Lübeck-St. Jürgen
St. Jürgen ist ein Stadtteil von Lübeck vor dem ehemaligen Mühlentor im Süden außerhalb der ehemaligen Stadtmauern. Der Name entspricht wie bei St. Lorenz und St. Gertrud dem Patron (St. Jürgen = St. Georg) der Vorstadtkirche, die im Fall von St. Jürgen eine ehemals dem Lübecker Dom zugeordnete Kapelle ist.
Ausdehnung, Grenzen
Der Stadtteil umfasst die Bezirke Hüxtertor-Mühlentor-Gärtnergasse, Strecknitz-Rothebeck, Blankensee, Wulfsdorf, Beidendorf, Krummesse, Kronsforde, Niederbüssau, Vorrade, Schiereichenkoppel und Oberbüssau. Räumlich wird das Gebiet im Norden durch den Elbe-Lübeck-Kanal, im Osten durch die Wakenitz und im Süden und Osten durch die Stadtgrenzen bestimmt. Durch den Stadtteil verläuft auch ein Teil der mittelalterlichen Außengrenze Lübecks, der Landgraben als Teil der die Stadt außerhalb noch einmal umschliessenden Landwehr zwischen Wakenitz, Stecknitz und Trave unter Ausnutzung der natürlichen Geographie von Gewässerläufen, teilweise aber auch als künstlicher Wassergraben. An der Ratzeburger Allee steht noch die alte Zollstation in der Niederung der Au zur Wakenitz hin.
Geschichte
Der Kern der Gebiete gehörte bereits seit dem Wiederaufbau der Stadt 1159 unter Heinrich dem Löwen zur Stadt und dem Bistum Lübeck. 1747 kamen im Vergleich mit König Georg I. von Großbritannien als Herzog von Lauenburg endgültig auch Blankensee, Wulfsdorf und Beidendorf, sowie Falkenhusen und Mönkhof zum Gebiet hinzu. Die amtliche Namensgebung erfolgte vermutlich 1849 anläßlich der Einteilung der Wahlbezirke für das 1848 verankerte gleiche Bürgerschaftswahlrecht. St. Jürgen wurde damals jedoch noch mit dem innerstädtischen Johannis-Quartier zum vierten Wahlbezirk zusammengefasst. Eigenständiger Stadtteil wurde St. Jürgen mit Erlass der "Verordnung, die Gränzen der Vorstädte und die Anwendung der desfallsigen Bestimmungen auf die davon berührten Verhältnisse betreffend" im März 1861. Am 18. März 1932 wurde die Landgemeinde Stecknitz u.a. mit dem Mönkhof, Falkenhusen, den an der Wakenitz gelegenen drei Fischerbuden, Müggenbusch und Absalomshorst eingemeindet.
Die heutige Einteilung geht auf einen Bürgerschaftsbeschluss vom 28. September 1972 zurück, in dessen Zug statt der bisherigen 28 zehn neue Stadtteile mit Bezirkseinteilung entstanden sind. St. Jürgen hat seitdem im Vergleich zu den anderen Stadtteilen die höchste Zahl an Bezirken und die größte Fläche.
Entwicklung der Nutzung und Bebauung
Bis zur Aufhebung der Torsperre (1864) und Einführung der Gewerbefreiheit (1867)
Der kleine Teil des Gebiets östlich der heutigen Innenstadt und nördlich der heutigen Moltkestraße ist durch die Anstauung der Wakenitz durch Menschen bereits im Mittelalter erheblich umgestaltet worden. Der kleine Landzipfel - "Huk" -, den die Wakenitz umfloss und dem das Hüxtertor seinen Namen verdankt, wurde durch die erhebliche Anhebung des Wasserspiegels feucht. Sein nördlicher Teil, die Falkenwiese (Falkenstraße) wurde für die nicht unbedeutende Falkenzucht und Falkenjagd genutzt. Kaiser Friedrich II. hat 1240 einen Falken aus Lübeck bekommen.
Das übrige Gebiet südlich der heutigen Innenstadt, das durch die Ratzeburger Allee und die Kronsforder Allee erschlossen wurde, war ursprünglich mit Eichen und Buchen bewachsen. Die Wälder wurden bis Ende des 14. Jahrhunderts für den Bedarf an Werk- und Brennholz gerodet. Die Bezeichnung Kahlhorst (Kahlhorststraße), für einen Teil dieses Gebietes, beschreibt das Ergebnis dieser Rodungen, die in dieser Gegend für die Köhlereiwirtschaft vorgenommen wurden.
Die dadurch entstandene Heide wurde teils als Weide für das in der Stadt gehaltene Milchvieh genutzt. In den Straßennamen Stadtweide, Bürgerweide und Osterweide ist dies bis heute erkennbar. Weitere Teile wurden an Ackerbürger verpachtet, die ihren Hof innerhalb der Stadtmauern hatten, Landwirtschaft jedoch vor den Toren betrieben. Weiter entfernt liegende Grundstücke entwickelten sich zu Außenhöfen (Gut Strecknitz, Hof Rothebeck, Ringstedten- und Elswighof), von denen noch heute der Ringstedtenhof existiert. Andere Teile gehörten den Stiftungen (St. Jürgen und Heiligen-Geist-Hospital, St. Annen Armen und Werkhaus, St. Clemens-Kaland, Antoniusbruderschaft) und wurden von ihnen bewirtschaftet.
