitungsbedarf sieht und die Motivation hat, an seinen Schwierigkeiten zu arbeiten. Ist dies nicht gegeben, wird er in den Normalvollzug verlegt, allerdings ist weiterhin zu versuchen, die Motivation zur Mitarbeit zu wecken und über eine Verlegung zu entscheiden (§7.4 StVollzG).
Der erste Vollzugsplan ist in der Regel wesentlich umfangreicher als die folgenden Fortschreibungen.
Mit Blick auf Lockerungen (Ausgang, Urlaub) können im Vollzugsplan konkrete Zeiten und Kriterien festgelegt werden, an denen sich Gefangene orientieren können. Bei Gewalt- und Sexualtätern wird meist jedoch lediglich auf einen Zeitpunkt verwiesen, an dem Lockerungen geprüft werden, was nicht mit Gewährung von Lockerungen gleichzusetzen ist. Die Prüfung der Lockerungen fällt je nach Art des bedrohten Rechtsguts (also einer zu befürchtenden Straftat im Falle des Versagens des Gefangenen) unterschiedlich gründlich aus. Hier wird vor allem geprüft, inwieweit der Gefangene an der Erreichung des Vollzugsziels mitarbeitet, also sich mit seiner Tat und seinen künftigen Lebensumständen angemessen auseinander setzt.
Gefangene, die eine Tat leugnen oder dazu nicht Stellung beziehen, erhalten meist keine Lockerungen oder eine vorzeitige Entlassung, weil die potentielle Gefährdungslage bezüglich möglicher gleichartiger Straftaten nicht geklärt werden kann. Bei dieser Einschätzung wird grundsätzlich von der Richtigkeit der im Urteil festgestellten Umstände ausgegangen, wodurch die Gefahr ungeprüft bleibt, ob möglicherweise ein Justizirrtum vorliegen könnte und der Gefangene einer besonderen Härte ausgesetzt wird.
Vollzugslockerungen: Ausführung, Ausgang und Urlaub
Zu Lockerungen zählen das begleitete Verlassen der Anstalt (Ausführung) oder eigenständige Aufenthalte außerhalb ohne unmittelbare Begleitung, also Freigang zur Arbeit, Ausgang und Urlaub (§§ 11, 13, 15 StVollzG).
Ausführungen stellen oft erste Schritte in Richtung selbständiger Lockerungen dar. Bei besonders langstrafigen, z.B. zu lebenslanger Haft verurteilten Gefangenen, werden gegebenenfalls über Jahre hinweg zunächst nur gesicherte Ausführungen zur Motivationsförderung gewährt.
Neben Ausgängen können Gefangene bis zu 21 Tage Urlaub im Jahr erhalten. Dieses Kontingent wird im offenen Vollzug meist ausgeschöpft. Im geschlossenen Vollzug wird in der Vollzugsplanung skizziert, wie viele Ausgänge und Urlaube gewährt werden, bevor der Gefangene nach dieser Vorbereitung in einen offenen Vollzug verlegt wird.
Reststrafengesuch
Zum Halbstrafenzeitpunkt, jedenfalls aber zum 2/3-Termin kann der Inhaftierte einen Antrag auf Reststrafenaussetzung an die Strafvollstreckungskammer des für ihn zuständigen Landgerichts stellen, vgl. 57 StGB. Der Antrag wird zum 2/3-Termin von der Haftanstalt routinemäßig insofern unterstützt, als dass die Haftanstalt dem Inhaftierten ein Formular vorlegt, auf dem er unterschreiben kann, dass er den 2/3-Antrag (das Reststrafengesuch) stellt oder dass er darauf verzichtet. Wer nicht mit Bewährung vorzeitig entlassen werden möchte, sondern seine Strafe lieber vollständig verbüßen möchte, kann dies tun. Die meisten Inhaftierten machen sich jedoch große Hoffnungen auf eine vorzeitige bedingte Haftentlassung.
- Der Antrag auf Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB muss an die Strafvollstreckungskammer gestellt werden. In der Praxis wird der Antrag bereits in der Justizvollzugsanstalt gestellt und dann der Staatsanwaltschaft zugeleitet, die als Vollstreckungsbehörde im Rahmen eines Reststrafengesuchs immer angehört wird. Die Staatsanwaltschaft fordert von der Haftanstalt eine Stellungnahme ab, die der zuständige Gruppenleiter abgibt, und fügt eine eigene Stellungnahme hinzu, die meistens nur ein Einzeiler ist. Die Staatsanwaltschaft schließt sich in 99 % aller Fälle der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt an, wenn keine eigenen Erkenntnisse über den Inhaftierten vorliegen. Dann leitet die Staatsanwaltschaft den Antrag an das Landgericht weiter.
- Der Antrag auf Reststrafenaussetzung kann schon einige Zeit vor dem jeweiligen Zeitpunkt gestellt werden, allerdings läuft der Antragsteller bei zu frühzeitig gestellten Anträgen Gefahr, diesen einfach abgelehnt zurückzubekommen, wenn noch zu lange Zeit ist bis zum erhofften Entlassungstermin. Insbesondere bei den nur ganz ausnahmsweise möglichen Halbstrafen-Anträgen nach 57 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB muss der Inhaftierte darauf achten, dass die Strafvollstreckungskammern auch verstehen, dass er einen Ausnahmefall geltend macht. Dem ist förderlich, wenn die Haftanstalt eine befürwortende Stellungnahme am besten dem Antrag mit beifügt (was, wie beschrieben, selten geschieht).
