Kirchenschließung

Eine Kirchenschließung ist die Aufgabe eines Kirchengebäudes durch Profanierung, Umwidmung oder Abriss. Der Anlass hierzu kann der Umzug in ein anderes Gebäude, Geldmangel auf Grund von rückläufigen Kirchensteuereinnahmen, demographischer Wandel, die Schließung eines Klosters oder der Rückgang der Besucherzahlen von Gottesdiensten sein. Vereinzelt werden Kirchengebäude zu sogenannten „Kulturkirchen“ oder „Profilkirchen“ umgewidmet. Zu erzwungenen Kirchenschließungen kam es historisch beispielsweise im Rahmen der Islamischen Expansion, der Reformation, der Französischen Revolution, der Säkularisation und dem Entstehen der sozialistischen Staaten. Auch bei großflächigen Umsiedlungen (z. B. zur Errichtung von Talsperren und bei der Anlage von Tagebauen) kommen Kirchenschließungen vor. Teilweise erfolgt dann ein Neubau einer Kirche oder Kapelle im Umsiedlungsgebiet.
Historische Kirchenschließungen
Islamische Expansion
Die Islamische Expansion bedeutete das Ende der christlichen Herrschaft in Nordafrika, dem vorderen Orient und in Spanien. Im religiösen Bereich waren die Araber relativ tolerant: Anhänger der Buchreligionen – also insbesondere Christen – mussten eine spezielle Kopfsteuer (Jizya) entrichten, durften ihren Glauben behalten, jedoch nicht in der Öffentlichkeit ausüben und keine Waffen tragen bzw. wurden auch nicht zum Wehrdienst einberufen. Dieser Status wird als Dhimma bezeichnet. Abgesehen von Übergriffen während der Eroberungszüge, kam es erst später (so spürbar im 9. Jahrhundert, wo Kirchen geplündert und zerstört wurden) zu größeren Ausschreitungen von Seiten der Moslems.[1] Ebenso nahm später auch die Steuerbelastung zu. Eine wichtige Quelle für diese Repressionen stellt unter anderem die Chronik des Pseudo-Dionysius von Tell Mahre dar.[2] Auch wenn Christen geduldet wurden, gingen im Laufe der Jahrhunderte, durch die Nachteile des Bekenntnisses zur christlichen Religion, die weitaus größte Zahl der Kirchengemeinden unter. Die Diözesen wurden zu reinen Titulatdiözesen, die Kirchen wurden geschlossen.
Die Kreuzzüge und die Reconquista führten umgekehrt zu einer Reduzierung und Beendigung des islamischen Lebens in den für das Christentum zurückgewonnenen Ländern. Am Beginn der Neuzeit war es die Expansion des Osmanischen Reiches, das zu einer Zurückdrängung des Christentums und damit zu Kirchenschließungen in den eroberten Ländern Europas führte.
Sozialistische Staaten
Die Verfolgung der Religionsgemeinschaften in der Sowjetunion, dem Ostblock und den anderen sozialistischen Staaten führte zu einer hohen Zahl an erzwungenen Kirchenschließungen. Trotz Unterstützung aus dem „freien Westen“ wie der Ostpriesterhilfe war es nicht möglich, die Kirchengemeinden zu erhalten.
Aktuelle Situation in Deutschland
In den 1950er und 1960er Jahren wurden in Westdeutschland viele Kirchen neu gebaut (seitdem kaum noch). Viele Kirchen waren bei den Flächenbombardements der Alliierten auf deutsche Städte mehr oder weniger zerstört worden. Die Zahl der Gläubigen stieg durch Flucht und Vertreibung stark an. Viele Stadtviertel wurden neu errichtet, teilweise durch die gestiegene Bevölkerung, teilweise aber auch durch den Trend "im Grünen" wohnen zu wollen. In von der Industrie geprägten Gebieten kam es zu einem starken Zuzug von Arbeitskräften. Bis zum Pillenknick gab es geburtenstarke Jahrgänge.
Seit den 1980er Jahren geht die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland zurück. Faktoren sind die Demografie Deutschlands und Kirchenaustritte. Außerdem leidet die Katholische Kirche in Deutschland seit langem unter einem Priestermangel.