Gewerbliche Tätigkeit wurde vor den Stadtmauern ausgeübt, soweit sie insbesondere aus hygienischen Gründen nicht in der Stadt verrichtet werden konnte: Bleicher (Bleichenstraße), Leimsieder und Gerber vor dem Hüxtertor, Kienräucherei zur Herstellung von Druckschwärze vor dem Mühlentor.
Vom Ende des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde zunehmend Gebiete zur Anlage von Ziergärten genutzt. In derselben an an den französischen Gärten orientierten Bewegung entstanden die ersten Alleen, von denen die Lindenallee zum Gut Strecknitz bis heute erhalten ist (Peter Monnik Weg). Als die Hüxtertorallee 1746 gepflastert wurde, ließ ein Anlieger die Straße mit Linden bepflanzen. So wurde die Hüxtertorallee die erste große Allee im Stadtgebiet. Bis 1800 wurden auch die Ratzeburger Allee und die Kronsforder Allee zu Alleen ausgebaut.
Ab 1800 entstanden beidseits der Ratzeburger Allee zahlreiche Kunst- und Handelsgärtnereien und einige Sommerhäuser (u.a. das heutige Standesamt in der Ratzeburger Allee).
Weitergehender Gewerbe- und Wohnbebauung standen zunächst städtische Interessen entgegen. Zum einen sollten im Fall einer Belagerung einem Feind keine befestigten Bauten zur Verfügung stehen. Zum anderen ging es um wirtschaftliche Interessen (Zunftzwang und Akzise). Diese Beschränkungen wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufgehoben. Die Parzellierung des Gebietes ermöglichte ab 1860 Innenstadtbewohnern den Erwerb von Grundstücken. Weitere wesentliche Schritte waren die Aufhebung der Torsperre zum 1. Mai 1864, die Einführung der Gewerbefreiheit zum 1. Januar 1967 und die Abschaffung der Akzise zum 1. Januar 1875.
Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1914)
Mit Aufhebung dieser Beschränkungen wuchs St. Jürgen wie die anderen Vorstädte rasch.
Einfache, gleichartige Bebauung entstand in den ersten Jahren insbesondere in der Elswigstraße (1871 benannt).
Zwischen Kronsforder Allee und Lindescher Villa (heute Standesamt) an der Ratzeburger Allee wuchs ein großbürgerliches Villenviertel, das bis heute weitgehend geschlossen erhalten ist. Anfang der siebziger Jahre wurde als erste große Straße in diesem Viertel noch ohne staatliche Planung die heutige Stresemannstraße (1875 zuerst Friedrich-Wilhelm Straße benannt)als Stichstraße zur Ratzeburger Allee angelegt.
Ordnung in das Wachstum brachte zunächst nur 1873 ein Gesetz zur Anlage von Straßen in den Lübecker Vorstädten, das für Hauptstraßen die Anlage von Vorgärten, breiten Gehwegen und die Bepflanzung mit Alleebäumen anordnete. Ein vom Wasserbaudirektor Peter Rehder entworfener Bebauungsplan wurde erst 1894 verabschiedet. Danach wurde verbindlich das Gebiet um die heutige Stresemannstraße zum reinen Wohngebiet.
1885 kaufte die Stadt den früheren Kahlhorst-Hof und errichtete auf seinem Gelände das Allgemeine Krankenhaus (ab 1943: Städtisches Krankenhaus Süd, heute Sana-Kliniken), das am 18. Oktober 1887 eröffnet wurde. Die heutige Kalandschulde, damals noch getrennt als Knaben und Mädchenschule bezog 1886 ihr neues Schulgebäude.
Mit dem Bau des Elbe-Lübeck-Kanals, der ab 1896 gebaut und am 16. Juni 1900 eröffnet wurde, wurde der Falkendamm errichtet, der den Zufluss der höher gelegene Wakenitz in den Krähenteich abschneidet. Zischen dem Kanal und der Wakenitz entstand nördlich der Moltkestraße in wenigen Jahren ein neues Wohngebiet, dessen Straßen (Attendornstraße 1902 usw.) ihren Namen nach Bürgermeistern der Stadt Lübeck aus der Zeit des Stecknitz-Kanalbaus um 1390 erhielten.
Gleichzeitig erfolgte die erste Bebauung in der ehemaligen Gärtnersiedlung Kahlhorst (Kahlhorstraße). Hier entstand auch 1906 das Gebäude der "II. St. Jürgenschule" (heute: Kahlhorstschule).