- Das Reststrafengesuch kann auch jederzeit nach Verstreichen des 2/3-Termins gestellt werden, wenn keine Sperre von der Strafvollstreckungskammer verhängt wurde. Die Strafvollstreckungskammer verhängt eine solche Sperre meist nicht schon nach dem ersten abgelehnten Reststrafengesuch, es sei denn, der Inhaftierte hat den Eindruck erweckt, den Antrag missbräuchlich gestellt zu haben, d. h. also wenn der Antrag gänzlich ohne Aussicht auf Erfolg gestellt wurde und, wie leider nicht selten, ganz andere Beschwerden vorgetragen wurden und / oder der Inhaftierte den Anhörungstermin vor dem Gericht wiederholt nicht wahrgenommen hat.
Gnadengesuch
Sollte ein Reststrafengesuch für den Inhaftierten ohne Erfolg geblieben sein oder eine außerordentliche Situation eintreten, aufgrund derer der Inhaftierte unbedingt vorzeitig entlassen werden möchte, kann erwogen werden, eine gnadenweise vorzeitige bedingte Haftentlassung zu beantragen (Gnadengesuch). Es sind sehr viele Möglichkeiten von gnadenweisen Erlassen denkbar und möglich. Die Praxis ist jedoch langwierig und der Erfolg spärlich. Nahezu alle Gnadengesuche werden abgelehnt.
Entlassungsvorbereitung
Zur Vorbereitung der Entlassung können zusätzliche Ausführungen, Ausgänge und Urlaube sowie Hilfen zur Vorstellung bei Arbeitgebern, zur Wohnungssuche etc. gegeben werden. Die Entlassungsvorbereitungen sollten spätestens 3 Monate vor dem voraussichtlichen Haftende beginnen. Bei Freigängern, also lockerungsberechtigten Gefangenen, können diese bereits 9 Monate vor Strafende beginnen (§ 15 StVollzG).
Entlassung
Im Falle einer vorzeitigen Entlassung, die unter der Bedingung stattfindet, dass der Verurteilte in der dann verhängten Bewährungszeit nicht erneut straffällig wird und sich ggf. auch an Bewährungsauflagen hält, endet der Strafvollzug; und nach Ende der Bewährung wird die Reststrafe durch einen Beschluss des Strafgerichts erlassen.
Bei Vollverbüßung wird der Inhaftierte meist auch nicht bis zum berüchtigten "letzten Tag" absitzen, weil es auch im Rahmen von strukturellen Maßnahmen der jeweiligen Justizministerien Möglichkeiten für so genannte „Amnestien“ gibt. Eine solche „Amnestie“ ist normalerweise als gnadenweiser Erlass eines Teils der erkannten Strafe ausgestaltet. Es werden solche Inhaftierte vorzeitig und unter Verzicht auf die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe entlassen, wenn die Reststrafe nur noch recht kurz ist. Zu so einer Amnestie (z. B.: Amnestie der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin für das Jahr 2005) werden Inhaftierte durch die Haftanstalt selbst „zugelassen“. Das mag rechtsstaatlich fraglich erscheinen, Gnadenentscheidungen sind jedoch nicht justiziabel. Die Justizministerien verwalten ihre aus Anlass einer „Amnestie“ erlassenen Regelungen zur genauen Ausgestaltung des dann fälligen Gnadenverfahrens demgemäß als interne Vorschriften, die der Öffentlichkeit, also auch dem Inhaftierten und auch dessen Verteidiger (ggf.) nicht bekanntgegeben werden.
Nach der Entlassung erhält der Inhaftierte seine so genannte "Brücke", das ist das Geld, das in der Strafhaft zwangsweise vom Inhaftierten angespart wurde. Es handelt sich um eine Summe über 1.000 Euro, mit der beispielsweise der Einzug in die hoffentlich schon im Rahmen der Entlassungsvorbereitung gefundene neue Wohnung finanziert werden soll und wohl auch die Mühen und Nöte eines meist von dem normalen Alltag entwöhnten Menschen für den Anfang gelindert werden sollen. Das Sozialamt zahlt erst auf Antrag hin, wenn der ehemalige Inhaftierte nicht bereits eine Arbeitsstelle gleich gefunden hat.
Zentrale Einrichtungen in Deutschland
Im rheinland-pfälzischen Wittlich gibt es eine Justizvollzugsschule, in der auch ein Justizvollzugsmuseum eingerichtet ist.
Neuere Entwicklungen in Deutschland
Nach der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD (2005) sollen die Länder im Rahmen der Föderalismusreform in Zukunft auch für die Strafvollzugsgesetzgebung zuständig sein. Dies ist umstritten, weil es geeignet erscheint, die Rechtseinheit im Strafrecht aufzulösen und die bestehenden Unterschiede im Vollzug zu vergrößern. Einige Landesregierungen beabsichtigen, das Resozialisierungsziel zu relativieren. (Stand: Februar 2006)
Siehe auch
Justizvollzugsanstalt, Gefängnis, Haft, Strafe, Freiheitsstrafe, Sanktion, Strafvollzugsgesetz, Strafgesetzbuch (Deutschland), Strafgesetzbuch (Österreich), Strafgesetzbuch (Schweiz), Gefangener, Strafgefangener, Gefängnis-Jargon
Weblinks
- Knast.Net – Informationen zum Strafvollzug
- Linkkatalog zum Thema Strafvollzug bei curlie.org (ehemals DMOZ)
- [1] – Informationen für Angehörige zum Strafvollzug in Österreich