Auslöser der Kirchenschließungen
Der Rückgang der Mitgliederzahl hat unter anderem organisatorische Folgen. Durch die Schaffung neuer Organisationsformen wie Pastoralen Räumen werden Funktionen zusammengelegt und Personal- und Sachkosten gespart. Die Frage von Kirchenschließungen stellt sich insbesondere dann, wenn eine teure Renovierung oder Sanierung ansteht. Inzwischen sind gerade viele der in großer Zahl entstandenen Kirchenbauten aus der Nachkriegszeit sanierungsbedürftig. Während bislang die Maßnahmen finanziell von den Kirchen getragen werden konnten, sehen sich neuerdings die verantwortlichen kirchlichen Institutionen damit als überfordert an. In anderen Fällen ist die Bausubstanz zwar noch zufriedenstellend, jedoch stehen die laufenden Betriebskosten in keinem Verhältnis mehr zur quantitativen Nutzung (kaum noch Gottesdienstbesucher). Die Betriebskosten verzehren erhebliche Mittel, deren Einsatz anderweitig (z. B. beim Gemeindepersonal) sinnvoller erscheint. Kirchenschließungen aus Kostengründen sind vielerorts nicht mehr zu vermeiden.
Wirkungen auf die Kirchengemeinden
Einige Gemeindemitglieder empfinden Schließungsvorhaben als schwerwiegende Belastung.
- Sie verbinden mit dem Kirchengebäude wichtige biographische Ereignisse wie Erstkommunion, Konfirmation, Eheschließung usw.
- Für sie ist der Gottesdienst ein soziales Ereignis (Treffpunkt) im sozialen Nahbereich.
- Für sie ist das Kirchengebäude ein Symbol von Heimat, Kontinuität und/oder kultureller Identität.
Kirchenschließungen sind Objekt medialer Berichterstattung.
Denkmalschutz
Vornehmlich in den von Schrumpfungsprozessen gezeichneten Gebieten in Ost- und Mitteldeutschland, aber auch in westdeutschen Regionen, wie z. B. im Ruhrgebiet, kommen viele Kirchengemeinden nicht umhin, ihren Gebäudebestand zu reduzieren, Gotteshäuser zu verkaufen, umzunutzen oder abreißen zu lassen. Es ist eine gesellschaftliche Frage, wie viele bzw. welche Kirchen man als kulturelles Erbe rezipiert, zum Denkmal erklärt und für folgende Generationen erhält. Kirchen konkurrieren hier mit anderen alten Gebäuden, z. B. Industriedenkmälern. Seit Ende der 1990er Jahre reichen die finanziellen Mittel der Denkmalpflege nicht mehr aus, um sie vor dem Verfall zu bewahren. Die Profanierung von Sakralbauten, etwa zu Kulturkirchen, Konzertsälen, Museen, Bibliotheken oder durch Einbindung in den Wohnungsbau ist deshalb eine Chance, städtebauliche Dominanten und gemeinschaftliche Bezugspunkte langfristig zu bewahren. Das Kirchengebäude als privater Ort der Gemeinde und öffentlicher Raum der Gesellschaft steht dabei in einem Spannungsverhältnis zwischen Veränderungswünschen der Kirche und Erhaltungsansprüchen der Denkmalpflege. Während die Erhaltung mittelalterlicher oder barocker Kirchen sowie Bauten des Historismus in der Öffentlichkeit weitgehend akzeptiert ist, werden Bauten der Nachkriegszeit vielfach von der Allgemeinheit als nicht erhaltenswert angesehen, da sich mit dem Begriff des Denkmals landläufig ein hohes Alter verbindet und auch ihr künstlerischer Wert mitunter verneint wird. Da aber gerade Nachkriegsbauten häufig von Schließungen betroffen sind und kostspielige Sanierungen benötigen, ist es eine besondere Herausforderung für die Verantwortlichen, den Denkmalwert auch dieser Bauten zu vermitteln, da ansonsten ein ganzes Kapitel der Architekturgeschichte verloren gehen könnte. [3]
Umfang von Kirchenschließungen
In den Niederlanden oder in Großbritannien wurden weitaus mehr Kirchengebäude geschlossen als in Deutschland.
Analog zu ähnlichen Begriffen wie Zechensterben wird gelegentlich von einem „Kirchensterben“ gesprochen. Dieser Begriff kann auch ein Sterben von Kirchengemeinden bezeichnen.