Ab 1909 wird die Heilanstalt Strecknitz auf einem Teil der Gemarkung des Gutes Strecknitz gebaut. Die Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke wird am 24. Oktober 1912 eröffnet und löst die Irrenanstalt an der Wakenitzstraße ab. Die im Heimatschutzstil gehaltenen Gebäude, die an ostholsteinische Gutshäuser erinnern sollen, wurden symmetrisch an einer Achsenstraße angelegt, die im Osten durch den 37 m hohen Glocken-, Wasser- und Uhrenturm abgeschlossen wird.
1913 wurde das Kinderhospital nördlich des Allgmeinen Krankenhauses (Krankenhaus Süd) an der Kahlhorststraße bezogen. Die erste Lübecker Kinderklinik an der Hüxtertorallee 41 wurde dafür aufgegeben. In diesem Kinderkrankenhaus kam es 1930 zu dem Lübecker Impfunglück.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges (1945)
Die nach dem Ersten Weltkrieg herrschende große Wohnungsnot brachte auch in Lübeck eine Siedlungsbewegung hervor, die in den 20er Jahren zum Bau der Siedlungen zuerst an der Gärtnergasse (ab 1919) und an der Vorrader Straße (Rothebeck) führte. Träger der Bautätigkeit waren verschiedene Bauvereine, die "Gemeinnützige Siedlergenossenschaft eGbmH" und der "Bauverein Selbsthilfe". Die vom "Bauverein Selbsthilfe" gebauten Häuser an der Gärtnergasse und im Lerchenweg fallen noch heute durch ihre Runddächer, also Satteldächer mit nach außen gewölbten Dächern auf. Große Grundstücke im Falkenhusener Weg sollen die Selbstversorgung der Bewohner ermöglichen.
Auch in der Siedlung Kahlhorst (ab 1926) bauen die "Gemeinnützige Siedlergenossenschaft" und der "Bauverein Selbsthilfe" (Friedrichstraße usw.). In Bauvereinssiedlung in der Friedrichstraße finden sich wieder bis heute die Runddächer, jetzt aber bei zweigeschossigen Doppel- und Vierfachhäusern.
Weiter im Osten näher bei der Ratzeburger Allee entstand Kleinhaus- und Reihenhausbebauung. 1931 wurde in diesem Bereich für die erheblich gewachsene Bevölkerung der Vorstadt St. Jürgen die Klosterhofschule errichtet.
Nachdem in den Jahren 1929 bis 1932 wegen der wirtschaftlichen Depression der Siedlungsbau fast zum Erliegen gekommen war, wurde in 1935 wieder im Falkenhusener Weg eine Reihe von Häusern gebaut.
Auch die heutige Rehder-Brücke (früher Horst-Wessel-Brücke) wurde Mitte der 30er Jahre gebaut.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
50er und 60er Jahre
Wulfseck, Strecknitzer Tannen, Planetensiedlung
90er Jahre
Hochschulstadtteil, Am Bornkamp
Markante und bedeutende Gebäude
Gasometer
Kalandschule
Das heutige Gebäude wurde 1886 errichtet. Es diente zunächst als Doppelschulhaus der St. Jürgen-Knaben und der St. Jürgen-Mädchen Schule. Seit 1915 hieß die zusammengelegte Schule Erste St. Jürgen-Schule, seit 1934: Kalandschule. Seit 1976 ist die Kalandschule nur noch Grundschule.
Kahlhorstschule
Klosterhofschule
1931 im Mönkhofer Weg 95 nach den Plänen von Baurat Pieper auf dem Gelände des Klosterhofes gebaut. Konzeptionell war das Gebäude durch Ideen des Schulreformers Dr. Sebald Schwarz bestimmt. Es galt zur Zeit der Entstehung als der modernste Schulbau Deutschlands.
Lindesche Villa (Standesamt)
Das an der Ratzeburger Allee gelegene Standesamt wurde 1804 von dem dänischen Architekten Joseph Christian Lillie für den Senator Haartmann als Sommerhaus entworfen. Um das Gebäude herum entstand ein Park. 1898 wurde es durch den Augenarzt Dr. Max Linde erworben, der darin eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken von Edvard Munch, Auguste Rodin und Edouard Manet aufbaute. Munch und Linde waren befreundet. Einige bedeutende Werke von Munch entstanden deshalb in Lübeck bei Gastaufenthalten Munchs. Deshalb ist auch die Stra?e neben dem Standesamt nach diesem Maler benannt. Linde verlor sein Vermögen und seine Sammmlung 1923 in der Inflation. Das Standesamt bezog das Gebäude 1968, nachdem es von der Erbengmeinschaft Dr. Max Linde 1964 an die Stadt verkauft worden war. Ein Gruppenporträt der Kinder des Dr. Linde hängt heute im Behnhaus.
St. Jürgen Kapelle
Wasserkunst
Literatur
- Meike Müller: St. Jürgen. (Kleine Hefte zur Stadtgeschichte, hrsg. vom Archiv der Hansestadt Lübeck, Heft 14) Lübeck 1998, 2. Aufl. 2001. ISBN 3795031133
- Rolf König: Die Vorstadt St. Jürgen. Lübeck 1998. ISBN 3795012260