Auflistungen geschlossener Kirchen
Evangelische Kirche in Deutschland
- Landeskirche Anhalts: Evangelische Landeskirche Anhalts#Schließungen von Kirchen
- Landeskirche in Baden: Evangelische Landeskirche in Baden#Schließungen von Kirchen
- Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: Liste entwidmeter Kirchen in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
- Landeskirche in Braunschweig: Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig#Schließungen von Kirchen
- Landeskirche Hannovers: Liste entwidmeter Kirchen in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
- Kirche in Hessen und Nassau: Evangelische Kirche in Hessen und Nassau#Schließungen von Kirchen
- Kirche von Kurhessen-Waldeck: Kirche Altenvers.[4] Stadtallendorf, Herrenwaldkirche: 2013 entwidmet[5]
- Kirche in Mitteldeutschland: Liste entwidmeter Kirchen in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
- Landeskirche in Norddeutschland: Liste entwidmeter Kirchen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland
- Kirche in Oldenburg: Nordenham-Einswarden, Friedenskirche: 1978 erbaut, 2013 entwidmet[6]
- Kirche im Rheinland: Liste entwidmeter Kirchen in der Evangelischen Kirche im Rheinland
- Landeskirche Sachsens: Liste entwidmeter Kirchen in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
- Kirche von Westfalen: Liste entwidmeter Kirchen in der Evangelischen Kirche von Westfalen
- Landeskirche in Württemberg: Evangelische Landeskirche in Württemberg#Schließungen von Kirchen
Evangelisch-methodistische Kirche
- Gelenau/Erzgeb., Kirche: 1907 eingeweiht, heute als DDR-Museum genutzt[7]
- Thum, Friedenskirche: in den 1950er Jahren erbaut, entwidmet, 2014 abgerissen[8]
Neuapostolische Kirche
Römisch-katholische Kirche
- Bistum Aachen: Liste der profanierten Kirchen im Bistum Aachen
- Erzbistum Bamberg: Erzbistum Bamberg#Konsolidierungsprozess
- Erzbistum Berlin: Liste der profanierten Kirchen im Erzbistum Berlin
- Bistum Dresden-Meißen: min. zwei Filialkirchen und vier Kapellen (Stand 2009)[9] (u.a. Demitz-Thumitz, Propsteikirche St. Trinitatis von 1982, Thum)[10]
- Bistum Erfurt: Bistum Erfurt#Kirchenschließungen
- Bistum Essen: Liste profanierter Kirchen im Bistum Essen
- Erzbistum Freiburg: Erzbistum Freiburg#Geschichte
- Bistum Fulda: Liste profanierter Kirchen im Bistum Fulda
- Bistum Görlitz: Bistum Görlitz#Kirchenschließungen
- Erzbistum Hamburg: Erzbistum Hamburg#Kirchenschließungen
- Bistum Hildesheim: Liste der profanierten Kirchen im Bistum Hildesheim
- Erzbistum Köln: Liste profanierter Kirchen im Erzbistum Köln
- Bistum Limburg: Bistum Limburg#Schließungen von Kirchen
- Bistum Magdeburg: Bistum Magdeburg#Schließungen von Kirchen
- Bistum Mainz: Bistum Mainz#Gegenwart
- Bistum Münster: Liste der profanierten Kirchen im Bistum Münster
- Bistum Osnabrück: Bistum Osnabrück#Schließungen von Kirchen
- Erzbistum Paderborn: Liste der profanierten Kirchen im Erzbistum Paderborn
- Bistum Regensburg: Bistum Regensburg#Geschichte
- Diözese Rottenburg-Stuttgart: Diözese Rottenburg-Stuttgart#Mitgliederentwicklung
- Bistum Speyer: Bistum Speyer#Kirchenschließungen
- Bistum Trier: Liste profanierter Kirchen im Bistum Trier
- Bistum Würzburg: Bistum Würzburg#Kirchenschließungen
Literatur
- Patrick Nitsch: Die Politiken der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche zum Nutzungswandel von Kirchengebäuden in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Berlin; Diplomarbeit im Studiengang Sozialwissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin, Institut für Sozialwissenschaften, 21. Dezember 2005.
- Eva Marin (Hrsg.): Converted Churches; Tectum Publishers, Antwerpen 2007. ISBN 978-90-76886-44-2 (Umgewidmete Kirchen in Europa und USA. Mit zahlreichen Abbildungen des Zustandes nach dem Umbau und Architekturgrundrissen der neuen Nutzung. Text: englisch, französisch, niederländisch).
- Geschichtswerkstatt Oberhausen e. V. (Hrsg.): Zwischen Himmel und Erde – Kirchensterben kann neue Möglichkeiten eröffnen; in: Schichtwechsel. Journal für die Geschichte Oberhausens, Ausgabe Mai / Oktober 2008, S. 26 f.
- Godehard Hoffmann: Moderner Kirchenbau und Denkmalschutz – Ein Arbeitsbericht; in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 40/41, Worms 2009, S. 17-30.
Dokumentarfilm
- Gotteshäuser zu Verkaufen – Kirchenschließungen zwischen Verlust und Chance. Dokumentation der Volkskundlichen Kommission für Westfalen und des LWL-Medienzentrum für Westfalen, Deutschland 2011, circa 47 Min. ISBN 978-3-939974-18-5 (DVD mit ROM-Teil)
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. etwa Geschichte des Christentums. Bd. 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642-1054). Hrsg. von G. Dagron/P. Riché/A. Vauchez. Dt. Ausgabe hrsg. von Egon Boshof. Freiburg u.a. 1994, S. 395f. und S. 430.
- ↑ Zur „Sicht der Besiegten“: Kennedy, The Great Arab Conquests, S. 344ff.
- ↑ Zur Umnutzung kirchlicher Denkmale Website Denkmal-Debatten
- ↑ http://www.monumente-online.de/11/03/leitartikel/Kirchenumnutzung.php
- ↑ http://www.myheimat.de/stadtallendorf/kultur/die-evangelische-herrenwaldkirche-in-stadtallendorf-wurde-am-31122013-entwidmet-03032009-m3222131,2620914.html
- ↑ http://www.evangelische-zeitung-niedersachsen.de/ez-online/regio/oldenburg_2013/oldenburg_13_21_zusatz_2
- ↑ https://www.tu-chemnitz.de/advent/2008/20/
- ↑ http://www.freiepresse.de/LOKALES/ERZGEBIRGE/ANNABERG/Abrissbagger-tilgt-Friedenskirche-aus-dem-Thumer-Stadtbild-artikel9035879.php
- ↑ http://www.tdh-online.de/archiv_2008_bis_2011/tdh_artikel_1626.php
- ↑ http://www.kath-kirche-zschopau.de/index.php?site=gemeinde
Weblinks
- Weblog Kirchenschwinden. Ein Blog mit Informationen zu Umnutzung, Verkauf oder Abriss katholischer Kirchen in Deutschland
- Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Umnutzung von Kirchen. Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen (PDF; 68 kB); Arbeitshilfen 175; 24. September 2003
- VELKD: Was ist zu bedenken, wenn eine Kirche nicht mehr als Kirche genutzt wird? Leitlinien des Theologischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes (PDF; 169 kB); VELKD-Texte 122/2003; ISSN 1617-0733
- Evangelische Kirche im Rheinland: Weniger ist mehr. Welches Gebäude wird verkauft? Gebäudestrukturanalyse als Grundlage einer Entscheidung. Sonderdruck aus dem „Handbuch Gemeinde & Presbyterium; 2005
- Hanns-Bruno Kammertöns: Sag beim Abschied leise Amen – Das Bistum Essen schließt fast hundert Kirchen. Eine Reise durch das Revier der verletzten Seelen“; in: Die Zeit Nr. 16/2006 vom 12. April 2006
- Erzbistum Köln: „Altlast Kirche“? (Bericht von einer Tagung des Vereins für christliche Kunst im Erzbistum Köln und im Bistum Aachen am 6. Mai 2006)
- Rettet Bochumer Kirchen: Bürgeraktion für bedrohte Bochumer Kirchen e. V.
- Informationen des Bistums Hildesheim zum Thema (pdf) (182 kB)
- Informationen des Bistums Hildesheim zum Thema (pdf) (273 kB)
- Informationen des Bistums Hildesheim zum Thema
- FAZ.net 25. Dezember 2014: mit jeder Kirchenschließung verschwindet auch ein Stück Heimat